Von Alexander Görlach, Herausgeber und Chefredakteur „The European“:
Ich habe ein Recht auf die Dienstleistungen meiner Kirche. