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„Aufgearbeitet“: (4) 1998, der Wiederaufstieg der SED/PDS/LINKE und die Gründung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

„There is much talk today in Germany about the AUFARBEITUNG (literally, the >>working over<<) of its recent history – a very German word that is usually translated as >>coming to terms with the past<< (on whose terms?) but that also evokes Freudian connotations …, and that, in a more mundane and domestic meaning, also can be used to describe the remodeling of an old garment (>>ein Kleidungsstück aufarbeiten<<) to make it look as good as new.“

Inga Markovits, 2001, Selective Memory: How the Law Affects What We Remember and Forget about the Past: The Case of East Germany

Bild oben: Am Morgen des 3. Oktober 1990

Alle gegen die SED/PDS/LINKE

Die bereits totgesagte DDR-Staatspartei, beobachtet vom Verfassungsschutz, erlebte schon zu den Landtagswahlen 1994 und 1995 ihren Wiederaufstieg im Osten. Mir sind noch die 1994er Plakate Dietmar Pellmanns, PDS-Kandidat für den Landtag im Leipziger Süden in Erinnerung. Auf denselben stand:

„Helfen Sie dem Verfassungsschutz!

Beobachten Sie die PDS!

Schreiben Sie das Ergebnis Ihrer Beobachtung in der Wahlkabine nieder!“ 

Pellmann, übrigens Vater des Bundestagsabgeordneten Sören Pellmann (LINKE), errang damals 27,7 % der Direkt- (Erst-) Stimmen. Landesweit errang die Partei 16,5 % der Stimmen der sächsischen Wähler.

Grafik oben: Sächsische Landtagswahlen 1994 (aus Wikipedia)

1995 überraschte mich meine Berliner Tante Bettina, gewiß keine DDR-Nostalgikerin, mit dem Bekenntnis „jetzt auch PDS gewählt“ zu haben:

„Das hältst Du nicht mehr aus! Seit 23 Jahren bin ich Frauenärztin, fünf Jahre war ich in der DDR Chefärztin in der Charitè. Und nun sitzt da seit fünf Jahren ein Schnösel aus dem Westen vor mir und will mir meinen Beruf erklären!“ 

Nein, dass auch zu den Abgeordnetenhauswahlen in Gesamt-Berlin 1995 stolze 14,6 % PDS wählten, weil ihr im Osten Berlins 36,3 % die Stimme gaben, …

… das ist nicht einfach nur mit „DDR-Nostalgie“ zu erklären. Vielmehr ist es eine Reaktion auf den Elitenaustausch im Osten. Der war in Ostberlin besonders gnadenlos, weil ziemlich einfach von „den Westberliner Politikern“ durchführbar. Die neuen Eliten aus Westberlin mußten ja nicht einmal umziehen gen Osten, sie mußten nur drei oder vier S-Bahn-Stationen weiter fahren auf das neue Amt und in die neuen Würden.

… was die da mit uns machen !

Als Jurist war ich damals, 1994, durchaus Nutzniesser der Staatsausdehnung der Bonner Republik. Aus dieser war ich ja „heimgekehrt“.

Nein, ich benutze nicht den Begriff „SED-Unrechtsstaat“, aber richtig: Die DDR war kein Staat, in dem Recht eine Rolle spielte. Weshalb auch die knapp 600 Anwälte für 1989 ganze 17 Millionen DDR-Bürger „völlig ausreichend“ waren. In den 1990er Jahren waren sie es aber keineswegs mehr. 

Auch die Verwaltung braucht Juristen, das zweite Juristische Staatsexamen ist die Laufbahnbefähigung für den Höheren Nichttechnischen Beamtendienst in allen deutschen Bundesländern. Gerichte, vor allem die 1990 neu einzurichtenden Arbeits- Sozial- und Verwaltungsgerichte brauchten sowieso Juristen. Auch die Zivilgerichte brauchten diese, DDR-Richter waren zu allem Überfluß in jeweils verschiedenen Ausmaßen entlassen, in Berlin fast ausnahmslos.

Die oben zitierte Inga Markovits beschrieb zu Letzterem in ihrem Buch „Gerechtigkeit in Lyritz“ die 1990er Abwicklung eines fiktiven DDR-Kreisgerichts. Die Abwicklung des DDR-Kreisgerichts Waren an der Müritz diente ihr als Vorlage.

Und weil die Juristenausbildung mindestens 7 Jahre in Anspruch nimmt, konnte der neue Jurist bis Mitte der 1990er Jahre nur aus dem Westen kommen.

