Von Prof. Dr. Norbert Berthold, Uni Würzburg:
„By a continuing process of inflation, government can confiscate, secretly and unobserved, an important part of the wealth of their citizens” (John Maynard Keynes)
Ein Gespenst geht um in der entwickelten Welt, das Gespenst der Inflation. Das verwundert, zumindest auf den ersten Blick. An der Preisfront für Güter und Dienste herrscht nirgends inflationärer Alarm. Struktureller Wandel und der Verlust des Arbeitsplatzes sind momentan die größere Gefahr.
Und doch fürchten sich die Menschen vor künftiger Inflation. Was ihnen Angst macht, ist die explodierende staatliche Verschuldung. Ein Blick in die Geschichte zeigt, diese Angst ist begründet. Viel zu oft hat die Politik versucht, die reale Schuldenlast des Staates inflationär zu verringern. Hohe staatliche Defizite und ein wachsender Schuldenberg nähren die Befürchtung, dass die Politik auch dieses Mal der monetären Versuchung nicht widerstehen kann. Inflationäre Entwicklungen sind wahrscheinlich. Tatsächlich löst Inflation aber kein einziges Problem, sie schafft nur neue.
Die fiskalische Lage in der entwickelten Welt ist trostlos. Soweit das Auge reicht, überall leben die Länder auf Pump. Die Löcher in den staatlichen Haushalten der OECD beliefen sich 2009 auf über 8,2 % des BIP. Sie werden 2010 mit 8,3 % noch einmal tiefer. Mit zu den größten fiskalischen Sündern zählen neben der europäischen Peripherie auch Großbritannien, die USA und Japan. Kein Wunder, dass sich die staatlichen Schulden zu immer größeren Gebirgen auftürmen. In der OECD wuchs die Verschuldung 2009 auf über 90 % des BIP. Sie wird 2010 weiter steigen, prognostiziert sind über 97,4 %. Etwas disziplinierter waren die Länder der Eurozone. Die Schuldenstände wuchsen seit 1997 vor allem in Japan, Großbritannien und den USA beträchtlich an. Das ist allerdings nicht nur der gegenwärtigen Krise geschuldet. Der Keim des Lebens auf Pump wurde schon früher gelegt.
Das ist aber nur die explizite Spitze des Eisberges. Die implizite staatliche Verschuldung ist oft um ein Vielfaches größer. In den meisten westlichen Ländern existiert eine wachsende Finanzierungslücke in den Systemen der Sozialen Sicherung. Sie ergibt sich aus zukünftigen Zahlungsverpflichtungen und zu erwartenden staatlichen Einnahmen, wenn die Politik wie bisher weiter fährt. Die finanziellen Löcher treten in umlagefinanzierten Systemen der Sozialen Sicherung auf. In der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung werden Leistungszusagen gemacht, denen keine adäquaten Einnahmen gegenüberstehen. Der demographische Wandel verschärft dieses Problem in vielen westlichen Gesellschaften. Die implizite staatliche Verschuldung ist fast überall beträchtlich größer als die explizite. Wieder zählen Großbritannien und die USA zu den Problemfällen. Aber auch Deutschland hat große Schwierigkeiten.
Die schwere Wirtschaftskrise bringt alte ökonomische Glaubenssätze ins Wanken. Das gilt auch für die Inflation. Der verlustreiche Kampf gegen Inflation in den 70er Jahren lehrte: Inflation ist kein wirksames Mittel der Konjunkturpolitik. Die Phillips-Kurve war tot, mausetot. Der jüngste Vorstoß von Olivier Blanchard, dem Chef-Ökonomen des IWF, die Zielinflationsrate auf 4 % zu erhöhen, ändert vieles. Vielleicht war es die Geburtsstunde einer neuen Phillips-Kurve. Die gegenwärtige Krise belebt auch einen anderen Mythos: Inflation sei in der Lage, die staatliche Verschuldung real zu entwerten. Den Auftakt hat 2008 der Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff gemacht. Er schlug vor, die Inflationsrate über mehrere Jahre hinweg auf 6 % zu erhöhen. So würde auch die staatliche Verschuldung verringert, das wirtschaftliche Wachstum gestärkt, die Gefahr einer Schuldenkrise ginge zurück.
