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Wissen ist Macht – Nichtwissen ist schick

Der  Berliner Spitzen-Pirat  Andreas Baum  wurde berühmt, weil er vor den Abgeordnetenhaus-Wahlen in Berlin in einer Talkshow  im RBB  mit unschuldiger Miene sein abgrundtiefes Nichtwissen zur Schau stellte. Gefragt, ob er wisse, wie hoch die Schulen  Berlins seien, antwortete er: „Viele, viele Millionen“.

Die Diskussionsteilnehmer waren fassungslos:  Berlin steht mit über 63 Milliarden € in der Kreide. Irren ist menschlich. Doch:  Die Piraten schickten sich nicht an, die Quizkönige Deutschlands zu werden, sie kandierten für ein Parlament, das Gesetze beschließt und dessen vornehmstes Recht das Budgetrecht ist. Darf da irren auch noch menschlich sein?

Von Wladimir I. Lenin ist der Spruch überliefert: „Lernen, lernen und nochmals lernen!“ – Eigentlich stammt er von seinem Klassenlehrer, der ihn bei der Überreichung des Zeugnisses in der 8. Klasse anspornen wollte, noch fleißiger zu lernen. Lenin hat sich den Pädagogen-Rat zu Herzen genommen. Nach seinem Jurastudium studierte er als Autodidakt die Schriften von Hegel,  Marx und Engels und gründete im Jahre 1903 die Bolschewiki, eine radikale Fraktion in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands. Die Folgen dieses Lernprozesses sind bekannt.

Die Arbeiterbewegung war überhaupt  stets  begierig zu lernen. Ihre Funktionäre ahnten, dass  nur Wissen der Bewegung  auf Dauer gesellschaftliche Macht verleihen kann. 1872 prägte Wilhelm Liebknecht die populäre Formel, die bald  alle Arbeiter-Bildungs-Vereine zum Wahlspruch  wählen sollten: „Wissen ist Macht – Macht ist Wissen.“ – Sogar ins sozialistische Liedgut ging das Bildungsstreben ein: „Des Geistes Licht, des Wissens Macht / Dem ganzen Volke sei’s gegeben!“, so ein Vers aus dem „Sozialistenmarsch“ von Max Kegel.

Der deutsche Parlamentarismus wäre nicht denkbar ohne die Macht der Bildung. Die Nationalversammlung von 1848, auch als Paulskirchen-Parlament bekannt, bestand zu 95 % aus Abgeordneten mit Abitur. Mehr als 75 % hatten einen akademischen Abschluss, zumeist ein Jurastudium. Aber auch bekannte Köpfe aus der  schöngeistigen Fakultät  waren darunter, wie z.B. Jacob Grimm, Friedrich Christoph Dahlmann,  Georg Gottfried Gervinus und Ernst Moritz Arndt. Diese Häufung akademischer  Köpfe  trug der Versammlung auch den Namen „Professorenparlament“ ein.  Spottverse wie „Dreimal 100 Advokaten – Vaterland, du bist verraten; dreimal 100 Professoren – Vaterland, du bist verloren!“  machten die Runde. Geschadet hat dieses gehäufte Bildungsgut nicht. Die Verfassung von 1848 ist so gut, dass sich die Weimarer Reichsverfassung von 1919 und unser Grundgesetz von 1949   – mitunter wortwörtlich –  daran orientiert haben.

Es gab schon mal eine spontan entstandene Bewegung, die sich anschickte,  die etablierte Politik durcheinander zu wirbeln: die Studentenbewegung  von 1968. Doch eines unterschied die rebellischen Studenten von den freibeuterischen Piraten: Sie lasen sich durch wahre Bücherberge hindurch. Die Studentenbewegung war eine lesende Bewegung: Hegel, Marx, Engels, Lenin, Mao Tsetung,  Freud, Reich, Marcuse, Adorno, Horkheimer usw. gehörten zu den Denkern, deren Wissen  die Studenten geradezu manisch  aufsaugten, um darin den Schlüssel für die Veränderung der Gesellschaft zu finden. Dass sie  mit ihrem Veränderungsfuror  grandios scheiterte, steht auf einem anderen Blatt. Eines  kann man  den Rebellen von damals   freilich nicht vorwerfen:  eine unwissende Bewegung gewesen zu sein.

Die Piraten hingegen kokettieren mit ihrem Nichtwissen. Kaum eine Pressekonferenz, auf der sie die bohrenden Fragen der Journalisten nach programmatischen Aussagen nicht  mit einem achselzuckenden „Weiß ich nicht“ oder „Dazu haben wir noch keine Meinung“ beantworten. Zu einigen Kernthemen der Politik haben sie sich freilich  durchaus  eine „Meinung“ gebildet. Es sind die Themen, weswegen die Piraten sich überhaupt zur  Partei formiert haben. Sie fordern die völlige  Freiheit im Netz, die Abschaffung aller Netz-Kontrollen und virtuellen Überwachungsmechanismen. Sie fordern die benutzerfreundliche Veränderung des Urheberrechts. Sie fordern ein bedingungsloses Grundeinkommen für jedermann.  Jeder halbwegs wache Zeitgenosse kann  unschwer erkennen, dass die Piraten just die Dinge fordern, die ihrem eigenen Lebensstil entsprechen, ja,  diese Lebensform  alimentieren: Ungestört im Netz surfen, Musik und Filme kostenfrei herunterladen und genießen und dabei des lästigen Geldverdienens enthoben sein. Schlaraffenland im Freibeuterland. Selten hat eine Klientel-Partei ihre egoistischen Ziele  so unverbrämt zu Papier gebracht. Selbst die Freien Demokraten verleihen der Forderung, die besserverdienenden Freiberufler – ihre Wählerklientel – zu entlasten,  die höhere Weihe,  Arbeitsplätze im Mittelstand schaffen zu wollen. Selbst die Grünen  geben vor, das Klima retten zu wollen, wenn sie ihre Sponsoren aus der Öko-Industrie und ihre Stammwähler aus dem akademischen Milieu mit satten Gewinnen aus der Einspeise-Vergütung (EEG) versorgen. Die Piraten aber bieten nichts als eine  nackte Politik des Egoismus, unverbrämt und ohne störenden Schnickschnack.

In einem Zeitungsbeitrag sagt  der Fraktionsvorsitzende der Berliner Piraten, Christopher Lauer, warum die Piraten „gebraucht“ werden:  Sie bieten „technische Kompetenz“. Man fragt sich natürlich, warum sie sich dann nicht bei Siemens oder Microsoft bewerben, sondern in einem deutschen Parlament. Haben sie sich vielleicht nur in der Türe geirrt?

Die Piraten sollten die deutsche Demokratie davor bewahren, dass bei der Kandidatenaufstellung für den Deutschen Bundestag zum ersten Mal in der Geschichte des Parlamentarismus  ein Wissenstest für angehende Volksvertreter durchgeführt   werden muss.

 

 

 

 

 

 

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14 Gedanken zu “Wissen ist Macht – Nichtwissen ist schick;”

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    Hm, lieber Rainer. In seiner lesenwerten Studie über unsere von dir gelobte Generation, „Wir waren wie Maschinen“ (Rotbuch) schreibt Gunnar Hinck (Jg. 1973): „Anführer wie Christian Semler, K.D. Wolff, Joschka Fischer und andere, die in den 70er Jahren das große Wort führten, haben in dieser Zeit keine einzige bleibende politische Idee produziert. Es gibt kein Konzept, keine Schrift und schon gar kein Buch von Ihnen, das heute mit Gewinn zu lesen wäre, was einerseits Ausdruck des Halbstarkenhaften dieser Generation, andererseits Ausdruck der zunehmenden intellektuellen Verarmung im Laufe der 70er jahre ist. Das ist umso tragischer, als es in dieser Generation viel Bildung, Witz, Eloquenz, Intelligenz und Charisma gab.“ (S.426)
    Ich fürchte, er hat Recht. Dann doch lieber die „nackte Klientelpolitik“ der Nerds von der Piratenpartei.
    Und mal ehrlich: Wer kommt mit den Milliardensummen an Bankenrettungsprogrammen, ESM, ESF usw. schon mit? Was weiß ich, wenn ich weiß, dass Berlin 63 Milliarden Euro Schulden hat? Weißt du, wie viele Berliner überschuldet sind? Bestimmt nicht aus dem Kopf, aber du kannst es online nachschlagen: 363.268 (2011) – also jeder achte Berliner. Deutschlandweit sind es Millionen – jeder zehnte Bewohner dieses reichen Landes.

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    Das Nichtwissen(wollen) der Nichtwissenwollenden
    ist die Macht der Wissenden über die, die nicht Wissenmögenkönnenwollen.
    AEBGL

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    Zita:>>Gefragt, ob er wisse, wie hoch die Schulen Berlins seien, antwortete er: „Viele, viele Millionen“.<<
    ??? Sind Schulen gemeint? Oder SchulDen???

    AEBGL

  4. avatar

    Diese „Kritik“ an der angeblich fehlenden Bildung der Piraten und der diesbezüglichen Verklärung der 68er (welche die im Text genannten Autoren zu sehr großen Teilen auch nicht gelesen bzw. verstanden hatten) ist ähnlich verkürzt wie die Replik darauf, dass es heute in erster Linie darum gehe, zu wissen wo eine Information zu finden sei (denn zu einer durchdachten Position gehört schon etwas mehr als Recherche- & Lesekenntnisse).

    Es ist doch nicht so, dass der moderne Politikbetrieb dem demokratietheoretischen Ideal entspricht, nach dem aufgeklärte und unabhängige Abgeordnete sich aus verschiedenen Quellen Informationen beschaffen, diese sorgfältig abwägen und eine fundierte Meinung zum Thema entwickeln. Selbst in den Fachausschüssen läuft das ganz anders und jeder politisch interessierte Bürger weiß das auch. Stattdessen bestimmen Fraktionszwang, politische Opportunität und individuelle Karriereplanung (Stichworte: „Vote & Office“) das Procedere.

    Das ist bis zu einem bestimmten Grad auch völlig normal in einem komplexen repräsentativen System und kaum anders machbar. Trotzdem sollten Abgeordnete (bzw. die entsprechenden Fachpolitiker der jeweiligen Partei) zumindest ein Mindestmaß an fachlicher Kompetenz im jeweiligen Bereich besitzen. Dazu gehört es sicherlich, den Schuldenstand des jeweiligen Bundeslandes zumindest grob zu kennen aber eben genauso, bei Entscheidungen im Bereich komplexer Technologien ( z.B. dem Internet) zumindest grob über technische Hintergründe Bescheid zu wissen. Das sind zwei Seiten derselben Medaille. Nichts anderes hat Herr Lauer mit seiner Bemerkung völlig zu Recht moniert und Ihr Karrieretip für eine Laufbahn bei „Siemens“ ist einfach nur arrogantes Altherrengeschwätz und völlig am Thema vorbei.

    Wenn Sie hier den Piraten unbekümmert unterstellen, dass ihre Ziele nur einen asozialen Lebensstil des eigenen Klientels sichern sollen, ist das einigermaßen bizarr. Sie tun (ohne Belege dafür zu liefern) so, als ob alle PiratenwählerInnen 18jährige Teenager wären, die keinerlei Ziele/Ideale im Leben haben außer bloß nicht arbeiten zu gehen und ungestört im Netz zu surfen & runterzuladen. Das ist so einfach gestrickt, dass es schwer fällt, diesen „Einwand“ ernst zu nehmen.
    Denken Sie wirklich, dass die Zielsetzung junger Parteimitglieder/Wähler mit überdurchschnittlicher Bildung und jeder Menge (angehender) Akademiker nur darin besteht? Falls ja, denken Sie nochmal nach.

    Dass junge Menschen angesichts einer häufig prekären Existenz in einem Raubtierkapitalismus, den es so in der BRD zuvor nie gegeben hat versuchen, dem Zwang zur Ausbeutung institutionell etwas entgegen zu setzen (ob man das vorgeschlagene Instrument befürwortet ist eine andere Frage) oder im Zeitalter der digitalen Revolution Bürgerrechte schützen zu wollen scheint für Sie offenbar unvorstellbar. Es kann in Ihrem Denken dabei nur darum gehen, ein asoziales Leben auf Kosten aller führen zu können. Das ist ein ziemliches Armutszeugnis.

    P.S.: Ich bin weder Pirat, noch Piratenwähler.

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    Das mit der „völligen Freiheit im Netz“ sollten Sie noch mal erklären (Tipp: Nachlesen), aber ansonsten ist dem Artikel nichts hinzuzufügen – das wäre vertane Zeit, lieber gleich weg in das digitale Nirvana 🙂

