Ein Gastbeitrag von Barbara Zehnpfennig
- Wer sich als Protestpartei gründet, ist immer in Gefahr, selbst zu dem zu werden, wogegen man protestiert hat: das Establishment, die etablierten Parteien. Dann gilt für einen dasselbe, was man den anderen vorgeworfen hat, nämlich die Entfremdung zwischen Partei und Bevölkerung.
- Die Linke hat immer auf ihre Anti-Haltung zum „System“ gesetzt. Die ist aber nicht der Linken vorbehalten. Sie kann genauso von der extremen Rechten übernommen werden – besonders dann, wenn die Wähler den Eindruck haben, dass die Linke inzwischen selbst Teil des Systems ist. Auf jeden Fall hat diese Partei die verderbliche Wirkung gehabt, den Osten als Gegenpol zum Westen aufzubauen („Stimme des Ostens“). Das ist leider geblieben, auch wenn es nun von anderen übernommen wurde. Man kann sagen: Die Saat ist aufgegangen. Geerntet haben aber jetzt andere.
- Die Diagnose, man habe sich zu sehr auf die hippe und coole Großstadt-Klientel (mit ihren doch eher marginalen Problemen) gestützt, scheint nicht ganz falsch zu sein. Insgesamt scheint keine Partei mehr Lust zu haben, sich der „kleinen Leute“ anzunehmen. Die Linke hat die Ängste Vieler im Hinblick auf Überfremdung, Arbeitsplatz-Konkurrenz etc. nicht ernst genommen, weil sie sich auf den schickeren Pro-Migrationskurs festgelegt hat. Dabei geht es gar nicht darum, ob die Ängste berechtigt sind. Sie sind vorhanden, und darauf muss man reagieren.
- Schwierig ist auch der Spagat zwischen Ost und West. Die Partei hat ja immer die Unterschiede betont und die Spaltung damit auf Dauer gestellt. Wenn sie nun mit bestimmten Themen im Westen Erfolg hat, z. B. Migration, schadet ihr das aber im Osten und umgekehrt (s. Sarah Wagenknecht mit ihrem z. T. nationalen oder nationalistischen Kurs). Man kann nicht gesamtdeutsche Partei sein wollen und zugleich immer wieder die West- Ost-Differenz betonen und die entsprechenden Ressentiments großzüchten.
- Was die Wähler sicher auch abgestoßen hat, ist der innerparteiliche Zwist und der herabwürdigende Umgang der Funktionäre miteinander. Es ist für den Wähler nie attraktiv, wenn er den Eindruck haben muss, die Partei ist mehr mit sich selbst als mit der Lösung von Problemen beschäftigt.
- Viele ehemalige Wähler sterben der Linken auch einfach weg: in Sachsen und Brandenburg offenbar ca. 50 000. Und neue Wähler zu gewinnen, ist der Linken nicht gelungen.
- Die Erklärung, dass Regierungsbeteiligung immer etwas sei, was einer Partei (zumindest der kleineren) schade (Dietmar Bartsch), ist merkwürdig: Immerhin hat man in der Regierung ja die Möglichkeit zu zeigen, was man kann. Außerdem war die Linke in Sachsen nicht an der Regierung beteiligt und hat trotzdem enorm an Stimmen verloren.
- Dass Bodo Ramelow solchen Erfolg hat, liegt vielleicht daran, dass er pragmatische Politik betreibt und den Leuten nicht so sehr das Gefühl vermittelt, sich von ihnen zu entfernen.
- Die ideologischen Hardliner („Kommunistische Plattform“ etc.) gibt es in der Partei auch noch, aber trotz aller Ostalgie wollen die meisten Leute die Lebensverhältnisse der DDR bestimmt nicht wiederhaben. Insofern ist die Anhängerschaft dieser Radikalen wahrscheinlich auch nicht mehr so groß – sie ist eher noch unter den Älteren zu finden, die als Kader etc. vom System der DDR profitierten.
Barbara Zehnpfennig ist Politikwissenschaftlerin. Seit 1999 hat sie eine Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Passau. 2017 wurde sie zum Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ernannt.
Lektüretipp: Hitlers Mein Kampf. Eine Interpretation. Fink, München 2000,
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Vorab, Ihre Thesen finde ich hochinteressant! Besonders die zweite. Nun zur These drei:
Sie schreiben: „Die Diagnose, man (die Linkspartei) habe sich zu sehr auf die hippe und coole Großstadt-Klientel (mit ihren doch eher marginalen Problemen) gestützt, scheint nicht ganz falsch zu sein. Insgesamt scheint keine Partei mehr Lust zu haben, sich der „kleinen Leute“ anzunehmen.“ Sie sind sich nicht ganz sicher. Ich auch nicht. Aber:
Sahra Wagenknecht (https://www.tagesspiegel.de/politik/wahlen-in-brandenburg-und-sachsen-wagenknecht-gibt-linke-mitschuld-an-erfolgen-der-afd/24973586.html) und auch Benedikt Kaiser, ein Vertreter der Neuen Rechten (https://sezession.de/61556/notizen-zur-wahl-in-brandenburg), sehen das auch so; vielleicht deshalb, weil beide sich die soge. „links-grünen kosmopolitischen liberalen Eliten“ als politischen Hautgegner auserkoren haben. Es gibt Umfragen zur Linkspartei, die scheinen Ihrer zweiten These punktuell zu widersprechen. „Wer wählte die Linkspartei – und warum? Welches Image hat die Partei?“ Hier kommt die Linkspartei beim Thema soziale Sicherheit ganz gut weg. (https://wahl.tagesschau.de/wahlen/2019-09-01-LT-DE-BB/umfrage-linkspartei.shtml) Der Tenor ist: die Linke habe sich zwar um soziale Gerechtigkeit sehr bemüht, sich auch um die Leute vor Ort sehr gekümmert, aber nichts durchsetzen können. Auch habe sie keine neuen Ideen und sich zu sehr um Flüchtlinge bemüht. Die soziale Frage scheint den Afd-Wählern nicht so auf den Nägeln zu brennen, wie Zuwanderung, innere Sicherheit, Asyl- und Flüchtlingspolitik, Kriminalitätsbekämpfung; und die AfD spreche aus, was in den andere Parteien nicht gesagt werden dürfe. Die Linke scheint verbraucht. Die AfD löst, wie Sie in These zwei formulieren, die Linke als „Anti-System-Partei“, die Teile Ostedeutschlands als „Gegenpol zum Westen“ aufgebaut hat, ab. Die Linke scheint verbraucht. Die Saat ist aufgegangen. Der linke Populismus wird durch den rechten verdrängt und spaltet das Land, statt Stadt und Land zu vereinen.
Viele Grüße
Ob Ramelow wirklich Erfolg hat, wird sich ja erst bei den Wahlen in Thüringen zeigen.
Außerdem ist Erfolg immer relativ. Die Ministerpräsidenten Woidke und Kretschmer wurden eigentlich abgewählt, werden aber wahrscheinlich ihr Amt behalten können.
Ramelow könnte sein Amt verlieren, auch wenn seine Partei ihr Ergebnis halten könnte.
Und wenn er sein Amt behält durch eine Linke/CDU-Koalition werden das beide Partner bei nachfolgenden Wahlen bitter bereuen.