Der Mechanismus, die staatliche Verschuldung über eine unerwartete Inflation zu entwerten, funktioniert nur unter bestimmten Bedingungen. Zum einen darf die Staatsschuld nicht preisindexiert, zum anderen muss die Laufzeit der Staatspapiere länger sein. Ein hoher Anteil preisindexierter Staatsanleihen senkt die Chance eines Landes, sich über Inflation real zu entschulden. Das gilt auch für Länder, die sich eher kurzfristig auf dem Kapitalmarkt verschulden. In beiden Fällen steigen mit der Inflation auch die nominellen Zinsen. Im ersten Fall für Alt- und Neupapiere, im zweiten für neu aufzulegende Staatsanleihen. Tatsächlich streuen die Laufzeiten staatlicher Verschuldung erheblich. Danach hätte Großbritannien den größten Anreiz, auf Inflation zu setzen, um sich zu entschulden. Dort liegt die gewichtete Restlaufzeit bei 13,7 Jahren, in Deutschland bei 5,8 Jahren und in den USA bei nur 4,8 Jahren.
Der Versuch, die implizite staatliche Verschuldung über Inflation real zu entwerten, hat noch weniger Aussicht auf Erfolg. In den umlagefinanzierten Systemen der Sozialen Sicherung sind die meisten Leistungen lohn- und damit faktisch auch preisindexiert. Das gilt nicht nur explizit für die Geldleistungen in der Rentenversicherung, es trifft auch implizit für die Sachleistungen der Kranken- und Pflegeversicherung zu. Die Kosten der Gesundheitsleistungen in der Kranken- und Pflegeversicherung erhöhen sich mit der Inflation. Gilt Baumol’s Law wachsen sie sogar überproportional. Der Versuch, die implizite Staatsverschuldung über Inflation spürbar und nachhaltig zu entwerten, ist zum Scheitern verurteilt. Alan Auerbach und Bill Gale konstatieren für die USA, dass dort allenfalls 10 % der impliziten Staatsschuld über eine plötzliche, stark steigende Inflation real entwertet werden kann.
Inflation, erwartet oder unerwartet, ist kein effizientes Instrument, die reale Schuldenlast des Staates zu senken. Dennoch ist die Versuchung der Politik groß, auf dieses Pferd zu setzen. Inflation erhöht die nominellen Einkommen und Gewinne. Die Steuertarife sind in der Regel nicht preisindexiert, also nicht „auf Rädern“ installiert. Damit steigen die Steuereinnahmen des Staates mit der Inflation, bei progressiv ausgestalteten Steuersystemen sogar überproportional. Das hat eindeutig negative Folgen für die Allokation der Ressourcen. Die effektive steuerliche Belastung für Arbeit und Kapital steigen. Das Arbeitsangebot sinkt, die Bereitschaft zu investieren geht zurück, das wirtschaftliche Wachstum wird negativ beeinflusst. So hat der Harvard-Ökonom Martin Feldstein gezeigt, dass eine um zwei Prozentpunkte permanent niedrigere Inflationsrate das BIP um einen Prozentpunkt pro Jahr erhöht.
Die allokativen Risiken der Inflation werden von der Politik oft auch noch auf einem anderen Weg in den Wind geschlagen. Inflation erhöht die Erträge der Notenbanken, die sogenannte Seigniorage. Diese Erträge entstehen, weil Private bereit sind, zinslos Zentralbankgeld zu halten. Inflation erhöht diese Erträge der Notenbanken. Da ihre Gewinne letztlich an den Staat abgeführt werden, kann die Politik die Einnahmen steigern, wenn sie Notenbanken zu einer expansiven Geldpolitik drängt. Es dürfte auch unabhängigen Zentralbanken deshalb schwer fallen, die sehr expansive Geldpolitik in der gegenwärtigen Krise zurückzuführen, sollte es wirtschaftlich tatsächlich wieder aufwärts gehen. Der politische Druck wird groß sein, möglichst lang expansiv zu bleiben. Damit steigt aber die Gefahr inflationärer Entwicklungen. Die kommen dem Staat gelegen, um den gestiegenen Schuldendienst leichter leisten zu können.
Ein inflationäres Umfeld ist für Marktwirtschaften gefährlich, weil Inflation ihre Herzkammer, den Preismechanismus, attackiert. Sie stört den Mechanismus der relativen Preise, hebelt deren Signalfunktion aus und verzerrt die Allokation der Ressourcen. Wirtschaftliche Akteure haben bei Inflation ein dreifaches Problem: Erstens fällt es ihnen schwer, zwischen dauerhaften und temporären Preisschocks zu unterscheiden. Zweitens können sie kaum beurteilen, wie viel der veränderten Preise inflationsbedingt und was darauf zurückzuführen ist, dass Güter knapper geworden sind. Drittens reagieren die nominellen Preise auf den Faktormärkten unterschiedlich schnell auf Inflation. Die Zinsen passen sich schneller an als die Löhne. Vor allem nicht antizipierte und hohe Inflationsraten bringen den Preismechanismus aus dem Tritt. Das alles verzerrt das Einsatzverhältnis der Faktoren, beeinträchtigt die Allokation der Ressourcen und mindert den wirtschaftlichen Wohlstand.
