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Kritik und Selbstkritik

Aus gegebenem Anlass möchte ich mich heute mit „Kritik und Selbstkritik“ befassen, der kommunistischen Entsprechung der katholischen Beichte. Sie hat in meinem Leben eine nicht unwesentliche Rolle gespielt. Ich war manchmal selbst Gegenstand der Prozedur; oft habe ich ihr bei anderen beigewohnt, zuweilen auch als Ankläger.

Der Ablauf des Kritik-Selbstkritik-Prozesses folgte dabei immer dem gleichen Muster. Ein Genosse hatte – vielleicht durch intern geäußerte Zweifel an der politischen Linie, vielleicht durch „Arbeitsstilschwierigkeiten“ oder das Versagen bei einer bestimmten Aufgabe,  meistens durch eine Kombination aller drei Symptome (Anführungszeichen sind im Verlauf dieses Essays ggf. vom Leser mitzudenken), auf sich aufmerksam gemacht. Die Kritik-Selbstkritik-Sitzung wurde anberaumt; einbestellt wurden neben dem zu kritisierenden Genossen in der Regel die Genossen der entsprechenden Ebene (also bei dem Mitglied einer Uni-Leitung des KSV die anderen Mitglieder der Unileitung) sowie ein Genosse (oder Genossin – die KPD/AO und ihre Massenorganisationen hatten einen hohen Anteil von Mädchen und Frauen in leitender Position) einer höheren Ebene.

Dem zu kritisierenden Genossen (ich bitte um Nachsicht, dass ich fortan nur die männliche Form benutze) wurden kurz die Kritikpunkte vorgehalten; dann wurde er zur Stellungnahme aufgefordert. Erwartet wurde eine vollständige, tief gehende Selbstkritik, das heißt nicht nur die Anerkennung der Tatsache eines Fehlverhaltens, sondern die Aufdeckung der zugrunde liegenden Ursache, die immer die gleiche war: bürgerlicher (oder „kleinbürgerlicher“) Individualismus, daher mangelndes Vertrauen in die Arbeiterklasse und in ihre revolutionäre Vorhut, die proletarische Partei.

Das heißt: Die Klassenherkunft war das Hauptproblem.

Wie Ulrike Meinhof mir einmal sagte: „Tendenziell ist alles, was ein Proletarier macht, richtig, und alles, was ein Kleinbürger macht, falsch.“

Doch bestand der Trick darin, den Prozess der Selbstkritik nicht zu kurz geraten zu lassen. Leugnete der Genosse zunächst, dass sein Problem diese Ursachen hatte – „Es gab kein Papier, deshalb konnte das Flugblatt nicht gedruckt werden“; „Meine Frau war krank, deshalb kam ich nicht zur Zellensitzung“; „Das ZK hatte doch selbst noch vor zwei Wochen genau diese Position vertreten“; „Ich will doch nur verhindern, dass die Partei einen Fehler macht“, „Ich denke, bei uns herrscht der demokratische Zentralismus. Da wird man noch sagen dürfen ….“  usw. usf. – war der Genosse also uneinsichtig, so machte er es den Anklägern leicht. Da ging es nur darum, ihm nach und nach jeden Ausweg zu versperren: „Papier hättest du dort und dort finden können.“ – „Deine Frau hat selbst gesagt, dass deine Anwesenheit nicht nötig war.“ – „Als das ZK diese Position vertrat, waren die Bedingungen andere.“ – „Der schlimmste Fehler, den die Partei machen kann, ist Zwiespalt in den eigenen Reihen zulassen.“ – „Selbstverständlich darfst du sagen, dass … Dir wird ja auch kein Ausschlussverfahren angedroht, sondern Gelegenheit gegeben, deine Meinung zu ändern…“ usw. usf. Sah der Genosse hingegen gleich ein, dass er keine Chance hatte und bekannte seine bürgerliche Abweichung, ging es – was schwieriger war, aber keineswegs unmöglich – darum, ihm nachzuweisen, dass diese Beichte nicht ernst gemeint, nicht wirklich tief gehend, nicht wirklich den klassenmäßigen Kern des Problems erfasst habe.

Das Ende einer solchen Sitzung war so oder so immer die gleiche: Irgendwann brach der Genosse zusammen, oft unter Tränen, war im Grunde bereit, sich vollständig aufzugeben. Ein kathartischer Moment für ihn und seine Peiniger.

