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Krise der CDU – Mehr christdemokratische soziale Gerechtigkeit wagen!

Foto-Credit: IMAGO / Müller-Stauffenberg

Die CDU hat das Thema „Soziale Gerechtigkeit“ und ihren Sozialflügel seit Jahren vernachlässigt. Das hat sich bei der Bundestagswahl nun gerächt. In der Partei selbst gibt es aber mit dem Europaabgeordneten Dennis Radtke vom Sozialflügel und dem konservativen Hamburger Landesvorsitzenden Christoph Ploß längst Vordenker zu diesem Thema, das laut Umfragen für die Wähler zentral bei der Bundestagswahl war. 

Das für die Union ohnehin schon desolate Ergebnis von gerade einmal 24,1 Prozent bei der Bundestagswahl beinhaltet eine ganz besonders bittere Pille: satte 1.990.000 der bisherigen Wähler sind dieses Mal zur SPD übergelaufen. Gewiss, dieser Weggang dürfte viel mit dem Umstand zu tun haben, dass der bedachte Olaf Scholz aus Sicht vieler Bürgerlicher ein Mann ist, dem sie das Land eher als jemandem wie Armin Laschet mit dessen zahlreichen Patzern anvertrauen. Aber das kann kaum die einzige Erklärung sein. Vielmehr ist diese Wählerwanderung eine Art Sinnbild für eine der größten Leerstellen in der CDU-Politik der letzten Jahre: die Sozialpolitik.

Kein Vertreter des Sozialflügels in Laschets „Zukunftsteam“

Auch im Unions-Wahlkampf spielte das Soziale kaum eine Rolle. So machte der liberal-konservative Publizist Andreas Püttmann via Twitter bereits Anfang September darauf aufmerksam, dass Armin Laschets „Zukunftsteam“ keinen einzigen Vertreter des Sozialflügels umfasste. Dieser sammelt sich vor allem in der CDA, der „Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft“. Püttmann sprang diese Merkwürdigkeit ins Auge, weil die „Soziale Gerechtigkeit“ laut „ZDF-Politbarometer“ vom 3. September das wichtigste Thema für die Wahlberechtigten war.

Satte 51 Prozent der Befragten setzten es ganz nach oben und damit sogar noch deutlich vor den Klimaschutz (39 Prozent). Auffällig und keine gute Nachricht für die Union: 43 Prozent der Umfrageteilnehmer hielten das Thema bei der SPD für besonders gut aufgehoben, hingegen nur 12 Prozent bei der CDU/CSU. Schon da hätten alle Alarmglocken in der CDU schrillen müssen, deren soziales Gewissen über Jahrzehnte insbesondere von Norbert Blüm verkörpert wurde, auch wenn dessen berühmter Slogan „Die Rente ist sicher“ schon länger für Stirnrunzeln sorgt.

Für Laschet erschöpft sich soziale Gerechtigkeit in der Schaffung von Arbeitsplätzen

Zu Armin Laschet drang all das offenbar nicht durch. Statt spätestens ab diesem Zeitpunkt der SPD das Wasser abzugraben und, um einen ihrer berühmtesten Slogans abzuwandeln, mehr soziale Gerechtigkeit zu wagen, legte Laschet selbst noch am Wahlabend eine geradezu fahrlässige Ignoranz an den Tag. So geschehen in der gemeinsamen „Berliner Runde“ von ARD und ZDF. Dort sagte der Mann, der so gerne Bundeskanzler aller Deutscher und damit logischerweise auch der mit einem nicht so guten Einkommen wäre, lapidar, es stimme nicht, dass die Unionsparteien nicht für die soziale Frage stehen würden. Viele Arbeitnehmer würden die Union sogar gerade „wegen“ dieser wählen. Und überhaupt seien das Niedrighalten der Arbeitslosigkeit und die Schaffung von Arbeitsplätzen ohnehin „die größte Antwort auf die soziale Frage“ im Gegensatz zu vielen Ideen der Linkspartei.

Letzteres ist sicherlich richtig, insgesamt aber erschrickt Laschets Äußerung. Kein Wort zu prekären Beschäftigungsverhältnissen, kein Wort zu dem Umstand, dass Sozialabgaben anders als Steuern keine Freibeträge kennen und ab dem ersten verdienten Euro greifen, während sie nach oben hin gedeckelt sind und somit im Ergebnis Geringverdiener ungleich härter treffen, was nicht so recht zum christdemokratischen Leistungsprinzip passen will.

Will die Union Volkspartei bleiben, muss sie die Sozialpolitik in den Fokus rücken

Der Ausgang der Bundestagwahl dürfte dieser Ignoranz nun ein Ende bereiten. Will die Union Volkspartei bleiben, muss sie die Sozialpolitik wieder stärker in den Fokus rücken. Gerade auch, weil sich der Zeitgeist in den vergangenen 20 Jahren deutlich geändert hat. Der Begriff des „Neoliberalismus“, wenngleich oft negativ missverstanden, ist inzwischen selbst in den Topetagen der deutschen Wirtschaft reichlich out. Wirtschaftsliberalismus ohne den Gedanken von sozialer Verantwortung ebenso.

