Ich zögere, diesen Artikel zu veröffentlichen. Man muss sich heute darauf gefasst machen, dass einem jedes Wort im Munde umgedreht wird. Das hier ist nur ein fast schon komisches Beispiel:
http://antifo.wordpress.com/2010/02/08/alan-posener-die-gaskammern-wurden-nur-erfunden/
Also: Um von vorn herein möglichst viele Missverständnisse aus dem Weg zu räumen: ich bin bekanntermaßen – man möchte beinahe sagen berüchtigtermaßen – ein Anhänger der politischen Korrektheit:
Davon nehme ich kein Wort zurück.
Aber vielleicht ist es mit der politischen Korrektheit so wie mit allen Tugenden der Zivilisation – also „Sekundartugenden“, um mit Oskar Lafontaine zu reden: Sie sind unnatürlich und anstrengend. In ihrer großen Weisheit hat die Katholische Kirche darum den römischen (und vermutlich sogar vor-römischen) Brauch der Saturnalien übernommen, der „tollen Tage“, in denen für kurze Zeit die Moralgesetze außer Kraft gesetzt werden, und auf die sinnigerweise nicht nur ein Kater, sondern auch die Fastenzeit folgt.
Betrachten Sie also bitte die folgenden Ausführungen als Plädoyer für eine gelegentliche – vielleicht sogar kalendarisch festgelegte – Auszeit von der politischen Korrektheit. Vor allem aber: Nehmen Sie das nicht allzu protestantisch-bierernst.
Als Kind im London der frühen 1950er Jahre war ich von einem selbstverständlichen Rassismus umgeben. Gab einer von seinen Bonbons nicht ab, sagten wir: „Don’t be a Jew!“ Franzosen waren „Frogs“, Italiener „Eyeties“, die man wegen ihres Versagens und Seitenwechsels im Krieg verachtete, anders als die tapferen Norweger und Polen. Man duldete die Schwarzen, die als Busschaffner und Krankenschwestern importiert worden waren und die meine Großmutter „Darkies“ nannte, aber auf die rhetorische Frage, „Would you like your daughter to marry one?“ antwortete niemand „Why not?“ Meine Mutter hatte nichts gegen Schwarze, verachtete jedoch Amerikaner, Iren und Waliser, nicht immer in dieser Reihenfolge. Jedes Jahr am 5. November verbrannten wir eine Puppe, die den katholischen Terroristen Guy Fawkes symbolisierte. Katholiken waren uns Kindern unheimlich. Ob ich je einen echten Katholiken zu Gesicht bekommen habe, weiß ich nicht.
In Kuala Lumpur war es wenig anders. Dass wir Briten dazu bestimmt waren, der Welt die Zivilisation zu bringen, war klar und nötigte uns bestimmte Verhaltensweisen auf. Eine weiße Frau zum Beispiel zeigte sich nie im Bikini oder im aufreizenden Kleid vor den Eingeborenen. Man wusste, wie wenig sie sich in der Gewalt hatten. Deshalb gab es getrennte Schwimmbäder und Strände für uns und für die anderen. Ein weißer Mann sollte sich nicht betrunken vor den Eingeborenen zeigen, wegen der Würde. Deshalb schüttete man sich in seinen eigenen Clubs zu. Eine Rassentrennung gab es nicht, aber Nichtweiße verirrten sich fast nie dort hinein, und auch Juden wie mein Vater fühlten sich dort oft irgendwie nicht willkommen. Ein weißes Kind sollte immer ein Vorbild an Höflichkeit sein. Schließlich war man etwas Besseres. Inder waren gute Arbeiter, es sei denn, sie waren Sikhs oder Gurkhas, dann waren sie gute Soldaten und Polizisten. Malaien waren charmant, aber faul. Die Chinesen waren „die Juden des Ostens“: ehrgeizig – etwas zu ehrgeizig; klug – etwas zu klug; und geschäftstüchtig – etwas zu geschäftstüchtig. Die muslimischen Malaien verachteten die Inder, Chinesen und Europäer als Schweinefleisch essende Ungläubige. Die hinduistischen Inder hassten die Malaien wegen ihrer Überheblichkeit, die Chinesen wegen ihres Reichtums und die Europäer aus Prinzip. Die buddhistischen Chinesen verachteten die Malaien, fürchteten die Inder und beobachteten die Europäer mit unterwürfiger Herablassung. Kurzum: man kam gut miteinander aus.
Es war ein Schock für mich, nach Deutschland auf eine Reformschule zu kommen, wo es gar keine Vorurteile gab. Das stimmt natürlich nicht ganz: Es waren ja die 1960er Jahre. Erwischten die Lehrer einen Jungen und ein Mädchen beim Sex, wurde das Mädchen härter bestraft: sie hatte natürlich ihn verführt. Vor der Evangelischen Kirche hing ein Plakat, das ein Mädchen zwischen drei Jungen zeigte, dazu die Parole: „Wer wechselt, wird bald Kleingeld!“ Leute wie ich, die ihre Haare lang wachsen ließen, wurden als mädchenhaft, also schwul, dekadent und unzuverlässig im Kampf gegen den Kommunismus verdächtigt. Und meine damalige Freundin versichert mir, ihre Mutter habe gesagt, sie solle nie wieder „den dreckigen Juden“ mit nach Hause bringen, was ich bis heute schwer zu glauben finde. Das war eine sehr nette alte Dame. Dreckig ja, aber Jude? Trotzdem: Alles in allem war die ganze Atmosphäre in Deutschland, zumal auf der von der SPD geprägten Schulfarm, merkwürdig allgemeinmenschlich.
Manchmal frage ich mich, ob das gut war, ob das gut ist.
Jahrhunderte lang suhlt man sich in seinen Vorurteilen, insbesondere gegen Juden, lebt sie schließlich bis zum Exzess aus – und plötzlich, vom 7. auf den 8. Mai 1945, wird man allgemeinmenschlich. Das kann nicht gut gehen.
Manchmal frage ich mich, ob der merkwürdige Selbsthass, der etwa im Antiimperialismus zum Ausdruck kommt, nicht der neurotische Ausdruck verdrängter Xenophobie ist. Man liebt afrikanische, südamerikanische oder arabische, ja auch portugiesische und italienische, selbst irische Volksmusik, hasst aber die Oberötztaler Holzfällerbuam. Blut und Boden ist eine reaktionäre Ideologie, wenn sie von Deutschen (oder Zionisten) vertreten wird, aber fortschrittlich, wenn es um „indigene Völker“ geht. Man ist gegen das Christen-, aber für das Schamanentum, gegen Klosterfrau Melissengeist, aber für die Heilkräuter der weisen Frauen vom Amazonasbecken. Man hasst den aufgeklärten Imperialismus, liebt aber irgendwelche hasserfüllten Befreiungschauvinisten. Man hasst die deutschen Vertriebenenverbände, aber vergießt heiße Tränen beim Gedanken daran, dass der Enkel eines der arabischen Vertriebenen von 1948 nie mehr seine Lehmhütte in Akko zurückbekommen wird, weil der Jude auf dem Grundstück eine Recyclinganlage gebaut hat.
Manchmal frage ich mich, ob die merkwürdigen Blüten der „Israelkritik“ nicht auch Ergebnis der Tatsache sind, dass ein ganz normaler Antisemitismus nicht ausgelebt werden kann. Es ist ja kein Zufall, dass überall – übrigens am heftigsten unter Leuten, die sich ansonsten als Freunde Israels bezeichnen – gegen die „politische Korrektheit“ gewettert wird. Irgendwas will, ja muss raus. Inzwischen ist es OK, wenn auch nicht PC, zu sagen, dass der Islam keine Religion ist, sondern eine politische Weltunterwerfungsideologie. Beim Judentum – der Vorwurf gegen den Islam ist offensichtlich vom radikalen Antisemitismus abgekupfert – geht das immer noch nicht. Inzwischen ist es OK, wenn auch nicht PC, zu sagen, die muslimischen Zuwanderer verschlechtern bedenklich unser Genpool. Bei den Juden wird eher bedauert, dass es nicht mehr von ihnen gibt, damit wir alle so klug und geschäftstüchtig werden wie sie. Was natürlich auch eine Form des Antisemitismus ist – siehe oben unter Chinesen. Wäre die Beschneidung eine rein muslimische Angelegenheit, sie wäre längst verboten. Da die Juden das auch machen, werden wir demnächst eine neue Castingshow haben: „Germany’s Next Top Mohel“.
Meinem Vater war der Philosemitismus in Nachkriegswestdeutschland ungeheuer. Die deutschen Sympathien für Israel im Sechstagekrieg tat er mit einem Achselzucken ab: „Sie jubeln Moshe Dayan nur zu, weil sie in ihm den neuen Rommel sehen. Und weil sie die zurückgelassenen Schuhberge der fliehenden arabischen Soldaten an etwas erinnern.“ Noch schlimmer fand er die deutsche Liebe zur Klezmermusik, die damals mit dem Musical „Anatevka“ aufkam, in dem die Zwangsehe verherrlicht wird. Nun gut, er mochte weder Dayan noch Klezmer, aber das war es ja: Warum sagte niemand außer mir, fragte er sich, dass Dayan ein arroganter Schnösel ist und dass Klezmer wie Katzengejaule klingt? Muss man alles toll finden, was Juden machen? Nun, das änderte sich bald darauf.
Es ist nicht so, dass der ganz normale Antisemitismus angenehm gewesen wäre. Mein Großonkel Paul Oppenheim war Privatgelehrter – ein anerkannter Paläontologe. Sein Wunsch, eine Professur ehrenhalber an der Berliner Universität zu erhalten, wurde um 1900 mit der Bemerkung abgelehnt, er offenbare die „typische Aufdringlichkeit seiner Rasse“. Mein Onkel Karl Posener meldete sich 1914 als Fünfzehnjähriger freiwillig zur Truppe. Als er vor Verdun nach einem Granateinschlag verschüttet und mit einem Schütteltrauma in die Schönower Nervenheilanstalt kam, diagnostizierten die Ärzte die „typische Nervenschwäche seiner Rasse“. Als er einige Monate später an die Front zurückkehrte, sprach natürlich keiner von der typischen Widerstandskraft seiner Rasse. Mein Onkel Ludwig wurde 1920 als Gymnasiast von einem auf den anderen Tag Zionist, nachdem sein bester Freund, ein Adeliger, ihn um Verständnis darum bat, dass er „jemanden wie dich“ nicht zu seiner Geburtstagsfeier einladen könne. Er meinte ja nicht: „einen Bürgerlichen wie dich“. Mein Vater kam um die gleiche Zeit oft mit einer blutigen Lippe von der Schule nach Hause, weil sein Vater darauf bestand, „Blut zu sehen, wenn von irgendwoher gewisse Bemerkungen fallen“. Sie fielen halt. Nein, das war nicht angenehm. Aber man wusste, woran man war.