Dann ging es darum, ihn wieder aufzubauen und ihn mit Aufgaben zu betrauen, die ihm ermöglichten, das Vertrauen der Partei zurückzugewinnen. Dazu gehörten in der Regel die öffentliche Wiederholung der Selbstkritik vor der nächstniedrigen Ebene, also eine Selbsterniedrigung, oft auch die Abgabe der bisher innegehabten Leitungsfunktion und die Zuarbeit für den Genossen, der ihn ersetzte, und natürlich – wenn einer an der Fülle der Aufgaben gescheitert war – die Übertragung weiterer und schwierigerer Aufgaben. Was der betreffende Genosse in der Regel mit Bravour absolvierte. Wie sagt O’Brien zu Winston Smith? „Ich will dich heil machen.“

In nur wenigen Fällen kam es zu verstockten Reaktionen, zum Abbruch der Sitzung und zum Bruch mit der Organisation.

Grosso modo kann man diese Technik unter die Rubrik Psychoterror subsumieren, wie er von jeder Sekte angewendet wird. Ihr Zweck ist nicht in erster Linie die Brechung des Individuums, die Ersetzung seines Willens durch den Willen des Kollektivs, obwohl das natürlich auch ein Zweck der Prozedur ist. Der gruppendynamische Hauptzweck dieses Mini-Schauprozesses besteht jedoch für den Angeklagten wie für seine Ankläger in der Bestätigung der Weisheit der Partei.

Oft brachte der Zusammenbruch für die Ankläger selbst überraschend eine Fülle von Selbstanklagen hervor, belegt durch Tatsachen, von denen sie bisher keine Ahnung gehabt hatten. So zeigte sich, dass die Leitung das richtige Gespür gehabt hatte, als es diesen Genossen zur Kritik und Selbstkritik aufforderte: „Die Partei, die Partei, die hat immer Recht …“ Brach der Kritisierte hingegen verstockt die Sitzung ab, war das oft unter einer plötzlichen Schimpfkanonade – „Ihr könnt mich mit eurem Marxismus-Leninismus am Arsch lecken! Ihr seid ja doch nur eine aufgeblasene Truppe stalinistischer Wichser!“ – die ja erst recht bewies, wie richtig es gewesen war, dieses konterrevolutionäre Element zur Rede zu stellen: „Die Partei stärkt sich, indem sie sich reinigt.“ (Stalin)

Ur- und Vorbild der Kommunistischen Partei ist natürlich die Katholische Kirche mit ihren Hierarchien für den Klerus und Unterorganisationen für die Laien. Nun ist die Kirche – altersweise und altersmild, erfahren und klug wie sie ist – längst nicht mehr auf derart primitive Mittel angewiesen, wie sie beim kleinen Studentenverein KPD angewendet wurden; und doch kann sie mit ihren verfeinerten und menschlicheren Mitteln ein ähnliches Ergebnis Erzielen.

Joseph Ratzinger, nachmals Papst Benedikt XVI, berichtet in seinen Memoiren von Diskussionen unter seinen Lehrern im Vorfeld der Entscheidung des damaligen Papstes Pius XII, die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel zum verbindlichen Dogma für alle Katholiken zu erklären, was dann 1950 geschah. „Die Antwort unserer Lehrer war streng negativ“, berichtet Ratzinger, ohne zu verraten, wie er zu der Frage stand. Als jedoch ein evangelischer Theologe den Ratzinger-Lehrer Gottlieb Söhngen fragte, was er tun würde, wenn das Dogma dennoch komme; ob er nicht seiner Kirche den Rücken kehren müsse, antwortete Söhngen: „Wenn das Dogma kommt, werde ich mich daran erinnern, dass die Kirche weiser ist als ich, und ihr mehr vertrauen als meiner eigenen Gelehrtheit.“ Eine Haltung, die Ratzinger als vorbildlich hinstellt. („Aus meinem Leben“, S. 66f.; weitere Beispiele siehe Posener, „Der gefährliche Papst“ S.68ff.)

Wie ich schon angedeutet habe, spielte die Selbstkritik in meiner eigenen Karriere bei den Kommunisten eine wichtige Rolle. Ein paar Beispiele:

Kurz nachdem ich 1970 in die Gruppe kooptiert wurde, die mittels „Kampf, Kritik, Umgestaltung“ eine Übernahme der „Roten Zelle Germanistik (Rotzeg)“ als Zelle des zu gründenden Kommunistischen Studentenverbands vorbereiten sollte, bekam ich den Auftrag, im Plenum der Rotzeg ein Referat über den damals tobenden Unabhängigkeitskampf Ost-Pakistans (heute Bangladesch)  zu halten. Anstatt aus der „Peking Rundschau“ zu zitieren, der zufolge die Unabhängigkeitsbewegung eine Marionette Indiens im Auftrag der sozialimperialistischen Sowjetunion war, mit der Chinas Verbündeter Pakistan geschwächt werden sollte, forschte ich im Otto Suhr Institut, las Berichte örtlicher Korrespondenten usw. und  kam zum Ergebnis, dass Antiimperialisten wie wir den Unabhängigkeitskampf Bangladeschs unterstützen müssten. Was ich dann auch sagte, zum Entsetzen meiner Genossen.

