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TV-Wahlduelle: Von Dick- und Dünnhäutern

Habeck, Weidel und sicher auch Wagenknecht fühlen sich diskriminiert, weil sie vor der Neuwahl nicht mit Merz und Scholz im Fernsehen darum streiten dürfen, wer von ihnen der oder die bessere Kanzler/in wäre. Sie sollten sich nicht so haben: TV-Du-, Tri- oder Quintelle haben ihre Bedeutung, werden aber in TikTok-Zeiten gnadenlos überschätzt.

Ich erinnere mich gerne an lustige Elefantenrunden vor und nach Bundestagswahlen in den 1970er und 80er Jahren mit dem dicksten Dickhäuter von allen, Helmut Kohl, gegern Willy Brandt, Helmut Schmidt-Schnauze, Hans-Dietrich Genscher und Franz Josef Strauß. Damals durfte im Fernsehstudio noch gequalmt werden. Kohl paffte aus seiner Pfeife und auch sonst, Brandt und Schmidt quarzten Zigaretten und knurrten. Strauß wurde einmal ziemlich angetrunken zugeschaltet und lallte. Vor allem aber wurden Studio und Zuschauer mit Worten vernebelt – nicht anders als heute.

In anderer Weise legendär ist die Elefantenrunde nach der Neuwahl 2005. Adrenalin-besoffen, weil er aus schier aussichtsloser Lage fast noch gewonnen hätte, schleuderte Schröder Merkel vergebens entgegen: „Sie werden niemals Kanzlerin!“ Der Rest ist bekannt.

Daran gemessen versprechen die nun anberaumten beiden TV-Duelle von Merz und Scholz begrenzten Unterhaltungswert. Was sie sagen werden, ist weitgehend erwartbar. „Tüddelkram“, könnte man mit dem gebürtigen Osnabrücker und späteren Wahlhamburger Ex-Bürgermeister sagen. Schon allein deshalb sollten die übrigen K-Kandidatinnen bzw. der Kandidat „für die Menschen“ nicht dünnhäutig reagieren, dass sie nicht dabei sein sollen. Schließlich werden sie auch so genügend Gelegenheiten haben, ihre Botschaften unters Wahlvolk zu bringen. Wagenknecht als TV-Dauerwahlwerbesenderin sowieso.

Höhe- und Tiefpunkte

Immerhin 20 Prozent der Bürger und Bürgerinnen machen ihre Wahlentscheidung allerdings immer noch von den TV-Duellen (oder -Triellen wie 2021) abhängig, erfuhr ich von einem Politologen und Wahlforscher im Radio. Erstaunlich viele in Zeiten der social-Media-Verdummung. Deshalb hat es wohl durchaus seine Berechtigung, dass ARD/ZDF und RTL auch diesmal die beiden aussichtsreichsten Bewerber zweimal auf einander loslassen wollen. Genauso, dass die anderen K-Kandidaten nicht dazu geladen werden sollen (falls Karlsruhe nicht einschreitet). Denn auch Baerbock hatte vor drei Jahren trotz des zeitweiligen Hypes um sie im Grunde keine realistische Chance, tatsächlich Kanzlerin zu werden. So wenig wie Habeck und die anderen diesmal.

(Dass Lindner darauf verzichtet, sich auch noch zum KK aufzumendeln, ist mehr als berechtigt. Schließlich kämpft seine FDP darum, am 23. Februar nicht ihren erneuten APO-Day zu erleben und in offener Wahlschlacht final unterzugehen. Höhere Ambitionen kann er sich abschminken.)

Für gemeine Wähler wie mich, der ich nicht Glotze schaue und den Talkshows genannten Quasselrunden schon lange aus dem Weg gehe, wird es Live-Ticker im Internet in den einschlägigen klassischen und sozialen Medien geben. Und Zusammenfassungen der wichtigsten Höhe- und Tiefpunkte. Auch von den TV-Runden der Vizekanzler- und sonstigen Bewerber. Das sollte reichen. Mir jedenfalls.

Ludwig Greven ist freier Journalist und Autor. Als politischer Reporter für diverse Medien hat er zahllose Wahlkämpfe und Wahlabende begleitet und durchlitten.

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