Es ist ja nicht so, dass es heute keinen ganz gewöhnlichen Antisemitismus gäbe. Auch auf der Reformschule meinte ein – mir sehr gewogener – Geschichtslehrer: Dass die Juden Ferment der Dekomposition seien, das könne man kaum bestreiten und müsse es ja auch positiv verstehen. Schließlich sei nach Goethe alles, was entsteht, wert, dass es zugrunde geht. Der nette Kellner beim Griechen lobt seine Heimatstadt, insbesondere die schöne Promenade am Meer, „wo allerdings die besten Grundstücke den Juden gehören, wie überall in der Welt“. Ich lächele und beschließe, fortan einen anderen Griechen zu besuchen. Nicht, dass ich mir einbildete, dort würde man anders denken. Aber die Gedanken sind frei. „Bei dem wird die Verhandlung schwierig, er ist Jude, du weißt doch, wie die sind“, sagt einer der beiden Immobilienmakler zum anderen am Nebentisch bei Borchardts. Der berühmte linksliberale Verleger lobt beim Kaffee im Literaturhaus hingegen die Juden, eben „weil sie immer zusammenhalten“. Der befreundete Jung’sche Psychotherapeut meint, es sei nun einmal eine Tatsache, dass die Juden nach dem Motto handelten Aug um Auge, Zahn um Zahn, während die Christen wenigstens in der Theorie das Gesetz der Rache überwunden, dabei also im Gegensatz zu den Juden wenigstens Gewissensbisse hätten. Der befreundete Reiseschriftsteller meint, auch ihm ginge Friedman auf den Wecker, wenn man den sehe, könne man verstehen, weshalb die Leute Antisemiten würden. Der Student am Büchertisch der BüSo verweist auf Bilderberg und Goldman Sachs: Wer beherrscht die Welt? Das wisse doch jeder. Und so weiter und so fort. Nur spielt das – anders als der Islam-, Türken- oder Araberhass, der Antiamerikanismus oder die Israelkritik – in der öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle.
„Das wird man doch noch sagen dürfen“ gilt nur in Bezug auf Muslime. Das ist nicht fair, wie es in der Kinowerbung für Ben & Jerrys Eis heißt. Israel kriegt den ganzen verdrucksten Antisemitismus ab. Das ist auch nicht fair.
Nur raus damit. Nicht jeder Antisemitismus ist eliminatorisch, es geht nicht um Gaskammern und Sonderkommandos. Juden sind ja auch Menschen, wie man noch in den 1960er Jahren in aller Unschuld sagte. Aber man wird doch noch sagen dürfen, dass man sie nicht besonders mag, oder? Sagen wir: an drei tollen Tagen im Jahr. Wer traut sich?
Wie unterscheiden wir Stadien des Antisemitismus (gewöhnlich/ungewöhnlich)?
Friedman – wer den sieht und ihn nicht grinsend mit einer Karikatur aus dem Stürmer assoziiert, hat keinen Humor. Wäre das gewöhnlicher Antisemitismus? Schuldig! Ich habe mich gekringelt vor Lachen, beim ersten sehen.
Wer ihn wegen seiner Klischee-Erscheinung nicht ernst nimmt (es gibt andere Gründe), wäre dann ein Hard Core – Antisemit? Meiner Meinung nach – Ja.
…aber an das, was Sie an EJ und Moritz Berger schreiben, möchte ich mich ohne Einschränkungen anschließen. Außer vielleicht, dass Sie keinesfalls hier den Anlass gegeben haben, im Boxring das Handtuch zu werfen.
…zum Sättigungsgefühl, das wir angeblich ignorieren: Wenn ich Süßigkeiten esse, ignoriere ich kein Sättigungsgefühl, sondern es gibt keins, was ich ignorieren könnte, bevor ich zuviel davon gegessen habe.
@Stevanovic: Ich stimme Ihren Überlegungen teilweise zu, allerdings glaube ich nicht, dass es reines Raten ist, ob etwas zu einem bösen Ende führt oder nicht. Dazu haben wir ja die Wissenschaft: Dass aus dem reinen Raten begründete Hypothesen über die Zukunft werden. Dass der eliminatorische Antisemitismus in Europa keine Gefahr darstellt, stimmt auch nur im systematischen Sinn (d.h. was die politischen Systeme angeht). Für einzelne Juden stimmt das leider nicht; die sind an Leib und Leben gefährdeter als andere.
Ich hatte mich hier zu der Frage geäußert, ob es „ganz gewöhnlichen“ (Posener), d.h. nicht-eliminatorischen Antisemitismus überhaupt gibt – denn das war bestritten worden (von J. Dahlem). Und ich meine: Ja, den gibt es. Um das genauer zu verstehen, muss man Antisemitismus in eine ganze Reihe ähnlicher Phänomene stellen, so wie das auch im Artikel gemacht wurde. Die reine Betrachtung empirischer Auswüchse (Ungarn) und der Hinweis auf deren Gefahrenpotential bietet keine Antwort.
@KJN: Ernähungstipps, die nicht auf Fakten beruhen, sind sinnlos, ja. Aber die meisten Ernährungstipps beruhen auf Fakten. Es schnurrt ein riesiger Forschungsapparat wie am Schnürchen, der sich mit aufwändigsten statistischen Untersuchungen zur Wirkung bestimmter Lebensmittel auf bestimmte Krankheitsbilder beschäftigt. Bei so einem regen Betrieb wird auch viel Humbug produziert, ja, aber gleich das gesamte Forschungsfeld als unsinnig zu diskreditieren ist falsch. Wir wissen inzwischen – wie Sie ja auch sagen – dass unser Körper nach Zucker giert, aus genetischen Gründen. Egal ob er schon genug Zucker hat (dies stellen Sie falsch dar); er ruft weiter nach Zucker, so lange, bis ihm schlecht wird. Das kann ich auch bei meinen Kindern überprüfen. Wenn wir unkritisch auf unseren Körper hören, geben wir ihm viel zuviel Zucker. Und dasselbe gilt für Fette (außer Olivenöl, Rapsöl u.ä.) und alles, was lecker schmeckt, aber im Übermaß ungesund ist. An dieser Tatsache sollte man nicht versuchen sich vorbeizumogeln. Auf der besagten USA-Reise habe ich einen Eindruck bekommen, wie unglaublich fett ein beachtlicher Teil der mittelständischen weißen Amerikaner sind; so etwas gibt es hier in Europa in dieser Form bzw. Unform nicht. Wenn man sieht, was die in sich hineinstopfen, braucht man keine grüne Weltverschwörung, um zu erkennen, woran das liegt. Ich habe in der Familie einen Kardiologen und eine Pharmazeutin, die sich beide sehr für diese Forschungen interessieren, und kann hier berichten, was die sagen: Das ist nicht alles Schrott und Quatsch, und vieles dieser Forschungen fließt früher oder später in jene Ernährungstipps hinein. Damit will ich nicht sagen, dass es richtig und sinnvoll ist, sein Leben nach genussfeindlichen Maßregeln zu unterwerfen. Aber ganz darauf zu verzichten, sie zur Kenntnis zu nehmen, ist dumm. Ich habe mir vor einigen Jahren das regelmäßige Rauchen abgewöhnt, das hat meinem Körper gar nicht gefallen (und gelegentlich rauche ich immer noch, schon aus Trotz), aber der gesundheitliche Sinn dieser harten Maßnahme steht für mich außer Frage. Und ähnliches gilt für das Essen. Inzwischen mag ich Salate und sogar Obst – zum Schluss sogar Bananen, die ich immer richtig eklig fand – wirklich gerne. Man kann sich also konditionieren. Und man sollte das auch; man sollte auch bei der Ernährung seinen Verstand einschalten und seinen Instinkten eben nicht trauen. Jedenfalls dann, wenn man bestimmte Krankheiten vermeiden will.
@R.Z., @Stevanovic
„Ernährungstipps“ sind tatsächlich sinnlos, wenn sie nicht auf Fakten beruhen, sondern auf Ideologie – und das tun sie meistens. Es hat ja einen Sinn, warum wir süßes, fettiges, herzhaftes bevorzugen und fades, wässriges, bitteres, zumindest als Kind, nur mit Widerwillen zu uns nehmen. Wir haben aber seit 2-3000 Jahren immer wieder das Problem, daß wir mit Überfluss nicht zurecht kommen. Anstatt einfach aufzuhören, zu essen, stopfen wir weiter (die nächste Ernte könnte ja ausfallen..). Wir ignorieren unser Sättigungsgefühl (wie so vieles). Da, wo Nahrung immer verfügbar war (-> Südsee) kennt man das Problem nicht oder erst in neuerer Zeit. Aber anstatt dazu anzuhalten, auf die Signale zu hören, die der Körper gibt, setzen wir noch eins drauf und fordern, auch noch die anderen Signale des Körpers zu unterdrücken. Daß das nicht gut gehen kann, kann mann/frau sich an den Zehen, oft nicht mehr mit der eigenen Hand, abzählen. Es wird nämlich kompensiert. Bittere Vollkornkuchen schmecken nicht. Daher immer viel Sahne drauf.
Es wird immer kompensiert. Bei Ernährung, Prohibition und Antisemitismus. Sie, Stevanovic, sagen ja völlig zurecht
„Ich brauche den Judenwitz nicht, aber ich brauche Witze als Ventil. Nachdem diese Minderheit 2000 Jahre gegrillt, vertrieben, ermordet und denunziert wurde, wäre es anständig, sie einfach mal einige Zeit mit den Ressentiments in Ruhe zu lassen. Nicht weil sie anders sind oder zu viel gelitten hätten, sondern weil wir (das christliche? Europa) nicht damit umgehen können und die X-te Debatte zu diesem Thema führen.“
Dem wäre m.E. nichts hinzuzufügen, wenn nicht einerseits hemmungslos und herzhaft über das „faschistische“ Israel kompensiert würde und nicht andererseits die Fähigkeit zum Vorurteil selber, nämlich zu einer nicht reflektierten schnellen Vorauswahl, eigentlich eine wichtige Überlebensstrategie wäre. (Man stelle sich vor, man würde in der U-Bahn jeden für einen Taschendieb halten.) Unangenehm ist beim Thema hier die „Vorauswahl“ nach jahrhundertealten immer gleichen Klischees, die zu allem Überfluss nun auch noch durch eine Philo-Wahrnehmung weiter tradiert werden oder durch eine verordnete humoristische Beißhemmung auch noch durch einen „Opfer-Schonstatus“ erweitert werden.