Vor allem seit dem Aufstieg des Rechtspopulismus hat sich auch in den Unternehmen der Gedanke durchgesetzt, dass es wichtig ist, von einem einzigen Gehalt, also ohne weitere Nebenjobs leben zu können, weshalb auch der Mindestlohn als solcher eigentlich nicht mehr in Frage gestellt wird. Die Abwanderungszahlen der SPD (470.000) und Linkspartei (400.000) hin zur AfD sind schon bei der vorherigen Bundestagwahl vor vier Jahren eine deutliche Warnung gewesen.

Eigenständige CDU-Sozialpolitik in Abgrenzung zur SPD und FDP

Die Schwierigkeit, aber zugleich auch große Chance für die CDU besteht darin, das Thema Sozialpolitik eigenständig, also anders als die traditionell vornehmlich der Arbeitnehmerseite nahestehende SPD, aber auch in Abgrenzung zur FDP zu besetzen. Es muss ihr deshalb um eine Synthese und nicht um einen Antagonismus gehen. Ausgehend von der bis heute validen Kernthese der katholischen Soziallehre und der evangelischen Sozialethik heißt das: um das Subsidiaritätsprinzip. Das bedeutet, dort zu helfen, wo der einzelne sich nicht selbst helfen kann. Im Gegensatz zu einem falsch verstandenen Neoliberalismus heißt das aber auch: mit mehr Verständnis, mit mehr Empathie dafür, dass es in den unteren Schichten nicht so leicht ist, „sich selbst zu helfen“ oder „etwas aus sich zu machen“. Was übrigens bei aller sonstigen Kritik Armin Laschet in seiner Zeit als Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen bei der Förderung von Mädchen mit Migrationshintergrund im Sinne eines „Aufstiegs für Kinder durch Bildung“ vorbildlich umgesetzt hat.

Zugleich muss all das ohne angeranzte linke Umverteilungsfantasien in Form von Steuererhöhungen für höhere Einkommen geschehen, die auch viele Familienunternehmen treffen würden. Wer der Wirtschaft und dem Bürger die Freiheit gibt, Leistungen zu erbringen, bringt die Steuerkasse zum Klingeln und generiert so Gelder, die für soziale Unterstützungsleistungen verwendet werden können. So profitieren beiden Seiten.

CDA-Vertreter Dennis Radtke: Union argumentiert in der Sozialpolitik „fast nur defensiv“

Man fragt sich, warum eine Volkspartei, die das „C“ im Namen trägt und eine lange Geschichte christlicher Sozialpolitik hat, die Bedürftigen so aus dem Fokus verlieren konnte. Immerhin werden die innerparteilichen Kritiker dieser Entwicklung nun lauter. So räumt der Bochumer Europaabgeordnete Dennis Radtke, neben dem CDA-Vorsitzenden und nordrhein-westfälischen Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann der wichtigste Exponent des Sozialflügels der CDU, gegenüber STARKE MEINUNGEN offen ein, dass auch der CDA aus unterschiedlichen Gründen „die Arbeit an den grundsätzlichen Fragen“ – wie „der Zukunft der sozialen Marktwirtschaft“ – in den letzten Jahren „Stück weit abhandengekommen“ sei. Das müsse sich „dringend ändern“. Radtke beklagt: Projekte der Großen Koalition wie die „konkrete Ausgestaltung der Grundrente“ oder die „verpflichtende Anwendung von Tarifverträgen in der Altenpflege“ habe die CDU „nicht mit ganzem Herzblut auch für sich reklamiert“, weshalb diese in der öffentlichen Wahrnehmung „mit der SPD nach Hause“ gegangen seien. Auf Twitter schreibt er, die Union argumentiere in der Sozialpolitik „fast nur defensiv“, weshalb Menschen inzwischen glaubten, sie habe „kein Verständnis für ihre Angst vor steigenden Mieten“ oder den „Frust“ über die fehlende Möglichkeit der Eigentumsbildung“. Zudem erwecke die Partei den Eindruck, „Niedriglohn gut“ zu finden und in der „Rente nach 45 Jahren“ einen „Fehler“ zu sehen.

Das ist fraglos richtig. Im Grunde ist die Union in den letzten Jahren eher verdruckst mit Sozialthemen umgegangen, obwohl gerade auch ein eher konservativer Politiker wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sich mit Vehemenz für die Pflegereform stark gemacht und diese kurz vor Schluss der Legislaturperiode in zumindest einer Art kleinen Lösung durchgebracht hat. Dabei achtete er darauf, dass die stetig steigenden Eigenanteile in der Pflege für alle und nicht nur für niedrigere Einkommen etwas gedeckelt werden. Das ist auch dringend notwendig. Für Nicht-Betroffene ist kaum vorstellbar, zu was für einem Vermögensverlust jahrelange, stetig steigende Pflegekosten führen können.

