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Zeit, den Streit um Brosius-Gersdorf abzuschließen

Zweiter Senat in Karlsruhe. Foto: Bundesverfassungsgerich

Gut, dass erstmals laut über die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts diskutiert wird. Denn es hat großen Einfluss auf die Politik. Aber nun ist genug. Es gibt Wichtigeres.

Über das höchste deutsche Gericht wird normalerweise nur berichtet, wenn dort wichtige Verfahren anstehen und es spektakuläre Entscheidungen trifft. Vor allem wenn es Gesetze aufhebt oder wie etwa mit dem Urteil zum Klimaschutz selbst Politik gestaltet, obwohl das eigentlich nicht seine Aufgabe ist. Nun aber wird seit einer Woche heftig über die Wahl oder Nichtwahl einer Richter-Kandidatin gestritten, als hinge davon die Zukunft des Landes ab – etwas, was die tonangebenden Parteien bisher meist klandestin aushandelten. Vielleicht liegt genau darin das Problem.

Denn das Bundesverfassungsgericht steht keineswegs über oder neben der Politik, wie es der reinen Lehre der Gewaltenteilung entspräche. Die Richter wurden schon immer von den Parteien ausgewählt, nach Kriterien, von denen die Öffentlichkeit wenig erfuhr. Das war auch gut zu begründen, denn das oberste Gericht und seine Richter sollten ja dem Parteienstreit entzogen sein, da sie über ihn zu richten haben.

Aber das ist eine naive Vorstellung. In einer parlamentarischen Demokratie kann nur das Parlament oder ein von ihm beauftragtes Gremium die Verfassungsrichter bestimmen. Das sollte jedoch nach klaren, transpartenten Regeln erfolgen. Wenn die infrage stehen, muss darüber auch öffentlich debattiert werden. Denn es geht um was.

Das Karlsruher Gericht hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehten immer häufiger in die Politik eingemischt, indem es selbst Recht setzte, zum Beispiel zur informationellen Selbstbestimmung, zur Sterbehilfe oder eben zum Klimaschutz, wo die obersten Richter der aktuellen und künftigen Regierungen und Bundestagen sehr dezidierte Vorgaben machten. In manchen Fällen zum Wohle der Bürger und des Landes. In anderen in fragwürdiger Weise.

Es geht um die Rolle des Karlsruher Gerichts

Allzuoft allerdings haben Politik und Parteien sich selbst an Karlsruhe gewandt, weil sie strittige Fragen nicht lösen wollten oder konnten. Und das Gericht damit in eine Rolle gedrängt, die nicht seinem grundgesetzlichen Auftrag entspricht.

Vor diesem Hintergrund muss die jetzige Debatte gesehen werden. Es geht gar nicht so sehr darum, ob die von der SPD ausgesuchte Jura-Professorin Frauke Brosius-Gersdorf fachlich für die Aufgabe geeignet ist. Was sie sicherlich ist. Sondern ob sich mit ihrer Person und ihren öffentlich bekundeten Positionen Erwartungen an bestimmte künftige Karlsruher Urteile verbinden.

Wahrscheinlich wird ihr dabei Unrecht getan. Denn ihr rechtswissenschaftliches Renomee steht außer Zweifel, auch wenn manche Medien und Akteure einen anderen Eindruck erwecken wollen. Und die Karlsruher Richter entscheiden ja nicht alleine, sondern immer mit sieben weiteren in einem der beiden Senate. Es wurden auch schon Parteipolitiker dorhin entsandt, die sich dennoch oder womöglich gerade deswegen als überparteilich erwiesen.

Brosius-Gersdorf hat sich jedoch vor ihrer Nominierung in etlichen Fragen, nicht nur zur Abtreibung, sondern auch zu einer Impfpflicht oder dem Kopftuchtragen in Staatsämtern in einer Weise exponiert, die Zweifel haben entstehen lassen, ob sie das Amt tatsächlich unvoreingenommen ausüben würde. Besonders bei solchen Themen, über die sie mögtlicherweise zu entscheiden hätte wie ein AfD-Verbot – das sie befürwortet.

Gravierende Folgen eines AfD-Verbots

Und das hätte gravierende Auswirkungen, nicht nur für ein Fünftel der Wähler, die die mutmaßlich rechtsextreme Partei wählen oder wählen wollen. Sondern sehr konkret: Bei einem Verbot würden die AfD-Abgeordneten aus dem Bundestag ausgeschlossen. SPD, Grüne und Linkspartei hätten auf einmal eine Mehrheit und könnten Merz abwählen und stattdessen SPD-Chef Klingbeil zum Kanzler wählen, falls der Bundestag nicht neugwählt würde. Entgegen dem Wahlergebnis.

Man sollte keineswegs unterstellen, dass die SPD mit ihrer Nominierung ein solches Kalkül hegte. Aber allein die Möglichkeit macht deutlich, dass die Besetzung des obersten Gerichts große politische Bedeutung hat, wie auch die USA zeigen. Nicht vergessen werden darf dabei, dass Brosius-Gersdorf im Fall ihre Wahl Vorsitzende des Zweiten Senats und später Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts werden sollte – eines der höchsten Ämter im Staat.

Eine Staatsaffäre ist die Sache dennoch nicht. Die Argumente oder Nicht-Argumente sind nun ausgetauscht. Die Kandidatin hat sich in einer geharnischten Erklärung und bei Markus Lanz ausführlich geäußert – was ein weiteres Mal belegte, dass sie ihre mögliche Rolle als eine sehr politische versteht. Aber gleichzeitig angedeutet, dass sie nicht auf ihrer Kandidatur besteht.

Ihr Verzicht wäre der eleganteste Ausweg aus einer verfahrenen Lage, mit der sich die schwarz-rote Koalition in unnötige Turbulenzen gestürzt hat. Wer immer dafür die Hauptverantwortung trägt. Jetzt sollten Merz, Klingbeil und die Fraktionschefs Spahn und Miersch die Angelegenheit möglichst schnell zu Ende bringen, damit sie und das Land sich wieder (noch) wichtigeren Dingen zuwenden können. Und wir alle ein wenig die Sommerpause genießen dürfen.

 

 

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