Das ist natürlich ein Dilemma. Dilemata lassen sich oftmals durch Humor umgehen – hier in Europa wäre allerdings die Einrichtung einer/eines Ressentimentwitzgleichstellungsbeauftragten angemessener. Das hätte den Vorteil, daß bei der zu berücksichtigenden Vielfalt an Minderheiten die Juden gar nicht mehr auffallen würden.
@EJ
„..da ist nichts (oder doch nur sehr wenig) von Diskurs.“
Das ist natürlich ein Vorwurf, der einen, der sich hier öfter äußert, ein Vorwurf, der ins Mark trifft. Auch ich „benutze“ den Blog als virtuelle Verlängerung realer Diskussionen, manchmal auch mit Argumenten und Einverständnis meines, nun mit 22 ebenfalls erfolgreich entwachsenen, Sohnes oder eben Diskussionen mit Freunden, Kollegen/Weggefährten, die auch immer mal wieder nach „dem Blog, wo du bist“ fragen.
Ich hatte etwas den Eindruck, daß Sie sich nach dieser Beschneidungs-Diskussion mehr und mehr zurückgezogen haben, Sie erinnern sich vielleicht, wir waren da nicht gleicher Meinung (Sie: körperliche Unversehrtheit, ich: das geht den Staat nix an). Nein, ich möchte das nicht aufwärmen, aber es wäre vielleicht gut gewesen, wenn Sie Ihren Standpunkt weiter ausgefeilt hätten, bzw. die Diskussion weiter geführt hätten. Die Menschenrechte und deren Auslegung betreffen nun mal die DNA unseres Gemeinwesens und an dem Punkt ist durchaus auch ein Dilemma. Ich selber habe meine Meinung nicht geändert, aber ich meine auch, an Dilemmata müssen wir uns gewöhnen. Ob sie nun gelöst werden können, oder nicht. Ihr Ansinnen nach Schutz der Säuglinge und Kinder war ja gerechtfertigt und sie forderten gesetzgeberische Konsistenz.
Leider ist die Diskussion in der Öffentlichkeit ja durch schrille antisemitische Obertöne unkenntlich geworden, was einen weiteren Austausch hier sinnlos werden lässt (man hat ja auch anderes zu tun).
Ich selber drücke mich vielleicht eher zu schemenhaft oder flapsig aus, als daß Diskurs unterstützt wird, oder es ist mein Ansatz, daß Kapitalismus jedem nützt, wenn man auch jeden mitmachen lässt, was vielleicht als affirmativ gegenüber den Autoren hier empfunden wird. Sie legen hingegen einiges auf die Goldwaage (bzw. Sie können das), was dem Blog gutgetan hat. Mir ist diese Sprachanalytik leider nicht gegeben. Nun ist das nicht mehr, als eine schöne Nebensache hier, sozusagen mein „Rundfunkbeitrag“, der einen abends oft genug vom „öffentlich-rechtlichen“ abhält. Ich hielt/halte Ihre Kritik jedenfalls für konstruktiv.
@M.B.
Auch bei Ihnen finde ich es schade, viele Ihrer Links waren Anregung. Ich denke, Ihr unternehmerischer Ansatz hebt sich wohltuend von allzu konservativer Geschäftemacherei ab. Eine Auszeit (auch von hier) braucht aber jeder mal, ich auch.
APo: … stellt eine Plastik die “Judensau” dar. Sie wird identifiziert mit dem Namen Gottes. Luther hat begeistert diese Plastik ausgedeutet. Soloche Judensau-Darstellungen gibt es zwar vereinzelt in ganz Europa. Gehäuft jedoch treten sie nur in Deutschland auf. Dafür mag es unterhalb der Goldhagen-These eine gute Erklärung geben. Aber es ist klar, dass der Antisemitismus seine besondere Stellung unter den Rassen- und Religionsphobien der Tatsache verdankt, dass die Juden für die Christen “das Volk der Gottesmörder” waren.
Ich mag Konrad Adam. Ob er angesichts seiner familiären Verstrickung der richtige Reznsent für Goldhagen war, darf man bezweifeln….
Inschrifttafel, Regensburg: ‚Die Skulptur als steinernes Zeugnis einer vergangenen Epoche muss im Zusammenhang mit ihrer Zeit gesehen werden. Sie ist in ihrem antijüdischen Aussagegehalt für den heutigen Betrachter befremdlich.
… diese Inschrift ist sicher nicht ausreichend, um mittelalterlichen Antijudaismus zu erklären. Das wäre ein Thema für sich.
Um Goldhagens These zu widerlegen brauche ich Konrad Adam nicht.
Antisemitismus ist ein Terminus der in der Neuzeit geschaffen‘ wurde. Auch gibt es in den Evangelien gibt kein Antijudaismus, Antisemitismus, Rassismus. Im Übrigen kommt Antisemitismus auch ohne Gojim, Nichtjuden, aus. Marx sei ‚Dank‘.
O-Ton Marx: ‚The classes and the races, too weak to master the new conditions of life. They must give way […] They must ‚perish in the revolutionary holocaust‘. … und noch mehr.
Judenfeindschaft gab es schon Jahrhunderte vor Jesus Christus.
Hinterfragen sollte man die Verstiegenheit Goldhagens, ‚der einen Genieverdacht gegen sich selbst hegt‘ nach seinen Thesen: Quelle.
‚Die Vereinten Nationen sind eine Fehlkonstruktion, die durch die Schaffung einer Art Weltregierungsallianz der demokratischen Staaten ersetzt gehört, die ein juristisch neues Vergehen, nämlich »Krieg gegen die Menschheit«, unter Strafe stellt, womit jede eliminatorische Absicht oder Handlung gemeint ist. Wenn sich irgendwo eine genozidale Entwicklung abzeichnet, wird erst mal die Bevölkerung mit Flugblättern und E-Mails darüber aufgeklärt, dass sich Ungutes zuträgt, damit sich keiner herausreden kann, er habe nichts gewusst. Sodann werden Kopfgelder für das politische Personal ausgelobt (zehn Millionen für den Regierungschef, eine Million für jeden Minister und 100.000 Dollar für niedrigere Chargen).‘
@Roland Ziegler
Die Diskussion über den eliminatorischen Antisemitismus ist unerheblich für unsere Frage. In Europa wird ihn niemand umsetzen können (toitoi), ob etwas zu einem bösen Ende führt oder nicht, ist reines Raten. Die Zahl der Irren, die offen für die Ermordung anderer eintreten, ist weltweit sehr niedrig. Selbst der KKK und sein Umfeld wollen nur ihre Rasse retten, selbst die Endlösung wurde erst 1941 formuliert. Was für einen eliminatorischen AS in Nazi-Deutschland spricht, sind die Toten. Heute spekulieren wir nur. Ob ein Augstein an einer Rampe stehen würde, war ein saudummes Gedankenspiel. Es gibt bestimmt Situationen, in denen jeder an irgendwelchen Rampen stehen könnte (behaupte ich jetzt mal).
Schweden und die Schweiz zum Beispiel, haben Behinderte und sozial Schwache sterilisiert. Die Vorstellung, man könnte und müsste Probleme endlösen, war verbreitet. Ich habe Goldhagen nicht gelesen, habe aber auch nicht gehört, ob er sich andere „Endlösungen“ dieser Zeit angeschaut hat. 1918 glaubte man, den letzten Krieg geführt zu haben. Penizillin läutete die Endlösung der Bakterien ein. Atom in den 50ern – nie wieder Energieprobleme. Es war eine Zeit, in der man glaubte, Probleme ein für alle Mal in den Griff zu bekommen. Vormoderne? Diese Geisteshaltung übertragen auf Menschen, naja, die Ergebnisse kennen wir. Kommunismus und die Lösung aller Menschheitsprobleme. Glaubte man überzeugt nur damals (Ausnahmen…). Euthanasie. Es spielt keine Rolle auf welchem Feld.
Das ist heute schon anders. Niemand glaubt mehr an endgültige Lösungen (in Europa). Spätestens der Wandel der Globalisierung hat uns den Zahn gezogen. Deswegen glaube ich nicht, dass man in diesen Kategorien denken sollte, wenn man heutigen Antisemitismus beschreibt. Außer man will aus dem Thema Kasperltheater machen (Broder). Ich lehne mich aus dem Fenster und behaupte, dass selbst wenn es einen eliminatorischen AS in Deutschland gegeben hat, heute die intellektuellen Voraussetzungen dafür fehlen (Ausnahmen bestätigen die Regel). Wir denken heute anders.
Wegen einer befürchteten neuen Endlösung sollte man auf AS-Ressentiments nicht verzichten. Dafür fehlt die Grundlage. Behaupte ich.
….in Indien heißen die Untersten ja „Unantastbare“. Das ist eine zweckdienliche Vorrichtung, die verhindert, dass das ganze Kastensystem – explizite Ressentiments – ins Rutschen gerät, weil man das Fundament antastet.
Im Prinzip ist es wohl so, dass die nicht-eliminatorischen Ressentiments versuchen, die Hierarchie innerhalb einer Gesellschaft zu zementieren oder zu ändern. Die Diffamierten befinden sich unten auf der Skala oder sollen von weiter oben dorthin rutschen. Manager unterliegen heutzutage einem solchen Ressentiment; sie sollen von ganz oben etwas weiter herunterrutschen.
Das heißt aber nicht, dass man ganz auf sie verzichten will. Auch die Alleruntersten sind wichtig. Denn wenn man die unterste Schicht ausradieren würde, rutscht man selber um eine Stufe nach unten, was keiner will. Jedenfalls im Normalfall. Im Extremfall sieht das anders aus.
War vorgestern in Wittenberg, der Wiege der Reformation. An der Stadtkirche St. Marien, wo Martin Luther an die 2000 Mal predigte, stellt eine Plastik die „Judensau“ dar. Sie wird identifiziert mit dem Namen Gottes. Luther hat begeistert diese Plastik ausgedeutet. Soloche Judensau-Darstellungen gibt es zwar vereinzelt in ganz Europa. Gehäuft jedoch treten sie nur in Deutschland auf. Dafür mag es unterhalb der Goldhagen-These eine gute Erklärung geben. Aber es ist klar, dass der Antisemitismus seine besondere Stellung unter den Rassen- und Religionsphobien der Tatsache verdankt, dass die Juden für die Christen „das Volk der Gottesmörder“ waren.
Ich mag Konrad Adam. Ob er angesichts seiner familiären Verstrickung der richtige Reznsent für Goldhagen war, darf man bezweifeln.