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    Ist doch klar: Deutschland braucht mehr SCHULEN und weniger SCHULDEN! Dann verstehen sich sogar die Deutschen besser – die Gelehrten und die „German Nerds“. Vor hundert Jahren hiess es : „Wer Klavier spielt hat Glueck bei den Frauen!“ Jeute hat der Glueck welcher auf „electoric gadgets“ spielt: Mancher macht gleich Millarden wie der Zuckmensch mit Facebook, – aber zumindest kommt man damit in Germanys Bundestag. — Die Vaeter des Sozialismus waren fast alle hochgebildete Herren – kaum einer hatte wirklich selbst „gearbeitet“. Und sie wussten teilweise gar nicht was der „Arbeiter“ wirklich denkt. Das erklaert warum die Theorien bis jetzt nicht zu dem utopischen Ideal gefuehrt haben. Ein Anzahl solcher hochgebildeten sozialistischen Theoretikern von Deutschland versuchten nach 1845 in Texas die Siedlung „Bettina“ zugruenden. Aber bald wollte keiner alle die rohen Notwendigkeiten verrichten. Das Ende kann nach zwei Jahren – sie waren zu schlapp. Wie ein U.S. Amerikaner welcher wirklich Arbeiter war – so nuechtern meinte: „Das groesste Schwein fuer welches du jemals arbeiten kannst, bist du selber wenn du sich selbstaendig machst!“ Lula de Silva – der sozialdenkende Gewerschaftsorganisierer und spaeter Praesident Brasiliens erklaert noch eine nuechtere Denkweise: „Ich fragte den Leiter des Karnavalvereins „Madureira“: ‚Warum verkleiden sich die Armen im Karnaval in Luxusgewaendern?‘ Er entwortete: ‚Die Armen lieben den Luxus. Es sind die Intellektuellen welche das Elend lieben!'“

  7. avatar

    Wenn sie ihre eigene Argumentation ernst nehmen würden, Herr Werner, dann müssten Sie gerade die Forderungen der Piraten selbst vertreten. Allerdings müssen Sie dazu einsehen, dass das aktuelle Wissen heute eben nicht mehr in Büchern steckt, die allgemein zugänglich sind, sondern nun hauptsächlich im Internet zu finden ist, das aus diesem Grund weder zensiert noch im Zugang eingeschränkt werden darf.

    Die geforderte Bildung ist damit nicht gleich zu setzen. Bildung ist die erworbene Fähigkeit aus bekanntem Wissen Schlüsse zu ziehen, Vergleiche anzustellen, zu bewerten und zu verwerfen. Wissen alleine kann ja auch aus falschen Fakten bestehen – mittelalterliche Ärzte waren nicht unwissend, doch ihr Wissen über Krankheiten war zum Großteil gefährlicher Humbug.

    Die Bücher der von Ihnen hochgelobten 68er Studenten waren aus Büchereien ausgeliehen oder billigst gemachte Raubkopien, keine ledergebundenen Liebhaberausgaben mit einem Preis eines Studentenzimmers per Semester. Merken Sie was? „Büchereien“ und „Raubkopien“ – wo ist der Unterschied zu den kritisierten, angeblich unbelesenen und unwissenden Piraten, denen mit dem Internet eine Wissensbibliothek zur Verfügung steht, die der feuchte Traum eines 68ers gewesen wäre? Die exzessive Nutzung des Internets ist eben die aktuelle Variante diese Gebildetheit, deren Fehlen Sie beklagen. Offensichtlich weil Sie die Ablösung der papiergebundenen Datenspeicherung durch die elektronische – unvermeidlich wegen des Tempos des Erkenntnisgewinns – nicht in allen Konsequenzen akzeptieren wollen oder erst gar nicht verstanden haben.

    Eine der Konsequenzen ist das Anpassen des Umganges mit Wissen durch die, die die elektronischen Medien beherrschen. Zu wissen, dass die Berliner Schulden viele, viele Millionen sind ist völlig ausreichend für jeden, der in Sekundenschnelle die genauen (und aktuellen!) Werte finden kann. Und wer es tut wird gegenwärtig auf verschieden errechnete Werte kommen, die zwar in der Mehrheit zwischen 61 und 63 Mrd € liegen, aber auch mit 130 Mrd € angegeben werden (da sind dann die Pensionsansprüche der Berliner Beamten mit drin). Und das zeigt die nächsten zwei Kritikpunkte an Ihrer Argumentation.

    Sie setzen Wissen und Meinung gleich. Das ist nach ihrer pathetischen Einleitung ein so grober Fehler, dass ich ihnen in dem Punkt Böswilligkeit unterstellen muss. Dass Piratenrepräsentanten durch die Basis gewählt wurden macht sie auch weder allwissend noch zu Meinungsgebern. Das als Kokettieren zu bezeichnen lese ich als reine Demagogie, da ich einem Mensch ihres Bildungsstandes nicht unterstellen kann, dass ihnen die Zusammenhänge nicht klar sind.

