Noch ein Leser-Wunsch. Wieder von Axel Reitel. Und wieder danke ich dafür, denn „My Country“ ist ein wunderbarer Song, einer der besten von Randy Newman, der viele tolle Songs geschrieben hat. Der Titel suggeriert Patriotisches. Oder, da wir es hier mit Randy Newman zu tun haben, eine Patriotismus-Parodie. Schließlich war „My Country, Tis of Thee“ – gesungen zur Melodie von „God Save the King“- lange Zeit so etwas wie die Nationalhymne der Vereinigten Staaten von Amerika: „My country, ’tis of thee / Sweet land of liberty / Of thee I sing …“
Aber dieser Song ist weder patriotisch noch parodistisch, sondern einfach traurig. (Den Text findet man, wie immer, unten.) Ein alter Mann erinnert sich an die Welt von gestern, die Welt seiner Kindheit, die Welt der frühen 1950er Jahre, die Welt, die er versteht: Die Familie, versammelt um den sanft glühenden Fernseher, der ihnen das Leben anderer Leute vorspielte, Leute jedoch, die so anders wiederum nicht waren, nur bessere, hübschere, lustigere oder klügere Varianten ihrer selbst: weiße Leute aus der Mittelschicht in einem Amerika, das den Krieg gewonnen hatte und der Zukunft zugewandt war. Man sprach über die Leute, die man im Fernseher sah; sprach wie sie, jugendfrei und oberflächlich; und vielleicht war das auch gut so. Vielleicht ist es ganz gut, nicht alles auszuplaudern, was man denkt und fühlt.
Nun ist der Mann alt, wohnt allein, die Frau, scheint es, ist tot oder abgehauen, ab und zu kommen die drei erwachsenen Söhne zu Besuch, dann machen sie den viel zu großen Fernseher an, reden über das, was sie dort sehen, aber der Mann versteht sie nicht, versteht die Welt nicht, die der Flachbildfernseher in sein Zimmer bringt, das ist nicht mehr sein Land. Und so sehr er seine Kinder liebt und auf sie hört, wenn sie aus ihrem fremden Land zu Besuch kommen und sein Zimmer mit diesem Land erfüllen, das nicht seins ist, so dass er froh ist, wenn sie wieder weggehen und er zurückgleiten kann – vielleicht ist er schon altersdement, und das fensterlose Zimmer ist in einer Anstalt oder einem Heim – in das vertraute Land, die heile Welt der Kindheit.
Randy Newman hat verschiedentlich die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen thematiisert; am bittersten – außer hier – in „So Long Dad“, das ganz gut von Manfred Mann gecovert wurde. Der Song ist geschrieben vom Standpunkt des Sohnes, der seinen Vater besucht, um ihm zu sagen, dass er heiraten wird: „Come and see us Poppa, when you can / There’ll always be a place for my old man / Just drop by when it‘s convenient to / Be sure to call before you do …“ In einer Zeile – „Vergiss nicht anzurufen, bevor du uns besuchst“ – ist die ganze Arroganz der Jugend zusammengefasst, die sich aber auch notwendigerweise gegen die Zumutung wehren muss, die das Alter darstellt, in dem man die Zukunft erblickt, die man verdrängen muss, wenn man zuversichtlich bleiben will. Denn irgendwann findet sich jeder in jenem Land wieder, in dem man nicht zuhause ist, der Gegenwart nämlich.
Ausgehend von jener Familie in New Orleans, „TV turned on for the night“, hätte der Song auch eine andere Richtung einschlagen können; er wäre dann nicht traurig, sondern zornig geworden. In seiner „Philosophie des modernen Songs“ erläutert Dylan im Kapitel über Pete Seeger und „Waist Deep in the Big Muddy“ die Rolle des Fernsehens bei der Entwicklung eines nationalen Diskurses, etwa über den Vietnamkrieg: „Alle sahen dieselben TV-Shows – Leute, die gegen den Krieg waren, Leute, die dafür waren. Wir teilten das gleiche kulturelle Grundvokabular. Wer die Beatles in einer Unterhaltungssendung sehen wollte, musste sich auch Flamencotänzer, Komiker in ausgebeulten Hosen, Bauchredner, vielleicht eine Szene aus Shakespeare antun. Heute … muss man sich nur das heraussuchen, was man mag, und kann sich ausschließlich davon medial ernähren. … Wie es sich herausstellt, bringt man Leute nicht dadurch am besten zum Schweigen, dass man ihnen ihr Forum wegnimmt, sondern indem man jedem seine eigene Kanzel gibt.“ (S. 325f, meine Übersetzung)
Recht hat er, der Bob. Auch er lebt in einem Land, das nicht mehr seins ist.
Let’s go back to yesterday
When a phone call cost a dime
In New Orleans, just a nickel
Turn back the hands of time
Turn back the hands of time
Picture a room with a window
A sofa and some chairs
A television turned on for the night
Picture a woman
Two children seated
A man lying there
Their faces softly glowing in the light
This is my country
These are my people
This is the world I understand
This is my country
These are my people
And I know ‚em like the back of my own hand
If we had something to say we’d bounce it off the screen
We were watching and we couldn’t look away
We all know what we look like, you know what I mean
We wouldn’t have had it any other way
We got comedy, tragedy
Ev’rything from A to B
Watching other people living
Seeing other people play
Having other people’s voices fill our minds
Thank you, Jesus
Feelings might go unexpressed
I think that’s prob’ly for the best
Dig too deep, who knows what you will find
This is my country, those were my people
Theirs was the world I understand
Picture a room, no window
A door that leads outside
A man lying on a blanket on the floor
Picture his three grown boys behind him
Bouncing words off of a screen
Of a television big as all outdoors
Now your children are your children
Even when they’re grown
When they speak to you
You got to listen to what they have to say
But they all live alone now
They have TVs of their own
But they keep on coming over anyway
And much as I love them
I’m always kind of glad when they go away
This is my country
These are my people
This is the world I understand
This is my country
These are my people
And I know ‚em like the back of my own hand
I know ‚em like the back of my old hand