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Das Gefühl des Ossis: Gerhard Gundermann und seine Lieder

Haben Sie schon mal Gundermann gehört ? (Bild unten aus Wikipedia):

„Hier bin ich gebor’n
Wo die Kühe mager sind, wie das Glück.
Hier hab‘ ich meine Liebe verlor’n
Und hier krieg‘ ich sie wieder zurück.“

Gundermann, der Berichte über seine Freunde (ja wirklich: Freunde) an das Ministerium für Staatssicherheit geschrieben hatte. Gundermann dessen Fangemeinde 1992 dahinschmolz wie der Schnee in der Sonne, als die Akten offengelegt wurden. „Auftritte im Westen können wir ja jetzt vergessen.“ So lässt der Film einen der Band-Mitglieder sagen.

„Hier habe ich meine Leich’n im Keller
Wir spielen „Mensch ärger‘ dich nicht“
Hier krieg ich immer nur einen halbvoll’n Teller
An einem runden Tisch.“

Warum höre ich seine Lieder? Und höre sie gern? Insbesondere dieses, das er nach der Geburt seiner Tochter Linda schrieb, als die Zeitungen voll waren über den Stasi-Spitzel Gundermann:

„Du bist in mein Herz gefall’n
wie in ein verlassenes Haus.
Hast die Türen und Fenster weit aufgerissen,
das Licht kann rein und raus.

Meine Pistole war geladen,
mit dem allerletzten Schuss.
Ich hab sie unter’m Kirschenbaum vergraben,
weil ich doch hier bleiben muss.“

Gundermann, der Baggerfahrer aus der Lausitzer Braunkohle. Der das Gefühl seines Publikums traf, weil er das lebte, was sie lebten. Und der auch gar nicht weglaufen konnte. Wegen Stasi und so.

Der tagsüber auf seinem Bagger saß und Liedtexte erfand. Dann, als die Baggerei vorbei war, alle diese Umschulungen des Arbeitsamtes mitmachte. Und abends seine Texte in irgendwelchen Kneipen sang.

Er war noch keine 49 Jahre alt, als sein Körper am 21. Juni 1998 sagte: „Das mache ich nicht mehr mit. Ich gehe!“

Gundermann, der von dem Gefühl des Ossis singt, des Gefühls der Leute aus dem Tagebau:

„Die haben harte Hände und ein hartes Herz,die streiten ohne Ende und die sterben früh.Die suchen ein Vergnügen und finden nur den Schmerz.Die können lügen, aber leben können die nie.“

Zehntausende gruben einst die Erde um im Mitteldeutschen Braunkohlerevier. Alles Geschichte.

Heute sitzt in Borna eine Außenstelle des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle mit knapp 400 Beamten. Sie vollziehen das Lieferkettengesetz. Wollen also wissen, woher der deutsche Händler heute das Zeugs bezieht, mit dem „man“ die Bude heizt. Um auch in den Kohlegruben Nigerias die Würde des Menschen durchzusetzen, die er in Deutschland habe würde. Behaupten die, welche sich gerne in die Tasche lügen.

Warum gefallen mir heute seine Lieder?

Weil es heute in Westdeutschland sowieso egal ist, was der Ossi lebt oder gelebt hat und was nicht. Und der Westberliner Oberstudienrat eh nicht davon abzubringen ist, mir noch immer zu erklären, was „sein“ Rechtsstaat ist.

Der Ossi ist einfach nur ein Ossi. Und Gundermanns Lieder drücken dieses Gefühl aus.

„Hier bin ich geborn.
So wie ins Wasser fiel der Stein.
Hier hat mich mein Gott verlorn.
Und hier holt er mich wieder ein.“

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Über Bodo Walther

Bodo Walther, geboren 1960 in Weißenfels im heutigen Sachsen-Anhalt, studierte 1985 bis 1991 Rechtswissenschaften in Tübingen und Bonn. Er war aktiver Landes- und Kommunalbeamter in Sachsen-Anhalt, ist heute im Ruhestand und Anwalt in der Nähe von Leipzig.

3 Gedanken zu “Das Gefühl des Ossis: Gerhard Gundermann und seine Lieder;”

  1. avatar

    Danke für den einfühlsamen, persönlichen Text, Bodo Walther. Als ich 1987 als geächteter Absolvent der Babelsberger Filmhochschule am Theater Senftenberg kreatives Asyl suchte, lernte ich im Revier auch Gundermann kennen. Und ich bewunderte seine Dichtung, seine Echtheit in seinem Leben und seinen Texten. Wir haben uns nach zwei Begegnungen wieder verloren. Das war vielleicht auch besser so.
    Ich würde sein Werk gern vom Menschen Gundermann trennen, und nie ist mir das als Stasiopfer so schwer gefallen wie bei ihm.

  2. avatar

    Ich gebe zu, ich, der Wessi, habe Gundermann erst durch den Film kennengelernt- wahrscheinlich weil er erst nach der „Wende“ in den Westen durfte. Biermann war eine Zeit lang eine Art Held, mit Pannach und Kunert habe ich in Berlin musiziert, Silly aus der Ferne bewundert, City gesehen und…naja, Renft war ein anderes Kaliber. Und Gundermann finde ich inzwischen wunderbar sperrig, manche Texte geradezu genial. Einer der wahrscheinlich in aller Widersprüchlichkeit sein DDR Leben ziemlich exemplarisch gelebt hat.

    1. avatar

      Als ich mit 19 einsass beim Ministerium für Staatssicherheit, Stefan Buchenau, …

      Dringend verdächtig, aus der DDR weglaufen zu wollen, …

      Da fragte der vernehmende Geheimdienst-Leutnant, der auch seinen Namen geheim halten wollte, …

      Da fragte der mich, was denn so zum Davonlaufen wäre hier. Und aus mir dummen 19-jährigen Jungen sprudelte es nur so heraus. All diese kleinen Ungerechtigkeiten. Dies und das und jenes.

      „Sehen Sie,“ Sagte der Leutnant. „Das stört uns auch. Und gemeinsam können wir das alles verbessern, wenn Sie mit uns zusammenarbeiten.“

      Erst da kriegte ich meinen Redefluss wieder ein.

      Jahrelang hielt ich es für so unverzeihlich, dass Gundermann sich „auf so was“ eingelassen hatte, dass auch ich seine geniale Dichtung sehr spät entdeckt habe.

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