Es kam, wie es kommen musste, und beim nächsten Plenum trug ich vor, erstens, warum ich mich geirrt hatte, und zweitens, warum es sich nicht gehört hatte, der mir bekannten Parteilinie zu widersprechen, selbst wenn ich subjektiv davon überzeugt gewesen wäre, nach bestem Wissen und Gewissen geforscht und zu einem richtigen Ergebnis gekommen zu sein. Meine Begründung war ganz genau die des – mir damals natürlich unbekannten – Theologen Söhngen.

Als ich dann bei der Konstituierung des KSV von Rüdiger Safranski als Mitglied der „Zentralen Leitung“ (ZL) vorgeschlagen wurde, kam die Ablehnung der Partei prompt, und zwar mit dem Hinweis auf meine in Sachen Bangladesch bewiesene ideologische Unzuverlässigkeit. Safranski jedoch hob meine vorbildliche Selbstkritik hervor. Und angesichts der breiten Unterstützung für diesen Vorschlag zog die Partei wenn nicht ihre Bedenken, so doch ihr Veto zurück, und ich wurde gewählt.

Leider.

In der Folge habe ich mich – das habe ich schon angedeutet – wie jeder Genosse und jede Genossin an vielen Kritik-Selbstkritik-Diskussionen beteiligt, zuweilen auch als Ankläger.  Ich erinnere mich – und ich denke, das ist verständlich, wenn auch verwerflich – an wenige konkrete Details der Sitzungen, bei denen ich das Wort gegen Genossen führte, dafür relativ genau an die Male, wo ich selbst Opfer der Prozedur war. So wird es den meisten Ex-Genossen gehen, denke ich, und nur so kann ich die selbstgerechte, ja fast empörte Haltung erklären, mit der etwa Rainer Werner über seinen Ausschluss aus den KSV berichtet. Dass er selbst ein gefürchteter Inquisitor sein konnte, daran mag er sich wohl genauso ungern erinnern, wie ich es tue.

Ich versuch’s mal.

Besonders ein Fall ist mir in Erinnerung geblieben. 1976 wurde ich nach Hof geschickt, um als Leiter den schwächelnden Kampfgeist des dortigen, aus Berlin angereisten studentischen Wahlkampfteams zu stärken. Ich führte Frühsport und gemeinsames Frühstücken, gemeinsame Lektüre der Zeitungen, Verdoppelung der Einsätze, auch von Kamikaze-Einsätzen wie der Kundgebung für die deutsche Einheit  an der Mauer im geteilten Dorf Mödlareuth oder Störungen von SPD- und DKP-Veranstaltungen ein – was halt so ein Teamleiter tut, um die Truppe auf Vordermann zu bringen; mit gutem Erfolg. Aber eben auch die Kritik und Selbstkritik. Dabei – und es treibt mir die Schamröte ins Gesicht, wenn ich daran denke – ging es um eine junge Genossin, die ein sehr kleines Kind zuhause in Berlin und Sehnsucht nach ihrem Baby hatte. Sie wollte eine Woche vor Schluss des Wahlkampfs zurück nach Berlin. Bürgerliche Abweichung, klarer Fall: private Emotionen versus proletarische Revolution. Nach der Diskussion – mit Tränen und so weiter – war sie erlöst und heiter und blieb bis zum Schluss mit vollem Einsatz dabei. Ich kann mir das bis heute nicht wirklich erklären, und ich finde es ganz furchtbar. Nicht, weil dem Kind durch diese eine Woche ein bleibender Schaden entstanden wäre, sondern grundsätzlich. Hier bekamen die Ideologie und das Kollektiv Macht über einen menschlichen Ur-Instinkt. Und ich war dabei der Antreiber. Mit bestem Gewissen. Schauderhaft.

Zumal ich es damals eigentlich schon besser wusste.

