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Der Anti-Merkel, Anti-Scholz

Merz übernimmt als voraussichtlicher neuer Kanzler das Land in schwerster Lage: Die Sicherheit Europas ist bedroht wie nie seit 1945, das deutsche Wirtschaftserfolgsmodell und die liberale Grundordnung stehen in Frage. Er bringt gute Voraussetzungen mit. Sicher ist sein Erfolg nicht. Zehn Gründe, die für ihn sprechen.

Friedrich Merz ist ein Mann voller Widersprüche: ein alter Bekannter, der schon in der Zeit von Helmut Kohl Europa- und Bundestagsabgeordneter und danach Fraktionschef war, und doch ein Neuer ohne Regierungserfahrung. Ein Etablierter, der aus der Politik floh und in der Großfinanz viel Geld verdient hat, zugleich eine Figur des Anti-Establishments. Ein liberaler Konservativer, der gegen Rechtsextreme kämpft, dem aber seine vielen Gegner vorwerfen, genau die stark zu machen. Angefeindet und bejubelt. Mit Klischees behaftet, jedoch für Überraschungen gut. Wie wird er, wenn es ihm nach der Wahl gelingt, eine Koalition zu bilden, regieren? Was bringt er mit?

Volker Resing, Innenpolitikchef von Cicero leuchtet in seiner neuen Biografie „Friedrich Merz. Sein Weg zur Macht“ die verschiedenen Facetten des Lebens und der Persönlichkeit des Sauerländers aus. Er beschreibt seine Widerborstigkeit als „radikalen Gegenentwurf zur real existierenden Berliner Blase“, eine Antwort auf die Frustation vieler Büger, und die Unwahrscheinlichkeit seines politischen Wiederaufstiegs, genauso seine Wandlungsfähigkeit. „Der Kanzler Merz wird ein anderer sein als der Merz, den wir bisher kannten“, lautet Resings Prognose.

Auch ich habe ihn in seiner Bonner und ersten kurzen Berliner Zeit beobachtet, allerdings mehr aus der Ferne. Es ist nicht einfach, sich ein klares Bild von ihm zu machen. Eine Reihe von Punkten, die ihn für die extreme Krisensituation prädestinieren und ihn von seinen Vorgängern abheben und die auch Resing beschreibt, lassen sich jedoch festhalten.

Ein Entscheider

1. Merz ist das Gegenmodell zur langjährigen abwartenden Konsens-Kanzlerin Angela Merkel und ihrem ewig zögernden, zaudernden Nachfolger Olaf Scholz, die beide wesentlich dazu beigetragen haben, dass das Land in dieser schwierigen Lage steckt. Ein Mann der klaren Kante und klaren Aussprache, der Entscheidungen wagt, auch was ihn selbst betrifft, und nicht abwartet, wohin die Diskussion jeweils läuft und ob er eine Mehrheit hinter sich hat. Einer, von dem man Führung erwarten kann und der sie nicht wie Scholz nur verspricht. Der etwas riskiert, auch wenn der Erfolg unsicher ist. Der gerne provoziert, was die politischen Debatten nach vielen Jahren großkoalitionärem Einheitsbrei belebt, aber als CDU-Vorsitzender und Wahlkämpfer auch mühsam gelernt hat, auf andere zuzugehen.

2. Er hat schmerzhafte Niederlagen erlitten, sich zurückgezogen, wieder hochgekämpft gegen zahllose Gegner und das Establishment der eigenen Partei, allen voran Merkel, seine Rivalin bis heute. Sie hat ihn 2002 als Fraktionschef entmachtet und an den Rand gedrängt – was er bis heute offenbar nicht verwunden hat. Auch nach ihrem Rückzug vom Parteivorsitz und ihrer Abwahl wurde er erst im dritten Anlauf CDU-Chef und Kanzlerkandidat. Solche Niederlagen (die auch Scholz erlebt hat, als er SPD-Chef werden wollte), härten ab. Sie können verbittern. Aber Merz zeichnet ein großes, kaum erschütterliches Zutrauen in sich selbst aus. Und in die Fähigkeiten des Landes und seiner Menschen. Was gerade jetzt dringend vonnöten ist.

