Wenn Menschen im fortgeschrittenen Alter sich kritisch mit ihren politischen Jugendsünden auseinander setzen wollen, stoßen sie auf Schwierigkeiten. Zum einen hat das Gedächtnis die wohltuende Eigenschaft, negative Erlebnisse aus der Jugendzeit dem Orkus des Vergessens anheim zu geben.
Zum anderen fällt es einem schwer, vom heutigen „aufgeklärten“ Standpunkt aus jugendliche Verirrungen zu ertragen. Nur schwer kann man sich damit abfinden, dass man eine so abwegig-radikale Weltanschauung jemals vertreten hat. Gar unerträglich kann der Gedanke sein, dass man Polizisten durch Steine, die man aus einer Demonstration heraus warf, verletzt hat. Solche unschönen Verhaltensweisen spaltet man deshalb allzu gerne von der eigenen Person ab. Ein probates Mittel der Realitätsverdrängung ist die Fälschung der eigenen Biographie. Eine solche Retusche nahm z. B. der Schriftsteller Peter Schneider in seinem Buch „Rebellion und Wahn“ (2008) vor. Dort schreibt er, bei der Strategiekonferenz des SDS im Jahre 1969 habe er den Gedanken vorgetragen, es komme darauf an, „in die Betriebe [zu] gehen und die Arbeiterklasse [zu] mobilisieren.“ In Wirklichkeit forderte er, wie Tonbandprotokolle jener Sitzung belegen, in einem flammenden Plädoyer, „eine zentralisierte Organisation nach marxistisch-leninistischem Vorbild“ zu gründen. Da ihm diese undemokratische Position heute peinlich ist, verniedlichte er sie nachträglich zu der zitierten harmlosen Buch-Version.
Die beiden grünen „Häuptlinge“ Fischer und Trittin versuchten ihr gewalttätiges Auftreten im Frankfurter Straßenkampf (Fischer) oder an den Zäunen der Atomanlagen von Brokdorf, Kalkar, Grohnde (Trittin) zu vertuschen oder klein zu reden, als sie Minister geworden waren. Die ehemalige stellvertretende Präsidentin des Deutschen Bundestages Antje Vollmer hat ihre maoistische Vergangenheit in der KPD nie öffentlich aufgearbeitet. Stattdessen hat sie in einem SPIEGEL-Gespräch behauptet, sie habe „eine natürliche Immunität gegen Sektierertum“. Man sieht: Mit Chuzpe kommt man weit bei der biographischen Schönfärberei. Gretchen Dutschke, die über den Nachlass ihres Mannes Rudi verfügt, „reinigte“ dessen Tagebuch konsequent um alle Passagen, die ihn als einen gewaltbereiten Revoluzzer erscheinen ließen. Es sollte nicht deutlich werden, dass Rudi Dutschke mit seinem Motto „Propaganda der Tat“ der späteren Roten Armee Fraktion (RAF) das Stichwort für deren „Propaganda der Schüsse“ geliefert hat. Nur der entschiedene intellektuelle Vorkämpfer für Demokratie und Sozialismus sollte im Gedächtnis der Nachwelt erhalten bleiben.
Neben solch offensichtlichen Verfälschungen der jugendlichen Taten gibt es auch Beispiele dafür, wie es ehemaligen Aktivisten bei allem redlichen Bemühen nicht gelingt, ihr damaliges Verhalten auf den Begriff zu bringen. Der Germanist Helmut Lethen, mit dem ich in den späten 1970er Jahren in der Redaktion der Kulturzeitschrift „Berliner Hefte“ saß, hat vor kurzem in einem Buch die Aufarbeitung seiner maoistischen Vergangenheit vorgestellt („Die Suche nach den Handorakel, Ein Bericht“; 2012). Darin geht er der Frage nach, was ihn als Assistenten der Germanistik an der Freien Universität Berlin dazu gebracht hat, sich der maoistischen Kommunistischen Partei Deutschlands anzuschließen. Als einen Grund nennt er die „Handlungslähmung“, die die damals von den Studenten gierig aufgesogene „Kritische Theorie“ von Horkheimer und Adorno ausgelöst habe. Der Eintritt in die Partei erfolgte aus „Furcht, in der Umwelt der Lebensstilexperimente, im Strudel der zerfallenden Bewegung [gemeint ist die Auflösung des SDS und der Roten Zellen], die Fassung zu verlieren, ziellos zu treiben, marginalisiert zu werden.“ Die Partei bewahrte ihn „vor Kollaps und Amoklauf“. In der Kaderpartei – so Lethen – „waren wir von den Phantasmen frei flottierender Sexualität so gut wie sicher.“ Warum musste man sich, um inneren Halt zu gewinnen, einer leninistischen Kaderpartei anschließen? Darauf gibt Lethen leider keine Antwort. Er kann nicht erklären, warum man Stalin, Kim Il Sung und Pol Pot gut finden musste, wenn man sich persönlich stabilisieren und vor dem Abdriften in die Subkultur, Drogen oder Terror bewahren wollte. Ungeklärt bleibt auch die Frage, wie es geschehen konnte, dass nachdenkliche Intellektuelle, die eine kritische Wissenschaft gepflegt hatten, kurz danach kritiklos Diktatoren anhimmeln konnten. Horst Domdey, ein Freund aus der „Berliner Hefte“-Redaktion, hielt Lethen in einer Rezension seines Buches ein treffendes Argument entgegen: „Wir warfen der Elterngeneration Geringschätzung der Republik vor und Hinnahme der Diktatur. Und folgten doch selbst wieder einem Diktaturmodell. […] Die Diktatur des Proletariats hatte damals eine fünfzigjährige Geschichte hinter sich. Das Modell war seit 1917 diskreditiert.“
Eine ähnliche Begründung wie Helmut Lethen liefert Alan Posener in seinem Blog-Beitrag „Was ich der KPD verdanke“ (1-3): „Ich verdanke der KPD […], dass ich von den Drogen und dem Gefühl existenzieller Nichtigkeit losgekommen bin.“ Und: „…dass ich vor Abgründen bewahrt wurde, in die andere schlidderten.“ Verniedlicht man nicht die kommunistisch-maoistischen Parteien, wenn man sie auf die Funktion als Selbsthilfeorganisation für drogengefährdete Studenten reduziert? Auch die Formulierungen „Verbalradikalismus“ und „theatralische Veranstaltung“ in Alan Poseners Artikel legen dies nahe. Ich habe viele Genossen gekannt, die nicht nur „verbal“ radikal waren, die für diese „theatralische Veranstaltung“ ihren Beruf aufgegeben und sich ihrer Familie entfremdet haben. Sie standen nach dem Ende des ML-Spuks vor den Trümmern ihrer Existenz. Auch Selbstmorde hat es gegeben.
Die Erklärungen Lethens und Poseners aus dem Abstand von 40 Jahren muten merkwürdig kleinmütig an, weil sie den intellektuellen Anspruch, den die „Revolutionäre“ damals hatten, weitgehend ausblenden. Damals konnte die politische Agenda nicht grandios genug sein (Unter der Weltrevolution ging nichts!); heute schrumpft der damalige Radikalismus zum sozialarbeiterlichen Engagement in eigener Sache: Rettung aus dem Drogensumpf und vor sexueller Gefährdung. Ist die Tatsache, dass man damals für die „Diktatur des Proletariats“, also für das Gegenteil einer freiheitlichen Demokratie, kämpfte, keine ernsthafte theoretische Reflexion wert?
Was trieb die jungen Menschen um, als sie sich in die Sphäre des Totalitarismus verirrten? Ein Blick ins Lehrbuch der Psychologie kann helfen, die Frage zu beantworten: Sex und Macht – das sind die wichtigsten Antriebe des Menschen, im privaten Leben wie in der Politik. Das Thema Sexualität will ich hier nicht vertiefen. Nur ein Gedanke dazu. Die ML-Bewegung vollzog auch auf diesem Felde einen radikalen Bruch mit der Praxis der antiautoritären Studentenbewegung. Statt Libertinage („Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment.“) waren proletarische Disziplin und Moral angesagt (Feste Beziehung, Ehe). Wichtiger erscheint mir die Untersuchung des Aspektes der Machtausübung. Das „Opiat der Kollektivität“ (Theodor Adorno) wirkt in einer exklusiven Kadertruppe sehr viel intensiver als in einem locker verbundenen Netz rebellischer Individuen. Rigide Disziplin nach innen und strikte Abgrenzung nach außen – nach diesem Strickmuster haben alle Avantgarde-Gruppen in der Geschichte funktioniert, die sich je die Veränderung der Welt durch Aktionismus und Voluntarismus auf ihre Fahnen geschrieben hatten (Jesuiten, Jakobiner, Bolschewiki, Spartakusbund, Stahlhelm). Wie man sieht, sind die Ideologien, die die Gruppen jeweils antrieben, austauschbar. Das gemeinsame Agens ist die Erringung der Macht und die Ausübung von Macht. Der Vernichtungsfuror, mit dem sich diese Gruppen (z.B. die Bolschewiki) echter oder vermeintlicher Gegner in den eigenen Reihen erledigten, bestätigt die Macht-These.
Als ich im Jahre 1974 meinem Kaderverantwortlichen mitteilte, dass ich aus der maoistischen Studentenorganisation „aussteigen“ wolle, um mich meinem Examen und dem Einstieg in den Lehrerberuf zu widmen, wurde mir der ideologische Prozess gemacht. Ich kann mich noch heute sehr gut an das Machtgehabe der beiden „Vorgesetzten“ erinnern, an den inquisitorischen Eifer, mit dem sie mich als „Verräter an der Sache der Arbeiterklasse“ brandmarkten. Sie unterstellten mir, dass ich aus persönlichem Wohlergehen (warum ist das eigentlich ein verachtenswertes Motiv?) vor den schwierigen Aufgaben des Klassenkampfes „kapitulierte“. „Versöhnlertum“ lautete das Urteil, mit dem sie meinen Rauswurf begründeten (Zur Erklärung: Aus einer kommunistischen Kaderorganisation kann man nicht freiwillig austreten. Wenn man austreten wollte, erfüllte man lediglich den Grund für den Ausschluss. Auch hier will – getreu dem bekannten Lied von Louis Fürnberg – die Partei immer recht haben.). Ich möchte mir nicht ausmalen, was mit mir geschehen wäre, hätte diese Partei tatsächlich die Macht im Staate errungen.
Nachträglich kann ich sagen: Der Beruf hat mich gerettet. Schon nach kurzer Zeit der Tätigkeit als Lehrer an einer Gesamtschule sah ich mit Erschrecken den Grad des Wirklichkeitsverlustes der kommunistischen Gruppen. Sie hatten sich durch ein System des selbstreferentiellen Diskurses völlig vor der Wirklichkeit abgeschottet. Wer in internen Diskussionen auf die Realität verwies, die sich der Ideologie partout nicht fügen wollte, galt als „rechter Abweichler“, als „Kapitulant“ und „Versöhnler“. Er wurde weiterhin nur geduldet, wenn er sich einem demütigenden Ritual von Kritik Selbstkritik unterwarf und sich zur „Bewährung an der Basis“ (Vorbilder: „Bewährung an der Front…“ / „ …in der Produktion“) bereitfand. Viele unterwarfen sich der Führung immer wieder aufs Neue. Die „Gnadenwahl der Zugehörigkeit“ (Theodor Adorno), die ihnen dann wieder zuteil wurde, versetzte sie in den Zustand höherer Moralität, der ihnen wichtiger war als intellektuelle Redlichkeit. (Am Rande bemerkt: Diesen Überschuss an Moralität findet man heute noch bei den Grünen, in die viele der ehemaligen Maoisten eingetreten sind.)
Mir ist in meiner linksradikalen Zeit aufgefallen, dass in den K-Gruppen vor allem Studenten dominierten, die dem Großbürgertum (teilweise auch dem Adel) entstammten. Auffällig waren ihre Eloquenz, eine dominante Körpersprache und ein ausgeprägter Instinkt für die Ausübung von Macht. Ihr Verlangen nach Gefolgschaftstreue (K-Sprache: „Einhaltung der korrekten Linie“) war so absolut wie der Unfehlbarkeitsanspruch des Papstes. Die Spitzenkader schrieben die Programme, die das Fußvolk zu befolgen hatte. Sie schickten Reisekader in alle Winkel der Republik, um sympathisierende Gruppen zu betreuen und neue Zellen zu gründen (Ich war einer von ihnen.). Von keiner Personalvertretung gebremst, hatten sie Macht über Personen, wie es in keinem noch so straff geführten kapitalistischen Konzern auch nur im Ansatz denkbar wäre. Viele einfache Mitglieder opferten ihre Karrieren (Stichwort: Berufsverbot), brachen ihr Studium ab, wurden Berufsrevolutionäre, gingen „für die Sache“ ins Gefängnis, ja, schenkten ihr Erbe der Partei. Unterwerfung total.
