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Songs von Leonard Cohen (9): Memories

Martin Schaefer meinte, „Memories“ sei der einzige brauchbare Song auf dem Album „Death of a Ladies‘ Man“. Der Meinung bin ich bekanntlich nicht. Aber „Memories“ ist kein schlechter Song.

Ach so, wer ist Martin Schaefer? Er ist Musikjournalist, also Fachmann; und Bob-Dylan-Fan, wenn nicht gar Dylanologe. Schaefer schreibt auch für das Magazin „Key West“, in dessen „Grundsatz“-Erklärung es heißt: „Der Künstler Bob Dylan und sein Werk sind für uns ewige Quellen der Auseinandersetzung, der Betrachtung, der Analyse und der Freude.“

Nun ja. Ich würde mich schämen, einen solchen kitschigen Satz zu schreiben oder zu unterschreiben, aber da auch der großartige Manfred Maurenbrecher für das Magazin schreibt, sage ich erstmal gar nichts; oder doch noch dies: „Ewige Quelle der Freude“ ist Dylan für die „Key West“-Leute denn doch nicht. Da sie sich als „Left Wing Dylanologen“ verstehen, stellen sie apodiktisch fest, „dass (Dylans) Born Again-Phase ein Fehltritt war, dass ‚Slow Train Coming‘ reaktionäre politische Aussagen propagiert und dass ‚Trust Yourself‘ immer besser ist als ‚Gotta Serve Somebody‘.“ Dylan ist halt nur dann eine Quelle der Freude, wenn er „den Ausweg aus Spätkapitalismus und aus der verwalteten Welt sucht“, also die politischen Vorlieben und Vorurteile seiner linken Exegeten bedient. Aber ich schweife ab.

Was alles am Schultanzabend (nicht) passierte

„Memories“ also. (Den Text findet man wie immer unten.) Es handelt sich um die Erinnerung an einen Tanzabend in der Turnhalle einer Highschool anno 1951, als Frankie Laine seinen Hit „Jezebel“ hatte und Leonard Cohen 17 Jahre alt war. Cohen – nehmen wir zur Abwechslung an, Ich sei hier kein Anderer – spricht ein großes blondes Mädchen an und bittet sie, ihm ihren nackten Körper zu zeigen.

Sie antwortet, er dürfe sie beim Tanzen in der dunklen Ecke der Turnhalle überall berühren. Aber nackt sehen dürfe er sie nicht. Wenig später tanzen sie eng unter Luftballons und Papierschlangen, eine Kapelle spielt das kitschig-schöne Lied „Stardust“, und sie sagt: „Du hast genau noch eine Minute, um dich in mich zu verlieben.“  Ein ernster Augenblick, wie viele, die noch kommen werden, in denen Cohen alles daransetzen wird, den nackten Körper eines Mädchens oder einer Frau zu sehen.

Eine merkwürdige Begebenheit. Ist der Sänger Fetischist? Voyeur? Warum ist es ihm wichtiger, das große, blonde, vermutlich etwas ältere Mädchen nackt zu sehen als ihre Brüste und Genitalien zu berühren, wofür viele 17-jährige Jungen damals und vermutlich auch heute einiges geben würden, und sei es nur, um damit später anzugeben.

Wir gehen am Ende dieser Exegese näher darauf ein. Vorher aber etwas zu den beiden von Cohen zitierten Songs.

Isebel, die femme fatale

Frankie Laine war einer jener Sänger, wie Bobby Darin, Johnny Ray und Nat King Cole, die zeitlich und stilistisch zwischen den „Crooners“ wie Frank Sinatra und Co. und dem Rock’n’Roll standen. Laine konnte eigentlich alles singen, von so genannten Evergreens bis Jazz, von Rock’n’Roll bis Country, und er hatte auch mehrere Karrieren, darunter eine – durchaus nicht selbstverständlich für einen Mann, der in Chicago als Francesco LoVecchio geboren wurde – als Sänger von Gunfighter-Balladen wie „Do Not Forsake Me Oh My Darling“ aus „High Noon“ und „Gunfight at the OK Corrall“ aus dem gleichnamigen Film, sowie Cowboy-Songs wie „Rawhide“, Titelsong der TV-Serie, „Ghost Riders in the Sky“ usw.. „Jezebel“ – geschrieben von Wayne Shanklin – wiederum stammt aus einer Periode, da Laine mit dramatischen Balladen wie „Jealousy“ glänzte.

