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Ilko-Sascha Kowalczuks „Freiheitsschock“, so etwas wie eine Rezension

„Sie sind ein nützlicher Idiot des US-Imperialismus.“  Sagte Leutnant Zahn vom Ministerium für Staatssicherheit, als ich 19 war und er mich 1980 das erste Mal verhaftet hatte.

„Sie sind ein verbohrter Agent des US-Imperialismus.“  Sagte Zahn, mittlerweile Hauptmann, als ich 23 war und 1984 das zweite Mal in seinem Vernehmerraum saß.

Wir hatten uns alle beide weiterentwickelt.

Mit meinem Haftkameraden Hubert freundete ich mich einige Monate später im Justizvollzug in Cottbus schnell an. Er war auch das zweite Mal drin. Auch weiterentwickelt.

Den Arbeitseinsatz an diesem Samstag, dem 6. Oktober 1984 zu Ehren des 35. Geburtstags der Deutschen Demokratischen Republik, dem Folgetag, machten wir nicht mit. Samstags war auch in einem DDR-Gefängnis arbeitsfrei, bitte.

Also wurden wir auf eine gesonderte Zelle geführt und dort die ganze Schicht lang eingeschlossen. Hubert stellte einen Tisch vor das Waschbecken und zwei Hocker darauf und hieß mich auf einem derselben thronen. Dann ließ er heißes Wasser in das Becken ein und wir nahmen darin ein herrliches Fußbad.

Wir erzählten uns von unserer Weltreise, die wir einmal unternehmen werden. Einmal, wenn dies hier alles vorbei ist.

Vorbei war es für uns schon im Folgejahr, als wir 1985 freigekauft wurden.

Als Amerika den Kalten Krieg gewonnen hatte

Unsere Weltreise allerdings unternahmen wir erst 7 Jahre später, 1992. Wir radelten durch Neuseeland und unseren Zwischenstopp in Kalifornien dehnten wir auf eine Woche aus.

Es kam aus dem Autoradio, auf der Fahrt von Los Angeles nach San Francisco, als der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika an jenem 29. Januar 1992 uns auf der California State Route Number One verkündete:

“By the grace of God, America won the Cold War.”

“Genau das!” rief Hubert und „Klatsch ab, Alter!“. Immerhin waren wir beide doch des Agententums für dieses herrliche Land überführt.

Das Buch

Meine Kritik zu Ilko-Sascha Kowalczuks „Freiheitsschock“ beginnt an seiner Ausgangsthese.

Der These, dass Oppositionsgruppen mutiger DDR-Bürger „im Revolutionsherbst 1989“ die SED-Diktatur gestürzt hätten.

Genauer benennt er diese Gruppen bereits in seiner Widmung, also auf den ersten Seiten des seines Buches. Das sei die „Initiative für Frieden und Menschenrechte, IFM“ und „Demokratie Jetzt, DJ“ und „Neues Forum“ gewesen, alle zusammen vereint zu den Volkskammerwahlen am 18. März 1989 in einem „BÜNDNIS90“. Später vereinigt mit den westdeutschen GRÜNEN.

O-Ton Ilko-Sascha Kowalczuk ( Seite 42):

„Wie aber sah die Rolle der Bürgerbewegungen aus, die aus der Opposition heraus entstanden waren und als wichtigstes Ziel Freiheit vertraten? Sie waren diejenigen, die im Sommer und Frühherbst 1989 überhaupt einige Hunderttausend Menschen mobilisierten und motivierten, sich zu engagieren, auf die Straße zu gehen. Sie boten ein Podium, eine Möglichkeit gemeinsamen Handelns, sie prägten Kultur und Sprache der Revolution und artikulierten ihre Forderungen. Sie sind der Katalysator und bis 9. November 1989 auch der einzige Organisator der Revolution, das einzige Sprachrohr.“

Eine „Selbstvergewisserung für die Guten“ übertitelt ein anderer Rezensent seine Kritik des Buches.