Adorno hat in seinen „Marginalien zu Theorie und Praxis“ (1969) ein hellsichtiges Psychogramm des falschen Selbstopfers der Berufsrevolutionäre formuliert: „Opfert einer nicht nur seinen Intellekt, sondern auch sich selbst, so darf keiner ihn daran hindern, obwohl es objektiv falsches Martyrium gibt. Ein Gebot aus dem Opfer zu machen, gehört zum faschistischen Repertoire.“ Hier spricht Adorno auch als gebranntes Kind, als Jude und vor den Nazis Geflohener.
Dass die Gründer der K-Gruppen nach dem „kurzen Sommer der Anarchie“ (H.M. Enzensberger) ins schiere Gegenteil verfielen: in die Gründung totalitärer Parteien, könnte tatsächlich den Schluss nahe legen, dass der eigentliche Antrieb ihres politischen Handelns die Ausübung von Macht war. Das Antiautoritäre und den Freiheitsimpuls, die der Studentenbewegung ihre Faszination verliehen und ihr eine „Massenbasis“ gegeben hatten, streiften sie ab wie einen lästigen Mantel (Alan Posener spricht im Rückblick von der „antiautoritären Chose“). Es war zu verlockend, sich im Gewande einer Avantgarde-Partei in die weltumspannende Front der Revolution einzureihen. Lethen spricht davon, dass er Angst davor hatte, „marginalisiert“ zu werden. Posener wollte der „existentiellen Nichtigkeit“ entfliehen. Der radikale Revolutionsgestus war durchaus dazu angetan, das Geltungsbewusstsein zu stärken und das eigene Dasein mit Sinn aufzuladen. Nur: um welchen Preis?
Für die Macht-These spricht auch die Tatsache, dass die meisten der führenden „Genossen“ nach dem Zerfall der K-Gruppen im nachgeholten bürgerlichen Berufsleben häufig Kommandopositionen in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Journalismus eroberten. (Eine Liste der erreichten Positionen findet man bei Götz Aly: „Unser Kampf 1968“, 2007). Ironisch formuliert, könnte man sagen, dass die harte Schule der Kaderorganisationen ihnen einen persönlichen Vorteil vor ihren Mitkonkurrenten verschafft hat, den sie zu nutzen wussten. Oder anders gesagt: Die Führungskader der K-Gruppen fanden in allen Lebensphasen die Position, die ihrer bürgerlichen Herkunft und ihrem intellektuellen Anspruch entsprach. Dann wäre die Episode des Marxismus-Leninismus nichts anderes gewesen als ein (vorübergehendes) Trainings- und Fitnessprogramm großbürgerlicher Studenten, das sie in die Lage versetzte, die Herrschaft über Menschen zu erproben.
Was bleibt mir von meiner maoistischen Vergangenheit? Ich habe gelernt, in wie starkem Maße Intellektuelle verführbar sind für totalitäres, undemokratisches Denken und Handeln. Ich habe auch erfahren, wie stark emotionale Abwehr, Scham oder Hilflosigkeit eine ehrliche Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit belasten, ja verhindern. Anscheinend fällt es jeder post-totalitären Generation (1945, 1968, 1989) schwer, von den eigenen Lebenslügen zu lassen. Die 68er scheinen sich damit besonders schwer zu tun, weil sie im Rückblick auf ihre radikale Lebensphase nur eine „erfüllte Jugend“ sehen wollen. Der Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg wies in seiner Poetik-Vorlesung „Literatur als Therapie“ darauf hin, dass sich die 68er nach dem Scheitern ihres Projektes um ein Stück Menschlichkeit betrogen fühlen mussten: „[Der 68er] hat sich um zu viel betrügen müssen: viel Freundlichkeit, Toleranz, Humor, Genuss der Gegenwart und alltägliche Güte. Das fehlt ihm jetzt.“ Der Dichter des Kommunismus Bertolt Brecht nahm diesen Verlust an Menschlichkeit als unvermeidliche Kosten des Klassenkampfes in Kauf. Ja, er verlieh ihm eine poetische Weihe, als er 1939 schrieb: „Ach, wir / Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit /Konnten selber nicht freundlich sein.“ – Das ist der größte Verlust, den sich die Maoisten der 1970er Jahre zuschreiben lassen müssen.
Dass die alt gewordenen 68er sich nicht eingestehen wollen oder können, in ihren besten Jahren eigene menschliche Bedürfnisse verleugnet zu haben, kann man durchaus nachvollziehen. Nach meinen Erfahrungen kann nur eines die Selbstgerechtigkeit verhindern, die den Umgang mit „Ehemaligen“ oft so schwierig macht: Aufrichtigkeit.
Es gehört zu den großen Irrtümern seit jeher, dass man glaubt anders zu sein als jene Menschen, die man ablehnt. Dabei ziehen sich die Radikalen von allen Seiten seit jeher gegenseitig an. Wenn sie doch nur einmal klar sehen könnten …
Eine interessante Diskussion. Schade, dass ich sie erst jetzt, ein Jahr später, wahrnehme. An einige der erwähnten Akteure kann ich mich noch erinnern. Was mich wundert, ist, dass bei der Frage nach den Motivationen an keiner Stelle von der Hoffnung auf die Revolution die Rede ist. Ohne sie kann man meiner Meinung nach die jungen Menschen von damals nicht verstehen.
Die Revolution ist die Umstürzung eines Unrechtssystems, sie umfasst alle gesellschaftlichen Verhältnisse und auch die involvierten Personen selbst. Der Revolutionär muss sich selbst revolutionieren, er kann nicht der bleiben, der er bisher war. Das Unrecht des Systems bestand in seiner kapitalistischen Verfassung, in der für das System notwendigen Ausbeutung der Arbeiterklasse. Viele Menschen dachten am Ende der 60er und am Beginn der 70er Jahre, dass die revolutionäre Situation eingetreten sei. Revolution war aber nur als Weltrevolution zu denken. Das war keine Hybris, sondern Realismus. In Deutschland allein konnte es keine Revolution geben, die Revolution kam aus der sogenannten Dritten Welt, aus Vietnam, aus Südamerika, aus den antikolonialistischen Kämpfen.
