avatar

„Aufgearbeitet“: (1) Das DDR-Bild der Bonner Republik

Das Datum der Bildaufnahme unten ist leicht zu bestimmen. Mein Haftkamerad Hubert und ich schipperten an diesem Tag von Kiel nach Bergen in Norwegen. Unsere Fahrräder standen unten bei den PKW der anderen Reisenden. Solche Ausflüge hatten wir uns versprochen, damals in der DDR-Haftanstalt in Cottbus in der Zelle.

Feierlich schnitten wir an diesem Morgen um 6 Uhr aus den beiden Fähnlein das in der Mitte befindliche Symbol heraus. Wir nannten es „den Druckfehler“. Von der norwegischen Mannschaft der Fähre kam einer nach dem anderen an unserem Tisch vorbei, um uns zu unserem Glück zu gratulieren.

Genau, es war der 3. Oktober des Jahres 1990, der Tag, an dem die DDR ihr Ende fand.

Welches Bild hatte die Bonner Republik gehabt über die DDR?

Die Republik, in der wir nun schon fünf Jahre gelebt hatten?

Die Bonner Republik hatte „unser Bild“ gehabt.

„Im Westen“ war das Bild über „den Osten“ geprägt von denen, die „von dort“ gekommen waren. Ihre Erzählungen hatten nichts Gutes über die verlassene Heimat verkündet. Logisch, sonst hätten sie dieselbe ja nicht verlassen.

Begonnen hatte dies ab dem Frühsommer des Jahres1945, als etwa 10 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene in der britischen und US-amerikanischen Besatzungszone aufzunehmen waren. (Im Vergleich dazu hatte die sowjetische Besatzungszone etwa 4 Millionen von ihnen aufgenommen.)

Die französische Militäradministration nahm bis 1949 nur begrenzt Flüchtlinge auf. Frankreich trug vor,

„… an der Potsdamer Konferenz nicht teilgenommen zu haben. … Da es die demografische Stärke Deutschlands fürchtete, empfahl es den Vertriebenen die Auswanderung nach Übersee.“

In dem am 1. Januar 1957 in die Bundesrepublik aufgenommenen Saarland gab es sowieso keine Flüchtlinge und Vertriebenen.

Daraus resultierend könnte man sagen:

Das Bild der Bonner Republik über „den Osten“ reichte von gar nicht vorhanden im Saarland über eher Pastelltöne in Südbaden oder Württemberg-Hohenzollern oder Rheinland-Pfalz, bis hin zu grellen Farben in Bayern oder gar Schleswig-Holstein. Im letztgenannten Bundesland waren 1946 fast die Hälfte der Einwohner Vertriebene. Das zerbombte Hamburg konnte gar keinen Wohnraum bieten. 1956 waren es immer noch ein Drittel.

Wir alle kennen die Geschichten um Werners Meister Röhricht, den wackeren Klempnermeister in der Friesischen Straße 41 in Flensburg in Schleswig, der beständig die Russen im Keller wähnt.

Dies spricht ein tatsächliches Trauma jedes dritten Einwohners des Landes Schleswig-Holstein noch in den 1950er und frühen 1960er Jahren an. Diese Menschen hatten es erlebt, dass „der Russe da ist“.

Das regierungsamtliche Bild

Mit dem erst am 1. Juli 1969 gegründeten  Gesamtdeutschen Institut – Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben (BfgA) begann die Bundesregierung, genauer gesagt das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (BMB), ein gewissermaßen regierungsamtliches Bild von der DDR zu zeichnen.

Der dort jährlich erstellte Preisindex für Verbrauchsgüter in Ost und West, ins Verhältnis gesetzt zum durchschnittlichen Monatseinkommen, ist mir noch heute ein gutes Nachschlagewerk.

Allerdings wird die Wirkung regierungsamtlich gemalter Bilder regelmäßig überschätzt.

