Neulich hatte ich eine dieser Diskussionen, die man eigentlich nur führen sollte, wenn man ausreichend Nerven und Humor mitbringt. Mein Gegenüber war eine dieser Personen, die nicht diskutieren, um zu verstehen, sondern um zu gewinnen. Schon nach den ersten Minuten war klar: Fakten hatten in seinem Universum denselben Stellenwert wie Horoskope – nett anzusehen, aber bitte keine Bedeutung hineininterpretieren. Als ich versuchte, sachlich ein paar Punkte zu erklären, die ich für unstrittig hielt – Dinge, bei denen man mittlerweile mit einem Augenzwinkern sagt: „Leute, das haben wir mittlerweile wirklich durchgekaut!“ – bekam ich nur ein abfälliges Lächeln und ein bestimmtes „Das sind doch alles Lügen.“
Worum es in diesem Gespräch ging, ist nicht wichtig. Menschen, die nicht zuhören wollen und ihre eigenen Positionen zu Dogmen erklären, gibt es in jeder erdenklichen Ausführung: Links, rechts, gern extrem, auf jeden Fall aber massiv von der eigenen Meinung überzeugt. Wobei ich das Gefühl habe, dass dieses Verhalten immer häufiger vorkommt.
Das Gefühl trügt nicht
Und tatsächlich gibt es einige Hinweise darauf, dass es um unsere Diskussionskultur nicht zum Besten steht. Studien zeigen, dass die Bereitschaft, anderen wirklich zuzuhören, in vielen Bereichen nachlässt. Stattdessen erleben wir eine wachsende Polarisierung. Politische Lager verhärten sich, und in sozialen Medien bleiben viele lieber in ihrer Bubble, ihrer Echokammer, in der alle ohnehin derselben Meinung sind. Unterstützt wird diese Entwicklung von den Algorithmen von Plattformen wie Facebook oder Twitter (X), die uns genau die Inhalte präsentieren, die wir sehen wollen – oder die uns aufregen. Beides führt dazu, dass wir uns eher an unsere Überzeugungen klammern, als sie zu hinterfragen. Der Ton im Netz ist rauer geworden, und wer einmal in die Kommentarspalten schaut, merkt schnell: Sachlichkeit hat es hier schwer. Stattdessen hagelt es oft Lachsmileys, Hohn und Beleidigungen.
Ein weiteres Hindernis ist das wachsende Misstrauen gegenüber Medien und Experten. Immer mehr Menschen glauben, dass „jeder seine eigene Wahrheit“ hat, was es schwer macht, eine gemeinsame Grundlage für Diskussionen zu finden. Wenn Fakten zur Verhandlungssache werden, diskutiert es sich nämlich ziemlich schlecht. Allerdings haben Medien und Experten sich dieses Misstrauen durchaus auch erarbeitet. Wenn das in Medien gespiegelte Bild nicht mehr der Lebenswirklichkeit vieler Menschen entspricht, weil Journalisten und Redakteure sich um eine Haltung bemühen und Nachricht und Kommentar vermischen, werden diese Journalisten und Redakteure unglaubwürdig. Und die Experten? Viel zu oft immer die gleichen, und viel zu oft wirken sie wie Lobbyisten,wie Kämpfer für eine gute Sache.
Emotionale Abwehrhaltung besonders stark ausgeprägt
Auch die Angst, sozial ausgegrenzt zu werden, spielt eine Rolle. Untersuchungen zeigen, dass viele Menschen in Deutschland das Gefühl haben, ihre Meinung nicht mehr frei äußern zu können. Wer sagt schon gerne etwas Kontroverses, wenn er befürchten muss, dafür öffentlich „gecancelt“ zu werden? All das führt jedenfalls dazu, dass Diskussionen oft nicht mehr der Suche nach Lösungen dienen, sondern dem Sieg über den anderen. Wir Menschen neigen nun einmal dazu, emotional zu reagieren, wenn unsere Überzeugungen infrage gestellt werden. Nur scheint diese emotionale Abwehrhaltung heute besonders ausgeprägt zu sein.
Deshalb freue ich mich so, dass ich in meinem Freundeskreis das personifizierte Gegenbeispiel habe. Mein Freund und Kollege Frank (der mir immer wieder die Artikelbilder erstellt) und ich, wir sind selten einer Meinung – zu unterschiedlich sind unsere Sozialisation, unsere Erfahrungen, unsere Umfelder. Und doch können wir herrlich miteinander diskutieren. Klar, wir neigen manchmal zum Polemisieren, aber letztlich kommen wir doch immer wieder zu einer Einigung – und sei es die, dass wir uns nicht einig sind. Denn das ist gar nicht schlimm, ganz im Gegenteil. Vieles, was Frank mir entgegnet, bringt mich auch später noch zum Nachdenken. Und bereits manches Mal habe ich meine eigene Sichtweise revidieren müssen – nein, revidieren können. Und dafür bin ich dankbar. Nichts wäre langweiliger, als wenn wir immer und bei allem ähnliche Positionen verträten. Unsere Grundwerte sind kompatibel, das reicht. Und wir teilen die Liebe zu demselben Fußballverein.
Popper kann man zitieren, muss ihn aber auch verstehen
Gespräche wie die mit Frank sind aber selten geworden, weil Menschen wie Frank selten geworden sind. Noch zu Studentenzeiten habe ich mit verschiedensten Menschen bis tief in die Nacht über alles Mögliche diskutieren können. Ich fürchte, diese Menschen würden heute zu den überzeugten Bubble-Dogmatikern gehören, die keine Meinung außer ihrer eigenen akzeptieren. Dabei geht es doch gar nicht darum, andere Sichtweisen zu übernehmen, sondern zu tolerieren – auszuhalten. Das müssen wir dringend wieder lernen. Und umgekehrt: Wir müssen es auch aushalten, immer wieder zu lernen. Denn das ist letztendlich eine der Konstanten des Lebens.
Und, bitte, komme mir niemand mit dem Paradoxon der Toleranz. Wer Karl Popper jemals wirklich gelesen und verstanden hat, weiß, dass er nicht dazu aufruft, anderen Positionen gegenüber intolerant zu sein, weil diese ja „falsch und gefährlichh“ seien. Diese Lesart bevorzugen eher diejenigen, denen es viel zu mühsam ist, sich mit den Ansichten anderer auseinanderzusetzen. Oder aber sie haben Sorgen, dass sie argumentativ vielleicht nicht bestehen können. Egal, ob aus Bequemlichkeit oder Feigheit: Das Verweigern einer Diskussion mit dem Hinweis auf Popper ist ein Zeichen von Schwäche und verrät viel mehr über den Verweigerer als über denjenigen, dem der Mund verboten wird.
OKKLUMENTIK, @Till Becker, ist ein Wahlfach auf der Schule für Zauberei und Hexerei in Hogwarts. Es ist die Kunst, sein eigenes Denken so von der Außenwelt abzuschirmen, dass die Gedanken anderer Zauberer da gar nicht reinkommen.
https://harrypotter.fandom.com/de/wiki/Okklumentik
Vielen Dank, vor allem die Klarstellung in Bezug auf Popper. Es ärgert auch mich, in Diskussionen immer wieder mit dieser Fehlinterpretation konfrontiert zu werden.
Ja, die Diskussionskultur der Zivilgesellschaft liegt in Trümmern, und bis jetzt enden die meisten Versuche, sie neu zu beleben, in Lagerzuschreibungen.