Ein Jahr zuvor, vielleicht waren es auch zwei Jahre, war ich als Mitglied der ZL und Vorsitzender des Regionalkomitees West-Berlin des KSV nach Köln zitiert worden, um Selbstkritik zu leisten. Es ging um mein Versagen bei der „Bethanien-Kampagne“. Die Partei hatte die Losung ausgegeben, das von der Schließung bedrohte Krankenhaus sollte „von den Massen“ besetzt und dort eine Kinderklinik eingerichtet werden statt des vom Senat geplanten – und bis heute dort residierenden – Künstlerzentrums. Die Massen sollte der KSV mobilisieren. Also ich.

Die universitären Massen hatten aber wenig Interesse an einer Kreuzberger Kinderklinik und empörten sich lieber über die „Isolationsfolter“ gegen die „politischen Häftlinge der RAF“ und den „Justizmord an Holger Meins“. (Es gehört zu den selten angesprochenen Wahrheiten über die 1970er Jahre, dass die RAF an deutschen Universitäten und in den linksliberalen deutschen Medien entschieden populär war.) Der Auftrag, genügend Leute zu mobilisieren, um das von starken Polizeikräften geschützte Bethanien nicht in einer Nacht- und Nebelaktion, sondern im Rahmen einer angekündigten Demonstration zu besetzen, war schlicht und einfach nicht zu erfüllen und wurde wenig später stillschweigend fallen gelassen. Ich hatte jedoch den Fehler gemacht, meine Bedenken gegen die Strategie in einer der wöchentlichen Sitzungen mit der Parteileitung in Berlin zu äußern; die Folge war die Sitzung in Köln.

Da saß also die gesamte Zentrale Leitung im Hinterzimmer einer Kölner Kneipe und forderte Selbstkritik. Dabei saß auch ein Vertreter des ZK. Als ich, um Zeit zu gewinnen, sagte, als Parteimitglied forderte ich zuerst eine Anhörung vor der Partei, sagte die ZK-Vertreterin, meine Mitgliedschaft sei vorübergehend suspendiert worden. Ich weiß noch, wie ich mir eine unwillige Bewunderung nicht verkneifen konnte: Die hatten ihre Hausaufgaben gemacht und an alles gedacht. (Ein ähnliches Gefühl verspürte ich fast vierzig Jahre später, als mir von der Leitung der Achse des Guten Vorwürfe gemacht wurden, auf die ich öffentlich antworten wollte – nur um festzustellen, dass sie mir bereits den Zugang zum Blog gesperrt hatten. Gelernt ist gelernt, dachte ich. Alle Achtung.)

Mir war sofort klar, wie die Sitzung verlaufen würde und ausgehen musste. Mit dem Verlust meiner Ämter, der öffentlichen Selbsterniedrigung und der Verpflichtung, einer neuen Führung bei der weiteren Ausmerzung bürgerlicher Abweichungen zu helfen. Um meine Gedanken zu sammeln, bat ich um eine kleine Pause: ich müsste zur Toilette.

Die Toiletten waren im vorderen Teil der Kneipe. Die Tür stand offen, das Spätsommerlicht strömte von der Straße hinein. Ich dachte: Du kannst einfach aus dieser Tür gehen und hörst nie mehr etwas von diesen Leuten. Du machst dein Examen, baust dir ein bürgerliches Leben auf, bist frei. Und ging nicht hinaus ins Licht, sondern kehrte ins dunkle Hinterzimmer zurück, wo es darum ging, nicht zu schnell und nicht zu langsam Selbstkritik zu üben. Ich durchschaute nämlich den Prozess vollständig. Aber ich blieb dabei. Man kann vielleicht die offene Tür und das Sonnenlicht mit den „Anfechtungen“ vergleichen, von denen Martin Luther spricht. Mir war mein Seelenheil aber wichtiger, und wenn es bedeutete, mich zu Fehlern zu bekennen, die ich nicht als Fehler anerkannte, und mich öffentlich vor Leuten zu erniedrigen, die ich für beschränkt und kleinlich hielt, einschließlich des einen oder anderen damals 150-prozentigen Ex-Lehrers oder Ex-Dozenten, die mich  nun belehren zu können glauben, wie richtige Totalitarismuskritik geht. Die Partei hatte immer Recht… die Kirche ist weiser als ich. Aber das Bild der offenen Tür blieb als ein Versprechen in meinem Gedächtnis haften. Es dauerte jedoch zwei Jahre, bis ich tatsächlich hinaus ins Freie trat.

So war das.