Die Revolution schafft das Gewaltmonopol des Staates ab, sie schafft den Staat ab. Dafür muss sie aber gut organisiert sein, damit sie nicht in viele Einzelinteressen zerfällt. Deshalb muss der Revolutionär diszipliniert sein, sein Werk zählt nur als Bestandteil eines Gesamtprojekts. „Gut sein“(wie oben gesagt) allein ist nicht ausreichend, nicht für den Revolutionär, gut ist auch die Heilsarmee. Der Revolutionär muss auch rücksichtslos sein können, sonst kann er (gemeinsam mit allen anderen Revolutionären) sein Ziel nicht erreichen. Auch die Wut über das Unrecht verzerrt das Gesicht, wie Brecht lehrt.
Alles hing also von der Frage ab, ob der Moment der Revolution gekommen sei oder nicht. Die, die damals in die K-Gruppen eintraten, waren überzeugt, dass ja.
Die Spontis (denen ich mich damals tendenziell zurechnete) sind entstanden als Gegenbewegung zu den K-Gruppen (maoistisch inspirierte Parteien). Wir haben uns lustig gemacht über die Stalinverehrer mit ihren spießigen Umgangsformen. Eine Idee, wie die Revolution zu organisieren sei, hatten wir aber nicht. Die dunkle Seite der Spontis war ihre Offenheit gegenüber dem „bewaffneten Kampf“, den die K-Gruppen abgelehnt haben (nicht aus Prinzip, im Gegenteil. Aber sie hielten den Zeitpunkt für noch nicht gekommen).
Ich persönlich hatte immer ein gespaltenes Verhältnis zur Idee der Revolution. Zum einen war mir klar, dass es eine Umwälzung ohne Gewalt nicht geben konnte, weil die herrschende Klasse ihre Macht nicht kampflos abgeben würde. Andererseits fragte ich mich immer, wie viele Tote man dafür in Kauf nehmen müsste, ohne eine Garantie zu haben, dass die Verhältnisse danach wirklich für alle besser würden. Eine Antwort auf diese Frage habe ich immer noch nicht.
Aber ich glaube, wenn man den jungen Leuten von heute erklären will, was die jungen Leute von damals (Anfang der 70er Jahre) angetrieben hat, kann man das nicht ohne den Begriff der Revolution.
Herr Werner,
sind Sie noch da?
@ Alan Posener
Wenn man die Homepage von Herrn Werner ansieht, kann man Ihre Verärgerung schon ein wenig nachvollziehen. Die Vita, die er dort von sich entwirft,
http://www.rainer-werner.com/pages/vita.html
hätte mich eher vermuten lassen, dass er seine Hörner in der Partei Bibeltreuer Christen abgestoßen hätte:
http://www.youtube.com/watch?v=YCzyFi8Y0xs
Auf KPD/AO würde wohl kein unvoreingenommener Leser kommen.
Ich habe das übrigens ehrlich gemeint, dass die persönlichen Aspekte, die bei solch einem Streit immer mitspielen, zunächst nicht in einem öffentlichen Blog abgehandelt werden sollten. Das stört nur die Kommunikation und führt selten zu größerem Erkenntnisgewinn. Soll Herr Werner hier jetzt auf Ihre Vorhaltungen, eine Lebensbilanz ziehen. Das würde ja sehr seltsam aussehen. Eigentlich kann er gar nicht adäquat reagieren, ohne sich, Sie oder Sie beide zu beschädigen.
Vielleicht suchen Sie sich ja einen neutralen Moderator z.B. Herrn Görlach, Herrn Friedmann oder Herrn Burchardt, dessen unaufgeregten Beiträge ich immer sehr geschätzt habe, und lassen sich für eine der nächsten Artikel mal zum Thema interviewen. Das wäre sicherlich spannend.
@ Alan Posener
@ Rainer Werner
Ich habe mich bisher aus der Debatte weitgehend rausgehalten, obwohl mir aus der eigenen politischen Biographie dazu einiges einfallen würde. Und das nicht nur weil auf jedem Computer, auf jedem Handy inzwischen stehen müsste „Freund hört mit“. Ich denke dass solche weitestgehend anonymen Debatten zum Thema „Politische Jugendsünden und was hats trotzdem vielleicht gebracht“ erstens oft ausufern und zweitens, wie inzwischen ersichtlich, schon fast wieder inquisitorische Züge annehmen. Ich möchte aber trotzdem zumindest einen Aspekt hinzufügen: Wer nicht, wie APO, aus einer Familie kommt, die das „Glück“ hatte, aus rassischen, politischen oder sonstigen Gründen verfolgt worden zu sein, sondern, wie ich, aus einer Familie mit typisch deutscher Geschichte, mit Nazi- und Wehrmachtsverstrickungen stammt….
Dessen Motive sich einer K-Gruppe anzuschließen waren möglicherweise von Anfang an etwas politscher und haltbarer. Das macht die eigenen Fehler nicht kleiner, aber vielleicht verständlicher.
Übrigens Rainer Werner:
Götz Aly ist sicher ein guter Historiker- ich bin keiner. Aber ich erinnere mich noch gut an so manches, was er im „Sozialistischen Zentrum“ so vertrat. Ich würde ihn daher nur ungern als Kronzeugen für irgendwas anführen.
Lieber EJ, wollte ich mich in die Gedankenwelt und die Ideale eines 20-Jährigen einfühlen, wäre das eine – wie soll ich es sagen – eine Aufgabe für einen Romanschriftsteller. Denn ich müsste all das zu vergessen suchen, was ich seitdem gelernt habe; müsste mir die Unerfahrenheit, die schiere Dummheit, aber auch den Hormonhaushalt und den Zorn des damaligen jungen Mannes vergegenwärtigen. Unter anderem.
Übrigens habe ich das hier und dort getan, zum Beispiel als ich – ich glaube, das war noch auf „AchGut“ und führte mit zu meinem Ausschluss – mich in die Geistes- und Körperverfassung eines jener rebellierenden französischen Jugendlichen, gegen die Nicolas Sarkozy mit dem „Kärcher“ vorzugehen versprach, hineinzuversetzen suchte, statt in die Denunziation des integrationsunfähigen Islam einzustimmenb, wie es der dort geltenden Parteilinie entsprach. Da habe ich etwa von der schieren Lust des Aufbegehrens, vond er befreienden Kraft der Gewalt gesprochen.
Natürlich war ich Idealist. Natürlich wollte ich die Welt ändern. Aber erstens setze ich das voraus. Und zweitens – ich wiederhole es – war der Dreiteiler überschrieben: „Was ich der KPD verdanke“ – nicht: Weshalb ich damals der KPD nachlief. Ich habe den Artikel – das verkennt auch Rainer Werner – ganz bewusst nicht in exkulpatorischer Absicht geschrieben.