    Wenn ein Pirat gefragt wird was die Meinung in der Partei zu einem Thema ist, dann gibt es dazu eventuell noch keine Mehrheitsaussage der gesamten aktiven Parteimitglieder, oder sie haben sich in einer Vollversammlung schon dazu geäußert oder über elektronische Kommunikationswege ein Meinungsbild abgegeben. Alle Aussagen darüber hinaus sind persönliche Meinung des Befragten. Und da Journalisten daraus immer wieder wahrheitswidrigen Blödsinn gemacht haben, geben Piraten in Interviews inzwischen eben keine eigenen Meinungen preis.
    Wird nur simples Faktenwissen erfragt, lautet die unhöfliche, aber richtige Antwort: selber googeln macht schlau. Ein Interview ist eben keine Quizsendung an deren Ende es das Wohlwollen eines Journalisten zu gewinnen gibt.

    Schließlich: Ja, die Piraten fordern die Dinge, die dem Lebensstil entsprechen den sie haben. Das ist der Lebensstil, den die Piraten als den erkannt haben, den zunehmend unsere gesamte Gesellschaft haben wird, sobald der Umbruch der digitalen Revolution aus seiner stürmischen technikverliebten Phase heraus ist und final in den Hintergrund eines jeden Lebensraumes eingesickert ist. Der gesellschaftliche Wandel durch die elektronischen Medien wird in seinen Auswirkungen so umfassend wie der durch die Industrialisierung. Das heißt, dass die Piratenforderungen jedem Nutzen bringen werden, damit eben auch jeder an der entstehenden Gesellschaft teilnehmen kann und nicht ausgeschlossen wird. Die Klientel der Piraten ist so gesehen jeder – und genau damit unterscheidet sich die Piratenpartei von den derzeitigen Klientelparteien.

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    @Christian Alkemper
    Es ist wohl so, daß wir einen völlig anderen Bildungsbegriff brauchen: Die Zeiten, wo Bildung vor allem dazu diente, institutionell Zugang zu bestimmten Berufen, Pfründen zu begrenzen („Aussieben“), sind schon lange vorbei. Tatsächlich scheint mir Ihre Partei die einzige zu sein, in der die Zeichen der Zeit intellektuell erfasst und diskutiert werden. Eben weil außerhalb von Microsoft, Siemens etc. gedacht wird. „Medienkompetenz“ erschöpft sich eben nicht in der Nutzung von Facebook, Twitter & Co.

  9. avatar

    @ Rainer Werner: Die Piraten hingegen kokettieren mit ihrem Nichtwissen.

    Sofern es sich nicht um schlichte Ehrlichkeit handelt, parodieren die Piraten eher das „Wissen“ bzw. das entsprechend „fundierte“ Urteil der Etablierten. – Als es um 2. Hilfspaket für Griechenland ging – 130 Mrd. Euro – haben die Bundestagsabgeordneten über ein 726-Seiten-Konvolut abgestimmt, das sie in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit gar nicht gelesen haben konnten. Einige Mutige haben das dann zugegeben. Aber nicht mal alle von denen fanden, dass das auch ein Grund zu Klage sei.

    Warum kühlen Sie Ihr Mütchen an den Piraten, Herr Werner? Nehmen Sie’s vielleicht doch lieber mit etwas Mächtigeren und Etablierteren auf. Ganz abgesehen von der so gern beklagten Überkomplexität und Undurchschaubarkeit der Verhältnisse, die (angemessenes) Wissen verhindere – das Nichtwissen gehört schon allein deswegen zum System, weil das Vorenthalten von Wissen zum System gehört.

    ACTA wurde in Hinterzimmern, unter Ausschluss nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch der Parlamente ausgehandelt. Denken Sie an Nacht- und Nebelaktion der Kanzlerin, als es um die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke ging. Und denken Sie an das plötzliche Umschwenken der Kanzlerin nach Fukujima usw. usf. Von wieviel Wissen auf welcher entscheidungsbeteiligten Ebene auch immer dürften die zugehörigen Entscheidungen wohl unterfüttert gewesen sein? Herr Baroso kann auf Befragen nach dem letzten großen Euro-Treffen Details der getroffenen Vereinbarungen nicht erklären, weil er übermüdet ist …

    Wenn Sie halbwegs mutig sind, Herr Werner, schreiben Sie Ihren Text so um, dass Sie Ihren ironischen Schlussabsatz umformulieren und ganz naiv einen Wissenstest ganz generell für Abgeordnete und Regierungsmitglieder verlangen können. Dann haben Sie etwas Sinnvolles getan.