Viel prägender ist das, was Opa und Oma so erzählen. Oder Vati und Mutti und Onkel und Tante. Auch wenn die Erzählung gar nicht richtig ist. Meine Tante Sigrun zum Beispiel war einige Monate vor dem Mauerbau gen Westen verschwunden. Sie wollte unbedingt Tiermedizin studieren, was ihr in der DDR als Tochter einer Kleinunternehmerin verwehrt war. Die raren Studienplätze waren in den 1960er Jahren für Arbeiterkinder vorgesehen. Wie selbstverständlich ging sie davon aus, daß dies auch in den 1980er Jahren noch so gewesen sei. Dem war aber gar nicht so. Vielmehr prägte der Mangel an Offizieren und Unteroffizieren in der Nationalen Volksarmee, NVA, in den 1970er und 1980er Jahren den Bildungszugang. Das DDR-Ministerium für Volksbildung drängte bei jungen Männern auf eine mindestens 3-jährige Verpflichtung als Zeitsoldat. Schon zur (verbindlichen) Empfehlung ans Gymnasium, an die „Erweiterten Oberschule, EOS„. Völlig unabhängig von der sozialen Herkunft des Wissbegierigen.

Letzteres erzeugte wiederum in der Bonner Republik ein Bild vom ostdeutschen männlichen Akademiker, der sich sogar freiwillig verpflichtet hatte, seinen Sozialismus zu verteidigen. Mit der Kalaschnikow vor der Brust. Dirk Oschmann hat gegen dieses Bild ein wütendes Buch geschrieben. Auch auf dieses werde ich noch zurückkommen.

Die Wirkung regierungsamtlich gemalter Bilder ist auch deshalb gering, weil sie außerhalb der Blase der Interessenten unter dem Verdacht stehen, manipulieren zu wollen.  Gar nicht so selten erzeugen gerade sie Gegenbilder. Ich werde in einem Folgebeitrag zur Wirkung oder Nichtwirkung der regierungsamtlichen Bundesstiftung zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur noch einmal darauf zurückkommen.

Greifbarer ist die Juristerei. Also die Frage danach, was das regierungsamtliche Bild in Gesetze geformt hatte. Als was ordnete das Recht der Bonner Republik den „Zonenflüchtling“, also den Hubert und mich 1985 mich ein?

Jeder hatten wir für unsere je drei Jahre Haft in der DDR in der Bonner Republik eine Pauschale von 3.440,- Deutsche Mark und berufliche Förderung erhalten. Aber warum eigentlich?

Warum zahlte die Bonner Republik an uns Geld aus für eine Haft aus Gründen politischer Verfolgung im doch anderen Deutschland?

Die älteste gesetzliche Entschädigungsregelung für eine Haft außerhalb der Bonner Republik war das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz von 1954. Es ging von dem Grundgedanken aus, dass zwar jeder wehrfähige Mann in der Wehrmacht zu dienen hatte, aber nicht jeder in jedem Umfang in Kriegsgefangenschaft und schon gar nicht in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten sei. Dass dieser Personenkreis also eine besondere und nicht allgemeine Last zu tragen gehabt habe, für die er entschädigt werden müsse.

Das Gesetz ergänzte das bereits vier Jahre zuvor, 1950, erlassene Heimkehrergesetz, das den aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrenden Soldaten in der Berufsaufnahme fördern sollte.

Schon im Umgang mit dem letztgenannten Gesetz erhob sich die Frage nach den Deutschen, die unmittelbar nach 1945 „von einer ausländischen Macht (der sowjetischen Militäradministration) festgehalten“ oder gar in die Sowjetunion selbst zur Zwangsarbeit „verschleppt worden“ waren, aber gar keine Soldaten waren. Das 1954er Bonner Gesetz behalf sich in § 2 Absatz 2 mit dem Begriff des „Geltungskriegsgefangenen“. Diese Menschen sollten als Kriegsgefangene gelten.

Verurteilungen der Sowjetischen Militärtribunale 1945 bis 1949 in der „Sowjetzone“ trugen aber auch den Charakter politischer Verfolgung. Dass sie „von einer fremden Macht“ stammten, konnte der Bonner Gesetzgeber für politische Inhaftierungen durch die DDR-Justiz selbst nicht mehr wirklich behaupten. Er erließ 1955 das Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Gewahrsam genommen wurden, Häftlingshilfegesetz, HHG.

Eine „Haftentschädigung“ enthielt die 1955er HHG-Regelung zunächst noch gar nicht. Sie enthielt „nur“ die Regelung, dass ehemalige politische Gefangene der DDR nach den Regelungen für heimkehrende Kriegsgefangene, also dem Heimkehrergesetz, beruflich zu fördern seien und bei Gesundheitsschäden nach den Regelungen für die Versorgung verwundeter Soldaten, also dem Bundesversorgungsgesetz, zu versorgen sein.