Kritik und Selbstkritik habe ich öffentlich – vor der Berufsverbotekommission des Berliner Senats in einer Stellungnahme, die ich gleichzeitig in der GEW-Zeitung veröffentlichte – bereits 1978 geleistet, als so mancher, der sich heute groß als Inquisitor aufspielt, seine frühere Mitgliedschaft verheimlichte, um als Beamter nicht anzuecken.
Ja: Kritik und Selbstkritik. Denn in dieser Stellungnahme habe ich auch die Praxis der Berufsverbote kritisiert, auch weil sie „eine Generation von Duckmäusern“ heranziehe, die – sofern sie unter dem Radarschild des Verfassungsschutzes blieben oder sich vor der Kommission herausreden konnten und also unter falschen Voraussetzungen vereidigt wurden – ihr gesamtes Berufsleben lang einen wesentlichen Teil ihrer Biographie beschweigen müssten. Die traurigen Ergebnisse kann man hier und dort besichtigen in Gestalt von Leuten, die umso heftiger mit dem westdeutschen Politsektenunwesen aufräumen, je weiter diese Episode zurückliegt.
Lyoner, Lyoner,
welch derbe Späße muten Sie uns zu so später Stunde zu?
@derblondehans
sieht das dann bei Ihnen so aus?
http://www.20min.ch/panorama/n.....r-14984277
… bei mir rollen sich die Zehennägel, wenn Sozialisten, links oder rechts, oder Linke – gestalten wollen.
Um das Thema für mich abzuschließen:
@ Roland Ziegler: Macht wollte man schon, aber eben nicht zum Selbstzweck, sondern wie üblich “um gestalten zu können”
Genau. Aber das alles fehlt in APOs Texten. Diesbezüglich hat er offenbar der KPD nichts zu verdanken (oder auch zu „verdanken“). Kaum zu glauben.
@EJ: Klar, Macht wollte man schon, aber eben nicht zum Selbstzweck, sondern wie üblich „um gestalten zu können“, wie es so schön bei unseren aktuellen Politikern heißt.
….ein moralischer Antrieb also: man wollte „gut“ sein. Je besser man funktionierte, desto besser achien man. Nach dem Ausscheiden entdeckte man, dass man gar nicht gut war, und schämte sich. Falls man zur Scham überhaupt fähig war.
@ Alan Posener: Lebensweg als Ergebnis rational getroffener, bewusster Entscheidungen betrachten
Hat das jemand gefordert? Ich jedenfalls nicht. (Dass und wie das Leben „so spielt“ – Lieber, wir sind – auch wenn Sie’s vielleicht nicht wahrhaben wollen: ziemlich alte! – Alters-Kollegen. Um’s mal so diskret zu formulieren.) Aber nicht-rational und nicht-bewusst getroffene Entscheidungen, irgendwo „reingeschliddert“ zu sein, entlastet doch allenfalls nur, exkulpiert doch nicht vollständig. (Auf die Drogendealer, Terroristen, DDR-Apologeten usw. usf., die – oh, Mann! – Sie zum Vergleich anführen, gehe ich in diesem Zusammenhang gar nicht erst ein!)
Anders als womöglich Rainer Werner, der selbst ebenfalls keins geliefert hat, geht es mir aber auch gar nicht um Schuld oder Schuldbekenntnis.
Ich meckere darüber, dass Sie meine „theoretische“ Neugier nicht befriedigt haben. Klar, auch ich bin Voyeur genug, mit Interesse zu erfahren, dass Sie als KPD-ler früh aufstehen und ein diszipliniertes Leben führen mussten. Aber das kann’s doch nicht gewesen sein. Wo war beispielsweise der Idealismus, von dem Roland Ziegler spricht? Sie hatten, weil irgendwie „reingeschliddert“, keinen? Sie haben – von Drogen befreit – nur dankbar und ansonsten mehr oder weniger gedankenlos (und bis ihnen das zu viel wurde) mitgemacht? Die KPD hat Ihnen nicht mehr und anderes geboten? Sie haben dort nicht mehr und anderes gesucht? Sie und die KPD wollten nicht, wie Roland so schön sagt, die Welt verbessern?
@ Roland Ziegler Was mich hier wundert, ist, dass der jugendliche Idealismus in den Betrachtungen so unter den Tisch fällt und stattdessen nur noch die Rede von Sex & Macht ist?
Wenn jemand mit „jugendlichem Idealismus“ in eine Partei, zumal in eine extremistische, eintritt und keine Macht haben, nicht an ihr teilhaben, sie mit seiner Person nicht verstärken will – und wenn nicht revolutionäre, dann mindestens Veränderungsmacht – sollte er seine Partei-Mitgliedschaft doch wohl lieber auf den nächstbesten Kindergarten umschreiben lassen. Oder?
So ist es, Roland Ziegler, und dass das so schwer zu begreifen sein soll, begreife ich wiederum nicht.
Was mich hier wundert, ist, dass der jugendliche Idealismus in den Betrachtungen so unter den Tisch fällt und stattdessen nur noch die Rede von Sex & Macht ist? Das mag ja der Psychologe so sehen, vielleicht auch der Altersweise, aber die Reduktion auf Sex & Macht ebnet alle Unterschiede ein. Auch den Leuten in der Jungen Union ging es so gesehen um Sex & Macht. Gut, jedenfalls um Macht. Die KPD-Aktivisten von damals waren doch der Meinung, dass sie antreten, um die Welt zu verbessern? Sie waren sogar der Meinung, tatsächlich die Welt zu verbessern! Das war ihre Intention, ihr Hauptantrieb. Und das war auch der Schraubstock, der den ganzen Apparat zusammenhielt.
Lieber EJ, ich habe bewusst auf meine subjektiven Erfahrungen abgestellt, weil – wie ich sehr deutlich geschrieben habe – die Frage, ob einer Drogendealer, Terrorist, DDR-Apologet bei der DKP, Sponti oder eben K-Gruppen-Mitglied wurde, sehr viel von zufälligen Begegnungen, Begebenheiten und Erlebnissen abhing. „There but for fortunge, go you, go I…“ sang Joan Baez, und sie hatte und hat Recht.
Wenn es Ihnen anders geht, wenn Sie Ihren Lebensweg als Ergebnis rational getroffener, bewusster Entscheidungen betgrachten, so denke ich, dass Sie sich etwas vorlügen. Aber vielleicht schließe ich zu sehr von mir – und von allen Romanfiguren, die ich kenne – auf andere.
