avatar

Das Jagger-Richards-Songbuch (16): The Singer Not the Song

Mein alter Freund Paul Badde schrieb im Vorwort zu „Ohne Filter„, der Autobiographie von Bernie Conrads, dieser Song sei „Stuss“. Das hat meinen berüchtigten Widerspruchsgeist provoziert; außerdem habe ich, ohne je besonders auf den Text zu achten, diesen Song immer geliebt und schon als 15-Jähriger mit meiner Schulband gesungen.

„The Singer Not the Song“ gehört zu einer ganzen Reihe melodieseliger Pop-Songs, die Keith Richards und Mick Jagger zwischen 1963 und 1966 komponierten, als ihr genialisch-verrückter Manager Andrew Loog Oldham das Duo als Konkurrenz zu John Lennon und Paul McCartney aufbauen wollten. Ich denke an „That Girl Belongs to Yesterday“ für Gene Pitney, „As Tears Go By“ (einen Gegenentwurf zu „Yesterday“) für Marianne Faithfull, „Out of Time“ für Chris Farlowe, „Take It Or Leave It“ (von The Searchers gecovert), aber auch „Tell Me“, „I’m Free“, „Blue Turns to Grey“, „Lady Jane“ und manche andere.

In der Regel lassen Jagger und Richards bei ihren Kompositionen die „Bridge“ weg, also jenen Teil des Songs, der durch eine Veränderung der Akkordfolge für melodische Abwechslung, manchmal auch für einen Stimmungswechsel sorgt, bei den Beatles etwa das „I love you, I love you, I love you“ bei „Michelle“ oder „Life is very short“ usw. bei „We Can Work It Out“, wo Lennons herbere Melodieführung McCartneys Neigung zu Süßlichkeit konterkariert. Jagger und Richards begnügen sich meistens mit Vers und Refrain, und das ist schade. Keine Ahnung, warum sie sich nicht mehr Mühe gegeben haben. Bei „That Girl Belongs To Yesterday“ haben sie eine sehr schöne Bridge eingebaut. Am Können liegt es also nicht. Und Kunst kommt von Können.

Was man nicht nur an der Melodie von „The Singer Not the Song“ sehen kann. Der Song ist nämlich auch textlich – und vor allem darum geht es mir bei diesen Lied-Exegesen – durchaus kunstvoll:

Everywhere you want I always go
I always give in because, babe, you know
You just say so, cause you give me that feeling inside
That I know I must be right
It′s the singer, not the song

It’s not the way you give in willingly
Others do it without thrilling me
Giving me that, same old, feeling inside
That I know I must be right
It′s the singer, not the song

The same old places and the same old songs
We’ve been going there for much too long
There’s something wrong and it gives me that feeling inside
That I know I must be right
It′s the singer, not the song

Mit dem Titel hätte man vielleicht mehr anfangen können; er ist einem britischen Western (ja, sowas gab’s) mit Dirk Bogarde und John Mills von 1961 entlehnt; dort geht es um die latent homoerotische Beziehung zwischen einem katholischen Priester und seinem Todfeind, einem mexikanischen Banditen. Der Titel ist in dem Zusammenhang insofern merkwürdig, als für die Kirche der Satz nicht gilt. Wie Graham Greene 1940 in seinem ebenfalls in Mexiko spielenden Roman „The Power and the Glory“ eindrücklich beschrieb, kommt es eben nicht darauf an, wer die Liturgie der Messe singt, solange er als Priester geweiht ist. Das Persönliche, die Fehler und Verfehlungen des Priesters treten hinter der heiligen Handlung zurück. It’s the song, not the singer.

Bevor wir aber auf diesen Gedanken zurückkommen, muss angemerkt werden, dass der Song – abgesehen vom Fehlen der Bridge – handwerklich gut gemacht ist. Da ist immer dieser Dreifach-Reim: willingly – thrilling me – giving me; always go – baby you know – just say so; same old songs – much too long – something wrong: das ist schon raffiniert. Und „willingly – thrilling me“ ist sogar mehr als nur raffiniert.