Ansonsten aber, bitte das Schmunzeln nicht vergessen… Denn Gott sei dank, wir sind nicht so. Wir nicht, lieber 68er. Wir nicht.
…kurzer Nachtrag: ich meinte nicht, dass das antisemitische Ressentiment den westlichen Gesellschaften irgendwie inhärent wäre, sondern nur, dass man es dort trifft. Jedenfalls wenn man Statements wie die von Herrn Augstein als antisemitisch bezeichnet – solche Statements werden überall gemacht. Wenn man solche Statements nicht über den Bezug auf ein Ressentment erklärt, d.h. nicht für antisemitisch hält, wie u.a. ich, dann findet man trotzdem andere Aussagen, die sich eindeutig pauschal-abwertend gegen Juden richten, ohne dabei eliminatorisch zu sein, d.h. ohne dass impliziert wird, dass die Juden vertrieben oder gar vernichtet werden sollen.
Wahrscheinlich ist der Sexismus das erste und basale Ressentiment, das den kleinen Kindern unmittelbar begegnet und sie schnell verstehen. Mädchen machen das, Jungs etwas anderes – das dürfte in jeder Kultur auf der Welt gleich sein. Der Sexismus scheint außerdem das einzige Ressentiment zu sein, das nicht in einer eliminatorischen Ausprägung existiert. (Ggf. könnte Hexenverfolgung oder Ehebrecherei eine Ausnahme bilden, aber dafür gibt es ja männliche Spiegelbilder: Hexer und Ehebrecher). Dies könnte damit erklärt werden, dass der Konkurrenzaspekt unter Männern fehlt.
Alle anderen Ressentiments sind jedenfalls in harmloseren und weniger lustigen Varianten erhältlich. Das insgesamt verheerendste Ressentiment dürfte gegen Schwarze sein, hier hat die Sklaverei eine gigantische Opferzahl über einen erstaunlich lasngen Zeitraum und in riesigen Gebieten gefordert. Hierbei ist das Ressentiment sehr bösartig, die Sklaverei ist ein schreckliches Verbrechen mit vielen Aspekten, aber es ist nicht eliminatorisch, weil es die Opfer zu Nutzvieh degradiert, das man natürlich nicht eliminieren will. Der Holocaust stellt die bösartigste Ausprägung eines Ressentiments dar, die man bislang gesehen hat, und ist insofern tatsächlich eine Singulariät: Nie wurden in kürzerer Zeit mit systematischeren Methoden und einem ähnlich klaren Ziel mehr Menschen zusammengetrieben, um sie zu töten.
Trotzdem gibt es sowohl das antisemitische Ressentiment in nicht-eliminatorischer Ausprägung (dies ist sogar der absolute Regelfall; es besteht derzeit in sämtlichen westlichen Gesellschaften) als
auch das Ressentiment gegen Schwarze in eliminatorischer Ausprägung, wie man an radikalen Rassisten (Ku-klux-Klan u.ä.) sehen kann. Auch das Ressentiment gegen Schwule/Lesben ist als eliminatorisches nachweisbar (ich habe selber schon den Spruch: „die sind ja krank, die muss man vergasen!“ gehört).
M.a.W.: Wie Herr Posener schon sagt, muss man hier seine Empörung zu beherrschen versuchen, genau hinsehen und differenzieren, statt alles über einen Kamm zu scheren.
@M.B.
Zur Liste: Danke dafür. Wenn Sicherheit immer vor geht, dann steht die Freiheit immer hintenan.
Zu Ihrem (und EJs) Abschied bedenken Sie: Konsequenz ist kein Wert an sich 😉
(Ich sag‘ da morgen noch was zu)
Meine Güte, was für ein Abend. Bis zum Abpfiff von meinen Bayern strapaziert. Dann der neue Papst, Franziskus I., der Name spricht nicht für ein hieros gamos (heilige Hochzeit) zwischen der „kapitalistischen Demokratie“, der Schwulenemanzipation und der Catholica. Keine Zeit für Posener, sich zu entspannen, zumal Franziskus bescheiden sympathisch wirkt.
@ Parisien
haben Sie denn ganz vergessen, dass Sie bei einer Polemik gegen Broder es für nötig hielten, mich als direkten KZ-Einlieferer zu diffamieren? Als ich Ihnen darauf auf Ihren Pferdefuß trat, ganz schön zu jammern und (zeitweilig) auszuscheiden? Also ganz so ohne scheint meine Polemik nicht zu sein. Reicht Ihnen dieser kurze Pfeffer? – Broder profitiert von seinem Judenbonus, lebt von dem Antisemitismus, der sein siamesischer Zwilling ist. – Nur, reine Polemik ist für mich nicht das entscheidende; letzlich will ich z.B. Sie nicht so verschrecken, dass ein Stück Vernunft nicht auch bei Ihnen ankommt.
@ 68er
Ich freue mich, dass Sie mich hinsichtlich der Doku „Töte zuerst“ („The Gatekeeper“ ist natürlich der bedeutend bessere Titel) unterstützen. Ich habe darauf am 5. März hingewiesen (http://starke-meinungen.de/blo.....ment-19670). Meine geschätzten Mitkommentatoren haben darauf, um das mindeste zu sagen, sehr reserviert reagiert. Broder hat dazu noch keinen Mucks gestan. Ich glaube auch nicht mehr, dass er ein eigenständiger Kopf ist (bei Alan Posener zweifle ich auch); er wird abwarten, was Linie der Hasbara ist. Der gute Mann hat genug Dreck am Stecken (z.B. seine Stellungnahme im „Semit“), um nochmal selbständig aus dem Schützengraben zu treten.
APo: Das ist der Punkt, den Goldhagen mit seinem Buch unterstreichen wollte: er sah ja den deutschen Antisemitismus – nicht erst bei den Nazis – als tendenziell eliminatorisch an, anders als den verbreiteten Antisemitismus etwa in den angelsächsischen Ländern.
… es gibt keine Kollektivschuld. Oder?
Zu Goldhagens erstem Buch über Hitlers willige Vollstrecker Konrad Adam in der WELT:
‚Die Schlange biß sich immer wieder in den Schwanz; Behauptungen wurden mit Belegen, Belege mit Behauptungen bewiesen. Natürlich wolle er nicht verallgemeinern, versicherte Goldhagen. Verallgemeinerungen seien nur dann erlaubt, wenn sie zuträfen; und seine träfen eben zu. Sagte Goldhagen.
Gegen diese Art von Beweisführung ist kein Kaut gewachsen. Die Auseinandersetzung mit Leuten, die zwischen Beweis und Beweiswürdigung nicht unterscheiden können oder wollen, bringt nicht viel. Goldhagen ist immer beides, Ankläger und Richter. Er macht es wie im Inquisitionsprozeß, der ja auch zwischen der einen und der anderen Funktion nicht trennen wollte. Das Urteil stand in jedem Falle fest: Leugnete der Angeklagte, war er vom Teufel besessen und schleunigst zu verbrennen; gestand er, dito.‘
Lieber KJN, lieber Roland Ziegler,
hier noch zum Abschied eine nette Darstellung,die uns aufzeigt dass wir zunehmend mit Vorschriften eingedeckt werden:
http://forum.egosoft.com/viewtopic.php?t=12654
Es existiert auch irgendwo im Netz eine ppp
@68
Nicht persönlich nehmen. Bezog auf das Zitat von Serdar Somuncu, das zwar richtig ist, in der Praxis im Falle der Juden aber nicht funktioniert – wie gesagt, nicht wegen der Juden.
Ob Israel Frieden macht oder nicht, spielt für den Antisemitismus keine Rolle. Israel gibt es wegen dem Antisemitismus, nicht umgekehrt. Selbst wenn Israel das mosaische Großreich ausruft, spielt das für meinen Zugang zu Juden keine Rolle. Nicht alle Deutsche waren Nazis, nicht alle Moslems sind Terroristen, usw, klar. Und das mit dem Frieden kenne ich vom Balkan: alle sind dafür, wenn der andere erst mal tot ist. Der Konflikt Araber/Israelis ist auch nichts Besonderes, was ihn nicht schöner macht.
Balkanwitz: Zwei Moslems, Mujo und Haso, treffen sich bei Kriegsausbruch: Haso! Wo gehst du jetzt hin? Ich gehe nach Sarajewo, dort sind Izetbegovic, die Mudschaheddin, meine Onkel, meine Brüder und alles was mir lieb ist. Wo gehst du hin, Mujo? Ich gehe zu Arkan und den Tschetniks. Bist du verrückt, wieso das denn? Naja, da sind mein Auto, meine Uhren, mein Videorecorder, mein Haus…
Das c wird als tch ausgesprochen (weicher als das tsch in Deutschland).Ich fände es toll, einen -witz schon im Namen zu haben. Ist leider nur -vic.
Wenn Goldhagen wirklich recht hätte, und „wir Deutschen“ wirklich besonders willige Vollstrecker wären und/oder eine besonders aggressive Form des Antisemitismus in unserer Kultur und unserem kollektiven Gedächtnis gewachsen wäre, dann könnte ich noch viel weniger verstehen, warum sie, Herr Posener, Scherze mit der notwendigen Tabuisierung des Judenhasses in „unserer“ Gesellschaft treiben.
Und was Augstein und Grass betrifft: Natürlich trieft aus ihren Ergüssen gegen den „Juden unter den Staaten“ (Poliakov) ein mehr schlecht als recht kodierter Antisemitismus, der natürlich dem Wesen nach auch eliminatorisch ist. Durch diverse Verzerrungen und Verleumdungen wird Israel als Gefahr für den Weltfrieden hingestellt. Dahinter steckt nichts anderes als das altbekannte Leitmotiv jedes Judenhassers, der Jude (Israel) sei für die Gesellschaft (die Staatengemeinschaft) eine lebensbedrohliche Belastung.
(PS: Nein, ich bin mit Franz Dahlem weder verwandt noch verschwägert)
@ Stevanovic
Alan Posener begann mit den Juden, hechelte dann ein paar andere vermeintlich abgrenzbare Gruppen ab und endete dann wieder bei den Juden. Ich hab was über die Vorteile von Vorurteilen bei der Wahl von Freunden geschrieben und dann noch auf einen Film verwiesen, der überhaupt nichts mit Witzen über Juden zu tun hat, sondern zeigt, dass man mit einem gewissen Ernst und viel gutem Willen weiterhin hoffen sollte, dass in Israel und Palästina vor allem Menschen leben, die egal welcher Religion und gleich welcher Nation eigentlich in Frieden leben wollen.
Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich einen Witz über Juden erzählt und nur ganz selten, dann meist von Juden oder Israelis, einen gehört. Sehr häufig begegnen mir Witze über Türken, Polen, Blondinen oder andere abgrenzbare Gruppen.
Vielleicht erzählen Sie mal einen Witz vom Balkan. Vielleicht einen der erklärt, wieso so viele Namen da unten auf -vic enden. Und wenn Sie keinen wissen, vielleicht denkt sich jemand einen aus.
@68er
Es ist immer das gleiche: wir einigen uns darauf, dass jede Minderheit diskriminiert werden darf und schon geht es mit den Juden los. Und alle fühlen sich therapeutisch befreit. Gefolgt mit dem Hinweis, dass „die“ ja schon seltsam sind. Und schon ist der Witz kein Witz, sondern ein Statement. Funktioniert nur mit Juden, ganz gleich ob in Deutschland oder dem Balkan. Solange dieser therapeutische Befreiungseffekt eintritt, mag ich keine mehr machen. Naja, in sicherer Runde schon mal. Dort wo ich sicher bin, dass Juden weder Orks noch Elfen sind. Wenn jede Gruppe ein Recht auf Diskriminierung hat, dann nehmt eine andere. Sagen wir für ein Jahr. Wer Entzugserscheinungen bekommt, sollte zum Arzt gehen.
@Parisien
Das ist es ja gerade, ich glaube nicht, dass das helfen würde. Der Jude dient als der Schwarze Mann, als metaphysisches Unheil. Egal wo, Antisemiten gibt es überall (zugegeben mal mehr, mal weniger), dort wo es Juden gibt und dort, wo es keine gibt. Antisemitismus hat überhaupt nichts mit Juden als realer Gruppe zu tun. In der Form habe ich das nur in Bezug auf Juden erlebt. Eine Art urbaner Legende. Da bekommt „auserwählt“ eine bittere Note. Ich bin durch den Vergangenheitsbewältigungsapparat gegangen. Wer kann danach einem Juden begegnen, ohne an Auschwitz zu denken? Und dann unbefangen einen Judenwitz machen, wie man ihn über Türken, Jugos, Deutsche machen würde. Selbst dort, wo man Philosemitisch ist, sind Juden etwas ganz Besonderes. Was heißt dann „normaler“ Umgang, nachdem von beiden (anti und philo) Seiten erzählt wurde, dass sie etwas Außergewöhnliches sind (ich muss immer an Mel Brooks „jews in space“ denken). So traurig das ist, bevor wir nicht einen Ersatz für den Schwarzen Mann gefunden haben, plädiere ich in Europa für ein Moratorium der Judendebatte, bis wir verstehen, dass wir die bekloppt sind. Nicht sie. Bis dahin mache ich Türkenwitze oder lache über Deutsche. Da muss ich keine Angst haben, dass ich statt Gelächter ein zustimmendes Kopfnicken bekomme.
Ergänzung:
Irgendjemand hatte in den letzten Tagen bereits auf den Film „Töte zuerst!“ hingewiesen. Ich finde er ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie man durch rationales Denken und menschliche Begegnung Vorurteile überwinden kann. Wenn man da sieht, wie die ehemaligen israelischen Geheimdienstchefs beschreiben, wie sich ihre Haltung verändert hat, kann vielleicht sogar Lyoner hoffen, dass HMB einmal wieder zurück auf den Teppich kommt.
http://mediathek.daserste.de/s.....zuerst-der
Dieser Film zeigt, dass der Funke der Aufklärung immer wieder zünden kann.
Wer ohne Hoffnung ist, scheut nicht den Tod!
@ Stevanovic
Die Debatte um Beziehung zu Juden ist nicht normal, weil zu wenige davon hier sind. Das erinnert einen dann sofort daran, warum das so ist. Gäbe es viele jüdische Ärzte, Bäcker, Taxifahrer, Lehrer etc., wäre der Umgang viel normaler. AS existiert auch in Spanien, obwohl man Juden in Spanien zählen kann. Mich erinnert das an ein amputiertes Bein mit Phantomschmerz.
Wieso soll man sich zu irgendwelchen antisemitischen oder philosemitischen Klischees bekennen, die jeder bewusst oder unbewusst auf seine Weise pflegt, wenn man bei einigen Leuten bereits Antisemit ist, wenn man sachliche Kritik an einzelnen politischen Entscheidungen der israelischer Regierung übt oder aus mitfühlenden Beweggründen die Beschneidung von Minderjährigen grundsätzlich für unzulässig hält?
Eines meiner Lebensmottos war immer: Besser ein gesundes Vorurteil, das man bereit ist zu überdenken, als ungreifbare Vagheit im Urteil. Einige meiner besten Freunde habe ich beim ersten Zusammentreffen erst einmal in die Schublade „Riesenarschloch“ einsortiert um später zu bemerken, welch wertvollen Menschen ich da kennengelernt hatte.
Oder wie Serdar Somuncu sagt:
Jede Minderheit hat ein Recht auf Diskriminierung.
Lieber Herr Posener,
leider verstehe ich nicht, was die Pointe Ihres Artikels sein soll. Insofern haben Sie Recht, überflüssig ist zu schnell geurteilt. Ressentiment gegen andere ist Allgemeingut. Der gegen Juden hat neurotische Züge, deswegen hat er mit Antisemitismus einen eigenen Begriff. Ich verstehe Sie so, dass sie testen wollen, wie sich ein handelsübliches Ressentiment gegen Juden anhören würde, wenn er nicht neurotisch wäre. Dann springen sie aber wieder auf die neurotische Schiene. Ich kenne kein Dutzend Christen, die mir Trinität in Bezug auf den einen Gott (Vatter und Sohn sind schon zwei, Heiliger Geist wegen Skatrunde?) erklären können. Das Konzept des Auserwähltsein ist bestimmt genau so komplex. Was haben diese theologischen Debatten mit Antisemitismus zu tun, gerade vor dem Hintergrund der Wurstigkeit, mit der sogar der eigenen Religion begegnet wird? Kaum einer weiß, was Pfingsten ist, aber jeder weiß, was Auserwählt bedeuten soll. Das sind Nebenschauplätze. Genauso die Frage des Reichtums, Griechen wissen nicht mal, wo in Griechenland das Geld ist, bei amerikanischen Juden ist der antisemitische Grieche sich aber sicher. Bevor wir über Juden reden, sollten wir über Antisemiten sprechen. Oder möchten Sie Grenzen ausloten? Na dann:
Broder schreibt für die schweizerische Weltwoche, die den Banken nahesteht. Bekommt er dafür Geld. Nein, er bekommt pro Artikel einen Goldzahn seiner Großmutter zurück. Geschmacklos ist es sicherlich. Wenn nicht jeder Judenwitz gleich Ausschwitz ist, wie sähe dann ein koscherer (haha) Judenwitz aus? Vor allem, wäre er witzig? Wenn Sie mich fragen (danke!) gibt es 1000 Minderheiten, über die man unbefangen lachen kann. Ich brauche den Judenwitz nicht, aber ich brauche Witze als Ventil. Nachdem diese Minderheit 2000 Jahre gegrillt, vertrieben, ermordet und denunziert wurde, wäre es anständig, sie einfach mal einige Zeit mit den Ressentiments in Ruhe zu lassen. Nicht weil sie anders sind oder zu viel gelitten hätten, sondern weil wir (das christliche? Europa) nicht damit umgehen können und die X-te Debatte zu diesem Thema führen. Wir müssen nicht mit Gewalt einen normalen Umgang finden – den wird es geben oder leider nicht. Die Spielwiese ist doch groß genug.
Das Schöne an Ressentiments – neben ihrem komischen Potential – ist ja auch, dass man die mit den Ressentiments – die anderen – so richtig schön blöd finden kann. Alle.
@Parisien: Ich wollte damit nicht sagen: langweilig. Oslo ist eine sehr schöne Stadt, an einem warmen Tag voller Leben.
Insgesamt ist ist mir im Philosemitismus, wie im Antisemitismus zuviel (rassisch-) anthropologisches Interesse. So ein wenig Leni Riefenstahl. Da ist auch romantische Idealisierung dabei. Das hat aber nichts damit zu tun, ob man bestimmte Musik mag oder nicht (-> Stevanovic: Klezmer ist vor allem osteuropäische Musik, die mag man oder nicht), sondern mit einem eher merkwürdigen Menschenbild.
Manche Komiker spielen mit diesen (Ethno-)Klischees (Oliver Pollak, Bülent Ceylan, Gerhard Polt), weil’s eigentlich auch lustig ist und nicht mehr. Aber es wird wohl noch lange dauern, bis der „Saujud'“ und der „Saupreuß'“ auf gleicher Ebene stehen.
Nochmal zu Posener:
Im Prinzip ist es ja großartig, wenn die Deutschen ein Verständnis für andere Kulturen aufbringen. Dass sie dabei ihre eigene vergessen und zunehmend ungebildet werden, ist, wie auch in den USA, von einer global wachsenden Wirtschaft gewünscht. Es erschüttert mich daher regelmäßig, dass gerade Sozialdemokraten und Grüne das nicht bemerken und sich für etwas stark gemacht haben, gegen das sie gleichzeitig angeblich sind. Angeblich sind sie gegen Kapitalismus, vor allem Turbokapitalismus, in Wirklichkeit sind sie zutiefst pekuniär interessiert und unterstützen eine bestimmte Wirtschaft, nur oft nicht die eigene, es sei denn, es handele sich um Windräder, die israelische oder die amerikanische, eine irre Kombination. Das ist dann zum Scheitern verurteilt, wenn der Mensch sich seine Kultur nicht wegnehmen lässt.
@ Lyoner
Eines Tages brach Abraham aus dem täglichen Einheitskreisen auf und machte etwas Neues, genau wie später Jakob oder Joseph oder Moses oder David oder Elias oder Jonas oder Jesus. Und Rilke schrieb „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen“.
Wenn Sie nach einer Auszeit wieder auf Israel (oder Broder) zurückkommen, ist es immer dasselbe Kreisen. Vielleicht fehlt Ihnen doch Religion.
@ RZ
Okay, habe ich verwechselt.
Im Prinzip ging es mir um zwei andere Dinge:
Erstens, dass Vorbehalte hauptsächlich gegen Männer gelten. Wieso auch nicht? Klassischer AS bezog sich überwiegend auf den Mann. Kritik am Islam bezieht sich nur auf Männer, daher ist es doch etwas verwegen und irgendwie islamisch, aus Kritik am Verhalten des muslimischen Mannes Islamophobie zu stricken. Die Hälfte ist gar nicht betroffen. Ihre Frau würde in dem „darkie“-McD eher positiv auffallen. Und ich wage die Feststellung, dass Frauen zuerst nach Ausstrahlung und nicht nach Rasse oder Hautfarbe beurteilt werden.
