– Wahlrecht – Virtuelle Vorstandssitzung – Parteigerichtsbarkeit –
Recht ist geronnene Politik. Politik wie Recht wird von Menschen gemacht, und deshalb ist es eine gute Gelegenheit, diese Menschen und ihr Wirken näher zu beleuchten.
I. Wie politische Macht entsteht – und vergeht
Bundestagskandidaten werden von den im jeweiligen Wahlkreis stimmberechtigten Mitgliedern der betreffenden Parteien aufgestellt. Genauso wurde auch ich vor den Bundestagswahlen 2013 und 2017 von den Mitgliedern der Kölner CDU für den Wahlkreis Köln II gewählt, bei denen ich in der Folge jeweils das Direktmandat errang. Vor der letzten Bundestagswahl 2021 kam es anders: Corona-bedingt wurde das Verfahren der Aufstellung durch die Mitglieder durch ein Delegiertensystem ersetzt, und am Ende kam es zur Nominierung einer anderen Kandidatin, die bei der Bundestagswahl dann krachend gescheitert ist.
Auch wenn im Folgenden immer wieder auch juristische Aspekte anzusprechen sind, soll es hier nicht um eine rechtswissenschaftliche Perspektive gehen. Sondern um die Frage, wie denn eigentlich politische Macht entsteht – und vergeht.
Immer wieder habe ich – wie etwa im Mai 2021 im „Deutschlandfunk“ mit Blick auf den damaligen Einfluss der WerteUnion in der Kölner CDU und mit einem Fokus auf den politischen Lobbyismus im Mai 2023 bei „Table Media“ – darauf verwiesen, dass die Fragen der Rechtmäßigkeit meiner „Abwahl“ (genauer gesagt: meiner Nicht-Wieder-Aufstellung als Wahlkreiskandidat durch die CDU Köln) bis heute nicht geklärt seien.
Immerhin hat sich gerade in den letzten Wochen und Monaten der Nebel aber ein wenig gelichtet. Für mich als Rechtswissenschaftler, dessen Tätigkeit auch das Insolvenzrecht umfasst, ist das stimmig, denn als Insolvenzrechtler lernt man ja, die Dinge vom schmutzigen und hinteren Ende zu betrachten – und aufzuräumen. Und damit zugleich auch manche Fassade zu zerstören.
Im Folgenden soll es nicht darum gehen, die vielen sich stellenden rechtlichen Einzelfragen aufzuarbeiten. Vielmehr soll zunächst einmal – auch als Basis für die weitere Aufarbeitung und die politische Debatte – der tatsächliche Rahmen ausgeleuchtet werden.
Insbesondere die Frage, ob Mitgliedsbeiträge- und Mandatsträgerabgaben an eine Partei, in diesem Fall die CDU Köln, vollständig gezahlt werden, spielt bei parteiinternen Abstimmungen eine Rolle, insbesondere auch bei Aufstellungsversammlungen von Kandidaten zum Deutschen Bundestag. Dazu hat sich Liane Bednarz bereits im September 2024 auf diesem Blog geäußert. Vielleicht liegt auch genau darin einer der Gründe verborgen, warum ich als Kandidat zum Deutschen Bundestag nicht wieder aufgestellt worden bin, berichtete doch die führende Zeitung der Region, der „Kölner Stadt-Anzeiger“ im August 2023 explizit davon, dass die Kölner CDU seit 2018 kein Mahnwesen betrieben und über 600 Mitglieder geführt habe, die säumig gewesen seien. Dazu gleich mehr.
II. Facetten innerparteilicher Demokratie – Politische und rechtliche Fragwürdigkeiten
1. Bundestagskandidatenaufstellung durch die CDU Köln im Frühjahr 2021: Die Virtuelle Demokratie und ihre Folgen
Zentral für das Verständnis der damaligen Vorgänge ist das (parteiinterne) Verfahren der Kandidatenaufstellung. Das Parteiengesetz sowie das Bundeswahlgesetz verlangen insoweit, dass auf Parteiebene die allgemeinen Vorgaben für demokratische Bundestagswahlen widergespiegelt werden.
Mit Blick auf die Kandidatenaufstellung des Jahres 2021 war und ist bereits deren Ausgangspunkt ein streitiges Thema. Denn Corona-bedingt beschloss der Kreisvorstand der Kölner CDU, das normalerweise Platz greifende Verfahren einer Kandidatenaufstellung im Wege der Urwahl durch alle im Wahlkreis zur Bundestagswahl stimmberechtigten Mitglieder durch ein Delegiertensystem zu ersetzen.
