Oder: Als ich mit Wladimir Wladimirowitsch ein Gläschen leerte und mit Stasi-Hauptmann Matthias Warnig ein Schnittchen aß.
„Ihre Eisen bitte!“ sagt der bullige Türsteher. Und ich stehe ratlos in diesem Juli des Jahres 1993 in St. Petersburg vor dem neu eröffneten BMW-Autohaus. Ich verstehe wirklich nicht, was er meint. Bis mir meine russische Kollegin auf Deutsch zukichert: „Du sollst ihm Dein Schießeisen abgeben!“
Aber ich habe gar keins.
Ich bin Rechtsreferendar im „Haus der Deutschen Wirtschaft“ auf der St. Petersburger Wassili-Insel. Ich leiste eine Ausbildungsstation, die „Wahlstation“ ab (Zeugnis im Bild unten).
Russland habe ich gewählt. Die deutsche Botschaft in Moskau und das deutsche Konsulat in St. Petersburg wollten keine Auszubildenden nehmen. Zu unsicher sei die Lage. Zu viele laufen in der Stadt mit einer Knarre rum.
Ich solle beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag nachfragen, hatten sie gesagt. Dieser habe ein Büro seit 1991 in Russland. In St. Petersburg. Das liegt nämlich nur 150 km Autostraße von der finnischen Grenze entfernt. Und in Finnland endet und beginnt aller europäischer Komfort. Post und Telefax funktioniert dort, was man für das Russland des Jahres 1993 nicht sagen kann.
Jeden Tag fährt der Kurier von St. Petersburg nach Lappeenranta, zum Postfach.
Der Chef des russischen Büros des Industrie- und Handelskammertages, Herr Mankowski, ist ein ausgezeichneter IHK-Funktionär. Zuletzt war er für die deutsche Wirtschaft in Saudi-Arabien, in Riad. Er spricht kein Wort russisch.
Das machte für ihn Herr Schubert, ein DDR-Ökonom aus dem DDR-Außenhandelsministerium, der schon für die DDR in dem Haus gearbeitet hatte. Das Haus war mal das Konsulat der DDR, erzählt er mir. Die Bonner Republik hat es geschluckt am 3. Oktober 1990. Mit allem lebenden Inventar.
Herr Schubert kennt die St. Petersburger Größen alle noch aus Vorwendezeiten.
Gospodin Schubert ist UNVERZICHTBAR.
„Ihre Eisen bitte!“ sagt der bullige Türsteher. Dann durchsucht er alle meine Taschen.
Drinnen im Raum sagt mir Herr Mankowski, dass der St. Petersburger Wirtschaftsbürgermeister auch da sei und der dort vorne sei der russische Wirtschaftsminister.
1993 – Rußland, Du armes Elend.
Die Eröffnung eines gewöhnlichen BMW-Autohauses ist ein solches Wirtschaftsereignis, dass der Minister aus Moskau einfliegt.
Er spricht einen Toast aus und erhebt sein Glas, erst dann darf der Wirtschaftsbürgermeister sprechen und auch sein Glas erheben.
Irgendwo im Raum muß auch Stasi-Hauptmann Matthias Warnig sein. Der hatte mal „in Düsseldorf für die Stasi spioniert“. Das werden später die deutschen Zeitungen über den dann Geschäftsführer von Nordstream 2 schreiben.
Genauer gesagt war Warnig in der Wirtschaftsspionage des Ministeriums für Staatssicherheit und leuchtete die Dresdner Bank aus. Deren Vorstand hatte dann Warnig 1991 gefragt, ob er nicht FÜR die Dresdner Bank arbeiten wolle. Warnig hatte kaum berufliche Alternativen, als er sich von dieser nach St. Petersburg schicken ließ.
Rußlandgeschäft – das wollen sowieso nur die Harten machen. Man braucht dafür ein „Eisen“unterm Jackett.
Das Verhältnis zwischen Warnig und dem Bankvorstand der Dresdner Bank muß so ähnlich sein wie das zwischen Schubert und Mankowski.
Noch mehr DDR-Wirtschaftsleute sind im Empfangsraum des neuen BMW-Autohauses. Westdeutsche Firmenchefs können nämlich kein Russisch und haben die deshalb angeheuert. Sind es westdeutsche Firmen ?
– Carl Zeiß Jena stattet die städtischen Kliniken in St. Petersburg aus. Die Bundesregierung wird mit einer Hermes-Bürgschaft bei einem Zahlungsausfall der Stadtoberen einstehen.
– Waggonbau Ammendorf verkauft Waggons für die russische Eisenbahn. Die Bundesregierung hat auch hier mit einer Hermes-Bürgschaft geholfen.
– Ein Stahlwerk aus Frankfurt/Oder verkauft Röhren. … Hermes-Bürgschaft …
Das kommt als Entwicklungshilfe in der russischen Öffentlichkeit gut an.
Ist aber auch eine Arbeitsbeschaffungsmassnahme für ostdeutsche Unternehmen. Die Regierung Kohl wird noch mehr Probleme haben, wenn die alle arbeitslos sind.
Ja, so ist das im Juli 1993 in St. Petersburg im neu eröffneten BMW-Autohaus.
Und der unscheinbare Wirtschaftsbürgermeister dort vorn heißt Wladimir Wladimirowitsch Putin.
BIN ICH IN PUTINS SPINNENNETZ?
Alten Stasi-Seilschaften ?
Geheimen Verbindungen ?
Unsinn, die Geschichte ist VIEL komplizierter.