Nur Spurenelemente von Sozialpolitik im CDU-Wahlprogramm

Das Beispiel illustriert, wie wichtig ein stärkeres sozialpolitisches Engagement für die CDU ist. Im Wahlprogramm der CDU fanden sich dazu allerdings passend zu Laschets Ignoranz nur Spurenelemente. Die pfiffigste Idee war noch der „Mietkauf“ für junge Menschen mit geringerer Kapitalausstattung. Dabei erhalten Mieter vom Vermieter eine Erwerbsoption, womit sie frühzeitig etwas Bleibendes für sich aufbauen können. Es geht also um Würde.

Eigentlich könnte die Stärke der Union gerade darin liegen, anders als die SPD nicht auf Pauschallösungen zu setzten, sondern je nach Leistungsfähigkeit individuelle und damit flexible Lösungen zu finden und durchdachte Konzepte zu entwickeln. Stattdessen hieß es im Wahlprogramm kurz und knapp, man wolle das Renteneintrittsalter „in kleinen Schritten auf 67 Jahre im Jahr 2030 anheben“. Empathie zeigt die CDU nur bei Unfällen und schweren Krankheiten, die durch Verbesserungen in der Erwerbsminderungsrente aufgefangen werden sollen.

Offenbar herrscht nicht einmal im Ansatz ein Verständnis dafür, dass Menschen mit attraktiven Bürojobs und hohem Gehalt oftmals länger arbeiten wollen, während solche, die körperlich schuften, nicht selten schon mit 60 Jahren schlichtweg ausgelaugt sind, ohne stricto senso „schwer krank“ zu sein. Dieser Unwille oder diese Unfähigkeit zur Differenzierung ist ein Ärgernis für eine christdemokratische Partei. Vor allem auch deshalb, weil selbst im konservativen Parteiflügel solche Ansätze wie überhaupt eine wieder stärkere Besinnung auf die soziale Frage längst diskutiert werden. So brachte der Hamburger Landesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß gemeinsam mit dem Diakoniewissenschaftler Hanns-Stephan Haas im April ein mit Texten parteiübergreifender Autoren bestücktes Buch namens „Chancen begreifen – Soziale Leibegriffe im Gespräch zwischen Politik und Sozialwirtschaft“ heraus.

Der konservative Christoph Ploß hat ein Gespür für Sozialpolitik

In einem Text darin fordert Ploß explizit eine größere Flexibilität beim Renteneintrittsalter, die bei „körperlich harter Beschäftigung“ früher einsetzen könne, was besser sei als eine pauschale Festlegung. Auch gelte es, „Bedürftige und Schwache“ „zielgenau“ zu unterstützen. Etwa durch Fortbildungsmaßnahmen hin zu einer „anderen qualifizierten Tätigkeit“, wenn der erlernte Beruf nicht mehr ausübbar sei.

Zu einem solchen Ertüchtigungsprinzip gehört auch, Unterschiede zwischen denjenigen aufrechtzuerhalten, die ihre Arbeitsfähigkeit umsetzen statt staatliche Abhängigkeiten zu zementieren. Demgemäß hält Dennis Radtke zutreffend den von der SPD beabsichtigten Wegfall der Sanktionierungen im Hartz IV-System für einen Irrweg, weil die „Solidarität zuerst denen gehören“ sollte, „die es aus eigener Kraft heraus nicht schaffen bzw. nicht schaffen können“, hingegen „nicht denjenigen, die nicht wollen und zugleich mit einer Vollkasko-Mentalität vor die Gesellschaft treten und Unterstützung einfordern“.

Leistungsprinzip, Empathie sowie Würde bei Arbeit und Lohn müssen die künftigen Fixpunkte einer Sozialpolitik der CDU sein. Steuersenkungen für kleine und mittlere Einkommen alleine sind keine Lösung, zumal sie das eingangs angesprochene Problem der ungerechten Auswirkungen der Sozialabgaben nicht lösen.

Wollen sie gegen eine wieder erstarkte SPD bestehen, müssen sich die Christdemokraten also künftig auf die Fahnen schreiben: „Mehr soziale Gerechtigkeit wagen“.

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3 Gedanken zu “Krise der CDU – Mehr christdemokratische soziale Gerechtigkeit wagen!;”

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    Haha, ja die Altparteien suchen verkrampft Themen, um vom Desaster aus dem Jahre 2015 abzulenken.

    Merkel ist schuld, die CDU muss büssen…gut so.

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    Ich musste gerade an ein Zitat des früheren US-Vizepräsidenten Dan Quayle denken: „Republicans have been accused of abandoning the poor. It’s the other way around. They never vote for us.“

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    Liebe Frau Bednorz, klingt alles sehr plausibel, aber meinen Sie wirklich, dass die Wählerwanderungen weg von der SPD nur mit der Vernachlässigung der sozialen Frage zu erklären sind? In meinem Umfeld spielt das Thema Migration/Integration eine erhebliche Rolle, soweit ich sehe auch in den Umfragen, die ich noch vor der Wahl gesehen habe. Hier hat die SPD – abgesehen von Frau Giffey und wenigen anderen – ein systematisches Wegschauen und Nichtbenennen von Problemen kultiviert, das mindestens so ernst zu nehmen ist wie die von Ihnen benannten Gründe.
    Beste Grüße
    Christoph Müller-Hofstede

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