Die auf der Grundlage dieses fragwürdigen Beschlusses in den einzelnen Ortsverbänden durchgeführten „Delegiertenwahlen“ waren in zahlreichen Fällen von Unregelmäßigkeiten überlagert: Mal wurden „Ummeldungen“ und damit Änderungen der Wahlberechtigung Stunden vor der Wahl durchgeführt (die Frage, ob der Wohnsitzwechsel tatsächlich durchgeführt wurde, ist bis heute nicht geklärt), mal wurde massiv gegen die Corona-Bestimmungen verstoßen (und mit der Möglichkeit „geworben“, dass sie nicht beachtet werden müssten), mal wurden noch Minuten vor der Wahl Mitglieder anders „zugeordnet“, ein anderes Mal wurde gegen die Wahlrechtsgrundsätze verstoßen. Das alles ist – wenig überraschend – vor den „Parteigerichten“ der CDU angegriffen worden.
Was indes überrascht, ist, dass es bis heute – obwohl diverse Verfahren durch die Parteigerichtsinstanzen hochgefochten wurden – keine einzige finale Entscheidung der Parteigerichtsbarkeit der CDU gibt. In einigen Verfahren herrschte mehrere Jahre absoluter Stillstand, wobei in einem – von dem Kölner CDU-Mitglied und Rechtsanwalt Konrad Adenauer betriebenen – davon nicht einmal ein „mehrseitiger Schriftsatz“ zum Bundesparteigericht der CDU Deutschlands zu einer mündlichen Verhandlung in der Sache und erst recht nicht zum Erfolg führte. Darin schreibt Adenauer:
„…mit fortschreitender Verfahrensdauer gewinne ich immer mehr den Eindruck, dass Teile der CDU unter einem massiven Demokratie-Defizit leiden, weshalb ich mir erlaubt habe, eine Kopie dieses Schriftsatzes unmittelbar an den Bundesvorsitzenden, Herrn Friedrich Merz, zu übersenden.”
Und ergänzt zur Parteigerichtsbarkeit, die die staatliche Gerichtsbarkeit – jedenfalls zunächst – ausschließt:
„Dieser Privilegierung wird eine Partei aber nur dann gerecht, wenn sie sich eine Gerichtsordnung gibt und diese auch nach rechtsstaatlichen Grundsätzen lebt. Diesem Auftrag entspricht die CDU jedenfalls in dem von mir geführten Verfahren jedoch in keiner Weise.”
Eine bemerkenswerte Wende
Eine bemerkenswerte Wende brachte ein anderes vor die ordentliche Justiz gebrachtes Verfahren. In diesem Zusammenhang hatte der im März 2023 neugewählte Kreisvorstand der CDU Köln zwischenzeitlich die Finanzen überprüft, und zwar insbesondere auch die Beitragsrückstände bei den Mitgliedern. Im Herbst 2023 gab er bekannt, dass die Beitragsrückstände mindestens 20 Prozent der Mitglieder betrafen und im Durchschnitt vier Jahre und mehr. Das Kölner „Blogmagazin“ fand infolge des Berichts des „Kölner Stadtanzeigers“ deutliche Worte und schrieb:
„Zugleich wurden aber für diese nicht zahlenden Mitglieder tausende Euro an den übergeordneten Landesverband abgeführt. Dieses Vorgehen ist nicht nur ein rechtliches Problem für die Kölner CDU, sondern es stellt auch die innerparteiliche Demokratie in einem der wichtigsten nordrhein-westfälischen Kreisverbände in ein schlechtes Licht.“
Damit ist zunächst davon auszugehen, dass 20 Prozent der Mitglieder wegen ihrer Beitragsrückstände nicht stimmberechtigt waren (§ 10 Abs. 2 Parteiengesetz in Verbindung mit § 8 Abs. 2 Satzung des CDU-Kreisverbandes Köln i.V.m. § 21 Abs. 1 Bundeswahlgesetz). Zudem drohte damit die Zahlungsunfähigkeit des Kreisverbandes (dazu später mehr).
2.. Kreisparteitag der CDU Köln am 4. September 2021
Auf den ersten Blick eine ganz andere „Baustelle“, politisch aber eng mit den Streitigkeiten um die Kandidatenaufstellung verwoben ist ein Kreisparteitag, den die Kölner CDU am 4. September 2021 abhielt, um dort – vorgezogen und kurz vor der damaligen Bundestagswahl am 26. September 2021 (!) – ihren Vorstand neu zu wählen. Denn auch er löste Rechtsstreitigkeiten aus, die bis heute andauern:
So wurde einerseits ein CDU-Mitglied, das aus einem anderen CDU-Kreisverband nach Köln gewechselt und dort auch schon als Neumitglied begrüßt worden und in der zentralen Mitgliederkartei der CDU Deutschlands als vom Kreisverband Köln geführtes Mitglied aufgelistet war, zur Teilnahme am Kreisparteitag eingeladen, um dann vor der Tür eben dieses Kreisparteitags abgewiesen zu werden, weil er kein Mitglied des Kreisverbands sei.
