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Waren Opa und Oma Nazis ? – Wie mans nehmen will.

Eine Erwiderung an Andreas Tölke.

Großvater väterlicherseits war ein Kriegskrüppel aus dem Ersten Weltkrieg.

Blind war er 1916 aus Litauen heimgekommen. „Aus Rußland“, wie er immer sagte.

Bürstenbinder wollte er nicht werden und sein Beruf wurde diese Neuerfindung des Telefons. Er wurde Telefonist im Landratsamt, auch ein Blindenberuf.

Ja klar, Großvater war begeistert, als die Regierung 1934 auch ihn mit einer Versorgungsrente nach dem Reichsversorgungsgesetz bedachte. Heldenlieder interessieren die Kriegskrüppel ja nicht wirklich. Ja klar, Opa war im NS-Beamtenbund.

Großmutter väterlicherseits, seine Frau hingegen, verachtete den Führer. „Wie er umgegangen war mit Ernst Röhm, so was macht man nicht!“ Erzählte sie mir zu den Beweggründen, warum sie 1934 aus der NSDAP ausgetreten war. Seit 1922 war sie dabeigewesen. Ja klar, Oma trug das goldene Parteiabzeichen.

Großmutter mütterlicherseits auf der anderen Seite hatte es nicht leicht nach 1945 als „Kriegerwitwe“. Als die sie galt, obwohl Großvater mütterlicherseits, ihr Mann, schon vor dem 1. September 1939 umkam.

Bei einem Verkehrsunfall in seinem Dienstwagen und in der Sächsischen „Wohlfahrtspolizei“ kam er ums Leben. Die eigentlich ab 1934 gar keine Landespolizei mehr war, sondern dem Reichsführer SS, Heinrich Himmler unterstand. Ja klar, Opa war SS-Mann.

Waren mein lieber Opa und meine liebe Oma Nazis ?

– Wie man es nehmen will.

Geschichte ist wie sie ist.

Es gibt keine andere.

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Über Bodo Walther

Bodo Walther, geboren 1960 in Weißenfels im heutigen Sachsen-Anhalt, studierte 1985 bis 1991 Rechtswissenschaften in Tübingen und Bonn. Er war aktiver Landes- und Kommunalbeamter in Sachsen-Anhalt, ist heute im Ruhestand und Anwalt in der Nähe von Leipzig.

3 Gedanken zu “Waren Opa und Oma Nazis ? – Wie mans nehmen will.;”

  1. avatar

    Ergänzung:

    Unabhängig von der individuellen Schuld im engeren können wir aber feststellen, dass beide Grossväter wohl eine individuelle Schuld im weiteren Sinne mitzutragen hatten. Man hat auf jeden Fall irgendwie mitgemacht. Damit war man noch kein Nazi, aber Teil der Gemeinschaft, der man aus meiner Sicht zurecht eine kollektive Schuld zugeschrieben hat.

  2. avatar

    „Ja klar, Opa war im NS-Beamtenbund.“

    Nix ist klar. Da gab es ja keine Zwangsmitgliedschaft. Und wenn Ihr Opa nach der NS-Definition „nichtarisch“ gewesen wäre, hätte er auch gar nicht eintreten dürfen. Das wusste er im Zweifel oder hätte es wissen können. Mein Grossvater war im Rahmen seines Berufs Pflichtmitgled in einem NS-Berufsverband. Der wusste, dass da Juden ausgeschlossen waren. Was sagt uns das jetzt über deren individuelle Schuld im engeren? Wenig, würde ich sagen. Da muss man sich schon die Mühe machen in die Akten zu schauen, die ja heute in weiten Teilen gut einsehbar sind.

    1. avatar

      Nach Schuld suche ich nicht, ich suche zu verstehen.

      Und „Du sollst Vater und Mutter ehren“ gebietet Gott auch für die Großeltern.

      Das ist das Problem in der so genannten „Aufarbeitung der Geschichte“, dass sie nach Schuld sucht. Wer nach Schuld sucht, findet die Geschichten nicht. Er findet Lügen und Ausflüchte.

      Weil es der Grundinstinkt jedes Angeklagten ist, jedes Menschen, dessen Schuld gesucht wird, zu lügen. Es ist sogar sein strafprozessuales Recht.

      Was glauben Sie, was ich 1984 das Bezirksgericht Halle/Saale angelogen habe, als ich der Agententätigkeit für den Feind angeklagt war ?

      https://starke-meinungen.de/blog/2024/12/28/agenten-agenten-agenten/

      Einmal in den 1990ern, im Kreistag von Weißenfels, dem Ort, wo einst der Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, in seinem Volkskammerwahlkreis 35 immer mit 99,99 % Ja-Stimmen in die Volkskammer gewählt wurde, …

      Einmal, über ein Dutzend Jahre später, habe ich den Kreistagskollegen Faust von den LINKEN (sie hieß damals noch PDS) gefragt:

      „Sagen Sie mal, Sie waren doch der Sekretär für Agitation und Propaganda der SED im Kreis. Sie hatten doch die Trommel zu rühren für Ihren Kandidaten. Können Sie mir was erzählen davon ?“

      Er zögerte: „Wir unterhalten uns aber nicht über die Haft beim MfS, wo Sie waren?“

      „Nö.“ Hab ich erwidert. „Ich will doch was von IHNEN wissen!“

      Es war eine große Ernte, dieser Kneipenabend. Er hat mir sein Leben ausgebreitet. Die Kindheit im polnischen Vorkriegs-Posen. „Als meine Mutter nicht Hedwig heißen durfte…“ – „Sondern Jadwiga,..“ ergänzte ich ihn.

      Dann heim ins Reich und dann die Vertreibung. Und die Partei, die SED, die so viel getan habe für ihn, das Füchtlingskind.

      Mit einem ganzen Sack voll Unterlagen bin ich wieder nach Lobitzsch gefahren. Und er hat sich so gefreut, dass jemand WISSEN und nicht anklagen wollte.

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