Eigensinnig und unabhängig

3. Merz ist eigensinnig, eigenmächtig und unabhängig. Das hat er schon gezeigt, als er sich für mehr als zehn Jahre aus der Politik verabschiedete, wenn auch nie so ganz, nachdem er eingesehen hatte, dass er gegen Merkel und die damalige politische Grundstimmung keine Chance hatte. Jetzt, wo er vor seinem politschen Karriereziel steht, das er schon früh angepeilt hatte, muss er auf niemanden mehr Rücksicht nehmen. Er gehört zum Wirtschaftsflügel der CDU, ist aber keinen Seilschaften verpflichet, weil er sich aus eigenen Stücken nach oben gekämpft hat. Söder und die CSU hat er eingenordet, genauso den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wüst, der sich zeitweise selbst Chancen ausgerechnet hatte. Aus der CDU droht ihm auch sonst keine Gefahr, auch nicht von den verbliebenen Merkel-Anhängern.

4. Er ist Wirtschafts- und Finanzexperte, das Feld, wo neben der Verteidigung die allergrößten Herausforderungen liegen. Er hat die Probleme, auch in der Energie- und Klimapolitik, schon lange benannt und immer wieder Lösungsvorschläge gemacht, auch als er noch nicht in die Politik zurückgekehrt war. Und er kennt sich mittlerweise auch in anderen Bereichen aus.

Trump wird ihn ernst nehmen

4. Vor allem aus seiner Zeit als Investmentbanker hat er viele internationale Erfahrungen und Kontakte auch außerhalb der Politik. Er wird in Europa und der Welt eine ganz andere Stimme haben als Scholz. Trump, in erster Linie Wirtschaftsmann und „Deal-Maker“, wird ihn, wenn er gemeinsam mit den wichtigsten europäischen Verbündeten auftritt, vor allem Macron, was der Nochkanzler wie Merkel sträflich vernachlässigt hat, ernster nehmen und nehmen müssen. Er wird sich Trump nicht unterwerfen. Merz ist entschiedener Atlantiker und Europäer. Beides hat gerade jetzt, wo Trump das Bündnis mit Europa und die Nato infrage stellt und die EU zu zerfallen droht durch die Putin- und Trump-Fans in Ungarn und anderen Ländern, größte Bedeutung.

5. Merz ist konservativ, aber auch liberal. Er verkörpert mit seiner klassischen Familie und seinem Auftreten ein altes bürgerliches Ideal, das trotz aller gesellschaftlichen Veränderungen und Vielfalt immer noch dem Lebensmodell der Mehrzahl der Menschen entspricht. Aber er ist kein rückwärtsgewandter Ideologe, kein Hardliner, der anderen seine Vorstellungen aufzwingen will. Nicht nur deshalb, weil er weiß, dass er sich mit Kulturkämpfen z.B. gegen das Gendern, wie sie jetzt gerade die Trump-Regierung austrägt, an der falschen Stelle verkämpfen würde, auch wenn das manche seiner Anhänger gerne hätten. Sondern vor allem, weil es seinem Wesen widerspricht. Er ist, auch wenn das viele seiner Gegner und auch Medien bezweifeln mögen, ein moderner, zukunftsgewandter Politiker. Im guten alten konservativen Sinne, dass man immer wieder vieles ändern und mit der Zeit gehen muss, wenn man das Bewährte bewahren will.

Chancen gegen die AfD

6. Gerade weil er die CDU wieder konservativer gewendet hat, andere würden sagen: nach rechts, hat er die Chance geschaffen, die AfD wieder kleiner zu machen. Nicht umgekehrt. Denn nur einer überzeugenden bürgerlichen Kraft kann es gelingen, rechts- und nationalkonservative Wähler zurückzugewinnen. Merkel hat mit ihrer sozialdemokratisch-grünen Öffnung der CDU zwar Applaus aus diesem Lager bekommen und dort zeitweise Stimmen gewonnen, doch die Rechts-Konservativen verprellt, sie heimatlos gemacht und in die Arme der AfD getrieben. Nur wenn Merz es schafft, klare politische Signale in ihre Richtung zu geben, kann verhindert werden, dass die Rechtsextremen bei der folgenden Wahl womöglich wie in Österreich, den USA und anderen Ländern stärkste Kraft werden.