Der Autor

Ilko-Sascha Kowalczuk erscheint mir wie DER Legendenerzähler für BÜNDNIS90/GRÜNE, wenn es um die DDR-Vergangenheit geht.

Das kann nicht verwundern, denn „DDR-Experte“ ist Herr Kowalczuk meines bescheidenen Eindrucks nach namens und im Auftrag der BÜNDNIS90/GRÜNEN geworden.

Seine Historikerlaufbahn beginnt 1995 als „Sachverständiger“ in der Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“ des Deutschen Bundestages.

Meine Anführungszeichen bezweifeln dabei nicht Herrn Kowalczuks damaligen Sachverstand, auch wenn er 1995 gerade erst sein Studium der Geschichtswissenschaften abgeschlossen hatte.

Sie sind der Tatsache geschuldet, dass in Enquete-Kommissionen Obmänner der Parteien nach eigenem Willen, meinetwegen nach Gutdünken, einen Sachverständigen „mitbringen“ dürfen. Das ergibt sich aus § 56 Absatz 3 der Geschäftsordnung des Bundestages.

Einer der Obmänner für die BÜNDNIS90/GRÜNE war der auf der ersten Seite seines Buches genannte Gerd Poppe. Der andere war der Waldorfpädagoge Gerald Häfner, später tätig am Goetheanum in Dornach.

„Sondervotum der Mitglieder der Fraktion BÜNDNIS90/Die GRÜNEN und des Sachverständigen Kowalczuk“

So sind seine Beiträge im Schlußbericht der Enquete-Kommission übertitelt.

Das mindert nicht Herrn Kowalczuks mitunter mit Sachverstand geschriebenen Einwürfe in die Debatten.

Dies sollte man jedoch wissen, wenn man sein Buch zur Hand nimmt.

Die Ausgangsthese

Aber zu seiner Ausgangsthese um die DDR-Oppositionellen und ihren Freiheitskampf, mit der er sein Buch eröffnet. Das übrigens für mich lesbarer wäre, wenn es nicht so viele Gendersternchen enthielte.:

  • Abgesehen davon, dass es das Wesen einer Diktatur ist, dass sie Opposition gar nicht duldet und dies auch das Wesen der DDR-Diktatur war und sich das, was man DDR – Opposition nennen könnte, erst im Spätherbst 1989 formieren konnte, …
  • Und abgesehen davon, dass das Neue Forum eine Sammlungsbewegung war, die auch SED-Mitglieder willkommen hieß und keineswegs identisch ist mit der Vereinigung, die am 18. März 1990 auf der BÜNDNIS90-Liste gegen diese SED zu den Volkskammerwahlen kandidierte, …
  • Auch abgesehen davon, dass außer Joachim Gauck und Konrad Weiß die gesamte 15-köpfige Fraktion von BÜNDNIS90 in der Volkskammersitzung am 22./23. August 1990 keineswegs für den Beitritt der DDR unter die Geltung des Grundgesetzes gestimmt hatte;…
  • …Im Gegenteil mehrheitlich sogar DAGEGEN stimmte …

Abgesehen davon ist die ganze Revolutionsvereinnahmung eine gut erdichtete Legende.

Ja, gewiss gab es (auch) in Ost-Berlin vor dem Herbst 1989 mutige Menschen, die man korrekterweise mit der Wortwahl Vaclav Havels „Dissidenten“ nennen sollte.

Aber der Sozialismus ist nicht an ihnen zerschellt.

Der Sozialismus ist an sich selbst gescheitert. Weil eine zentrale Planwirtschaft nun einmal in den wirtschaftlichen Bankrott führen musste.  Nicht nur in der DDR, im ganzen Ostblock. Ich habe hier auf diesem Blog davon erzählt.

Ein morsch gewordenes Gebälk.

Ein Windhauch hatte es 1989 umwerfen können.