„Rechtsstaat, …“

so schrieb Frau Markovits 2006, werde damit im Osten über Jahre hinaus wahrgenommen werden als

„Etwas von da drüben, was die da von da drüben mit uns machen.“ 

Die Enquete-Kommissionen

Die beiden unter der Kohl-Kanzlerschaft im Bundestag zusammengetreten Enquete-Kommissionen namens „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur“ und „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“ wollten ein gewissermaßen parlamentsamtliches Bild von der DDR zeichnen.

Ein Großteil des Personals der bemühten Sachverständigen wurde nach dem 1998er Schlußbericht der zweiten Enquete-Kommission vom Bundestag per Gesetz als öffentlich-rechtliche Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur installiert. 

„Aufarbeitung“ als Daueraufgabe gewissermaßen.

Was ist eigentlich Aufarbeitung ?

Ihrem englischsprachigen Publikum hat Inga Markovits im Eingangszitat oben den Begriff erklärt. Übersetzt hieße das:

„Heute wird in Deutschland viel über die AUFARBEITUNG der jüngeren Geschichte gesprochen – ein sehr deutsches Wort, das üblicherweise mit „Zur Vergangenheit in Begriffe kommen“ (zu wessen Begriffen?) übersetzt wird, das aber auch freudianische Assoziationen weckt …

In einer eher banalen und häuslichen Bedeutung kann es auch verwendet werden, um das Aufarbeiten eines alten Kleidungsstücks zu beschreiben, damit es wieder wie neu aussieht.“

Inga Markovits, 2001, Selective Memory: How the Law Affects What We Remember and Forget about the Past: The Case of East Germany

„Aufarbeitung“ ist nicht Geschichtsschreibung, sondern Geschichtspolitik. Ist der Versuch, das Umfeld vom eigenen Geschichtsbild zu überzeugen.

So etwas steht von Anfang an unter keinem guten Stern.

Stiftung Aufarbeitung als Haudrauf gegen die PDS ungeeignet

Wie fast alle mit Zeitgeschichte befassten Institutionen und Personen stürzte sich auch die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur fast 20 Jahre lang auf die Akten des Ministeriums für Staatssicherheit. Warum sich alle Erinnerung an den „SED-Unrechtsstaat“ in „Stasi, Stasi, Stasi“ kanalisierte, habe ich in einem vorangegangenen Blogbeitrag mit dem „Gaucken“ versucht zu erklären, hier …

Die über ein Jahrzehnt erfolgte Erklärung der DDR durch die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur als „Stasi-Staat“, mußte auf Widerspruch stoßen. Der Widerspruch kam keineswegs (nur) aus der PDS, sondern vor allem aus den Reihen der Gegner der Partei des Demokratischen Sozialismus.

Wann beschäftigt sich eine Stiftung, welche eine „SED-Diktatur“ aufarbeiten soll, denn nun endlich mit der SED ? So fragte Markus Meckel (SPD), der Beiratsvorsitzende der Stiftung 2006. Und nicht immer nur mit dem Schild und Schwert der Partei, welches das Ministerium für Staatssicherheit nach eigener Definition doch gewesen war?

Auch propagierte die PDS (und auch heute die LINKE), sowieso einen „Sozialismus ohne Stasi“.

Stasi – Vorwürfe prallten ab von der Partei. Und selbst setzte sich die PDS/LINKE durchaus auch kritisch in ihrer „Historischen Kommission“ mit der eigenen Parteigeschichte auseinander.

Im Augenblick …

Im Augenblick steht in der deutschen Geschichtspolitik hauptsächlich der Überfall Rußlands auf die Ukraine im Focus der regierungsamtlichen Deuterei der Vergangenheit.

In den Reden zum Frühjahrsempfang der Aufarbeitungseinrichtungen zur NS- und SED-Diktatur in Berlin und Brandenburg 2022 wird die Unterstützung der Kiewer Regierung als das Non Plus Ultra aller NS- und SED-Aufarbeitung beschworen.

Das Eine hat zwar mit dem Anderen nichts zu tun, aber hören Sie doch mal rein …

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Über Bodo Walther

Bodo Walther, geboren 1960 in Weißenfels im heutigen Sachsen-Anhalt, studierte 1985 bis 1991 Rechtswissenschaften in Tübingen und Bonn. Er war aktiver Landes- und Kommunalbeamter in Sachsen-Anhalt, ist heute im Ruhestand und Anwalt in der Nähe von Leipzig.

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