7. Er ist wirtschaftsfreundlich, aber nicht neoliberal wie die FDP, weil er überzeugt ist, dass nur eine funktionierende, wachsende Wirtschaft und Wohlstand die Gesellschaft zusammenhalten und die Voraussetzungen schaffen, damit der Staat seine Aufgaben erfüllen kann. Deshalb will er das Bürgergeld zurückstutzen und Arbeitsfähige in Arbeit bringen, notfalls zwingen, damit sie für sich selbst sorgen und nicht dauerhaft vom Staat alimentiert werden, so wie es die rotgrünen Sozialreformen von Gerhard Schröder ursprünglich vorsahen. Das ist nicht unsozial, sondern entspricht der katholischen Soziallehre, einer Basis der CDU, auch seine, und bildet die Grundlage, damit der Sozialstaat finanzierbar bleibt und auf Dauer Akzeptanz behält.

8. Er ist, anders als früher, offen für eine Reform der Schuldenbremse, wie er im Wahlkampf immer wieder hat erkennen lassen, weil auch ihm klar ist, dass sie die notwendigen hohen Investitionen in die Infrastruktur und die Verteidigung behindert. Aber er wird sich aus guten Gründen gegen eine uferlose Neuverschuldung stemmen, wie sie viele in der SPD und den Grünen anstreben, auch weil das die kommenden Generationen belasten würde. Und weil das Bundesverfassungsgericht das nicht zuließe.

Stur und impulsiv

9. Merz ist klarer Marktwirtschaftler. Er setzt deshalb auch in der Klimapolitik auf marktwirtschaftliche Instrumente wie die CO2-Besteuerung statt kleinteiliger staatlicher Vorgaben, Verbote und Milliardensubventionen, mit denen Habeck als Wirtschaftsminister bei mehreren Großinvestitionen Schiffbruch erlitten hat. Er verspricht Entbürokratisierung und Deregulierung, was dem Land und vor allem den vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen gut täte. Aber nicht mit Kettensäge und Vorschlaghammer wie Trump und Milei.

10. Merz kann stur sein. Er wirkt oft arrogant, besserwisserisch, auch impulsiv und emotional – was nach der bedächtigen, eher emotionslosen Dauerkanzlerin Merkel und ihrem sehr ähnlichen Nachfolger Scholz durchaus erfrischend ist. Im Wahlkampf hatte er sich und hatten ihn seine Berater jedoch besser im Griff. Da wirkt er bisweilen schon fast zu staatsmännisch.

Jedenfalls lässt er sich nicht leicht unterkriegen, wie er hinreichend demonstriert hat, auch mit seinem Migrationsvorstoß, für den er viel Gegenwind selbst in den eigenen Reihen bekommen hat. Aber er hat gezeigt, dass er auch flexibel sein kann und kompromissfähig ist. Und pragmatisch. Er wird mit der SPD genauso auskommen können wie mit den Grünen. Er wird sich da von Söder nichts reinreden lassen. Allein schon deshalb, weil die Union auch unter seiner Führung nur noch eine mittelgroße Partei und mit etwa 30 Prozent auf einen, wenn nicht sogar zwei Koalitionspartner angewiesen ist.

Fazit: Merz ist kein Charismatiker und vielleicht kein politisches Alphatier wie Schröder. Aber er kommt ihm ziemlich nahe. Auch er wird nicht alles anders machen und machen können, wie Schröders Wahlkampfslogan lautete, als er 1989 erfolgreich gegen Kohl antrat. Aber hoffentlich vieles besser.

Ludwig Greven ist freier Autor. Er war Politikchef der „Woche“ und bei zeit-online und schreibt für verschiedene Medien und in diesem Blog.

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