Rainer Werner: Dann wäre die Episode des Marxismus-Leninismus nichts anderes gewesen als ein (vorübergehendes) Trainings- und Fitnessprogramm großbürgerlicher Studenten, das sie in die Lage versetzte, die Herrschaft über Menschen zu erproben.
Genau. Subjektiv so nicht beabsichtigt, aber in der objektiven Wirkung. Auf historischen Bedingungen wie hier und hier skizziert.
Bitte bleiben Sie weiter kreativ. Herr Werner. Ihr Beitrag hat mir gut gefallen. Eine Anmerkung kann ich mir allerdings nicht verkneifen. Die Herrschaften heute alle im reiferen Alter sollten nicht vergessen, dass die Motivationslagen damals wie heute sehr breit gestreut sind/waren. Für Verallgemeinerungen sehe ich nur wenig Spielraum. Solange wie jemand in seinem Rückblick, wie Sie Herr Werner, das persönliche Umfeld „scannen“, das ihnen persönlich bekannt ist, ist dies ein völlig akzeptables Unterfangen, aber die verschiedenen Strömungen in einen Topf zu tun, wäre mehr als problematisch und würde den vielfältigen Erscheinungen zwischen K-Gruppen, Beatniks, Popart oder Selbsterfahrungstrips nicht gerecht werden. Eine bunte Zeit, von der heute, angesichts starker Tendenzen zum gesellschaftlichen Gutmenschentum und geistiger Mittelmäßigkeit, zu wenig kreative Impulse ausgehen(?). Wer wüsste es denn besser, die Grenzen des Machbaren einzuschätzen, als die Kreativen dieser stürmischen Phase der jungen Republik?
@ Alan Posener: Aber ich gebe zu, dass mich die pauschale Unterstellung niedriger Motive (Sex und Macht) tief getroffen hat.
Wie Rainer Werner lasse ich Sex mal außen vor. (Ihre Genossen haben „ihre“ Frauen bewacht, wie heute angeblich gewisse Migranten ihre Frauen und Töchter bewachen. Wechselte man am Büchertisch ein freundliches Wort mit einer Ihrer Genossinnen, kam sofort ein Aufpasser und unterbrach das Gespräch oder zog es an sich …)
Ich habe Ihren Text ähnlich gelesen wie Rainer Werner, Stichwort: „sozialarbeiterliches Engagement in eigner Sache“. Und ich war beträchtlich enttäuscht. Ihnen wegen Ihrer Konzentration auf Ihre damalige private Motivation, wie Rainer Werner es tut, Unaufrichtigkeit vorzuwerfen, lag bzw. liegt mir fern. Umgekehrt wundert es mich aber auch nicht, dass Rainer Werner Ihre Darstellung als absichtsvolle Verkürzung und Verschleierung Ihres damaligen Engagements versteht.
Sicher, an Ihrem „privaten Fall“ lassen sich nachträglich gewisse Binnenstrukturen der KPD exemplifizieren. Aber am Wesentlichen – an der politischen Dimension Ihres Engagements in der Partei und an dem politischen Engagement Ihrer Partei selbst – geht diese, wie ich vor ein paar Tagen schrieb, „privatistische“ Sicht doch erheblich vorbei. (Deshalb meine wiederholte Frage nach Ihrem „Traum“ bzw. nach Ihrer politischen Motivation.)
Und jetzt irritieren Sie schon wieder, APO. Und liefern wahrscheinlich wieder einen Grund, Ihnen Verkürzung und Verschleierung und insofern Unaufrichtigkeit vorzuwerfen. Warum ist (war?) persönliche und/ oder politische Macht ein „niederes Motiv“ für Sie? Ich meine: Worum ging es damals Ihnen und Ihrer Partei eigentlich?
@ 68er: Ich hätte mit meinem Freund, Ex-Genossen und Ex-Kollegen Rainer telefoniert, wenn er vor der Veröffentlichung mich angerufen hätte. Vielleicht tue ich es noch. Schließlich veröffentlicht er auf meine Einladung hin hier. Da müsste man sich verständigen können. Aber ich gebe zu, dass mich die pauschale Unterstellung niedriger Motive (Sex und Macht) tief getroffen hat. Nicht, weil ich glaube, Rainer habe einen Nerv getroffen. Sondern weil er besser als viele andere wissen könnte, dass dem nicht so war.
Auch gehört es sich m.E. nicht, diejenigen (Lethen, Posener) anzugreifen, die sich offen über ihre subjektiven Erfahrungen in der KPD äußern, weil diese Äußerungen vor dem strengen Parteigericht des Geläuterten als nicht ausreichende Selbstkritik gelten. (Auch bei der parteiinternen Selbstkritik war man erst am Ziel, wenn der Betroffene alle subjektiven Ausflüchte und Erklärungen für ein Fehlverhalten abgestreift und sich schonungslos zu seiner „bürgerlichen“ – bei Rainer „großbürgerlichen und adeligen“ – Abkunft und den entsprechenden ideologischen Verirrungen bekannt – und mithilfe der Klassiker davon Abstand genommen hatte. Damals Stalin, heute Adorno.) Während man bisher von Rainer Werner und dem von ihm zitierten Horst Domdey bisher kein Wort zu ihrer eigenen Tätigkeit dortselbst gehört hat. Stattdessen Denunziation von Dutschke, Fischer, Trittin usw. usf., als habe man selbst nie etwas damit zu tun gehabt.
In dem Zusammenhang können denn auch die „Berliner Hefte“ einfach als ein „Kulturmagazin“ erscheinen – und die Schwierigkeiten, die ich noch 1978 hatte, eine positive Rezension von Karl Poppers Lebenserinnerungen dort unterzubringen, übrigens verbunden mit einer Selbstkritik meiner eigenen Rolle bei der Organisierung eines Anti-Popper-Kongresses in Frankfurt einige Jahre davor, fallen dann einfach unter den Tisch.
Aufrichtigkeit jedenfalls ist etwas Anderes. Das gehört öffentlich dokumentiert.