Ach ja, fast hätte ich’s vergessen, der eingangs erwähnte gegebene Anlass: „Posener … verniedlicht die kommunistisch-maoistischen Parteien, indem er sie auf die Funktion von Selbsthilfeorganisation für drogengefährdete Studenten reduziert“, lese ich. Er geht einer „ernsthaften theoretischen Reflexion“ über den Totalitarismus aus dem Weg. Mit einem Wort, er nimmt die Partei nicht ernst. Er nimmt die Theorie nicht ernst. Er hat es versäumt, die Werke des Genossen Stalin Adorno zu zitieren, So weit die ideologische Anklage Rainer Werners.

Aber warum tut er das nicht?

Die Antwort lautet vorerst „Sex und Macht“. Über Sex will sich mein Ankläger nicht auslassen, vermutlich weil er weiß, dass er mich mit dem Vorwurf nicht treffen kann, dafür ist ihm die „Machtausübung“ umso wichtiger, ja der „Vernichtungsfuror“, als dessen potenzielles Opfer sich der gute Rainer bereits sieht: „Ich möchte mir nicht ausmalen, was mit mir geschehen  wäre, hätte diese Partei tatsächlich die Macht im Staate errungen.“ (Du wärst vermutlich nicht ausgetreten, mein Guter, sondern hättest Karriere gemacht: Staatssekretär für Unterrichtsentwicklungsplanung im Erziehungsministerium vielleicht. Oder Bürgermeister von Öhringen.)

Aber woher kommt denn dieser verniedlichte Machthunger, dieser mächtige Vernichtungswille der Führungskader wie Posener und Konsorten gegen Rainer Werner und andere ehrliche Kommunisten? Wir müssen, wenn wir gute Marxisten-Leninisten sein wollen, der klassenmäßigen Grundlage dieses Fehlverhaltens auf die Spur kommen.

„Mir ist aufgefallen, dass in den  K-Gruppen vor allem  Studenten dominierten, die dem  Großbürgertum (teilweise auch dem Adel) entstammten.“

Potztausend!

Und da passt Posener als Enkel großbürgerlicher Eltern, die ausweislich der Erinnerungen seines Vaters nicht einmal arbeiten mussten, sondern von Kuponschneiden lebten – der passt klassenmäßig genau da rein. (OK, seine Familie wurde während der Nazizeit enteignet. Schwamm drüber. Fett schwimmt immer oben.)  Und während die armen quasi-proletarischen gutmütigen Basisarbeiter wie Rainer Werner oder Horst Domdey als Befehlsempfänger fungierten, ohne den klassenmäßig angeborenen Machtwillen der Führungskader, von ihrem Vernichtungsfuror ganz zu schweigen, und ihr ganzes späteres Dasein als schlecht bezahlte Studienräte oder Universitätsdozenten fristen mussten,  haben „die meisten der führenden ‚Genossen’  nach dem Zerfall  der  K-Gruppen  im nachgeholten bürgerlichen Berufsleben häufig  Kommandopositionen in  Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Journalismus erobert.“ Die meisten häufig. Ja, das ist bitter.

„Die Führungskader der K-Gruppen fanden  in allen Lebensphasen  die Position, die ihrer bürgerlichen  Herkunft und ihrem intellektuellen  Anspruch  entsprach.  Dann wäre die  Episode des Marxismus-Leninismus nichts anderes gewesen als ein Trainings- und Fitnessprogramm  großbürgerlicher  Studenten, das sie in die Lage versetzte, die Herrschaft über Menschen zu erproben.“

Was ja Posener immerhin zugibt, schreibt er doch darüber, was er der KPD verdankt. Und lüftet das bis dahin gut gehütete Geheimnis der großbürgerlichen Verschwörung zur „Eroberung der Kommandopositionen“ mittels der „persönlichen Vorteile“, die sie sich als Führungskader verschafft haben. Sozusagen von Kremlkadern zu Wallstreetkadern.

Da haben wir es ihnen gegeben, den herrschsüchtigen Großbürgern, den Lethen und Posener, Semler, Schmid und wie sie alle heißen! Da, da liegt die klassenmäßige Wurzel ihres Unwillens, radikal mit der eigenen Vergangenheit zu brechen! Doch wir, die Verdammten dieser Erde, sozusagen die Proletarier unter den Kadern, die wir eigentlich immer dagegen waren und recht eigentlich die Opfer des Systems, wir verlangen eine tiefgehende Selbstkritik, Tränen, Reue, vielleicht die Aufgabe der „eroberten Kommandopositionen“, die, wenn es mit rechten Dingen zugegangen wäre, nicht den Großbürgern und Adeligen, den Safranski und Schlögel, von Saalfeld und von Plato und wie sie alle heißen, sondern uns gehörten!

Und nun, Genosse Posener? Wie antwortest Du auf die scherwiegenden Vorhaltungen des Genossen Werner?