Zweitens, dass es manchmal als Rassismus ausgelegt wird, wenn andere Gruppen auch gern unter sich sind. Und das ist verkehrt. Wenn türkische Kinder die ersten Jahre nur unter Türken sind, kann man das wohl kaum dem deutschen Schulsystem anlasten.
Und Schwarze dürften uns manchmal als steif und stinklangweilig empfinden.
Ich kenne Boston ganz anders als eine skandinavische Stadt. Ich kenne Boston (und vor allem Cambridge, Mass.) eher lebhaft. Auf jeden Fall zähle ich die Stadt zu den schönsten. Unter den Städten dieser Größenordnung würde ich Boston in puncto Kultur und Schönheit auf eine Stufe stellen mit München, Hamburg, San Francisco und Stockholm, vielleicht noch Madrid. Aber St. Petersburg kenne ich noch gar nicht. Interessant finde ich, dass Frankreich und England solche Städte nicht wirklich haben. Dort ist alles Paris oder London und der Rest eher Provinz.
Zurück zum ersten Punkt: Wir whities hatten die Idee, alle müssten gleich sein. Unser Selbstbewusstsein war nach zwei Kriegen im Keller. Franzosen und Engländer kriegten über den Kolonialismus ihr Fett ab, die USA über Japan und Vietnam. Dieses mangelnde Selbstbewusstsein macht uns uninteressant. Ich fürchte, dass wir auf andere Kulturen manchmal wie ein nasser Schwamm wirken. Allerdings sind auch Versuche, etwas zu redefinieren, zum Scheitern verurteilt, wenn man Ausdrücke wie Leitkultur bringt. Richtiger wäre vielleicht Basiskultur, hier Litaratur, Kunst, Musik, Architektur und Geschichte, auch religiöse Geschichte meinend.
Zum Antiamerikanismus hatte ich schon öfter die Idee, dass als amerikanisch wahrgenommen wird, was hierzulande irgendwie dämlich eingesickert ist, dämliche Ausdrücke wie spazierengehender Kaffee oder Handy, die seichteren der Filme, die oberflächliche Musik, von halbnackten Weibern vorgetragen oder Kerlen, die sich laufend ans Gemächte fassen. Amerikanisch ist auch, dass es dort fünf der weltbesten Orchester gibt (Boston, NY, Chicago, Philly und Cleveland), großartige Opernsänger(innen), wunderbare Museen und ansehnliche Literatur. Und dass es nicht nur Leute gibt, die jeden Satz mit you know anfangen.
Lieber Stefanovic, dafür, dass der Artikel „überflüssig“ ist, haben Sie ganz schön viel dazu geschrieben.
Lieber Joris Dahlem, haben Sie was mit Franz Dahlem zu tun? Dann würde ich gern mit Ihnen reden. Ansopnsten: Nein, der Antisemitismus ist nicht immer eliminatorisch. Das ist der Punkt, den Goldhagen mit seinem Buch unterstreichen wollte: er sah ja den deutschen Antisemitismus – nicht erst bei den Nazis – als tendenziell eliminatorisch an, anders als den verbreiteten Antisemitismus etwa in den angelsächsischen Ländern. Differenzieren ist der Anfang des Denkens.
Lieber Lyoner, Ihr Judenknacks beginnt damit, dass Sie den Begriff des auserwählten Volkes missverstehen. Vermutlich gewollt missverstehen. Denn in der Bibel sagt Gott völlig unmissverständlich (ich paraphrasiere): „Glaubt ihr, dass ich euch erwählt habe, weil ihr so ein tolles Volk seid? Dann hätte ich mir doch die Ägypter nehmen können. Nein, grad weil ihr mehr oder weniger der Abschaum der Erde seid, habe ich euch ausgewählt. Weil, wenn ich mit euch meine Zwecke erfüllen kann, sehen wohl alle, wie groß ich bin.“ Ich möchte in der Geschichte ein anderes Volk sehen, das mit solchen klaren Augen auf sich schaut wie das zu seinem Leidwesen „erwählte“. Im übrigen behaupten die Christen, Gott habe mit ihnen einen „neuen Bund“ geschlossen. Das heißt, seit 2000 Jahren behaupten die Christen, sie – und nicht die Juden – seien „das auserwählte Volk“. Niemand, so weit ich das sehen kann, wirft ihnen deshalb Hochmut vor – auch Sie nicht. Und da liegt’s.
Ich musste ganz herzlich lachen – schön geschrieben!
Ich finde es immer wieder interessant, wie Leute darüber diskutieren, welche Positionen man nun wem gegenüber einnehmen darf und welche nicht, was die Norm ist und was nicht. Es gäbe halt ne ganz gute Faustformel – immer versuchen, nicht irgendeiner Gruppe pauschal irgendwelche Eigenschaften unterzuschieben. Aber nee, das ist ja ein lebenslanger, reflektiver Prozess, da brauchts lieber ne klare Ansage, wen man gerade dem Zeitgeist nach diffamieren darf und wen nicht.
@Parisien: Ja, eine gewachsene Stadt, nüchtern, aufgeräumt, mit vielen Studenten und gut gekleideten Businesstypen aller Couleur. Hat mich damals an Skandinavien erinnert, das ist aber sehr subjektiv; ich wollte lediglich sagen, dass die Verhältnisse dort mit denen in Miami oder New Orleans, wo im Stadtbild eine inoffizielle Rassentrennung offensichtlich ist, nicht zu vergleichen sind. Burger esse ich relativ gern, wir (ich und ein Freund in einem „Pontiac Catalina“ station wagon) hatten uns auf den Überlandfahrten fast ausschließlich davon ernährt. Hatte ich irgendwo was anderes geschrieben oder bringen Sie da ausnahmsweise was durcheinander?
@ Lyoner
Ich habe im ganzen web noch niemanden erlebt, der so gute Werbung für b. macht wie Sie:
„Was meinen Spezialfreund Broder angeht, nun, wenn ich für eine Einschätzung seines Wirkens auf Erden plädiere, in denen er weniger der geniale jüdische Polemiker und Präzeptor Germaniae als ein grotesker Hanswurst erscheint, dass er mit jedem anderen Migrationshintergrund oder gar als Biodeutscher nicht gefeiert sondern in den Orkus der Trolls gefeuert worden wäre – vielleicht arbeite ich da einen Neidkomplex ab, dass so einer mit “Polemik” Geld verdienen kann, ich dagegen mit meiner polemischen Ader keinen Blumenkorb gewinne.“
Insofern nähren Sie Ihren eigenen „Neidkomplex“. Sie können keine Polemik, Entschuldigung. Polemik muss kurz, scharf und punktgenau sein und so im Kern treffen, dass man gelegentlich Unterlassungsklagen kriegt. Sie sind viel zu genau, außerdem manchmal ausführlich und evtl. liebenswürdig. Die Liebenswürdigkeit Ihres hier beworbenen Scheinkontrahenten ist Wasser kurz vor dem Siedepunkt. Wenn er sich aufregt, verflüchtigt sie sich unter Temperaturzunahme und Erreichen des gasförmigen Anwaltanziehungszustandes. Ihre Liebenswürdigkeit ist solider und schwindet nur, wenn Sie üble Laune haben, weil schon wieder keiner Arte-Dokumentationen glotzen will. Sie haben außerdem einen völlig anderen Schreibstil.
Wenn er kein Jude wäre, würde er dieselbe Polemik betreiben. Es ist sein Stil. Möglicherweise hätte er ein anderes Thema. Nur hätte er vielleicht keinen so brillanten Anwalt, das könnte sein.
@ RZ
Ich finde nicht, dass man Boston „sehr europäische Stadt“ nennen kann. Boston erinnert noch am ehesten an Hamburg, aber nur an Hamburg. Wie Hamburg hat es alt und neu elegant verschmolzen. Beide sind sehr stark britisch influiert, Boston mehr als Hamburg. Im Gegensatz zu Hamburg hat Boston jedoch auch noch Berge in der Nähe, insgesamt mehr Musik und eine etwas interessantere Geschichte. Dass die Schwarzen gern unter sich sind, mag an einer ganz eigenen Sprache und Lebensart liegen. Wenn Sie dort mal wieder sind, gehen Sie in den whitie McD und schicken Ihre Frau in den „darkie“ McD, dann freuen die sich. Ach, Sie essen ja keine Burger, vergessen. Boston ist eine sehr amerikanische Stadt, amerikanischer als alle. Boston ist Ur-Amerika, eine Mayflower-Stadt. Kein Schachbrett, also keine business-Kunststadt. Aber vielleicht meinen Sie genau das: Die gewachsene Stadt.
Klezmer mag Katzenmusik sein, gerade auch dann wenn Deutsche ausflippen, aber die Ofarims waren Klasse
http://www.youtube.com/watch?v.....12EDC24C0D
Einfach köstlich, gelacht:
„Man duldete die Schwarzen, die als Busschaffner und Krankenschwestern importiert worden waren und die meine Großmutter „Darkies“ nannte, aber auf die rhetorische Frage, „Would you like your daughter to marry one?“ antwortete niemand „Why not?“ Meine Mutter hatte nichts gegen Schwarze, verachtete jedoch Amerikaner, Iren und Waliser, nicht immer in dieser Reihenfolge.“
Heute ist es im Land der „Duldung“, einer Heimat der Toleranz, nicht immer mehr so lustig, zumindest meine ich, dass es dort ganz gehörig gegen jews geht, auch mal in Form akademischer Boycotts.
Auch sehr amüsant:
„Ein weißer Mann sollte sich nicht betrunken vor den Eingeborenen zeigen, wegen der Würde. Deshalb schüttete man sich in seinen eigenen Clubs zu.“
Verdrängte Xenophobie – das glaube ich nicht. Eher ist das Beschriebene eine Folge des Reisens und der internationalen Küche, die wir haben, und die Ablehnung des Eigenen Angst vor dem Hitler in uns. Jeder Mensch hat seinen Kain in sich. Nicht schuldig werden, ist auch eine Glückssache. In Deutschland heißt der innere Kain automatisch Hitler, weswegen der widerliche Göbbels immer etwas kurz kommt.