Und auf der Ebene, die der Song behandelt, ist die Aussage auch inhaltlich richtig: Der „same old song“ des Sex ist nicht mit jeder Frau (oder jedem Mann, OK?) gleich, gibt einem eben nicht das „same old feeling inside“. Und auch jenseits dieser Ebene: dieselbe Melodie, derselbe Text, gesungen von jemandem, der den Song nicht zum Leben erwecken kann, sind Schall und Rauch, wie denn Paulus sagt, dass wer der Liebe nicht hätte auch mit Engelszungen nichts zuwege bringt. (Ich zitiere aus dem Gedächtnis, man verzeihe mir die Ungenauigkeit.)

Beispiele? Fast jeder Versuch, Dylan zu covern. Ausnahmen gibt es, aber sie bestätigen die Regel. Dylan wiederum schreibt in seiner Philosophie des modernen Songs, dass Bobby Darin, früher einer meiner Lieblingssänger, eigentlich immer neben sich war, und er hat Recht, Darin sang mal wie Sinatra, mal wie Pat Boone, mal wie Dylan, je nach Zeitgeschmack, immer sehr gekonnt, aber er fand nie die eigene Stimme, die Dylan, der seine Stimme so oft wandelte, immer hatte. „If I Were a Carpenter“ ist ein wunderschöner Song, aber es stimmt: man misstraut Darins Stimme, so gekonnt er das auch singt.

Ray Charles, ein großartiger Sänger, dessen „Seven Spanish Angels“ mich zu Tränen rührt, ebenso wie „You Don’t Know Me“ und viele andere Songs, hat „Yesterday“ und „Eleanor Rigby“ völlig verfehlt. Vielleicht, weil er sich „zu viel Mühe gibt“, wie John Lennon irgendwann sagte. Keiner hat „Heartbreak Hotel“ so singen können wie Elvis. Elvis aber konnte mit Little Richards „Tutti Frutti“ nichts anfangen. Paul McCartney wiederum sang „Long Tall Sally“ noch besser als Little Richard, und wie Greil Marcus anmerkt, wird Barrett Strongs „Money“ erst zum Ereignis, wenn John Lennon es singt. „Respect“ ist ein toller Song, und Otis Redding ist ein toller Sänger, aber sie kommen nicht zusammen; Aretha Franklin aber machte aus „Respect“ einen Klassiker (und karikierte sich selbst in dem Film „Blues Brothers“, der Himmel weiß, warum.) Und, und, und.

Es geht nicht um das technische Können, siehe Bobby Darin. Others do it without thrilling me /
Giving me / That same old feeling inside …
Rein technisch mag Mick Jagger kein großartiger Sänger sein. Aber seine Stimme hat eben jenes bestimmte Etwas, um das es in diesem Song auch, vielleicht vor allem geht.

Shares
Folge uns und like uns:
error20
fb-share-icon0
Tweet 384

15 Gedanken zu “Das Jagger-Richards-Songbuch (16): The Singer Not the Song;”

  1. avatar

    APo: ‚Das Persönliche, die Fehler und Verfehlungen des Priesters treten hinter der heiligen Handlung zurück. … nö. Heinrich Heine schreibt dazu; ‚Ich kenne die Weise, ich kenne den Text, Ich kenn‘ auch die Herren Verfasser; Ich weiß, sie tranken heimlich Wein Und predigten öffentlich Wasser.‘

    … schwule katholische Priester gibt es nur in ‚Wokestean‘, nicht in Gottes Welt. ‚It’s the song, not the singer.‘ = ‚Stuss‘ – wie Paul Badde schreibt. Oder?

    1. avatar

      Heine war kein Katholik. Von schwulen Priestern war nirgends die Rede. Dass es sie aber nur in Wokestan gäbe, glauben nicht einmal sie ernsthaft. „Die Verteilung der sexuellen Orientierung unter katholischen Priestern ist bisher nur geschätzt worden. Unklar ist, nach welchem Verfahren diese Schätzungen vorgenommen wurden. Es existieren unterschiedlich hohe Schätzungen verschiedener Theologen, die ohne Angabe ihrer methodischen Vorgehensweise den Anteil auf zwischen 20 und 60 % einschätzen.[75] Für die Römisch-katholische Kirche in den Vereinigten Staaten wird der Anteil der homosexuellen Priester zwischen 25 und 50 % geschätzt.[76][77] Laut einer 2002 veröffentlichten amerikanischen Studie gaben 7 % der befragten Priester, die ihr Amt niederlegten, als Grund an, dass sie sich als Homosexuelle nicht hinreichend verstanden oder unterstützt fühlten, doch stellt der Autor der Studie zugleich fest, dass die Wahrscheinlichkeit, dass homosexuelle Priester ihr Amt niederlegten, deutlich geringer sei als bei heterosexuellen.[78]
      Papst Franziskus erklärte im Juli 2014 auf Fragen von Journalisten, über schwule Priester werde er wegen ihrer sexuellen Orientierung kein Urteil fällen.[79][80]“
      Quelle: Wikipedia, Homosexualität und römisch-katholische Kirche.
      Sie sollten der Taliban beitreten. Dort sind Ihre Moralvorstellungen noch en vogue.