Der Kalte Krieg als Folge des Heißen, gewissermaßen.

Und nicht nur nebenbei: An eine Versorgungrente wegen Arbeitsunfähigkeit infolge psychischen Traumas dachten damals und bis weit in die 1970er Jahre hinein weder Gesetzgeber noch Versorgungsämter.

Für Kriegsgefangene nicht und für politische Gefangene gleich gar nicht.

Posttraumatische Belastungsstörungen wurde erst nach dem Vietnam-Krieg in den Vereinigten Staaten von Amerika und erst in diesen 1970er Jahren ein Thema.

Haftfolgeschäden waren z.B. Herzerkrankungen infolge einer Typhus-Erkrankung infolge chronischer Unterernährung in einem Gefangenenlager. Und auch um diese noch stritten sich Antragsteller und Versorgungsämter vor den Sozialgerichten.

Eine „Haftentschädigung“ fügte die erste Änderung des Häftlingshilfegesetzes ein. Sie bestand 1957 in einer einfachen Verweisung auf die Haftentschädigungsleistungen für Kriegsgefangene.

Und „Haftentschädigung“ habe ich bewusst in Anführungszeichen gesetzt. Die Zahlungen an ehemalige politische Gefangene der DDR nannten sich „Eingliederungshilfen“ und die Eingliederung in das Berufsleben der Bonner Republik war das ausdrückliche Ziel der Zahlungen.

Ein Lastenausgleich

Auch das Lastenausgleichsgesetz von 1952, erlassen

In Anerkennung des Anspruchs der durch den Krieg und seine Folgen besonders betroffenen Bevölkerungsteile …“

.. suchte Vermögensverluste in der „Sowjetzone“, so genannte „Zonenschäden“ als Kriegsfolge auszugleichen und damit eine gewisse Starthilfe für den in den Westen Geflüchteten zu schaffen.

Ein Lastenausgleich war aus sozialen Gründen auch innerhalb der Bonner Republik selbst geboten: Des einen Haus in Hamburg war bis auf die Grundmauern niedergebrannt, des anderen Haus in Flensburg mangelte es nicht an einem einzigen Dachziegel.

Kurz:

In der Bonner Republik bestand bis zum Ende des Jahres 1989 ein Bild über die DDR als ein riesengroßes Gefängnis. Den (vormaligen) DDR-Bürgern, die diesem entkommen waren, sei zu helfen, „bei uns“ Fuß zu fassen.

Dieses Ziel erschien spätestens ab der DDR-Volkskammerwahl am 18. März 1990 gar nicht mehr erstrebenswert.

Der Volkskammerabgeordnete Konrad Weiß (Demokratie Jetzt, BÜNDNIS90) bezeichnete all diese oben genannten Hilfen bereits im April 1990 als „Abwerbungsprämien“, die endlich abgeschafft gehörten.

Weiß war neben Joachim Gauck einer der beiden in seiner 15-köpfigen Fraktion BÜNDNIS90/GRÜNE, der in der Volkskammersitzung am 22./23. August 1990 dem Beitritt Neufünflands in die Bonner Republik zustimmte.

Es ging ihm also keineswegs um eine Rettung der DDR, sondern darum, den Osten nicht ausbluten zu sehen.

Nicht nur einer meiner Ausbildungsrichter in meinem damaligen Referendariat fragte mich damals, ob ich nach bestandener Prüfung denn „wieder nach Hause gehen“ wolle.

Die Diktatur sei vorbei und ich würde jetzt eher dort gebraucht.

 

Shares
Folge uns und like uns:
error20
fb-share-icon0
Tweet 384
avatar

Über Bodo Walther

Bodo Walther, geboren 1960 in Weißenfels im heutigen Sachsen-Anhalt, studierte 1985 bis 1991 Rechtswissenschaften in Tübingen und Bonn. Er war aktiver Landes- und Kommunalbeamter in Sachsen-Anhalt, ist heute im Ruhestand und Anwalt in der Nähe von Leipzig.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Shares
Scroll To Top