Au weia.

Das ist Dein letztes Wort?

Nö. Aber fürs Erste soll es genügen. Ich muss mal.

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110 Gedanken zu “Kritik und Selbstkritik;”

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    Leider ist mein Beitrag vom 31.08.2013 auf dem Weg durchs Internet verlorengegangen (worden). Schade. Deshalb auf ein Neues.

    1. Es ist keine Schande, Kommunist (gewesen) zu sein. Richtig. Aber es ist schon ein Unterschied, ob mich das LfV mit meinem bürgerlichen Namen kennt oder die Neo-Nazis meine wahre Identität hier im Internet erfahren. Wenn sich ein ex-Mitglied selbst
    outet, okay. Aber Menschen, die der Öffentlichkeit allenfalls als „links“ bekannt waren, als organisierte Kommunisten zu outen, ist nicht zu akzeptieren.

    Mich hiernach als Feigling zu beschimpfen, weil ich unter einem Pseudonym schreibe, ist weit unter Deinem heutigen Niveau.

    2. „Ich will herausbekommen, wer die V-Leute des Verfassungsschutzes waren, mit deren Aussagen Genossen und Ex-Genossen dann vor den Berufsverbotekommissionen konfrontiert wurden“.

    Ich hoffe, dass Du damit Erfolg hast.

    Da ich selbst nach einer Anhörung (im Gegensatz zu Dir) nicht verbeamtet wurde, würde es mich und viele andere (Leidens-)Genossen auch interessieren, welche ex-Mitglieder auf der Honorarliste des LfV standen.

    3. Verbittert bin ich nicht. Nur verärgert über ehem. Mitglieder, die unsere damals gemeinsamen Ideale verraten haben.

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    Der arme Kurt. Da wurde er zur Umerziehung nach Albanien geschickt und anschließend in eine Zelle gesteckt – äh, pardon, in die AEG-Zelle gesteckt. Aber es hätte ja schlimmer kommen können…

    Siehst Du Kurt, all‘ dieses Leid wäre Dir (und Deiner Psyche) erspart geblieben, wenn Du an diesem schönen Sommertag 1975 zusammen mit den Rechtsopportunisten die MV in Berlin verlassen hättest. Die Tür stand offen.

    Aber Du bist geblieben. Leider.

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    Hm, Erwin, die ehem. Mitglieder findest du alle bei Google. Insofern wäre es unsinnig, sie hier aus falsch verstandener Ganovenehre heraus nicht zu nennen. Im Übrigen ist es keine Schande, Kommunist gewesen zu sein.

    Ansonsten: Meine Rolle in der Bethanienkampagne habe ich wie folgt geschildert: Als Vorsitzender des Regionalkomitees war ich gegenüber der Partei für die Mobilisierung einer ausreichenden Zahl von Genossen zuständig. Daran bin ich gescheitert, das galt als Defätismus, und ich wurde abgelöst und zur Umerziehung nach Albanien geschickt und später in die Betriebszelle AEG gesteckt. Was „die Medizinergenossen“ (als da wären?) dazu zu sagen hätten, weiß ich nicht, aber nur zu. It’s a free country.
    Und wenn du meinen immerhin dreitieiligen Beitrag „Was ich der KPD verdanke“ ein bisschen genauer gelesen hättest, würdest du wissen, dass ich den Grund für mein Ausscheiden genannt habe: Burnout nennt man das heute. Oder erinnerst du das anders? Wie gesagt: Nur heraus mit der Sprache.

    Bin ich ein besserer Mensch geworden? Puh. Älter. Wie ist es mit dir? Du scheinst die alte Taktik der anonymen Diffamierung jedenfalls noch gut zu beherrschen. In dem Zusammenhang muss ich dir von einem Projekt erzählen, das ich gerade betreibe: ich will herausbekommen, wer die V-Leute des Verfassungsschutzes waren, mit deren Aussagen Genossen und Ex-Genossen dann vor den Berufsverbotekommissionen konfrontiert wurden. Bei mir waren es über zwei eng beschriebene Seiten. Ich habe mich immer gefragt, warum manche Leute erst gar nicht vor die Kommission zitiert wurden.

