Zuweilen wird in die Diskussion um den Ausstieg aus der Atomenergie das Argument vorgebracht, dies bedeute einen technischen Rückschritt; sei Ausdruck einer in Deutschland ohnehin – und bei den Grünen insbesondere – vorherrschenden Technik- und Fortschrittsfeindlichkeit, die in der Romantik wurzele; letztlich tobe sich hier eine reaktionäre Maschinenstürmerei aus, zum Schaden des Landes und seiner Zukunft.
Nun kann man kaum leugnen, dass es in Teilen der Linken eindeutig kulturpessimistische, technikfeindliche und fortschrittsskeptische Elemente gibt, über die sich schon Karl Marx – den mein Kollege Eckhard Fuhr in einer glücklichen Formulierung einen „Wachstumsjunkie“ nannte – in seiner Polemik etwa gegen die „deutschen oder wahren Sozialisten“ im Kommunistischen Manifest lustig machte.
Nicht zuletzt aufgrund der Orientierung an Marx waren solche Strömungen innerhalb der SPD bis Mitte der 1970er Jahre verpönt; man fand sie eher in Teilen der Union. Dafür steht stellvertretend ein Mann wie Herbert Gruhl.
Es stimmt also sicher, dass der Kampf gegen die Atomenergie für viele Menschen so etwas wie die Speerspitze eines Kampfes gegen eine technisierte Welt verstanden wurde und wird, die viele als unmenschlich und entfremdet erleben.
Im Übrigen ist sie ja oft unmenschlich und entfremdet. Man denke nur an das, was das Auto unseren Städten, die auf Stickstoff basierte Landwirtschaft den Flüssen und Meeren angetan haben. Die Titelgeschichte des „Economist“ letzte Woche beschrieb eindringlich die enormen und keineswegs nur angenehmen Folgen des Eintritts unserer Erde in ein neues Zeitalter, das „Anthropozän“, in dem der Mensch selbst zu einer der treibenden Kräfte der Veränderung des Planeten wird. Es gibt also eine materielle Basis für eine gewisse Technikskepsis, so wie es eine Basis für die Skepsis gegen andere potenziell gefährliche Dinge wie Banken, Militärs, Politiker, Religionen und Massenstimmungen gibt.
Abgesehen davon aber ist nicht jede technische Innovation auch ein Fortschritt. Manchmal gibt es Fehlentwicklungen. Man denke etwa an ein Projekt, das in manchen Dingen der Atomkraft ähnelt: das Überschallflugzeug „Concorde“. Es ist ein wunderschönes Gerät, ein Triumph europäischer Ingenieurskunst, und es tut mir in der Seele weh, dass ich niemals mit ihm geflogen bin. Aber es war eine Fehlentwicklung. Die kommerzielle Luftfahrt brauchte keine Maschine, die wenige Passagiere sehr schnell mit enormen Kosten über weite Strecken beförderte. Sie brauchte im Gegenteil Maschinen, die möglichst effektiv möglichst viele Passagiere flexibel über kurze und lange Strecken befördern konnten. Maschinen wie die Airbus-Reihe.
Man denke auch an das „Apollo“-Mondlande-Projekt der USA. Auch das war eine großartige Entwicklung, ein Triumph der Technik. Aber eine Sackgasse. Die Raumfahrt brauchte Arbeitsstiere, um Satelliten ins All zu befördern, Raumstationen zu bauen und zu versorgen usw. Maschinen wie die Space-Shuttles.
Es wäre Unsinn zu sagen, dass die „Concorde“ oder das „Apollo“-Programm – oder der Zeppelin, der Wankelmotor, Schiffe mit Atomantrieb, die Magnetschwebebahn usw. – Opfer der Technikfeindlichkeit geworden wären. Sie haben sich einfach als unpraktisch erwiesen. In vielen Fällen handelt es sich um Projekte, die mit vielen staatlichen Geldern, zuweilen als nationale Prestigeprojekte, entwickelt wurden; das gilt auch für die Atomenergie.
Hätte man die Entwicklung von Atomkraftwerken privaten Investoren überlassen, würden solche Teile vermutlich nur in den ehedem sozialistischen Ländern herumstehen. Aber im Kampf der Systeme schien es nötig, die Atomenergie nicht den Kommunisten zu überlassen, und sei es nur, weil die sonst gesagt hätten, die Kapitalisten entwickeln Atombomben, aber keine Atomkraftwerke.
Die natürliche Evolution führt zuweilen in die Irre. Man denke an die Dinosaurier. Der Preis, den diese Lebewesen dafür bezahlen, dass die ökologische Nische, an die sie sich angepasst haben, verschwindet, ist der Tod. Ähnliches gilt für die Entwicklung der Technik. Sie ist keine lineare Aufwärtsbewegung, bei der es keine Rückschläge, Umwege und Sackgassen gibt. Im Gegenteil. Die „Titanic“ steht stellvertretend für diese simple Sicht auf die technische Evolution.
Und das Atomkraftwerk Fukushima. Weder die Technik noch der Fortschrittsglaube werden durch die Abkehr von der Atomenergie in Frage gestellt. Sondern nur jene Vorstellung von Technik und Fortschritt, die Eisberge und Tsunamis nicht einkalkuliert.
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@derblondehans: Nein, Die Steinigung ist keine ostdeutsche Erfindung und grundsätzlich abzulehnen.
Können Sie gerne hier nachlesen: Steinigung: http://de.wikipedia.org/wiki/Steinigung
Somit auch keine islamische Erfindung, sondern vorislamischen Ursprungs. Lese gerade ein Buch von Karen Armstrong über die Achsenzeit. Vielleicht finde ich ja dort den Ursprung dieser unmenschlichen Bestrafung.
@Liebe Rita E. Groda: Für mich kein Widerspruch. Das sollte meinerseits ein Lob sein.
„Gerade da ist in den letzten 20 Jahren im Osten viel Neues entstanden.“ Damit meinte ich vor allem die Aktivitäten des Staates, der Kirche und anderer Organisationen zu diesem Thema. Die Ausstattung von Behindertenschulen, die Förderung der Selbstständigkeit, die Möglichkeit des Verbleibens von behinderten Kindern in den Familien, Integrationsmodelle, die Schaffung von Behindertenparkplätzen, behindertengerechte Wege, das alles verändert auch das Bewusstsein der nichtbehinderten Menschen. Sicher nicht bei allen.
Das braucht viel Zeit und Geduld, vor allem aber ein Problembewusstsein.
… das ist ungeheuerlich. 1991 von ‚Ossis‘ derart behandelt zu werden. Offensichtlich ist die ‚öffentliche Steinigung‘ eine ‚Erfindung‘ der ‚Ossis‘. In diesem Fall gar eine ‚Euthanasie-Steinigung‘. Das gab es noch nie.
Würde mich auch interessieren ob sich das geändert hat. Kerstin?