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    Da hatten Sie so schön begonnen: „Wissen ist Macht“ haben sich all die „Guten“ verordnet. Und trotz aller Mühen wissen wir nie genug, das NIcht-wissen ist größer als das Wissen. (Kleine Randbemerkung: Obwohl „normale“ PolitikerInnen auch ein großes Nichtwissen haben, hält es sie nicht davon ab, Wissen vorzutäuschen. Denn hätten sie’s, fällten sie andere Entscheidungen . Die Piraten geben’s halt zu. Und: Wer kann sich denn 63 Milliarden wirklich vorstellen? Es ist einfach „nur“ VIEL Geld!)
    Und dann kam dieser Absatz: „bedingungsloses Grundeinkommen für jedermann … Selten hat eine Klientel-Partei ihre egoistischen Ziele so unverbrämt zu Papier gebracht.“ Was ist bitte „egoistisches Ziel“, wenn ein Bedingungsloses Grundeinkommen „allen“ zusteht, auch dem Klientel, das diese Partei nicht gewählt hat. Ist das nicht genau das Gegenteil von „Klientel-Politik“?

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    Die Piraten stellen einen Trick dar, wie man direkte Demokratie in den Parlamentarismus einschmuggelt. Ein trojanisches Pferd der Bürgerbeteiligung, sozusagen. Daher auch die Nicht-Festlegung bzw. das Nicht-Wissen ihrer Vertreter: die Inhalte müssen sich erst in der Basisbefragung herausstellen. Nebenbei hat Andreas Baum mit seiner vielzitierten Äußerung recht: 63 Milliarden sind viele viele Millionen.

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    @Rainer Werner
    „abgrundtiefes Nichtwissen“
    Während meines Rigorosums, dort wird die Promotion „verteidigt“ und etwas drumherum gefragt, sollte ich die Funktionsweise meiner Versuchsapparatur erläutern, was ich dann auch, so präzise, wie ich es für nötig befand, tat.
    „Ich bitte Sie, es ist genug, wir sind doch keine Techniker!“, daran muß ich heute noch denken, wenn es um „Bildung“ geht: Damals, vor gut 20 Jahren, war die „Drittmittelforschung“, die Lösung für forschungswillige Professoren, die keine Lust mehr hatten, Geld bei einer störrischen und ignoranten Verwaltung zu beantragen. Über die Drittmittelforschung wurde dann der ganze Studieninhalt von einer Industrie bestimmt, man konnte so aus vielen, vielen Spezialisten (natürlich keine „Techniker“) die Willigsten herauspicken und die anderen den Sozialsystemen überantworten.
    (Ich selber hatte Glück, weil ich nicht dahin gegangen bin, wo alle hingegangen sind, in die Pharmakologie, sondern „irgendwas mit Gesundheit“ machte, wie ein Chemikerkollege abschätzig lächelnd bemerkte.)
    Wenn man zu den Privilegierten gehört, ist natürlich Nichtwissen schick – über Wissenmüssen ist man doch hinaus und mit diesem Dünkel sozialisiert man doch seine Studenten, die sich dann auch bei Harz-IV-Bezug noch über ihren Gesamtüberblick über ihr Spezialwissen, das keiner braucht und das noch nicht einmal zum Philosophieren reicht, freuen können.
    Und jetzt kommen die Piraten – wohl ahnend, daß Faktenwissen in einer Zeit der geringen Halbwertszeit desselben nicht ausreicht und beanspruchen dieses Privileg des Nichtwissens, das man ihnen versprochen hat (s.o.). Unverschämt, nicht wahr? Die sind nämlich überhaupt nicht privilegiert: Wenn man ihnen den Stecker zieht, ist der Notebook-Akku nämlich in zwei Stunden leer. Da nützt auch Intelligenz nichts, die sie ja gerne in „unser System“ einbringen würden, das sollte man denen mal sagen.
    Und dann der Egoismus: Die sprechen doch tatsächlich für sich, nicht für andere, von denen man sich dann bezahlen lässt, wie sich das schließlich gehört.
    Man mag Gründe haben, über diesen hedonistischen Verein die Nase zu rümpfen, aber sie sind (die intelligenteren) Kinder unserer Gesellschaft, die sie auch verdient.
    Bildungsoptimismus ist durch nichts mehr gerechtfertigt: Gemüsehändler schonen unsere Sozialsysteme erheblich mehr, als Habilitanden.

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