      1. avatar

        O-Ton APo, weiter oben; ‚… dort geht es um die latent homoerotische Beziehung zwischen einem katholischen Priester und seinem Todfeind, …‘ 😉

        … dass Heine Katholik war, habe ich nicht geschrieben.

        … Sie haben nicht verstanden oder wollen den Unterschied zwischen ‚Wokestan‘ und Gottes Welt nicht verstehen.

        Zu Franziskus; … es ist nicht so, dass Gläubige sich allem blindlings zu unterwerfen hätten, was von Franziskus, Overbeck oder der ‚Deutschen Bischofskonferenz‘ (DBK) und anderen kömmt.

        Vielmehr, so der ehemalige Glaubenspräfekt Kardinal Müller, sollen sich Gläubige daran erinnern, dass die kirchliche Hierarchie mit dem Papst an der Spitze verpflichtet ist, allein der Wahrheit Christi zu dienen und niemandem sonst‘. [sic!]

      2. avatar

        Vor allem, lieber Hans, sind wir alle hier jenseits unserer Überzeugungen der deutschen Sprache und der klaren Verständigung verpflichtet. Ihr Verhältnis zum Papst und der katholischen Hierarchie geht mir am Arch vorbei. Ihren Mangel an Demut müssen Sie mit sich und Ihrer Kirche, die – wie die Partei – immer Recht hat, ausmachen. Ich jedoch habe über eine „latent homoerotische Beziehung“ in einem Film gesprochen. Latent homoerotisch heißt nicht „schwul“, und ein Film von 1961 hat mit „Wokestan“ und anderen Schreckbildern der Reaktion nichts zu tun. Latente Homoerotik, so lange sie nicht offen ausgelebt wird, ist nach allen Dokumenten der Kirche bei Priestern nicht verboten, und es wäre auch verlorene Liebesmühe, sie verbieten zu wollen, zumal sie ein Vorbild hat in der Beziehung des Jesus von Nazareth zu Johannes.

    2. avatar

      @Hans
      Wenn „das Persönliche, die Fehler und Verfehlungen des Priesters“ (und sonstiger zur Sakrament-Spende Berechtigter) nicht „hinter der heiligen Handlung“ zurücktreten, handeln Sie sich das Problem ein, dass Sakramente, von der Taufe über das Ehesakrament bis hin zur Eucharistie usw., in Abhängigkeit vom Spender womöglich nicht gültig und nicht wirksam gespendet werden. – Die katholische Kirche, lieber Hans, agiert nicht auf derartig unsicherer Basis..

      1. avatar

        @EJ

        … schön wieder von Ihnen zu ‚hören‘. Wirklich. Haben Sie Ausgang? 😉

        Aber nix für Ungut, ich verstehe was Sie meinen und was wohl auch Realität ist. Prof. May schreibt; ‚was heilig ist, das ist die Gnade und die Wahrheit Gottes. Was reinigungsbedürftig ist, das sind die Menschen als die Adressaten und Verwalter von Gnade und Wahrheit … das Göttliche in der Kirche ist in mancher Hinsicht an das Menschliche gebunden. Das besagt: Es ist an die Einseitigkeit, Unzulänglichkeit und Brüchigkeit des Menschen geknüpft.‘

      2. avatar

        APo: … ich empfehle sehr den Roman von Graham Greene.‘

        … vermutlich meinen Sie Die Kraft und die Herrlichkeit. Ein Roman (wiki), der in weit ausgesponnenen Zusammenhängen das Schicksal eines Einzelnen in der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt schildert. Davon stehen in Bibliotheken zig-tausende. Meine Frau ‚rennt‘ mindestens einmal die Woche zur ‚Büchersäule‘. Nix für mich. Romane bringen mich nicht weiter. Romane stehlen mir Zeit. Das ist keine Abwertung, schon gar nicht Graham Greene gegenüber.