Danke, diese Nachbetrachtungen haben bei mir einige Eindrücke aus dieser Zeit geweckt, die mir nur noch sehr undeutlich waren. Revolutionärer als der revolutionäre Kampf war, darauf hat Alan Posener häufig hingewiesen, Sex, Drugs and Rock´n´Roll. Dies aber bald mit einigen Katern und helter skelter. Erstaunlich natürlich die Rettungsphantasien in Politsekten, die, wie Sie schön beschrieben haben, ein Gefühl von Superiorität gegeben haben; intellektuelle Exo-Skelette. Klar, Sie haben recht, das waren häufig Kerle aus der Bourgoisie, die die Verachtung der Massen mitbrachten und ihre Avantgarde sein wollten. Ich vermute, diese Unterwerfung unter einen objektiven Diskurs war auch eine Entlastung vor einer überforderten Subjektivität, in der man – Pforten der Wahrnehmung – von Eindrücken überschwemmt wurde, die nicht so leicht zu verdauen waren, der Sprung in die Sicherheit einer Weltanschauung. Und natürlich garantiert antifaschistisch, auf der rechten Seite der Geschichte. Ich frage mich immer noch, was mich bewahrt hat, in dieses Fahrwasser zu kommen. Vielleicht wäre ich offener für kommunistische und utopische Vorstellungen gewesen, wenn der Prager Frühling – der Kommunismus mit menschlichem Antlitz – nicht niedergeschlagen worden wäre. Aber das erklärt nicht meine frühe Aversion; ich habe einen Bogen um die Kerle und Mädels geschlagen, versucht um die Büchertische herumzukommen. Spürbar war, dass hier eine angelernte, übergestülpte, subjektferne Sprache gesprochen wurde, kein offener fragender Diskurs, sondern die Wahrheit der Geschichte und nichts als die Wahrheit. So habe ich das empfunden; mich würde mal interessieren, lieber Herr Werner, ob diese Orthodoxie in diesen Zirkeln noch empfunden wurde und thematisiert. Nun ja, ich bin in dieser Zeit ziemlich im sog. Positivisstreit der deutschen Soziologie umhergeirrt, bis ich schließlich erkannte, dass das Einfache und Klare Poppers letztendlich hilfreicher im Denken war als das Komplexe (Im Falschen gibt es kein Wahres) seiner Antipoden. Erstaunlich jetzt, dass sich jetzt Genossen wie Alan Posener als die Verteidiger der Offenen Gesellschaft gegen ihre Feinde aufspielen – und auch hier wieder einen Brustton der Unfehlbarkeit anschlagen.
Jetzt habe ich doch noch was bei Wikipedia gefunden:
http://de.wikipedia.org/wiki/K.....lbstkritik
Mir fehlt bei Ihnen, wie Sie dem jeweiligen Gegenüber richtig vorwerfen, ein wenig mehr Selbstkritik und vor allem: Demut!
=;-)
Zur Aufklärung der Jüngeren wollte ich hier eigentlich auf einen offenbar nicht existierenden Wikipedia-Artikel verlinken, in dem – so hoffte ich – das in kommunistischen Parteien beliebte Institut des „Parteiverfahren“ erklärt wird.
Gefunden habe ich allerdings diesen Artikel im ND:
http://www.neues-deutschland.d.....ossen.html
Vielleicht sehen Herr Posener und Herr Werner ja ein, dass ihr Verhalten posthum parteischädigend verstanden werden kann und fertigen zum Zeichen ihrer Einsicht und ihres gestärkten Willens ihre ganze Kraft der guten Sache zu widmen, den fehlenden Artikel bei Wikipedia gemeinsam an und stellen ihn dann den alten Genossen hier im Blog zur Parteikritik vor.
„Dann wäre die Episode des Marxismus-Leninismus nichts anderes gewesen als ein (vorübergehendes) Trainings- und Fitnessprogramm großbürgerlicher Studenten, das sie in die Lage versetzte, die Herrschaft über Menschen zu erproben.“
Daran haben wir, eure Epigonen, nicht eine Sekunde gezweifelt.
Ihr seid Lehrer und Beamte
Seid Gelehrte sogenannte
Ihr schreibt Bücher, seid im Fernsehen
Und ihr glaubt, daß wir euch gern sehen
Immer kritisch und politisch
Marx und Lenin auf dem Nachttisch
Doch ihr habt was gegen Rabatz
Und macht den Bullen gerne Platz
Ihr seid nichts als linke Spießer
Ich frag‘ mich, was wart ihr früher
Ihr seid nichts als linke Spießer
Ihr habt nichts dazugelernt
Ihr seid nichts als linke Spießer
Eigentlich wart ihr es schon immer
Und werden wir mal aggressiv
Seid ihr auf einmal konservativ
Sozialarbeiter und Studenten
Ihr seid so frei und unverklemmt
Ihr seid sozial auch sehr gut drauf
Doch ihr habt eure Seele dem System verkauft
Und falls euch doch mal alles stinkt
Euer Gelaber euch selbst zum Hals raushängt
Dann fahrt ihr einfach nach Indien
Als Backwahn-Jünger ist jeder in
Ihr seid nichts als linke Spießer
Ich frag‘ mich, was wart ihr früher
Ihr seid nichts als linke Spießer
Ihr habt nichts dazugelernt
Ihr seid nichts als linke Spießer
Eigentlich wart ihr es schon immer
Und werden wir mal aggressiv
Seid ihr auf einmal konservativ
@ Alan Posener
Wow, das hätte ich nicht gedacht, dass wir hier eine Reminiszenz der alten K-Gruppen-Streitigkeiten (quasi live) vorgebloggt bekommen.
Ich hatte bisher immer den Eindruck Sie seien miteinander befreundet. Wieso greift man da nicht zum Telefonhörer und redet erst mal miteinander? Dann hätte Herr Werner ja noch einmal nachlegen können. Als Einstieg seines Textes hätte ich mir folgenden Satz vorstellen können:
„Nachdem mich mein Freund Alan Posener zu Recht auf meine eigenen Verdrängungsleistung aufmerksam gemacht hat, möchte ich Ihnen eine kleine Geschichte aus meiner Zeit als ??? erzählen….“
Stattdessen bekommen wir Parteiverfahren live geboten.
Machen Sie ruhig weiter, es scheint interessant zu werden.
Sex, Gewalt und Macht also…
Vielleicht habe ich das Glück, zu der Nachfolgegeneration dieser ominösen „68er“ zu zählen, also 1966 geboren und damit in der Entscheidung gestanden zu haben, Punk oder Popper (nicht Karl!) zu werden. Daher kommen mir nicht nur diese Organisationen recht befremdlich vor, auch wenn ich sie in den 1970er Jahren als Kind noch kennen gelernt habe und als Zehnjähriger mal erklären sollte, warum ich mir so einen bürgerlichen Sport wie Fußball denn anschauen würde.