Ein anderes Mitglied machte geltend, dass im Vorfeld des Parteitages reihenweise Mitglieder neu aufgenommen worden seien, ohne die dafür maßgeblichen Vorschriften der Satzung zu beachten, die – unter anderem – eine Anhörung des zuständigen Ortsverbandes vorsieht. Es seien, so erneut Konrad Adenauer, bei dem Parteitag im September 2021 auch etwa 20 Angehörige eines Boxclubs aus (Köln‑)Kalk kurz vor Beginn der Zusammenkunft als Neumitglieder aufgenommen worden, um für den (Noch‑)Kreisvorsitzenden Petelkau zu stimmen. Vor allem seien Mitglieder (wieder) in die CDU aufgenommen worden, die zuvor ausgetreten waren, darunter zwei, die bei den Kommunalwahlen 2020 auf einer Liste der „Freien Wähler“ gegen die CDU kandidiert hatten. Zudem sei für die Mitglieder nicht überprüfbar gewesen, ob durch Beschluss des Kreisvorstandes nach § 8 Abs. 3 der Satzung der CDU Köln Mitgliedsbeiträge erlassen, ermäßigt oder gestundet worden waren – mit der Folge fehlender Stimmberechtigung der Mitglieder.
Zwei Verfahren infolge des Kreisparteitags vom 4. September 2021
Beide Mitglieder – die voneinander nicht wussten – riefen die Parteigerichtsbarkeit der CDU an, die es – auch hier – nicht schaffte, innerhalb überschaubarer Zeit – wir sprechen von inzwischen über drei Jahren – über die Anfechtung der erfolgten Wahlen zu entscheiden.
Wiederum beide Mitglieder erhoben sodann – ebenfalls wieder unabhängig voneinander – Klage vor dem Amtsgericht Köln, das die Verfahren an das Landgericht Köln verwies. Erst nach weit über einem Jahr entschied dieses im ersten Verfahren – und wies die Klage wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses als unzulässig ab. Der Kläger müsse zunächst den gesamten Parteirechtsweg zu Ende führen (und könne sich deshalb auch nicht darauf berufen, dass er in einem anderen – die Kandidatenaufstellung betreffenden – Verfahren bereits gesehen habe, dass die Parteigerichtsbarkeit keinen effektiven Rechtsschutz gewähre). Pikant: Das Landgericht stützte sich zur Begründung seiner Auffassung auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH), die nichts mit dem Thema zu tun hatte – ein offensichtliches Blindzitat. Die – inzwischen durch Berichtigungsbeschluss eingesetzte – richtige BGH-Entscheidung besagt das Gegenteil.
Das inzwischen mit der Sache befasste Oberlandesgericht Köln wird sich unter anderem mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Aufnahme von Mitgliedern ohne Anhörung der betroffenen Ortsverbände wirksam ist und wie überprüft werden kann, dass Mitglieder nicht abstimmen, die mit ihrer Beitragszahlung im Rückstand sind. Denn nach § 8 Abs. 2 der Satzung der CDU Köln (in Übereinstimmung mit § 10 Abs. 2 Satz 2 PartG) haben Mitglieder der CDU Köln keine Mitgliedsrechte (und damit auch kein Stimmrecht), wenn sie mit ihrer Beitragszahlung mehr als sechs Monate „schuldhaft in Verzug“ sind. Welches Manipulationspotenzial hier besteht, hatte Liane Bednarz hier wie eingangs angerissen vor allem mit Blick auf die parallele Frage des Stimmrechts bei Kandidatenaufstellungen schon vor einiger Zeit aufgezeigt.
Im dem ersten Verfahren vor dem Landgericht Köln stellte sich zudem heraus, dass die CDU Köln ihre Jahresabschlüsse und Rechenschaftsberichte seit vielen Jahren am Kreisvorstand vorbei geschleust hatte. Es ist nicht einmal klar, ob sie einen wirksamen Haushalt beschlossen hat, weil die Zahlen dem Vorstand aus – so wurde argumentiert – „Datenschutzgründen“ nur mündlich vorgetragen worden seien; damit hat man letztlich dem zuständigen Beschlussorgan die Zahlen und Daten vorenthalten, über die es beschließen sollte.
