PRAG, 22. März 1989
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In der Nacht geht es also wieder über eine Grenze.
Wie klein ist Europa und wie viele Nationalitäten haben sich hier neben- und gegeneinander ntwickelt. Da bin ich also wieder in Prag und wieder im deutschen Dunstkreis. Das ist erkennbar daran, daß auf dem schwarzen Markt in D-Mark gehandelt wird und nicht in Dollar.
Nacheinander besuche ich die Freunde, liefere Mitbringsel ab und erzähle natürlich. In Prag ist es um nichts Ruhiger.
Eine gute Nachricht hat Zdeněk Pinc(*) für mich: Vaclav Havel wird nächste Woche von den Behörden aus dem Gefängnis entlassen. Er hat es eben erst erfahren. „Ich bin nämlich gerade aus der Sowjetunion zurück, wissen Sie! Deshalb klappt auch mein Deutsch noch nicht so richtig.“ Wir versuchen es auf Russisch – es geht tatsächlich besser.
Erst daheim erfahre ich, dass er bis 1968 Professor für Philosophie war. Das gibt seinen Worten noch mehr Gewicht, als er sagt:
Bild unten: Zdeněk Pinc 2010 (aus Wikipedia)
„Im posttotalitären Regime gibt es eine immer kleiner werdende Gruppe, die immer mehr verbietet. Nach allen Gesetzen der Mathematik ist es zum Schluss ein Niemand, der alles verboten hat. Das ist der Zustand, in dem wiederum alles erlaubt ist. Das nennen wir das Chaos. Viele Menschen hier sehnen diesen Tag herbei, aber es wird eine schwere Zelt werden.“
Einschub 2024:
1989 beschäftigt sich Professor Pinc noch mit dem Handel sibirischer Singvögel. Er hat eine ganze Ladung aus Russland mitgebracht. Von irgendetwas muß der Mensch leben. 1990 dann wird er wieder Professor an der Prager Universität sein.
Cheb in Böhmen, „Kheb“ spreche man den Namen aus, mit einem Ach-Laut am Anfang, oder einfacher und deutsch „Eger“.
Auf der anderen Seite der Grenze ist Schirnding in Bayern. Nur noch ein paar Meter und ich bin wieder zu Hause.