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Rainer Eckerts „Umkämpfte Vergangenheit“ – viele blinde Flecken – Teil 3

Bild: Modellpark Berlin-Brandenburg (Stalinallee)

Rainer Eckert, lange Jahre Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig, hat eine Publikation verfasst („Umkämpfte Vergangenheit“), die sich als Analyse und umfassender Überblick zu geschichtspolitischen Kontroversen der Bundesrepublik in den letzten 30 Jahren versteht. Das Buch gibt einen interessanten Einblick in die DDR-Aufarbeitungsszene, einen guten Überblick zu Geschichtspolitiken in der Bundesrepublik seit 1989/90 bietet es nicht. Eckert betreibt mit seinem Buch politisch motivierte Geschichtsdeutung. Bis man ihr bei der Lektüre des 296 Druckseiten starken Wälzers auf die Spur kommt, dauert es. Deswegen ist Martin Janders Rezension auch etwas länger geraten und wird in drei Teilen präsentiert.

Die These des Rezensenten soll dennoch schon zu Beginn verraten werden: Rainer Eckert betreibt eine (ost-)deutsch-deutsche Identitätspolitik, die gegenüber den sich christlich gebenden rechten Politikern und neu-rechten Demokratiegegnern hilflos agiert. Einige der ostdeutschen jüdischen und christlichen Revolutionäre von 1989/90 wussten es da schon besser. Ohne die in der DDR nicht bearbeiteten deutschen Verbrechen von 1933 – 45 ist eine Aufarbeitung der DDR-Geschichte nicht möglich. Hier folgt der Schluss der Rezension.

Desiderat 3: Christliche und jüdische DDR-Dissidenten

Historiker deuten, wenn sie Geschichte schreiben immer und betreiben insofern immer Geschichtspolitik. Aber nicht jeder Historiker trägt große Teile seiner Energie und Zeit in die politisch institutionalisierten oder nicht institutionalisierten Räume geschichtspolitischer Kontroversen. Rainer Eckert aber hat dies über Jahrzehnte getan und sich nach dem Ende seiner Tätigkeit am Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig die Zeit genommen, ein dickes Buch darüber zu publizieren.

Eckerts Darstellung klammert viele wesentliche Entwicklungen der letzten 30 Jahre aus. Eine Analyse der Geschichtspolitiken von sich christlich gebenden rechten und völkischen Politikern fehlt in seinem Überblick. Eckert sieht den zentralen geschichtspolitischen Konflikt der letzten Jahrzehnte nicht in der Auseinandersetzung mit Geschichtsdeutungen, die die vereinigte Bundesrepublik entschulden wollen und den Holocaust als eine abgeschlossene Vergangenheit, oder gar als einen „Fliegenschiss“ beurteilen. Er behauptet, der zentrale geschichtspolitische Konflikt finde zwischen ost- und westdeutschen Geschichtsdeutern und Geschichtsdeutungen statt.

Eckerts Darstellung ist die Behauptung unterlegt, dass der große Einfluss von Rechtsradikalismus, PEGIDA und AFD, ein Resultat der „Dominanz Altbundesdeutscher in fast allen entscheidenden Positionen in den ´neuen Bundesländern`“[1] sei. Er glaubt, dass wenn diese Dominanz gebrochen werde und wenn die von ihm geforderte (ost-)deutsch nationale Geschichtspolitik betrieben werde, sich das Problem erledige. Dass Rassismus, Antisemitismus und völkische Ideologie auch Resultat der in der DDR fast gar nicht, in der Bundesrepublik nur unzulänglich aufgearbeiteten deutschen Verbrechen sein könnten, kann er offenbar nicht denken.[2]

Besonders irritierend ist, dass Eckert, der in seiner Darstellung eine Lanze für die Anerkennung des ostdeutschen Gedächtnisses in der vereinigten Bundesrepublik bricht, geschichtspolitische Orientierungen christlicher und jüdischer DDR-Dissidenten völlig unerwähnt und auch undiskutiert lässt. Sie hatten bereits 1989/90 deutlich gemacht, dass eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR nicht ohne gleichzeitige Auseinandersetzung mit den in der DDR unbearbeitet gebliebenen deutschen Verbrechen von 1933 – 45 möglich sei.

Die Mitglieder des Runden Tisches hatten am 12. Februar 1990, auf eine Initiative des „Jüdischen Kulturvereins“ aus Ost-Berlin, dem viele Überlebende des Holocaust und ihre Kinder, z. B. Anetta Kahane angehörten, in der Sowjetunion verfolgte Juden zur Einwanderung in die DDR eingeladen.[3] In der Begründung für diese Einladung hieß es: „Eingedenk der Tatsache, dass bei der Judenverfolgung und -vernichtung durch den deutschen Faschismus die ganze Welt zugesehen hat, rufen wir auf, die deutsche Schmach der Vergangenheit nicht zu wiederholen. (…).“[4] Die damalige Übergangsregierung unter Hans Modrow nahm dieses Anliegen an. Die Innenminister der vereinigten Bundesrepublik bestätigten es später. Bis heute kamen etwa 220.000 Juden.

