Früher gab es – hach! Ich liebe es, wenn ein Text so anfängt, Opa erzählt vom Krieg – früher gab es eine Kabarett-Truppe in West-Berlin, sie nannte sich „Zwei Drittel“. Und das wirklich Besondere an dieser Truppe war, dass sie sich nicht die regierende SPD oder CDU (in West-Berlin: same difference) vornahm, sondern ihr eigenes Publikum, die Linke, Spontis und Revis, WGs und Kommunen, Ex-Maoisten und Noch-Trotzkisten. Ja, es gab eine Zeit, da konnten die Guten über sich selbst lachen.
Die Truppe veranstaltete auch im Mehringhof, so ein „alternativer“ Veranstaltungsort, immer einen Jahresrückblick. Der wurde mit der Zeit zusammen mit dem Publikum immer gemütlicher. Die Referendare von einst waren nun Studienräte, die Maoisten via die Grünen zu Stadträten avanciert, man hatte Kinder und Ärger mit der Bürokratie wie andere Leute auch, und fand sich plötzlich gar nicht mehr so komisch. Nur einer blieb zornig, und das war Manfred Maurenbrecher, der es irgendwie nicht schaffte, ein Reinhard May oder Herbert Grönemeyer und schon gar nicht ein Rio Reiser zu werden und vielleicht deshalb schärfer als andere sah, was da in Kreuzberg vor sich ging.
Ich wähle diesen Einstieg, weil ich am 27. Dezember zum ersten Mal seit bestimmt 15, gefühlt 25 Jahren, wieder zum Jahresrückblick in den Mehringhof gehe. Hauptsächlich, weil Freunde die Idee hatten, und ich die Idee nett finde, mit Freunden etwas zu unternehmen; aber auch, weil ich Manfred Maurenbrecher wieder seine Lieder ins Mikrofon nuscheln hören will. „Menschen machen Fehler“ heißt sein letztes Album, und darauf fand ich dieses schöne Stück Nostalgie:
LITFASSSÄULE
Wer dich erfunden hat, musste gemütlich sein,
rund und verträglich sein, ein Freund der Nachbarschaft,
dacht’ ich als Kind.
Schon, dass er Litfaß hieß und uns dich nutzen ließ,
du dicke Säule, auf der all das stand,
was unsere Neugier stach,
weil wir so sind –
Oma suchte Filme mit Ruth Leuwerik,
Opa fand den Tanztee im Kempinski schick,
für Mama war der Tag der Offenen Gärten da,
Papa traf Carl Orff in der Urania,
und all das hatten wir von den Plakaten,
um deinen runden Leib geklebt, Namen und Daten,
ein bisschen Werbung zwischendrin, leise und bunt,
unsere Litfaßsäule, der dezente Informant –
jedes Ding hat seine Stunde,
jede Erfindung auf der Welt dreht ihre Runde.
Lange sah ich dich als Teil Erwachsenenwelt,
nichts wirklich Heißes, nichts, was, wenn es wegfällt, fehlt,
doch irgendwann auf dir war ein Plakat der Kinks,
da dachte ich zum ersten Mal: Das ist auch meins, dies Dings,
dies runde Etwas, Werbeobelisk getauft,
und dachte gleichzeitig: Die Kinks auf einer Litfaßsäule?
Jetzt ha’m sie sich verkauft.
Irgendwann bei dir gab’s einen Vorabendkuss,
Riesenriesenrad im Bauch, dann gleich schon wieder Schluss,
da stand ich neben dir allein, Kassettenspieler laut wie’n Schock,
’ne Bravo cool im Hosenbund, Tretroller aufgebockt –
hätt’ mich damals wer gefragt,
was von den Dingen denn noch da sein würd’ in 60 Jahren,
hätt’ ich gesagt: die Säule und das Deck bestimmt, die Illustrierte höchstwahrscheinlich –
nur so’n Roller: wird später irgendwer sowas noch fahren?
Jedes Ding hat seine Stunde,
jede Erfindung auf der Welt dreht ihre Runde.
Manche auch zwei.
Dann ist etwas weniger Abschiedsschmerz dabei.
Ich wünsch dir gute Zeiten in dem Dingehimmel,
grüß mir das ganze tolle Zeugs im Nostalgiegewimmel,
Wählscheibentelefone, Löschblätter,
btx-Modems, die Kutschen und die Gäule,
du alte schlanke oder dicke, immer elegante,
einst topaktuelle, dunkle oder helle,
ökologisch voll korrekte, immer schicke Litfaßsäule.
Der „Dingehimmel“ ist schön, das Nostalgiegewimmel mit all den Geräten, die man entsorgt – aber heute war ich froh, die Kabelmaus nicht weggeschmissen, sondern nur in den Keller gebracht zu haben, als nämlich mein PC aus mir unerfindlichen Gründen einfach das Bluetooth ausschaltete und meine schicke Bluetooth-Maus nicht weiterwusste: „Jede Erfindung auf der Welt dreht ihre Runde. / Manche auch zwei.“
Menschen machen Fehler, und die Abschaffung der Litfaßsäule war einer. Da sie rund war, sparte sie Platz; man lief einmal herum und wusste, was angesagt war: Das Kino-Programm zum Beispiel hing da. Sehr wichtig, als es noch kein Internet gab. Das Theaterprogramm auch, und Theater war da noch ein Ereignis, oder konnte es sein. Bin gespannt, ob der Jahresrückblick – ich meine, das war ein heftiges Jahr! – ein Ereignis wird. Und freue mich auf Maurenbrecher.
Übrigens habe ich, glaube ich, mein Bluetooth-Problem gelöst.