„There is much talk today in Germany about the AUFARBEITUNG (literally, the >>working over<<) of its recent history – a very German word that is usually translated as >>coming to terms with the past<< (on whose terms?) but that also evokes Freudian connotations …, and that, in a more mundane and domestic meaning, also can be used to describe the remodeling of an old garment (>>ein Kleidungsstück aufarbeiten<<) to make it look as good as new.“
Bild oben: Am Morgen des 3. Oktober 1990
Eine Fehlannahme des Gesetzgebers
Die Öffnung der Akten des Ministeriums für Staatssicherheit für Betroffene stieß 1990/91 auch auf Widerspruch. Manche befürchteten, Menschen würden nach dem Lesen der sie betreffenden Akten in Ohnmacht fallen. Es würde „Mord und Totschlag geben“. Dem trug § 38 des Gesetzes über die Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR Rechnung. Die Norm eröffnete den Ländern die Möglichkeit, „Landesbeauftragte für die Unterlagen des ehemaligen Staassicherheitsdienstes der Deutschen Demokratischen Republik“ zu berufen. Diese sollten (unter anderem) „nach Abschlus des Verfahrens nach § 12„, also der Akteneinsicht, vor allem Betroffene „psycho-sozial beraten“.
Vollständig lautete die damalige Fassung des am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Gesetzes über die Unterlagen des MfS so:
Allerdings enthalten die Akten, so umfangreich sie auch sein mögen, so viele Neuigkeiten nicht. Als ich die erste Einsicht in die mich betreffenden Akteneinträge nahm, lag dort ein Fragebogen der Universität Hamburg aus:
„Sie haben heute als eine der ersten Betroffenen Einsicht in die Sie betreffenden Unterlagen des MfS genommen. Haben Sie Dinge erfahren, die sie noch nicht wußten oder ahnten?“
120 Personen füllten den Fragebogen aus, auch ich. Das Ergebnis: 95 % der Befragten antworteten, dass es eigentlich gar keine Neuigkeiten gegeben habe, „nur“ Bestätigungen dessen, was man doch immer gewußt oder zumindest geahnt habe.
„Man wußte doch, in welchem Bestiarium man lebte. Und wem erst beim Lesen seiner Stasi-Akte darüber ein Licht aufgeht, der ist seit je her ein Armleuchter gewesen.“ Sagt Wolf Biermann.
Im Spiel der Parteien
Landesbeauftragte müssen mit der Mehrheit des Landtages gewählt werden. Da aber keine Partei in den ostdeutschen Landtagen über eine eigene Mehrheit verfügt, die SPD seit 1999 auch in Brandenburg und die CDU seit 2004 auch in Sachsen nicht mehr über eine eigene Mehrheit verfügt, erfordert dies Absprachen mehrer Fraktionen. Diese Absprachen geschehen nach der Regel: „Wählst Du meinen Kandidaten, wähle ich Deinen Kandidaten.“ Sie betreffen auch die Wahlen für die Senatoren (Abteilungsleiter) der Landesrechnungshöfe, deren Präsidenten und die Richter der Landesverfassungsgerichte.
Welche Partei bzw. welche Fraktion für welchen Posten das Vorschlagsrecht hat, ist dann Inhalt von Koalitionsvereinbarungen.
„Eigene Aufgabensuche“ der Landesbeauftragten
Ist eine Behörde erst einmal eingerichtet, so ist es schwer, sie wieder abzuschaffen. Friedrich Merz hatte in diesem Jahr angekündigt, das Bundesbeauftragtenwesen gewaltig auszudünnen. Das wird nur teilweise gelingen.
Im Zuge ihrer nun über 30jährigen Existenz haben die „Landesbeauftragten für die Unterlagen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik“ weitere Aufgaben gesucht und gefunden.
Etwa um 2015 wurden sie deswegen auch in allen Bundesländern in „Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Folgen der kommunistischen Diktatur“ umbenannt. So nennt sie auch die jetzige Fassung des § 38 des Stasiunterlagengesetzes.
– „Aufarbeitung“
Zum Auftrag einer „Aufarbeitung“ übersetze ich hier noch einmal Inga Markovits‘ Eingangszitat, in dem sie ihrem englischsprachigen Publikum das Wort „Aufarbeitung“ erklärt:
„Heute wird in Deutschland viel über die AUFARBEITUNG der jüngeren Geschichte gesprochen – ein sehr deutsches Wort, das üblicherweise mit „Zur Vergangenheit in Begriffe kommen“ (zu wessen Begriffen?) übersetzt wird, das aber auch freudianische Assoziationen weckt …
In einer eher banalen und häuslichen Bedeutung kann es auch verwendet werden, um das Aufarbeiten eines alten Kleidungsstücks zu beschreiben, damit es wieder wie neu aussieht.“
„Aufarbeitung“ ist nicht Geschichtsschreibung, sondern Geschichtspolitik. Ist der Versuch, das Umfeld vom eigenen Geschichtsbild zu überzeugen.
Aber betätigen sich darin außer den Landesbeauftragte nicht schon die Landeszentralen für politische Bildung?
– „Betroffenenberatung“
Zu den „Folgen der kommunistischen Diktatur“ beraten die Landesbeauftragten Betroffene oder Menschen, die sich für Betroffene halten, zu Entschädigungsmöglichkeiten durch die so genannten „SED-Unrechtsbereinigungsgesetze“.
„SED-Unrecht“ – ein Kampfbegriff übrigens, mit dem CDU und FDP im Bundestag 1992 und 1994 das Wiedergutmachungsrecht behafteten. Wer erinnert sich heute überhaupt noch daran, dass die FDP, also die dazu 1990 umbenannte „Liberaldemokratische Partei Deutschlands, LDPD“ seit 1967 die DDR-Justizminister stellte ? Wer weiß überhaupt noch, dass der 1960 bis 1986 gewesene Präsident des Obersten Gerichts des „SED-Unrechtsstaates“ das Parteibuch der CDU trug?
Zur „Betroffenenberatung“ laden die landesbediensteten Landesbeauftragten bzw. deren Mitarbeiter wie z.B. hier die Sächsische Landesbeauftragte zu Beratungstagen darüber ein, was die Kollegen Landesbediensteten in der Wiedergutmachungs- („Rehabilitierungs-„) Behörde „im Angebot“ haben.
Aber könnten die Kollegen Landesbediensteten in den Rehabilitierungsbehörden das nicht selbst tun? Und dies auch viel kompetenter?
Alle sechs Landesbeauftragten werden Ihnen hierauf antworten: „Nein!“ Schließlich hält jeder Behördenchef und dies nicht nur in Deutschland, seine Behörde für unverzichtbar.
– „psycho-soziale Beratung“
Wenn die Landesbeauftragten heute noch immer „psycho-soziale Beratung“, ja sogar „Traumaberatung“ anbieten wie hier …
…so betrifft dies schon lange nicht mehr des Wirken „der Stasi“. Ehemalige Insassen der DDR-Jugendwerkhöfe und auch DDR-Heimkinder sind aufgerufen, sich an die Landesbeauftragten zu wenden.
„Wäre es nicht von Vorteil,“ so fragte 2013 Gerhard Besier einst im Sächsischen Landtag, „Wenn für das Anforderungsprofil eines Landesbeauftragten eine Ausbildung als Psychotherapeut Voraussetzung wäre?“
Eine berechtigte Frage. Immerhin ist die Ausübung der Heilkunde durch Kurpfuscher in Deutschland ein Straftatbestand.
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