    Lieber Engelhard:
    Nicht dumm gelaufen. Die Partei het eigentlich eine recht kluge Personalpolitik betrieben. Meine ganzen „Titel“ habe ich nur aufgeführt, um mich nicht – wie „Erwin“ und andere Feiglinge – hinter der Behauptung zuurückziehen zu können, ich sei nur ein „kleines Licht“ gewesen. Gerade so, als ob irgendjemand gezwungen worden wäre, mitzumachen; als sei es irgendwie ehrenhafter, Befehlsempfänger zu sein als Befehlsgeber. Wie armselig ist das denn? Du scheinst auch so ein verbitterter Ex-Genosse wie „Erwin“ zu sein. Wogegen richtet sich denn deine Bitternis? Worum geht es dir? Nix geworden im Leben? Dafür kann ich leider auch nichts.

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    Herr Posener schrieb (in verschiedenen Blogs):

    „…Als ich dann bei der Konstituierung des KSV von (…) als Mitglied der „Zentralen Leitung“ (ZL) vorgeschlagen wurde…

    … war ich als Mitglied der ZL und Vorsitzender des Regionalkomitees West-Berlin des KSV nach Köln zitiert worden…

    … schließlich war ich Mitglied der Zentralen Leitung (ZL) des Kommunistischen Studenteverbands und zeitweilig Chef des von mir aufgebauten Kommunistischen Oberschülerverbands….

    … Ich war der erste Chefredakteur der Zeitung des Kommunistischen Studentenverbands, “Dem Volke dienen”….

    Die Massen sollte der KSV mobilisieren. Also ich.

    …und war nie in einer Führungsebene der KPD tätig“ (Posener v. 12. Juli 2013 um 13:44) – langsam dämmert es. Hat doch die Partei offensichtlich Herrn Poseners Talente verkannt und ihn nicht ins ZK oder gar Politbüro kooptiert. „Stattdessen setzte es Kritik im dunklen Hinterzimmer“. Dumm gelaufen.

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    Lieber KJN

    eine etwas verspätere Antwort:

    „Damit wirft er – mit wissenschaftlichem Denken“

    Wollen Sie tatsächlich behaupten dass die Ökonomen
    “ Wissenschaftler “ sind ???

    Selbst Betriebswirtschaftler wie Gutenberg sprach immer von der Betriebswirtschafdtslehre als
    “ Hilfswissenschaft “ !!!

    Und ob wir Menschen tatsächlich Egoisten sind… mag ich bezweifeln.

    Dann hätten wir sicherlich nicht demokratische Gesellschaftsformen etc.

    Und den homo oeconomicus als Denkmodell sollte man doch wohl heute in die Hutschachtel des 18. Jahrhunderts packen 🙂

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    Als ehem. KSV-Mitglied kommen mir die Tränen, wenn Herr Posener alte Partei-Geschichten aufwärmt.

    Nicht lustig finde ich es aber, wenn er es dabei für erforderlich hält, ehem. Mitglieder beim (bürgerlichen) Namen zu nennen. Man mag rückblickend unsere (damals gemeinsame) kommunistische Politik für falsch halten, aber ehem. Mitglieder zu denunzieren ist schändlich!

    „Das Ende einer solchen Sitzung war so oder so immer die gleiche: Irgendwann brach der Genosse zusammen, oft unter Tränen, war im Grunde bereit, sich vollständig aufzugeben. Ein kathartischer Moment für ihn und seine Peiniger.“ So, so. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich nach einer Kritik-Selbstkritik „unter Tränen“ selbst aufgab. Aber ich war ja auch nur einfaches Mitglied.

    Herr Posener, es mag ja sein, dass Sie seit Ihrer Zeit in der Rotzeg, in der OSK und als Agitator im Zentralrat der Westberliner Schüler, als ZL- und Parteimitglied ein besserer Mensch geworden sind. Ich will auch nicht über Ihre einseitige Betrachtung Ihrer so wichtigen Rolle in der Bethanien-Kampagne philosophieren (vielleicht sollten wir mal die ehem. Mediziner-Genossen zu Worte kommen lassen). Oder welchen bedeutsamen Beitrag Sie im Wahlkampf 1976 in Hof geleistet haben (ich gehörte zu dem „aus Berlin angereisten studentischen Wahlkampfteam mit dem schwächelnden Kampfgeist“). Schön wäre es aber, wenn Sie dem interessierten Publikum endlich ‚mal erzählen würden, warum Sie in 1977 wirklich ausgeschieden sind. Es muss ja keine Kritik-Selbstkritik sein!

