Der Vater dieser befreundeten Familie überlegt, nach dem Sturz des Assad-Regimes in ihre zerstörte Heimatstadt Aleppo zu fahren, um beim Wiederaufbau zu helfen. Ganz zurückgehen wollen sie vorerst nicht. Sie haben wie viele Flüchtlinge auch hier genug zu kämpfen.
Gleich nach dem Umsturz in Syrien habe ich hier die die sofort einsetzenden Forderungen nach Rückweisung der 800.000 Flüchtlinge aus dem Land kommentiert. Die Reaktionen in den Kommentare waren gemischt. Die Familie al-Gaber betreue ich seit einem Jahr. Ihr Jubel war zunächst riesig. „Wir Syrer sind neugeboren“, sagte mir der Vater Muhamad. Doch inzwischen kommen auch ihm Zweifel, ob es unter den neuen Herrschern besser wird. Darüber habe ich für die Zeitschrift „Publik-Forum“ geschrieben. Hier nur etwas zu den alltäglichen Problemen, vor denen sie wie so viele Flüchtlinge ständig stehen. Welche die Behauptungen, sie seien für unseren Arbeitsmarkt unverzichtbar, genauso lächerlich erscheinen lassen wie das Gerede über Abschieben.
Muhamad hat wie seine Frau in Syrien Jura studiert und dort auch eine Weile als Anwalt gearbeitet, bevor er als 2014 floh und 2016 seine Familie nach Deutschland nachholte. Ihre Studien und Examen werden hier aber wie bei vielen nicht anerkannt. Jahrelang hat die Familie deshalb und weil ihnen das Jobcenter nicht half, andere Arbeit zu finden, Bürgergeld bezogen. Weil Muhamad das nicht mehr wollte, hat er im Frühjahr begonnen, als schlecht bezahlter Lkw-Fahrer zu arbeiten und dafür eine Ausbildung gemacht. Die Spedition hat ihn jedoch monatelang nicht bezahlt, wogegen er nun klagt. Das wird Monate dauern. Solange bezieht die Familie jetzt wieder Bürgergeld.
Vom Jobcenter in den Job, ins Praktikum, ins Leere
Zwischenzeitlich musste Muhamad ein unbezahltes „Praktikum“ bei einer anderen Spedition machen. Die möchte das verlängern – logisch. Er will das nicht, sondern einen Arbeitsvertrag. Auch logisch. Schließlich werden auch Lkw-Fahrer gesucht. Viel lieber möchte er jedoch als Jurist arbeiten, z.B. für eine deutsche Firma, die nun möglicherweise in Syrien Geschäfte machen will und dafür jemand sucht, der Arabisch und Deutsch (B2) spricht und sich in dem Land und dem dortigen Rechtssystem auskennt. Aber wie eine solche Firma finden? Alle meine Versuche, ihm dabei zu helfen, sind bisher ins Leere verlaufen. Vom Anwaltsverein, der Hamburger Anwaltkammer und der Hamburger Handelskammer (wo ich Mitglied war) und diversen Integrationsstellen wurde ich nur auf andere verwiesen: „Oh, das ist schwierig!“ Ich versuche es dennoch weiter.
Gleichzeitig hat der Vermieterfirma die Miete für ihre viel zu kleine schäbige Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung auf 1700 Euro erhöht. Dabei übersteigt schon die bisherige Miete von 1500 Euro das bisherige Gehalt des Vaters. Zwischenzeitlich zahlte sie daher die Wohngeldkasse (den zehnseitigen komplizierten Antrag nebst zahllosen Unterlagen habe ich für sie gestellt, weil den selbst ein Deutscher kaum versteht). Nun zahlt wieder das Jobcenter. Beiden Behörden ist der offenkundige Mietwucher offenkundig egal – schließlich kommen dafür ja die Steuerzahler auf.
Bezahlbare Wohnung? „Vergessen Sie’s“
Eine andere, bezahlbare Wohnung für die Familie zu finden ist aussichtlos. Ich habe es überall versucht – vergebens. „Ich würde ja gerne helfen“, sagte mir ein netter Makler. „Aber wenn ich den Vermietern sage: vier Kinder, und dann auch noch Araber – vergessen Sie’s.“ Angeschriebene Vermieter antworteten gar nicht erst. Nun habe ich mich an den Mieterverein gewandt wegen des Mietwuchers. Ob der helfen wird?
Dem neunjährigen Malik verweigert seine Lehrerin eine Empfehlung für Gymnasium, obwohl er nach meinem Eindruck ein sehr kluges Kerlchen ist, weil seine Deutschkenntnisse angeblich nicht ausreichen. Vom Deutsch-Förderkurs hat sie ihn aber wieder ausgeschlossen, da die Plätze für ukrainische und andere Kinder benötigt würden, die gar kein Deutsch sprechen. Also gebe ich ihm nun Nachhilfe.
Kaum zu schaffen
Der Vater und die vier Kinder sind seit kurzem eingebürgert; er zeigte mir stolz die deutschen Papiere. Die Mutter nicht, weil sie wegen der kleinen Kinder noch keinen Sprach- und Integrationskurs machen konnte. Daher droht ihr möglicherweise die Abschiebung, falls eine neue CDU-geführte Regierung nach der Neuwahl tatsächlich ihre Ankündigungen wahrmachen sollte. Also werde ich nun schauen, dass sie einen Platz in einem solchen Kurs bekommt, falls der Kindergarten der beiden Kleinen nicht mal wieder geschlossen hat…
Die Liste ließe sich beliebig verlängern, immer kommt Neues dazu. Und Nein, das ist kein Sonderfall sondern eher die Regel im angeblichen „Willkommensland“. Das kenne ich auch aus eigener Erfahrung.
„Wir schaffen das“, sagte die frühere Kanzlerin. Wirklich? Viele Helfer sind wie ich längst tief frustriert. Vielleicht wäre es besser, die Familie ginge tatsächlich zurück nach Syrien. Viel chaotischer und bürokratischer kann es dort auch nicht sein. Und vielleicht sollte Frau Merkel wenigstens die Hälfte ihrer Millionen-Einnahmen aus ihrer Biografie stiften, damit die Millionen Flüchtlinge, die sie ins Land ließ, es tatsächlich schaffen, hier irgendwann anzukommen.
Ludwig Greven ist freier Journalist + Autor und Christenmensch. Er kümmert sich auch um Kriegsvertriebene aus der Ukraine und seit Jahren um einen Flüchtling aus Eritrea.