Auf den dann am 25. März 2023 durchgeführten nächsten Parteitag der Kölner CDU rügte ich natürlich die Unmöglichkeit einer klaren Feststellung der Stimmberechtigung ebenso wie das Fehlen von vom Kreisvorstand genehmigten Jahresabschlüssen und Rechenschaftsberichten. Die (noch) amtierende Schatzmeisterin der CDU Köln räumte auf Fragen hin sodann ein, dass die CDU Köln über kein Mahnwesen verfüge und deshalb nicht sagen könne, welches Mitglied mit seinen Beitragszahlungen im Verzug sei. Die Schatzmeisterin hatte zudem kurz zuvor in ihrem Rechenschaftsbericht darauf verwiesen, dass ein erheblicher Teil der Mitglieder die schon vor einigen Jahren erfolgte Erhöhung des Mindestbeitrages nicht mitgemacht habe. Ich quittierte das mit der Anmerkung, dass demgemäß eigentlich das Stimmrecht aller im Saal anwesenden (mehrere Hundert) Mitglieder nicht korrekt festgestellt werden könne. Von Seiten des Tagungspräsidiums unter der Leitung des Ministers für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien des Landes Nordrhein-Westfalen und Chef der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalens Nathanael Liminski wurde insoweit zusätzlich darauf verwiesen, dass diese Lage nicht nur in Köln so sei.
3. Kreisparteitag der CDU Köln am 14. September 2023
Eine weitere neue Wende nahmen die Dinge sodann auf einem Kreisparteitag der Kölner CDU am 14. September 2023. Denn mit Blick auf die der Kölner CDU-Satzung vergleichbare Regelung der CDU Nordrein-Westfalen, nach der dorthin entsandte (Kölner) Delegierte auf Landesparteitagen nur stimmberechtigt sind, wenn der betreffende Kreisverband die „Landesumlage“ gemäß § 14 Abs. 2 der Finanz- und Beitragsordnung der CDU an den übergeordneten Landesverband bezahlt hat, beantragte ich dort die Absetzung des Tagesordnungspunktes mit den diese Delegierte betreffenden Wahlen.
Denn – so argumentierte ich – da der Kölner Kreisverband seine Umlage an den Landesverband nicht gezahlt habe, die sechsmonatige Nachfrist bereits verstrichen sei, der Kreisverband keine ausreichenden liquiden Mittel mehr habe und – wenn er sie habe – auch aus insolvenzrechtlichen Gründen nicht zahlen dürfe, ruhe das Stimmrecht etwa zu wählender Delegierter und eine Wahl gehe ins Leere. Der anschließend ans Mikrofon getretene neue Schatzmeister, Sebastian Benz, bestätigte diese Zustandsbeschreibung: Die Partei sei zahlungsunfähig.
Die Delegierten wurden dann zwar gewählt; ob und wann sie aber ihr Stimmrecht würden ausüben können, ist indes offen. Das dürfte von einer vorgängigen Bereinigung der finanziellen Schieflage und der Aufarbeitung ihrer Ursachen wie den offenen Fragen rund um die „Querfinanzierung“ der Kölner CDU durch den CDU-Kreisverband Borken abhängen. Denn dieser hatte der CDU Köln schon zuvor mit einem Kredit über 100.000 Euro unter die Arme gegriffen und diese schon früher vor der Pleite gerettet. Ungeklärt ist aber, wie sich die CDU Borken – übrigens Jens Spahns Kreisverband – diese Großzügigkeit leisten konnte.
4. Generalversammlung der Frauen Union Köln am 27. April 2022
Zu guterLetzt: Auch die Generalversammlung der Kölner Frauen Union Köln am 27. April 2022 (einer Unterorganisation der CDU Köln), auf der deren Vorstand neugewählt wurde, lief nicht beanstandungslos. Denn dort wurde von (mindestens) vier Personen berichtet, die abgestimmt haben, aber gar nicht hätten teilnehmen dürfen. Unter anderem seien bei der Anmeldeliste vor der Sitzung Personen nachträglich hinzugefügt worden, von denen einige gar keine Mitglieder gewesen und deshalb auch nicht stimmberechtigt gewesen seien. Die gegen die Wahl des Vorstands angerufene Parteigerichtsbarkeit hat bis heute nicht in der Sache entschieden …
Wenn Parteien in ihrer Binnenverhältnissen Demokratie und Rechtsstaat nicht achten, bereitet mir dies große Sorge. Denn die Resilienz beider ist gefährdet, wenn die Manipulationsmöglichkeiten innerhalb der Parteien so gut wie vollständig ausgeblendet werden oder zumindest über die Regionalpresse hinaus kein Thema sind.