      3. avatar

        APo,

        … das ist so; der Vatikan, Greene und andere diskutieren über einen Roman. Nicht zu fassen das ist. Und Sie, APo, staunen, das mir Romane oder anders geschrieben, das sattsam aufgedrängte ‚We Will Entertain You‘ schlichtweg auf den Keks geht. Ich habe im bisherigen Leben noch nie Langeweile gehabt. Selbst wenn ich nix tue oder einfach die Natur, an der Ostsee zum Beispiel, genieße, dafür brauch ich keinen Roman. Man gerade noch ein Essay. 😉

      4. avatar

        Lieber Hans, der Vatikan diskutierte über den Roman, weil wichtige Kirchenleute wussten und wissen, dass große Romane nichts zu tun haben mit „We will entertain you“ (gegen das Sie bei der Popmusik nichts einzuwenden haben), sondern Einblicke in die conditio humana ermöglichen, die nur durch große Kunst möglich sind. Ob’s in Ihr Weltbild passt oder nicht: „Sonnenfinsternis“ von Arthur Koestler etwa hat vermutlich mehr Menschen vor dem Totalitarismus gerettet als alle Pamphlete oder Analysen kommunistischer Herrschaft. Graham Greene ist ein großer katholischer Schriftsteller, und der Vatikan beschloss, seinen Roman nicht zu verurteilen, und das wüssten Sie, wenn Sie weniger selbstgerecht wären und den Artikel tatsächlich gelesen hätten, weil dem späteren Papst Paul VI klar war, dass Greene viele wichtige Menschen – er nahm ausdrücklich jene aus, deren Intellekt nicht dafür reichte, den Roman zu begreifen – für die Position Roms zu gewinnen. Aber wenn Sie sich dieses intellektuelle und moralische Vergnügen sparen wollen, bitte sehr. Es ist Ihr Verlust, nicht meiner. Reden Sie mit Ihrem Beichtvater, was er dazu meint.

      5. avatar

        APo: ‚Papst Paul VI klar war, dass Greene viele wichtige Menschen – er nahm ausdrücklich jene aus, deren Intellekt nicht dafür reichte, den Roman zu begreifen – für die Position Roms zu gewinnen.‘

        … ja, womöglich reicht mein Intellekt nicht. Ich beiße auch keine Babys wie andere ‚intellektuelle‘ Katholiken es am Halloween, ‚Hell will win‘, tun.

        Paul VI. scheint das geahnt zu haben. ‚Wir haben das Gefühl, dass durch irgendeinen Spalt der Rauch des Satans in den Tempel Gottes eingedrungen ist (…).‘

        … und zu letzt noch einmal; über einen Roman, der in weit ausgesponnenen Zusammenhängen das Schicksal eines Einzelnen in der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt schildert, kann man/frau nicht diskutieren. Bestenfalls palavern, ob der Plot, wem auch immer, in den Kram passt. Oder?

      6. avatar

        Der Roman „Die Kraft und die Herrlichkeit“ beschreibt laut Wikipedia „den blutigen Kampf eines jungen revolutionären Offiziers in Lateinamerika gegen einen der letzten Arme-Leute-Priester der katholischen Kirche auf dem Land.
        Der Roman lässt zwei konträre Sinngebungsansätze aufeinanderprallen, einen im weitesten Sinne sozialistischen und einen religiös-transzendenten.“
        Das Thema mag Sie nicht interessieren; es interessierte den Vatikan brennend.
        Es ist nicht meine Aufgabe, mich mit Ihnen darüber zu unterhalten, warum Sie die Rolling Stones gut finden, sich aber nicht mit dem bedeutendsten katholischen Schriftsteller der letzten 100 Jahre auseinandersetzen mögen. Machen Sie das mit Ihrem Beichtvater oder einem Priester Ihres Vertrauens aus.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Shares
Scroll To Top