Geschichtlich war Jezebel – im Deutschen Isebel, nicht zu verwechseln mit Isabella – die Tochter eines phönizischen Königs. Sie wurde mit Ahab, dem König von Israel, verheiratet, um das Bündnis zwischen Israel und den Phöniziern zu besiegeln. Die Bibel wirft ihr vor, den Kult Baals und der Astarte in Israel eingeführt zu haben, womit sie den Propheten Elija gegen sich aufbrachte. Jehu, der nach Ahabs Tod einen Aufstand anzettelte und die gesamt Sippschaft Ahabs ausrottete, ließ Isebel aus dem Fenster werfen; ihre Leiche wurde – wie es Elija prophezeit hatte – von Hunden gefressen.

Diese Königin spielt eine Rolle in dem von Claude DeMetrius für Elvis Presley geschriebenen Song „Hard-Headed Woman“, wo anhand von drei biblischen Beispielen – Eva, Dalila und eben Isebel – nachgewiesen wird, dass die Kombination einer sturköpfigen Frau und eines weichherzigen Mannes immer Ärger bedeutet.

Frankie Laines „Jezebel“ ist eher inspiriert von einer Erwähnung in Offenbarung 2.20, wo es heißt: „Aber ich habe gegen dich, dass du Isebel duldest, die Frau, die sagt, sie sei eine Prophetin, und lehrt und verführt meine Knechte, Hurerei zu treiben und Götzenopfer zu essen.“ Die Betonung liegt hier auf Verführung und Hurerei. Laines Jezebel ist eine jener Frauen – wie Marty Robbins‘ „Devil Woman“ oder Peter Greens „Black Magic Woman“ – , die gutmütige Männer zur Sünde verleihen und sie dazu bringen, ihre eigentliche Liebe – gern „Mary“ genannt, „with hair of gold and lips like cherries“, wie es in „Green, Green Grass of Home“ heißt – zu betrügen und damit dem Teufel zu dienen. Ja, „Jezebel“ ist sogar eine Teufelin, ein gefallener Engel wie Luzifer, geboren, um Männer zu quälen:

If ever the devil was born without a pair of horns
It was you, Jezebel, it was you
If ever an angel fell, Jezebel, it was you
Jezebel, it was you

(…)

If ever the devil’s plan was made to torment man
It was you, Jezebel, it was you

Kein Wunder, dass sich der Sänger ein Eisernes Kreuz an die Jacke heftet, wenn er das große blonde Mädchen in der Turnhalle anspricht, das ihm seine Jezebel sein soll. Damit weist er sich als mephistophelisch und damit verwandt aus: „I rode a tank in a general’s rank / when the Blitzkrieg raged and the bodies stank“, so Mick Jagger über Luzifer: „Pleased to meet you / Hope you guess my name“; beziehungsweise, bei Cohen: „You don’t know me now but very soon you will.“

Stardust: Von Rosen, Nachtigallen und verlorener Liebe

Ganz anders „Stardust“, und die ganze Atmosphäre des Cohen-Songs scheint sich geändert zu haben, mit Ballons und Papierschlangen, während „die Band spielt“, vielleicht die Schulband? Vielleicht auch ohne Text, denn Hoagy Carmichaels Klassiker von 1927 war auch als Instrumentalnummer beliebt. (Wenn ich persönlich zwei Versionen empfehlen darf, dann die von Ringo Starr von 1971 und von Willie Nelson 1978.) Hätten die Tanzenden den Text gehört, so wäre nicht von Verführung und Hurerei und Teufeln die Rede, sondern von einsamen Nächten voller Sehnsucht nach einer verlorenen Liebe, die nur noch im Sternenstaub eines Songs lebt:

The nightingale tells his fairytale
A paradise where roses bloom
Though I dream in vain
In my heart it will remain
My stardust melody
The memory of love‘s refrain

Eine andere „Memory“ als die an einen Tanzabend in der Turnhalle; und wenn das Mädchen, verführt vielleicht durch den sentimentalen Song, von Liebe spricht, so zerstört der Sänger die romantische Stimmung durch seine insistierende Forderung, die nackt zu sehen.

Was hat er nur mit nackten Körpern?