Ebenso große Sorge macht mir, dass eine (staatliche) Justiz, die – zu Recht – auf ihre Unabhängigkeit pocht, die ihr in diesem Zusammenhang gegenüber den Parteien obliegenden Kontrollpflichten nicht ausreichend wahrnimmt.
Die Aussichten sind – bei Lichte besehen – eher trübe, sofern nicht Gesetzgeber oder Rechtsprechung reagieren. Auch wenn eine juristische Aufarbeitung der sich stellenden Fragen hier gerade nicht beabsichtigt ist und die getroffenen Entscheidungen auch nicht umkehren können, drängen sich doch einige notwendige Reaktionen auf:
- Es bedarf, auch mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, zunächst der Klarstellung, dass Parteigerichtsverfahren nicht als Geheimverfahren – also vertraulich bzw. unter Ausschluss der Öffentlichkeit – geführt werden können und dürfen. Bereits dies dürfte die Unabhängigkeit der Parteirichter stärken.
- Zu hinterfragen ist zudem die Höchstdauer für die Wählbarkeit der Parteirichter von vier Jahren. Schon im Vergleich zur Amtszeit von Bundesverfassungsrichtern von zwölf Jahren (mit Ausschluss der Wiederwahl) kommen hier Zweifel auf: Denn deren lange Amtszeit dient der Stärkung der Unabhängigkeit der Richter von und gegenüber den zu kontrollierenden Institutionen. Warum sollte dies bei Parteien, die doch in eben diese staatliche Struktur eingebunden sind (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“), anders sein? Hinzu kommt, dass es gerade auch das Bundesverfassungsgericht ist, dass die kürzere Amtszeit (sechs Jahre) der europäischen Richter in den beiden EU-Gerichten (Europäischer Gerichtshof (EuGH) und Gericht erster Instanz (EuG) als kritisch ansieht, was sogar im Koalitionsvertrag der gescheiterten Ampel-Regierung aufgegriffen worden war. Auch hier gilt: Für Parteirichter müsste dies erst recht gelten.
- Verfahrensverzögerungen lassen sich nie vermeiden. Aber den schon vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsatz, dass die Parteigerichtsbarkeit nur maximal ein Jahr Zeit haben darf, um eine Wahlanfechtung zu erledigen, gilt es, positivrechtlich mit Leben zu füllen.
Das führt schließlich zu der Frage, ob im Falle des Scheiterns einer (zeitnahen) Entscheidung der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten statt zu den Zivilgerichten eröffnet sein sollte. Der für diese ohnehin geltende Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO), wonach das Gericht von Amts wegen den Sachverhalt erforscht und nicht allein auf die Vorträge der Parteien angewiesen ist, spräche dafür. Denkbar wäre freilich auch, den umgekehrten Ansatz gesetzlich festzuschreiben, also dass für vor den Zivilgerichten geführte parteigerichtliche Streitigkeiten der Untersuchungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO gilt.
Heribert Hirte, Dr. iur. (Köln), LL.M. (Berkeley), ist emeritierter Universitätsprofessor an der Universität Hamburg. Er war als direkt gewählter Abgeordneter für den Wahlkreis Köln II bis 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages
Lieber Herr Hirte:
Eine Aufstellungsversammlung zur Aufstellung eines Wahlkreiskandidaten ist etwas anderes als eine Mitgliederversammlung.
Schon der Personenkreis ist verschieden. Nicht alle Parteimitglieder im Kreis (hier in Köln) dürfen den Kandidaten bestimmen. Stimmberechtigt sind nur die auch Wahlberechigten: Sie müssen im Wahlkreis wohnen und das Alter fürs Wahlrecht haben.
Das ist keineswegs bei allen Parteimitgliedern des Orts- (Kreis-) Verbandes gegeben. Andererseits sind in der Aufstellungsversammlung auch Parteimitglieder stimmberechtigt, die im Wahlkreis wohnen, aber in einem anderen Kreisverband Mitglied sind.
Paragraf 10 Absatz 2 Parteiengesetz ist zunächst geschrieben für das Wahlrecht säumiger oder pünktlicher Beitragszahler zur Wahl der PARTEIgremien in Mitgliedsversammlungen.
Dass für Aufstellungsversammlungen etwas Anderes gelten sollte, halte ich für vertretbar. Recht ist es, wenn es überall gleich so zu sehen ist.
Das ist bei einem bundesweiten (vorherigen) Hinweis der Bundeswahlleiterin der Fall.
Das „Argument“, das Recht so zu setzten, dass es der AfD schade, halte ich für das Schrägste aller Argumente.