Schon 2019 hatte der aus der Weimar stammende Religionssoziologe Detlef Pollack, damals noch Professor an der Universität Münster, der BÜNDNIS90-Legende Kowalczuks von der Urheberschaft der „Friedlichen Revolution“ widersprochen.

Ein Anti-AfD-Buch

Angekündigt und in den Buchhandel geworfen im August 2024, pünktlich vor den Landtagswahlen am 1. September 2024 in Sachsen und Thüringen, ist das Werk vor allem als ein Anti-AfD-Buch geschrieben.

Wie alle diese Schriften dürfte es eher das Gegenteil des Bezweckten erreicht haben.

„Die AfD und die Ostdeutschen“ heißt das 17. Kapitel (ab Seite 184). Es erklärt dem Westdeutschen, was nicht wenige unter diesen eigentlich schon immer wussten, aber noch einmal bestätigt haben wollen:

„Wir haben im Osten eine autoritäre Tradition, die über Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus und DDR fortwirkt (Seite 185). … Was wir ab den 1990er Jahren erlebt haben – der Freiheitsschock – führt zurück zu einem Kernpunkt: Es gab keine Demokratie- und Freiheitsschulung im Osten. So etwas wie Re-Education in Westdeutschland durch die Amerikaner fehlte.“

Deshalb wähle der Ostdeutsche eben AfD. Es sei „die Sehnsucht der Israeliten in der Wüste nach den Fleischtöpfen Ägyptens (Seite 137)“.

Der C.H.Beck-Verlag preist sein Buch an mit den Worten:

„Er (Kowalczuk) will aufrütteln: zu mehr aktiver Eigenverantwortung, zu einer Abkehr von der eigenen Opferrolle und zu einem Blick auf die Geschichte, …“

Da reibe ich mir doch verwundert die Augen und gestehe dabei:

Ich war sieben Jahre in der AfD, immer in dieser Zeit auch Parteifunktionär. Ich habe Aufstellungsversammlungen der Partei für Gemeinde- und Kreistagswahlen organisiert und der Fraktion im Kreistag des Landkreises Leipzig vorgestanden.

Man könnte viel über die Partei erzählen. Aber die Behauptung, dass Eigenverantwortung einem AfD-ler zu mühsam sei, ist reichlich realitätsfremd.

Wenn dem so wäre, wenn AfD-ler nicht „mitmischen“ wollten, nicht kandidieren würden bei Wahlen, ..

… Und dies im Osten mit von Jahr zu Jahr wachsenden Fraktionsgrößen, dann hätte Ilko-Sascha Kowalczuk das Buch vermutlich gar nicht geschrieben.

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Über Bodo Walther

Bodo Walther, geboren 1960 in Weißenfels im heutigen Sachsen-Anhalt, studierte 1985 bis 1991 Rechtswissenschaften in Tübingen und Bonn. Er war aktiver Landes- und Kommunalbeamter in Sachsen-Anhalt, ist heute im Ruhestand und Anwalt in der Nähe von Leipzig.