Zum Kaputtlachen:
„Wäre die Beschneidung eine rein muslimische Angelegenheit, sie wäre längst verboten. Da die Juden das auch machen, werden wir demnächst eine neue Castingshow haben: „Germany’s Next Top Mohel“.“
Ich habe festgestellt, dass das Folgende niemandem geheuer ist:
„Meinem Vater war der Philosemitismus in Nachkriegswestdeutschland ungeheuer.“
Den Juden isser nicht geheuer, weil sie wissen, dass er umkippen kann, siehe das ursprünglich tolerante Wien Ende des 19.Jh. Dem Deutschen isser nicht geheuer, weil der meint, etwas Israelkritik wenigstens oder die eine oder andere lose Bemerkung über Alan Greenspan & Co. müsse sein und entspräche – und das ist ein Armutszeugnis – der Normalität. Und die Normalität ist auch das Schänden jüdischer Friedhöfe, Angriffe auf Rabbiner (Frankfurt, Berlin) oder Anpöbeln von Schulkindern.
Flott geschrieben, hatte Spaß beim Lesen.
Der erste link hat’s in sich. Lustiges Stück um ernste Sache. Was Sie postulieren, passiert in Bezug auf Muslime. Man redet über sie, tut ihnen aber nichts. Ausnahmen (NSU) bestätigen eher diese Regel.
@Joris Dahlem: Ihre Argumentationskette ist aber auch sehr merkwürdig. „Der Antisemit begrüßt das“, schreiben Sie m.B.a. das Sterben der jüdischen Gemeinden in Ungarn. Sie sind doch wahrscheinlich wie die meisten der Meinung, dass Grünter Grass und Jakob Augstein Antisemiten sind? Und glauben Sie auch, dass die das Sterben der jüdischen Gemeinden in Ungarn begrüßen? – Das glaube ich nicht. (M.E. sind sie auch keine Antisemiten, aber das sei geschenkt.) Ressentiments erzeugen Empörung, und Empörung blockiert das logische Denken. Wenn es in Ungarn einen eliminatorischen Antisemitismus gibt, bedeutet das nicht, dass jeder Antisemitismus immer eliminatorisch ist.
Schauen wir mal in einen Kommentarbereich der WELT
Brand in Backnang: Vater der Opfer erledigte Reparaturen selbst (http://www.welt.de/vermischtes.....elbst.html)
Schauen Sie mal auf die Zustimmungsraten der einzelnen Kommentare. Das ist doch mit PC nicht vereinbar? Sind WELT-Leser Rassisten, Türkenphobiker, Muslimhasser? Oder ist das eine Überreaktion auf PC, der von der türkischen Regierung verschrieben wird?
@Lyoner: Sie haben recht, dass ich Ihre Fopperei, die Kinder betreffend, missverstanden habe, danke für Ihre Erklärung, und ich entschuldige mich meinerseits für mein überzogen-überempfindliches Gemecker.
Nicht schon wieder!!!
Die Vergangenheitsbewältigungsindustrie hat uns eingehämmert, dass Juden etwas ganz tolles sind und uns unglaublich fehlen. Das ist nicht wahr, sie fehlen jemanden, der noch nie einen gesehen hat, ungefähr so, wie die Völker Mittelerdes. In der Schule wurde man nicht müde aufzuzählen, was Juden alles für Deutschland getan hätten. Supermenschen, Elfen gleich. Und da treffe ich meinen ersten Juden – und der ist genau so doof wie ich. Da habe ich verstanden, dass hier nie die Juden das Problem waren. Allein das Wort: Jude! In den 80ern nannten einige Lehrer sie „Mitbürger jüdischen Glaubens“. Wer Jude! sagt, den kommt der Adolf holen. Wer den Blödsinn mitgemacht hat, ist gegenüber dem Thema vollkommen befangen und verklemmt. Und bekommt große Augen, wenn er merkt, dass das Juden nicht die Bohne interessiert. Die, die ich kenne, sind peinlich berührt. Jews from outer space – das ist eine deutsche Erfindung der 80er. Ich würde mir wünschen, die Philosemiten (Klezme ist nach zwei Liedern nur Katzengejammer – endlich sagt es jemand laut. Das meiste, was hier als Jiddisch verkauft wird, ist osteuropäisch und in allen Völkern zu finden) bekommen mal 20 Jahre werbeverbot. Vorher würde ich einem Juden die Geisteskrankheit, die hier Vergangenheitsbewältigung genannt wird, nicht zumuten wollen. Den Judenknacks haben die Deutschen, weil sie einen Knacks haben, nicht weil Juden das sind, was sie sind (nette Leute, oder halt auch nicht). Wer „gerade die Juden sollten“ sagt, sollte den Anfängen wehren und „gerade als Deutscher“ in Behandlung gehen. Aber so isser, der deutsche Michel – wenn bekloppt, dann aber gründlich.
Deswegen eine Bitte: lasst die Juden doch einfach mal in Ruhe! Keine Judendebatte die nächsten 20Jahre! Und auch dieser Artikel ist überflüssig.
PS: Die meisten Israel-Fans wollen das Abendland vor dem Islam verteidigen und das bis zum letzten Juden. Deswegen können sie auch nur was mit der israelischen Rechten anfangen. Israelis für Frieden werden als Selbsthasser denunziert. Israelis für sich kämpfen lassen und eine Träne bei Klezme vergiessen – das ist widerlich. Und schon eher einen Artikel wert.
Bei Alans Oma fällt mir ein: meine (aus Polen stammende) Oma war sehr religiös, aber auch sehr liberal, was Menschen anging. Sie wurde von einer Nachbarin gefragt, ob sie je akzeptieren würde, dass ich eine Negerin (war in den 50ern) heiraten würde. / Natürlich./ Und eine Chinesin oder eine Japse? / Aber ja. / Und eine Amerikanerin oder Polin? / Natürlich. Er kann heiraten, wen er will. Solange es keine Schickse ist. (Zugegeben, ein leicht modifizierter Witz. Ich ging damals mit einer Iranerin. Als meine Oma erfuhr, dass sie Muslima war, entfuhr es ihr: wenigstens keine christliche Schickse. Sie hat meine Freundin geliebt) Baruch Haschem sind wir Juden keine Rassisten 🙂
Abgesehen von der mir nicht schlüssig erscheinenden Argumentationskette (ist es überhaupt eine?) ist die am Ende getroffene Behauptung, nicht jeder Antisemitismus sei eliminatorisch, ärgerlicher Unfug. Natürlich ist nicht jedes Vorurteil gegen Minderheiten, was aus diesem und jenem spricht, von diesem und jenem mit dem Ziel hervorgestoßen, den so Vorverurteilten zu vertreiben oder zu ermorden. Aber Antisemitismus als Ideologie, mehr noch als Teil der Kultur und Kulturgeschichte ist natürlich doch und eindeutig eliminatorisch. Da müssen sie nur nach Ungarn schauen. Der staatlich geduldete und teilweise auch geförderte öffentliche Antisemitismus führt zu einem Sterben der dort durch den Holocaust sowieso schon fast zerstörten jüdischen Gemeinden. Und der Antisemit begrüßt das. Der Jude muss entweder verschwinden oder sterben, in jedem Fall raus aus der Gesellschaft. Sie merken, das Thema ist in Europa hochaktuell und daher auch zu ernst für diese Witzeleien über den zweifellos alberne Blüten treibenden Judenknacks der Deutschen. Aber dann doch lieber der „nie wieder“-Deutsche, der sich stattdessen an Israel abarbeitet, als der Deutsche, der wieder Fackeln in die Synagoge wirft.
@ Roland Ziegler
Was den Fußball angeht, so sind Sie kein Fan, sondern sowas wie ein moderner Liebhaber. Ich selbst gehe mit meinen Bayern durch dick und dünn, bleibe immer treu; natürlich kann ich das schwer aushalten, wenn „wir“ mal zwei Jahre von den Nord-Lüdenscheidern, sprich Borussen, distanziert werden, auch wenn Klopp, das kann ich durchaus anerkennen, gute Arbeit geleistet hat.
Auch wenn Sie mich in dem anderen thread arg mißverstanden haben, will ich mich trotzdem bei Ihnen entschuldigen. Keineswegs wollte ich Ihnen unterstellen, dass Sie Ihre Kinder vorschieben/mißbrauche, um einer „Realität“ auszuweichen. Ich dachte, dass Sie denken/annehmen, dass ich Sie mit „Sie schrecken auch vor nichts zurück“ lediglich foppen, etwas derb auf den Arm nehmen wollte.
Sie sind ein glorioser Spitzbube (rofl), lieber Alan Posener, wenn Sie hier mehr oder weniger gewitzt unterjubeln wollen, dass hinter einer „Israelkritik“ irgendein nicht ausgelebtes antisemitisches Vorurteil und Ressentiment steckt. Das ist doch der Zweck der Veranstaltung? Trés sophisticated oder very rabulistisch. Ist das Ihren jüdischen Genen oder Ihren anglikanisch-katholisch-atheistischen Eiertänzen geschuldet?
Ich glaube, dass ich mit meiner „Israelkritik“ mehr zu einer positiven Wahrnehmung Israels beigetragen habe als die angeblichen Freunde Israels, die flugs dabei sind, Israelkritik als Antisemitismus zu denunzieren und zu diskreditieren, auch wenn ich keineswegs abstreiten will, dass dies zuweilen der Fall ist.
Ich will Ihnen jedoch den Gefallen tun, etwas zu meinem Hintergründigen zu schreiben:
„Juden“ habe ich zuerst in der Bibelstunde kennengelernt. Als Kind hatte ich mich nicht gewundert, dass Gott sein Wesen bzw. Unwesen in einem nahöstlichen Kleinstaat treibt. In meiner Jugend und Mannesalter bin ich zu einem Antijudaisten geworden; ich halte den Glauben an das metaphysische Privileg der Juden (Terminus: auserwähltes Volk bzw. der Erlöser aus dem Stamme Davids) für eine schwere Hypothek, die auf den Juden lastet. Wenn dieses christlich-jüdisch-abendländische Hintergrundrauschen mit der Wahrnehmung von Juden interferiert, dann wird dies antisemitische Affekte (Eifersucht etc.) stimulieren bzw. verstärken. Dies gerade auch bei desperate christians, die zwar nicht mehr daran glauben können, dass Jesus Christ ihr Erlöser ist, aber daran glauben wollen, dass doch irgendwie das Licht der Welt von den Hügeln Judäas leuchtet. Dass der Holocaust in seiner Faktizität, aber auch in der religiös werden wollenden Rezeption eines neuen singulären Opfermythos die Lage nicht verbessert, ist offensichtlich. M.E. könnte helfen, wenn die religiöse Glut verglimmt, ausgeht und Israel als ein Volk unter Völkern gesehen wird, das Jahrtausende unter einer schweren Hypothek gelitten hat.