Wie Inflation die Verteilung beeinflusst, ist theoretisch umstritten. Die einen sehen in ihr die „grausamste aller Steuern“. Wer hohe Einkommen bezieht, kann sich besser vor ihr schützen als die geringer Einkommen. Besser Verdienende haben Zugang zum Kapitalmarkt. Sie können Finanzierungsinstrumente nutzen, um sich gegen Inflation zu schützen. Die Ärmeren sind stärker auf staatliche Transfers angewiesen, die nur unvollständig inflationsindexiert sind. Das trifft zumindest auf die Leistungen der Grundsicherung zu. Sie werden politisch diskretionär angepasst. Andere sehen demgegenüber Inflation distributiv eher positiv. Nicht antizipierte Inflation begünstigt die Schuldner und benachteiligt die Gläubiger. Das gilt zumindest dann, wenn Kreditverträge nicht inflationsindexiert sind und eine lange Laufzeit haben. William Easterly und Stanley Fisher stellen daher fest: „The question must be an empirical one, and the answer may well differ among economices“.
Die empirischen Untersuchungen, wie Inflation auf die Verteilung von Einkommen wirkt, sind eher rar. Wir haben in einem neuen Papier versucht, den Einfluss sich wechselseitig beeinflussender makroökonomischer Größen auf die personelle Einkommensverteilung in Deutschland empirisch zu fassen. Eine von mehreren makroökonomischen Einflussgrößen ist die Inflationsrate. Das Ergebnis ist klar: Ein Inflationsschock erhöht die Einkommensungleichheit, gemessen am Gini-Koeffizienten. Der Einfluss ist kurz nach dem Schock am größten, die Einkommensverteilung wird erheblich ungleicher. Er schwächt sich im Laufe der Zeit ab, bleibt aber immer positiv. Die Ungleichheit ist dauerhaft höher. Das spricht dafür, dass die Kritiker der Inflation auch verteilungspolitisch richtig liegen. Ein inflationärer Schock hat demnach auch negative distributive Nebenwirkungen. Die personelle Einkommensverteilung wird ungleicher.
Die Inflation löst keine Probleme, sie schafft nur neue. Auf diesem Weg gelingt es nicht, die reale Schuldenlast des Staates spürbar zu verringern. Das gilt für die explizite und implizite Verschuldung. Es ist eine Illusion zu glauben, Inflation wäre ein effizienter Weg, die „Schuldenbombe“ zu entschärfen. Inflation hat nur Nachteile. Sie schafft allokative Risiken und hat distributive Nebenwirkungen. Der Weg, von der hohen staatlichen Verschuldung herunter zu kommen, führt nicht über finanzielle Taschenspielertricks. Es ist ein Gebot der Stunde, den Gürtel enger zu schnallen. Weniger staatliche Ausgaben und höhere steuerliche Belastungen sind unausweichlich. Wer diesen Weg nachhaltig und glaubwürdig geht, wird allerdings vom Markt mit höherem Wachstum belohnt. Das erleichtert den Rückzug aus der staatlichen Verschuldung, der expliziten und impliziten.
zuerst erschienen in: www.wirtschaftlichefreiheit.de – der Ökonomenblog
Mein Eindruck auf den ersten Blick ist, sie unterscheiden zu wenig die verschiedenen Einkunftsarten. Einkünfte aus Kapitalvermögen, Einkünfte aus betrieblichem Engagement und Sozialansprüchen sollten m.M. unter dem Aspekt eines Inflationsanstiegs getrennt behandelt werden.
Inflationsprofiteure wäre das letzte, was dieses überzogene Umverteilungsspektakel, das man soziale Marktwirtschaft nennt, noch zusätzlich benötigt.
Sehr geehrter Herr Berthold,
die Interpretation Ihres eigenen Papiers erscheint mir doch recht gewagt.
Es freut mich jedoch, dass Sie den Text hier eingestellt haben und ich rate allen, die sich für das Thema interessieren, das Papier, insbesondere das Ergebnis der Analyse ab Seite 37 im Original zu lesen.
Wenn man das tut, wird man sehen, dass es vor allem notwendig ist, in die Bildung unserer Kinder zu investieren. Wie das allerdings möglich sein soll durch „weniger staatliche Ausgaben“ bleibt mir ein Rätsel.
Mit freundlichem Gruß
Ihr 68er