Die frisch gewählten Abgeordneten aller Fraktionen der zum ersten Mal im März 1990 frei gewählten Volkskammer hatten sich auf die maßgebliche Initiative des Bürgerrechtlers Konrad Weiß hin, Mitglied im Leitungskreis von „Aktion Sühnezeichen“ der DDR,  am 12. April 1990 in einer „Gemeinsamen Erklärung“[5] dafür entschuldigt, dass die DDR die Haftung und Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus, ausdrücklich wird auch der Massenmord an Sinti und Roma genannt, nach 1945 nicht angenommen hätte sowie eine Politik der „Heuchelei“ und der „Feindseligkeit“ gegen Juden und Israel betrieben hätte. Man versprach, sich ab sofort um diplomatische Beziehungen zu Israel zu bemühen, für eine „gerechte Entschädigung materieller Verluste“ einzutreten, insbesondere die Jugend „zur Achtung vor dem jüdischen Volk“ zu erziehen und „verfolgten Juden Asyl in der DDR“ zu gewähren.

Außerdem hatten sich die Abgeordneten der Volkskammer im Juli 1990, wieder auf Initiative des Bürgerrechtlers Konrad Weiß, von der Resolution 3379 der UNO vom 10. November 1975 distanziert, die Zionismus und Rassismus gleichsetzte. Die Vertreter der DDR in der UNO hatten der Resolution zugestimmt.[6] Die Abgeordneten der im März 1990 frei gewählten Volkskammer distanzierten sich ausdrücklich von der „hierzulande (gemeint ist die DDR – d. Verf.) jahrzehntelang praktizierten antiisraelischen und antizionistischen Politik“ der DDR und bedauerten „deren innen- und außenpolitischen Folgen.“ Man distanzierte sich in der Erklärung darüber hinaus von der „Gleichsetzung des Zionismus mit Rassismus und rassischer Diskriminierung.“[7]

Mit diesen Entscheidungen haben sich DDR-Bürgerrechtler und die Abgeordneten der Volkskammer deutlich am Modell der Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der alten Bundesrepublik orientiert. Nicht neue nationale Sinnstiftung, so wie auch Eckert und Kowalczuk sie befördern, sollte das Ziel sein, sondern Übernahme von Haftung und Verantwortung sowie Solidarität mit den Überlebenden. Nicht eine wie auch immer einheitlich gedachte deutsche Nation war das Ziel, sondern Konsens über demokratische Werte und Verfahren, Erinnerung der Verbrechen, Würdigung der Opfer in einer postnationalen Demokratie.

Eine post-nationalsozialistische Demokratie in der Bundesrepublik, die vor allem und zuerst die toxischen deutschen Traditionen abarbeitet, kann Eckert nicht denken. Dies hat auch offenbar damit zu tun, dass die jüdischen und christlichen DDR-Dissidenten, die an den zitierten Erklärungen des Runden Tischs und der letzten Volkskammer maßgeblich beteiligt waren, nicht zum Kreis seiner Mitstreiter gehören. Das ostdeutsche Gedächtnis, das die Geschichtspolitik von Eckert und seinen Mitstreitern befördert, schließt ihre Erfahrungen und Perspektiven aus.

Teil 1: https://starke-meinungen.de/blog/2023/08/20/rainer-eckerts-umkaempfte-vergangenheit-viele-blinde-flecken/

Teil 2: https://starke-meinungen.de/blog/2023/08/23/rainer-eckerts-umkaempfte-vergangenheit-viele-blinde-flecken-teil-2/

[1] Zitiert nach: Eckert: Umkämpfte Vergangenheit, a.a.O., S. 39.

[2] Siehe dazu: Anetta Kahane: Von der ideologischen Schuldabwehr zur völkischen Propaganda, in: Enrico Heitzer, Martin Jander, Anetta Kahane, Patrice Poutrus (Hrsg.): Nach Auschwitz: Schwieriges Erbe DDR, Frankfurt 2018, S. 264 – 275.

[3] Siehe: Vorlage 12/33 am Runden Tisch, Antrag der „Initiative Frieden und Menschenrechte“, in: Uwe Thaysen (Hrsg.): Der Zentrale Runde Tisch der DDR, Band III, Wiesbaden 2000, S. 781.

[4] Zitiert nach: Ebenda.

[5] Alle folgenden Zitate aus: Antrag aller Fraktionen der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik zu einer gemeinsamen Erklärung der Volkskammer, Volkskammer der DDR, 10. Wahlperiode, Drucksache 4, 12. April 1990 (https://webarchiv.bundestag.de/volkskammer/dokumente/drucksachen/100004.pdf).

[6] Siehe: Beschluss über die Distanzierung von der Resolution Nr. 3379 (XXX) der UN-Vollversammlung vom 10. November 1975 in ihren Aussagen über den Zionismus durch die Deutsche Demokratische Republik, 10. Volkskammer der DDR, 169. Drucksache, 22. Juli 1990 (https://webarchiv.bundestag.de/volkskammer/dokumente/protokolle/1027.pdf).

[7] Zitiert nach: Ebenda, S. 1280.

 

 

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