Hier einer sexuellen Marotte Cohens nachzugehen, könnte sich anbieten; man erinnert sich, dass er in „Suzanne“ singt, er habe „ihren vollkommenen Körper mit seinen Gedanken berührt“, sie also in der Fantasie ausgezogen, was ja fast alle Männer bei hübschen Frauen tun und was darum auch wieder nichts Besonderes ist. Wichtiger ist aber, was der nackte Körper kulturell bedeutet, also auch uns bedeuten kann.

Schließlich sind wir nicht nur alle „nackte Affen“. Aus der Bibel – und aus der Beobachtung kleiner Kinder – wissen wir, dass Nacktheit der Zustand der Unschuld ist. „Two Virgins“, zwei Jungfrauen, nannten darum John Lennon und Yoko Ono ihr erstes gemeinsames Album, auf dem sie beide splitternackt zu sehen waren, weshalb die Platte in Großbritannien nur in einem braunen Papierumschlag verkauft werden konnte.

Nacktheit ist aber auch ein Zustand maximaler Verletzlichkeit; darum auch sich ausziehen vor fremden – oder noch fremden – Augen ein Akt maximalen Vertrauens, wenn es sich nicht um kommerziellen Striptease handelt, einen Akt maximalen Zynismus, oder um die so genannte Freikörperkultur.

Wie es der Zufall will, und es gibt keine Zufälle, las ich gerade Stefan Heyms Roman „Die Architekten“, als ich diese Exegese schrieb. Im Roman – es geht um die Entstalinisierung in der DDR – gibt es eine ziemlich lustige Stelle, wo sich ein Architekt, ein Philosoph, ein Dichter und ein Filmsternchen an einem für die Parteiprominenz reservierten Nacktbadestrand an der Ostsee treffen. (Klingt wie der Beginn eines Witzes: Treffen sich ein Philosoph und ein Filmsternchen am Nacktbadestrand …) Dabei gehen dem Architekten folgende Gedanken durch den Kopf: „Freikörperkultur war der absolute Gleichmacher, die reinste Form der Demokratie …“ Was auf dem Missverständnis zu beruhen scheint, Demokratie und Gleichmacherei seien das Gleiche, einem noch heute im Osten verbreitete Meinung.

Doch dann muss der Architekt an ein Gemälde von Hieronymus Bosch denken: in der Hölle sind alle nackt, während die himmlischen Heerscharen eingekleidet sind. Und er, der sich mit den Nachrichten über Chruschtschows Geheimrede auf dem 20. Parteitag auseinandersetzen muss, überlegt sich: „Irgendwie erschien die Schreckensherrschaft noch schrecklicher, wenn du von ihr erfuhrst mit nichts zwischen dir und den Fakten als deine nackte Haut …“

Vielleicht, liebe Genossen von „Key West“, wurde im deutschen Sozialismus das Volk ausgezogen, um es dergestalt zu demütigen. Die da oben – ganz oben, im ZK, im Politbüro, in der Stasi-Führung – blieben angezogen; nur in der Hölle war man nackt.

Und, da wir von der Hölle reden und also wieder beim Teufel sind: Es waren die Nazis, die das in der Weimarer Republik bestehende Verbot des Nacktbadens aufhoben. Schamlos sollte auch die blonde Bestie sein. Auch das Mädchen in der Turnhalle ist groß und blond, deutscher Abstammung möglicherweise. Auch deshalb steckt sich vielleicht der Sänger ein Eisernes Kreuz an die Jacke, bevor er sie anspricht. Und vielleicht geht es dem jüdischen Jungen auch darum, gerade diese Frau und andere wie sie so zu entblößen wie die Frauen, die in den Gruben bei Riga, in den Duschräumen ohne Dusche von Auschwitz zitternd und nackt auf den Tod warteten.

 

 

Frankie Laine, he was singing „Jezebel“
I pinned an Iron Cross to my lapel
I walked up to the tallest and the blondest girl

I said, „Look, you don’t know me now but very soon you will
So, won’t you let me see?“
I said, „Won’t you let me see?“
I said, „Won’t you let me see your naked body?“

Just dance me to the dark side of the gym
Chances are I’ll let you do almost anything
I know you’re hungry, I can hear it in your voice
And there are many parts of me to touch, you have your choice

Ah, but no you cannot see
She said, „No you cannot see“
She said, „No you cannot see my naked body“

So we’re dancing close, the band is playing „Stardust“
Balloons and paper streamers, they’re floating down on us
She says, „You’ve got a minute left to fall in love“

In solemn moments such as this, I have put my trust
And all my faith to see, I said, all my faith to see
I said, all my faith to see her naked body

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