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1000 Peitschenhiebe als Mahnung

Von Christoph Giesa:

Der deutsche Journalist Constantin Schreiber hat Texte des saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi gesammelt, übersetzen lassen und als Buch herausgegeben („1000 Peitschenhiebe – Weil ich sage, was ich denke“). Nach der Lektüre erkennt man nicht nur, dass Badawi für Gedanken brutal bestraft wird, die hier in Deutschland unspektakulärer Mainstream sind. Vielmehr kann man auch Impulse mitnehmen, die der aktuellen Debatte rund um Flüchtlingsströme und Radikalisierung interessante neue Facetten hinzufügen.

Schon im Vorwort schreibt der Herausgeber:

Raif Badawi hat nicht den Weg gewählt, den Tausende andere junge Araber jedes Jahr wählen, und sich Richtung Westen verabschiedet. Dabei hat er die gleichen Beweggründe wie sie: Die jungen Saudis sind es leid, in Lebensmodelle gedrängt zu werden, die sich kaum mit der Moderne verbinden lassen. Sie wollen sagen, was sie denken; treffen, wen sie wollen; tragen, was sie mögen. Aber für diese Sehnsucht zu kämpfen und zu leiden, das trauen sich die wenigsten – und überlassen damit ihre Heimat denjenigen, die sie noch konservativer, noch strenger, noch rückwärtsgewandter machen wollen.

Darin stecken gleich mehrere Punkte, über die man nachdenken sollte. Zunächst sind die Worte hilfreich, um in der von rechts vergifteten Debatte rund um die derzeit in Deutschland ankommenden Menschen aus aller Herren Länder wieder einen klaren Blick zu bekommen: Die wenigsten kommen hierher, um uns zu „islamisieren“, um uns das autoritäre Denken ihrer Herkunftsländer aufzuzwingen. Ganz im Gegenteil: Sie kommen hierher, weil sie leben möchten, wie es für uns selbstverständlich ist.

Darüber hinaus steckt in dieser Erkenntnis aber auch die Mahnung an uns: So schön es im Einzelfall sein mag, dass gut ausgebildete Menschen in ihrem Streben nach Freiheit und Lebenschancen bei uns landen, so bitter ist das für deren Herkunftsregionen. Wenn Länder und Städte ihre besten Köpfe verlieren, bleiben die zurück, die am ehesten für intolerante Weltbilder empfänglich sind. Der IS, das Regime in Saudi-Arabien, die Taliban in Afghanistan – sie alle können sich nichts mehr wünschen, als das ihre Gegner die Sachen packen und gehen. In Badawis Worten klingt das so:

Meine größte Befürchtung ist, dass die klugen Köpfe der arabischen Welt eines Tages alle auswandern werden, auf der Suche nach frischerer Luft, irgendwohin, weitab von den Schwertern des religiösen Autoritarismus.

Dabei macht Badawi an verschiedenen Stellen im Buch deutlich: Er ist kein antireligiöser Mensch. Er kann zwar mit der Perversion des Islam, unter der er in Saudi-Arabien leidet, überhaupt nichts anfangen. Er bleibt dabei aber Moslem. Und er steht für all diejenigen, die als Muslime unter der Terrorherrschaft autoritärer Islamisten leiden. Auch ein Fakt, an den man sich vor dem Hintergrund pauschalisierender Hassbotschaften aus Pegida, AfD und Co, erinnern sollte, bevor man in deren Chor mit einstimmt. Raif Badawi, hätte er sich für die Flucht entschieden, wäre vor den Islamisten geflohen, um dann in Heidenau, Freital, Dresden und anderswo in Deutschland und Europa mit seinen Peinigern in einen Topf geworfen zu werden und wäre auch hier seines Lebens nicht sicher gewesen. An diesem Gedankenspiel zeigt sich die Unanständigkeit der rechtsradikalen Ausfälle und Übergriffe, die wir derzeit erleben müssen, in ihrer ganzen Pracht.

Aber zurück nach Saudi-Arabien. Ein großer Teil dessen, was Raif Badawi geschrieben hat, wäre in unserer Gesellschaft zustimmungsfähig. Anders gesagt: Er wird dafür bestraft, dass er Dinge geschrieben hat, die wir jeden Tag sagen und schreiben – und ganz selbstverständlich leben. Er hat versucht, „die Mauern der Unwissenheit niederzureißen, die Heiligkeit des Klerus zu brechen, ein wenig Pluralismus zu verbreiten und Respekt vor Werten wie Ausdrucksfreiheit, Frauenrechten und den Rechten von Minderheiten und Mittellosen in Saudi-Arabien.“ Dafür lebt er nun im Gefängnis – zehn Jahre lautet die Strafe. Gemeinsam mit Mördern und Kindervergewaltigern. Es ist diese Botschaft, die die Herrscher von Saudi-Arabien aussenden wollen: Unsere Lebensart, der Liberalismus, der Glaube und unveräußerliche Menschenrechte, ist für sie genauso schlimm, wie wenn jemand mordet oder sich an einem Kind vergeht. Badawi beschreibt die Taktik seiner Unterdrücker so:

Der Großteil der erbitterten Gegner des Liberalismus hat eine Ausgangsidee, die an sich jeden Dialog und alles, was Menschen befreit, ablehnt. Nicht dass jenen Prediger, die mit dem Verstand der Menschen Geschäfte treiben, der Teppich unter den Füßen weggezogen wird! Also strengen sie sich an, immer schön weiter die Vorstellung zu verbreiten, der Liberalismus sei identisch mit moralischem Verfall und Dekadenz.

Auch in diesen Worten erkennt man wieder die geistige Nähe der europäischen Verteidiger des Abendlands und radikaler Islamisten. Am Ende handelt es sich nur um unterschiedliche Spielarten des Totalitarismus (Link: https://starke-meinungen.de/blog/2015/10/21/radikal-ein-roman-wie-ein-drehbuch-fuer-die-derzeitige-eskalation/). Badawi kann mit beiden nichts anfangen, das wird in seinen Zeilen immer wieder deutlich.

Das nur knapp 60 Seiten starke Bändchen überrascht übrigens hin und wieder – und ist deshalb (und weil der Erlös Raif Badawi und seiner Familie zu Gute kommt) wirklich lesenswert. So wird deutlich, dass Badawi trotz der ihm durchaus bewussten allgegenwärtigen Bedrohung ein Mensch mit einem feinsinnigen Humor ist. Und ein Mensch mit einem eigenen Kopf. Auch westliche Liberale dürften nicht alles unterschreiben können, was er schreibt – an der einen oder anderen Stelle klingt es aus unserer Sicht eher konservativ. Das hat allerdings nicht nur damit zu tun, dass Badawi von unseren Diskursen weitgehend abgeschnitten war und ist, sondern auch damit, dass er schlichtweg davon überzeugt ist, dass ein Liberalismus, der in der arabischen Welt erfolgreich sein will, auch eine arabische Handschrift tragen muss. Seine Abneigung gegen die Versuche der USA und ihrer westlichen Verbündeten, den Liberalismus durch Intervention und in der Form, in der sie ihn denken, in den Rest der Welt zu drücken, wird gleich an mehreren Stellen deutlich. Raif Badawi könnte einer der Vordenker dieses neuen, arabischen Liberalismus sein. Wenn man ihn denn ließe.

1000 Peitschenhiebe, selbst wenn sie auf Wochen, gar Monate gestreckt werden, sind ein Todesurteil. Ein besonders grausames noch dazu. Raif Badawis Chance, seine Strafe zu überleben, irgendwann seine Familie wieder zu sehen, vielleicht sogar ein glückliches Leben irgendwo außerhalb Saudi-Arabiens führen zu können, hängt dabei von uns ab. An dem Tag, an dem wir ihn vergessen, ist er dem Tod geweiht. Nur unsere Aufmerksamkeit, nur unser Hinschauen, jeden Freitag, wenn wieder die Entscheidung ansteht, ob er ausgepeitscht wird, oder nicht, garantiert, dass es nicht geschieht. Wir sind Raif Badawis Lebensversicherung, dessen sollten wir uns bewusst sein und entsprechend mit dieser Verantwortung umgehen.

 

Anlässlich der Verleihung des ersten Rauf Badawi Awards für mutige Journalisten an den Marokkaner Ali Anouzla am 13. November auf dem Bundesmedienball in Berlin findet im Vorfeld eine von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und dem betahaus Hamburg organisierte Lesung zu „1000 Peitschenhiebe“ statt. Der Autor dieses Artikels liest am 27. Oktober 2015 im betahaus Hamburg gemeinsam mit Heiko Heinisch. Beginn ist um 19 Uhr.

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3 Gedanken zu “1000 Peitschenhiebe als Mahnung;”

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    Akif Pirincci wird wohl auch bald ausgepeitscht, hier in der BRD, Berufsverbot hat er jetzt schon. Wenn man politischen Terror dokumentieren möchte, braucht man nicht in ferne Länder zeigen, die BRD ist voll davon. Die Schläger- und Mördertruppe Antifa-SA, staatlich hoch alimentiert, ist nur ein Beispiel.

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    Wenn der Liberalismus islamisch geworden ist, hat der Liberalismus gewonnen. Deshalb brauchen wir auch keine Grenzen mehr.
    1000 Peitschenhiebe sind wirklich übertrieben, aber bei dieser Lebensversicherung ein Klacks.

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    „Der Autor dieses Artikels liest am 27. Oktober 2015 im betahaus Hamburg gemeinsam mit Heiko Heinisch. Beginn ist um 19 Uhr.“

    Und im Rhein/Main?

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