Ich habe auch nur einer „autonomen Jugendgruppe“ ohne eine feste Struktur angehört und diese verlassen, als die dortigen Sozialisten die Oberhand übernommen hatten (ja, wahrscheinlich kannten sie sich besser als wir Anarchisten in diesen Organisationen aus).
Für mich stellt sich aber zunächst eine ganz andere Frage, die vor allem auffällt, weil der Terminus „Verräter“ bei Ihnen im Text auftaucht in Bezug auf das Verlassen einer solchen autoritären Organisation und der gleiche Begriff direkt unter Ihrem Text zu finden ist als link auf den Eintrag Alan Poseners über Ed Snowden.
Es stellt sich nämlich die Frage, ob es denn dann tatsächlich um die politische Ausrichtung und nicht um einen Denk- und Argumentationsansatz geht, in dem ein bequemes Freund-Feind-Denken herrscht. Wenn frühere „68er“ (die es ja so auch nicht gab, aber der Einfachheit halber so zusammengefasst werden) heute nicht bei den „Grünen“ zu finden sind, so kann man sie zum Beispiel im konservativen Milieu auf der „Achse des Guten“ entdecken, immer noch überzeugt davon, die absolute Wahrheit zu vertreten und den ideologischen Feind beleidigen zu müssen („doppeltes Superriesenarschloch“ – OT Broder).
Damit wird es aber egal, ob man in seiner späten Jugend einen Polizisten verletzt hat oder ob man als junger Polizist einen Demonstranten verletzt hat (was deutlich häufiger vorkam). Es ist sogar egal, ob man als Anhänger von Borussia Dortmund einen Fan von Schalke verprügelt oder in der Discothek den Nebenbuhler. Denn so wie dargestellt wird die Ideologie lediglich zu einem Mantel der Rechtfertigung für Gewalt, was in meiner Generation dann eben an der Frisur oder an den Kleidungsmarken manifestiert wurde (und von heutigen Anhängern diverser Fußballclubs an den Abzeichen an der Kleidung bestimmt wird).
Es geht dann lediglich um Sex und Macht und dafür angewandte Gewalt oder um Gewalt um ihrer selbst Willen, aber eben nicht mehr um eine politische Idee.
Vielleicht ist die heutige Generation Nerd friedlicher, weil es sich um die Frage Apple-Windows-Linux wirklich nicht lohnt, die Köpfe einzuschlagen, oder weil sie die Köpfe ja virtuell abschießen kann und ohnehin seltener unmittelbar auf den Betriebssystem-Feind trifft. Und nun tritt ja wieder ein Feind auf, den man nicht sieht und der einem nicht sofort etwas tut – somit gibt es zwischen Tschernobyl und NSA schon wieder Parallelen. Damit aber entsteht tatsächlich eine politische Auseinandersetzung nicht als Theorie und nicht als personifizierten Feind, den man ja nicht greifen kann, genauso wenig wie sich CO² oder Radioaktivität greifen lassen, sondern als Schutz des eigenen privaten Lebens. Womit dann auf einmal das Politische privat wird (im Gegensatz zu den 68ern, wonach das Private politisch sei).
Ich bin jetzt ein wenig abgeschweift, aber vielleicht sollte man die Frage in den Hintergrund stellen, welche konkrete Organisation es betrifft und lieber die Bedürfnispyramide nach Maslow als Erklärungsmodell auch des Handelns in diesen Organisationen heran ziehen. Denn in unserer Generation war es ja fast ein politisches Arbeitsteilungsprinzip: Die einen wiesen verstärkt auf die Verbrechen der Sowjetunion in Afghanistan oder Polen hin, die anderen nahmen sich die USA mit ihrer Unterstützung der Todesschwadronen in Mittelamerika vor. Im Grunde genommen ist gerade diese Unterscheidung aber weniger wichtig wie man an den heute gewendeten Alt-&8ern sehen kann.
Lieber Rainer, mein Beitrag hieß: „Was ich der KPD verdanke.“ Nicht: „Was ich der KPD vorwerfe.“ Und auch nicht: „Was ich mir vorwerfe.“ In so fern waren gezielte Missverständnisse wie dein Beitrag vorprogrammiert. Ich habe das trotzdem geschrieben, wohl wissend, dass einige unverbesserliche Gesinnungsschnüffler versuchen würden, mir daraus einen Strick zu drehen und dabei alle meine Bücher, Artikel usw., in denen ich mit dem Marxismus abgerechnet habe, unterschlagen würden.
(Um nur ein Buch zu nennen: meine Duographie Stalin – Roosevelt, erscheinen im Jahr des „Historikerstreits“.)
Du zum Beispiel hast offensichtlich vergessen, dass mein sich erster KPD-kritischer Artikel in den „Berliner Heften“ gegen einen Beitrag von dir richtete.
Wenn du von „Aufrichtigkeit“ redest – und die führte mich etwa dazu, im folgenden Beitrag in den „Berliner Heften“ dem sympathisierenden Germanistik-Prof Gerhard Bauer zuzurufen: „Hätten wir die Macht errungen, wir hätten KZs errichtet“, das war 1977, erinnerst du dich? – wenn du also von Aufrichtigkeit redest, warum redest du nicht von deiner eigenen Motivation, Kader zu werden?
Warum bleibt alles im Theoretischen? Warum heißt es bei dir „man“, wenn einer – aus purer Machtgier, weshalb sonst? – Kader wird, aber „ich“, Rainer Werner, wenn einer lieber Lehrer wird und aus der Organisation ausscheidet? (Und hat das Lehrerdasein nichts mit Macht zu tun?)
Ich könnte einiges über deine Beziehungen zu den Schülergruppen in BaWü schreiben, etwa in Öhringen, über die Art, wie du den Superbolschewisten aus Berlin gespielt hast, aber ich finde, das solltest du selber einmal tun. Hier gilt – ich wiederhole es – Bertolt Brechts Spruch: „Lasst andere von ihrer Schade reden / ich rede / von der meinen.“ Das hat Brecht leider nie ausreichend deutlich getan. In diesem Beitrag schlidderst auch du auf bezeichnende – nämlich denunziatorische – Weise auch daran vorbei.
Du bleibst in gewisser Weise der ideologische Polizist, der du auch damals warst. Schade.
Vielen Dank Herr Werner,
ich war bisher zwar selten Ihrer Meinung, was Sie hier geschrieben haben, hat mich aber beeindruckt.
Ihr (Neu-)68er