Was den Kontakt zu leibhaftigen Juden angeht, z.B. meiner früheren Frau, die ich nach wie vor schätze, meinem Hebräischlehrer, den ich nach wie vor als äußerst feinen Menschen verehre, die community des Kibbutz, in dem ich ein Sabbathjahr verbrachte, da gabs selle und selle, gscheite und dumme, manierliche und unmanierliche, sympathische und unsympathische, im großen und ganzen aufgeschlossene Menschen, mit denen ich im großen und ganzen gut auskam. Von diesen Erfahrungen her habe ich eher eine positiv gestimmte Einstellung. – Was meinen Spezialfreund Broder angeht, nun, wenn ich für eine Einschätzung seines Wirkens auf Erden plädiere, in denen er weniger der geniale jüdische Polemiker und Präzeptor Germaniae als ein grotesker Hanswurst erscheint, dass er mit jedem anderen Migrationshintergrund oder gar als Biodeutscher nicht gefeiert sondern in den Orkus der Trolls gefeuert worden wäre – vielleicht arbeite ich da einen Neidkomplex ab, dass so einer mit „Polemik“ Geld verdienen kann, ich dagegen mit meiner polemischen Ader keinen Blumenkorb gewinne. Aber ist das ein antisemitisches Ressentiment, wenn ich hier von einem Judenbonus ausgehe, den er weidlich genutzt hat? Im übrigen meine ich, dass er eher zu antisemitschen Ressentiments beiträgt als daran zu arbeiten sie abzutragen. Er lebt vom Antisemitismus.
Was die Vorurteile angeht, auf die Sie hinweisen, würde ich es für nützlicher finden, diese zu untersuchen als sie apriori für nicht PC und/oder antisemitisch zu qualifizieren. Z.B die Hypothese, dass sie einen engeren Gruppenzusammenhang haben, ließe sich doch in einer Vergleichsstudie untersuchen; vielleicht käme dabei heraus, dass sie keinen größeren Gruppenzusammenhang als Chinesen, Koreaner, Jains etc. haben, aber einen größeren als z.B. die Deutschen, Niederländer oder Schotten. Und wie jüdisch Goldman-Sachs ist und wieweit Goldman-Sachs die Welt beherrscht, ließe sich doch auch darstellen. Vorurteile bekämpft man nicht dadurch, dass man sie als Vorurteile bezeichnet, sondern indem man fundierte Urteile beibringt. Oder täusche ich mich da?
Wenn man Symptomen und Äußerlichkeiten eine kausale Grundsubstanz zuweist, dann wirds haarig. Wenn man ein-zwei Frauen kennenlernt, die dumm wie Brot sind und einen ausnehmen wie eine Weihnachtsgans, dann lag es gewiss daran, DASS sie Frauen waren. Wenn man weiss, dass die jüdische Tradition die Exegese liebt, dann sagt man dass Juden klug sind. Wenn Juden in der europäischen Geschichte nur wenige Geschäfte betreiben konnten, sich aber gegenseitig auch geschäftlich und vernetzend absicherten, dann ist „der Jude“ geschäftstüchtig.
Dass arabische Ölstaaten künstliche Wesen der Kolonialzeit sind, die innerhalb kürzester Zeit den Sprung von der Nomadenkultur in die motorisierte Gegenwart machten, das macht Araber in unseren Augen rückständig usw.
Das waren zwei verschiedene Punkte: erstens, der, in dem induktiv von wenigen Fallbeispielen auf eine Gruppe projiziert wird (auch wenn diese Gruppierung mit den Eigenschaften an sich nichts zu tun hat), zweitens, dass Ursachen für die Kennzeichen einiger Gruppen der Konstruktion der Gruppe selber (von geschichtlichen Zusammenhängen auf die genetische oder kulturelle Zuweisung übergestülpt wird) zugewiesen wird.
Die Oberflächlichkeit, mit der Gruppierungen in multiethnischen Räumen betrachtet werden (Malaysia etwa im obigen Beispiel), hat eher mit Pragmatismus zu tun, und es wird die Unschuld in gewisser Hinsicht gewahrt, weil das Phänomen von Eigenschaften nicht ergründet werden will, sondern einfach nur der Umgang miteinander in einer pragmatischen Form geregelt. Erst eine Kausalitätssetzung, die sich aber nicht die Mühe von Plausiblität gibt, sowie von Rationalität, die wird dann übergriffig.
Das ist dann vergifteter Sexismus/Antisemitismus/Rassismus, derjenige, der einen festsetzt sogar bis in die Individualität. Dann können Frauen grundsätzlich nicht Autofahren und/oder sind „sanfte Wesen“, Juden sind GEschäftemacher und/oder intellektuell, Schwarze sind grob und/oder gute Basketballspieler.
…andererseits: so ganz ohne Ressentiments? Sehr viele Witze, sehr viele lustige Sendungen ziehen ihren Witz aus Ressentiments. Wenn es keine gäbe, wäre die Welt weniger witzig. Ich bin also doch dafür, dass es Ressentiments gibt. Jedes Urteil immerzu zu hinterfragen ist auch viel zu anstrengend, Ressentiments sind eine effektive Form der Komplexitätsreduktion. Die natürlich enorm viele Fehler produziert, über die man lachen kann, eben weil die Welt komplex IST (dagegen hilft keine Reduktion).
@M. Behrendt: Stimmt, das will ich auch nicht. Ich will am liebsten keine Ressentiments und schon gar nicht das, was aus ihnen entsteht, z.B. Beleidigungen. Ich glaube nur, dass es selten so läuft, wie ich will, und dass man gegen Ressentiments und Vorurteile grundsätzlich wenig machen kann. Man muss vor allem aufpassen, was daraus entsteht. Wenn es Beleidigungen sind, die bestimmte Leute verletzen, muss man einschreiten. Ich weiß nicht, wo hier die Grenze liegt; bei Beleidigungen schwarzer Fußballer von den Rängen ist sie eindeutig überschritten.
Legitim ist das Bedürfnis, jemanden situativ abzuwerten, von dem man sich bedroht fühlt. Dumm, aber alltäglich ist, aus einem unbestimmten Bedrohungs- oder Minderwertigkeitsgefühl heraus, sich jemanden zu suchen, den man abwerten kann. Als Brillenträger konnte man im Krupp Gymnasium Rheinhausen vor 40 Jahren auf die Schnauze kriegen, weil man eine Brille trug. Da hätten aber auch andere Gründe herhalten können. Die Unschuld geht verloren, wenn es dann immer gegen die Brillenträger geht, dann wird es politisch.
Also ist es verzeihlich, wenn jemand situativ die Schwachstelle eines Kontrahenten ausstellt, um ihn herab zu würdigen. Dazu kann man auch gängige Ressentiments nutzen. Aber es ist dumm und gefährlich, wenn man diese Ressentiments pflegt.
Die Kritik an der israelischen Politik kann von verdeckten Ressentiments beflügelt sein, muß aber nicht – sage ich, nachdem ich „Gatekeeper“ gesehen habe.
Fazit: Ich will nicht, dass schwarze Fußballspieler im Spiel, auf dem Platz von „Fans“ rassistisch beleidigt werden, auch wenn das nicht eliminatorisch gemeint ist. Also kann ich Ihrer Argumentation nicht zustimmen.
Man kann die Argumentationskette auch gut auf die Ebene der europäischen Staaten und die aktuelle EU-Krise heben, in der selbstauferlegte Tabus („alternativlos“) und Weltkriegs-Schuldkomplexe/-ängste eine echte europäische Diskussion verhindern.
Ressentiments gegen Ethnien und Gruppen sind immer unangenehm, aber völlig natürlich und unvermeidbar. Bereits in der Kita wird jedem klar, was Jungs- und was Mädchenspiele, -klamotten und -art sind und schon ist das erste „sexistische “ Ressentiment in der Welt. Und so geht es weiter. Es ist sinnlos dagegen anzukämpfen; das ist wie wenn man versuchen würde, künftig nicht mehr aufs Klo zu gehen, um den unangenehmen Geruch des Stuhlgangs zu vermeiden.
Ressentiments sind ein Produkt der geistigen Verdauung, oft unfair, aber meistens unschädlich. Sie können unter bestimmten Umständen bösartig werden, sogar extrem toxisch wie bei den Nazis. Das ist aber die seltene Ausnahme. Msn muss sich gut angucken, unter welchen Umstädnen dies geschieht.
Ein sehr schöner und offenherziger Artikel. Ich glaube, dass die Leute im Alltag nicht homogen sprechen, sondern sich bei Gelegenheit einer Art kontrollierter Hochsprache bedienen und bei anderer Gelegenheit die Sau rauslassen und Ressentiments loswerden. Nun ist weder die Sau noch der Kulturmensch das eigentliche am Menschen, sondern wenn überhaupt, dann ist es die Möglichkeit, zwischen beiden hin- und herzuwechseln. Solange der Gegensatz nicht allzu eklatant wird, muss man das nicht mal verlogen nennen.
Bei mir selber ist es z.B. so, dass ich meinen Nationalismus im Fußball auslebe: Ich bin immer und mit großer innerer Anteilnahme für die deutsche Nationalmannschaft, und bei den Vereinswettbewerben bin ich sogar für Bayern München, weil das traditionellerweise die einzige Mannschaft aus Deutschland ist, die international was bestellen kann. (In der Bundesliga freue ich mich dagegen über jede Niederlage des FCB, allerdings bin ich trotzdem dafür, dass sie einen Champions League-Platz bekommen, damit die deutschen Mannschaften nicht gleich in der Gruppenphase rausfliegen. Dank der hervorragenden Entwicklung der Bundesliga in den letzten Jahren, insb. durch Herrn Klopp, hat sich das inzwischen etwas geändert.).
Die besagte Dikrepanz zwischen Hoch- und Umgangsformen hat übrigens nichts mit dem Totalitarismus der grünen Massen zu tun, wie man es gelegentlich klagen hört; sie gibt und gab es immer und überall. Jeder spricht und verhält sich seit Menschengedenken gegenüber fremden Respektspersonen anders als gegenüber seinen Kumpels. Letztere wissen, wie man es einzuordnen hat, wenn jemand z.B. bei einem Fußballspiel die in Wirklichkeit doch jederzeit hochwürdigen Österreicher als Schluchtenscheißer verunglimpft.
Als ich einmal in Boston war, einer sehr europäischen Stadt, von der aus die Südstaaten weit weit entfernt sind, sah ich in einer Straße zwei McDonalds fast nebeneinander: einer mit einer fast durchgängig weißen Belegschaft und durchgängig weißen Kunden und einer mit fast durchgängig schwarzen und hispanischen Belegschaft und durchgängig schwarzen Kunden. Alltag.