5 Gedanken zu “Ilko-Sascha Kowalczuks „Freiheitsschock“, so etwas wie eine Rezension;”

  1. avatar

    Das Buch „Freiheitsschock“ von Ilko-Sascha Kowalczuk versucht v.a. zu erklären, warum heutzutage z.T. mehr als vierzig Prozent der Ostdeutschen eine Partei wie die AfD wählen, die laut Verfassungsschutz mittlerweile als „gesichert rechtsextremistisch“ gilt und die ein autoritäres Gesellschaftsbild vertritt, welches dem von Wladimir Putin und Donald Trump nicht unähnlich ist.
    ISK versucht dies v.a. damit zu erklären, dass es in der DDR nach 1945, anders als in Westdeutschland, keine wirklich emanzipatorische Bewegung wie z.B. die sog. „Achtundsechziger“ gegeben hat.
    Dieser Befund trifft zweifellos zu, wenn man von vereinzelten oppositionellen Bestrebungen im Bereich von Kunst und Kultur oder auch dem Protest gegen den Einmarsch der Sowjets in Prag 1968 absieht, den Aufstand vom 17. Juni 1953 einmal ausgenommen.
    Natürlich war vielen Bürgern der DDR klar, dass v.a. das ökonomische System insbesondere nach der großzügigen Ausschüttung sozialer Wohltaten nach dem IX. Parteitag der SED von 1976 langfristig vor dem Bankrott stand.
    Verschärft wurde die Krise durch die Unterdrückung des Protests von Schriftstellern und Künstlern gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann im November 1976 und die darauf folgende rigide Kulturpolitik.
    Mit dem Aufstieg Gorbatschows in der Sowjetunion wurde immer klarer, dass der „große Bruder“ der SED bei ihrem verzweifelten Versuch des Machterhalts in der DDR nicht mehr zu Hilfe kommen würde.
    Dennoch wäre die DDR nicht einfach so zusammengebrochen, hätten nicht mutige Menschen wie z.B. die Bürgerrechtler Freya Klier, Gerd Poppe, Roland Jahn, um nur einige zu nennen, das Heft des Handelns in die Hand genommen und aktiv an einer Reform bzw. auch an einem Umsturz des Systems gearbeitet.
    Daher gilt es auch heute, das Wirken dieser Avantgarde angemessen zu würdigen und es nicht in den Dreck zu ziehen, wie der Ex-AfDler Bodo Walther dies tut.
    Es ist die Tragik vieler Revolutionäre in der Geschichte, dass sich ihre z.T. sicher oft auch radikalen Veränderungsvorschläge am Ende nicht verwirklichen ließen.
    Dass vielen von ihnen 1989/90 eher eine Art „demokratischer Sozialismus “ oder auch eine reformierte DDR vorschwebte, ist ihnen m.E. nicht zum Vorwurf zu machen, selbst wenn auch ich derartige Vorstellungen damals nicht für realitätstauglich hielt und mir schon im November 1989 klar war, dass es spätestens innerhalb eines Jahres zur deutschen Einheit in welcher Form auch immer kommen würde.
    Mittlerweile muss auch Ilko-Sascha Kowalczuk eingestehen, dass es damals nur ein kleines Zeitfenster gab, in dem eine Wiedervereinigung Deutschlands möglich war.
    Rückblickend kann man sich dennoch die Frage stellen, ob eine langsamere Annäherung der beiden deutschen Staaten für den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt nicht die langfristig bessere Variante gewesen wäre.

  2. avatar

    B.W.: ‚Abgesehen davon, dass es das Wesen einer Diktatur ist, dass sie Opposition gar nicht duldet und dies auch das Wesen der DDR-Diktatur war und sich das, was man DDR – Opposition nennen könnte, erst im Spätherbst 1989 formieren konnte, …‘

    Die sozialistische Planwirtschaft hat der ‚DDR‘ und den Comecon-Staaten, trotz riesiger Ressourcen an Bodenschätzen, den Ruin gebracht. Das muss nicht weiter ausgeführt werden. Wer ’s nicht sieht, für den macht ’s auch keinen Sinn es näher erklärt zu bekommen.

    … was Sie, werter Hr. Walther, zur ‚DDR‘ – Opposition schreiben sehe ich auch so. Merkel und FREIHEIT – da bekommt mein Hamster die Krätze.

    Wie es aussieht haben Sie mich 1984 in Cottbus ‚abgelöst‘. 😉

    1. avatar

      Wenn ich „DDR-Oppositionelle“ so richtig in Weißglut sehen will, lieber Haftkamerad „Hans“, …

      … dann sage ich, dass es in der DDR keine Opposition geben konnte, weil …

      „Das politische Strafrecht der DDR zog seine Grenze für das Reden, Handeln und Versammeln.
      Wer diese Grenze übertrat, der wurde verhaftet und saß beim Ministerium für Staatssicherheit ein.
      Wer dort nicht war, hat diese Grenzen nie übertreten.“

      Wie gesagt, dann flippen die alle aus.

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