  7. avatar

    @M.B.
    Danke für Gary Becker. Nitzsche in Reinform. Und was ist falsch an
    „Er kommt zu dem Schluss, „dass die wachsende wirtschaftliche Freiheit der Frauen die Scheidungsraten erhöht und die Fertilität gesenkt“ habe. Zudem sei das Scheidungsrisiko bei wohlhabenden Paaren geringer als bei armen – weil diese (materiell) mehr zu verlieren haben. Umgekehrt „mag sich eine arme Frau durchaus fragen, ob es lohnt, mit jemandem verheiratet zu bleiben, der ein Langzeitarbeitsloser ist“.“
    Damit wirft er – mit wissenschaftlichem Denken (moralfrei) – uns Menschen auf das zurück was wir sind: z.B. Egoisten. Genau das brauchen wir, wo ständig alles durcheinandergeworfen wird. Wir, Sie, ich, entscheiden, ob wir das so wollen/tun oder nicht. Die gibt’s doch, die Willensfreiheit?
    Böse Wissenschaft: Physiologen entzaubern den Menschen biochemisch, Neurobiologen auch irgendwie (habe ich nie vestanden, was die reden) und Ökonomen eben ökonomisch. Dennoch ist die Rose eine Rose eine Rose – wie schon die Scholastiker und Platon(?) meinten. Es ist unser verquastes Verhältnis zu Wissenschaft, die wir irgendwie als Wahrheit missverstehen, das Nietzsche missverstehen lässt. Nach 300 Jahren Aufklärung haben wir immer noch nicht kapiert, worum es dabei geht: Um nicht mehr als um ein Handwerk. Seien es AH und seine allzu weitverzweigte Karrieristengang oder die anderen Weltverbesserer.
    Auch Gary Becker, diemal verträglicher: „So kann Becker schließlich nachweisen, dass Rassendiskriminierung nicht nur den Opfern wirtschaftlich schadet, sondern meist auch den Tätern – und dass die Wahrscheinlichkeit diskriminierenden Verhaltens umso größer ist, je weniger Wettbewerb auf einem Markt herrscht. Wenn etwa ein weißer Unternehmer aus Prinzip keine schwarzen Fachkräfte oder ein männlicher Chef keine qualifizierten Frauen einstellt, geht dies auf lange Sicht zulasten des Betriebs – weil er Humankapital verliert und andere Unternehmen die Leute übernehmen. Becker fand zudem heraus, dass in Märkten mit funktionierendem Wettbewerb die Lohnunterschiede zwischen weißen und schwarzen oder männlichen und weiblichen Arbeitnehmern deutlich geringer sind als bei einer gestörten Konkurrenzsituation.“
    So oder so: Verwechselt man ein logisches Denksystem mit Moral, kommt man zu keinem Ergebnis, sondern wird verrückt oder zum Idioten. Moral und Willensfreiheit lassen sich nicht an ein System deligieren. Und wenn man etwas nicht will, tut man es einfach nicht – egal, was andere sagen. Der homo oekonomikus ist ein berechtigter theoretischer Denkansatz – mehr nicht und der Neoliberalismus enthält keine kein Imperative. Alle anderen Zwischenformen schon eher: Z.B. der Sozialdemokrat Gerhard Schröder: „Es gibt kein Recht auf Faulheit“. Quatsch, wenn ich das Verhungern in Kauf nehme – oder eben vorher viel gearbeitet habe..

  8. avatar

    Lieber Alan Posener,

    Vieelewicht hätte ich doch stärker auf den Unrerschied zwischen Liberalen und Neoliberalen hinweisen sollen.

    Da weichen Sie leider aus 🙂

    P.S. Die Keynes-Debatte mit Ihnen ist mir noch gut un Erinnerung.

    Demzufolge wären Sie in meinen Augen, eine Liberaler und kein Neoliberaler.

    Sie wissen sicherlich besser als ich. dass die Chicago boys die von Pinochet angeheuert wurde.
    Neoliberale der feinsten Sorte waren und sind.

    Und dann gibt es ja auch den Neoliberalen Gary Becker,….

    http://www.wiwo.de/politik/kon.....75968.html

    Und wenn ich Ihre Ausführungen zum Bildungswesen lese, dann vermute ich dass Sie nicht ein Anhänger von Milton Friedman sind.

    In welche Schublade darf ich Sie daher legen:

    Neoliberaler à la von Hayek, Friedman oder gar Ayn Rand

    Liberaler à la Müller-Armack, Ludwig Erhard, etc

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    Was macht uns unzufrieden? – Ansprüche! (anything goes..)
    Jeder hat alle Möglichkeiten, kann alles lernen, bekommt gesagt „Warum machst du nicht mehr aus dir?“
    Eine Überlebensstrategie (Optimierung) pervertiert: Wie Fetteinlagerung an Bauch und Hüfte. Eskapaden einer sterbenden Zivilisation, wie ein Obstbaum, der vor dem Absterben noch mal viel trägt.

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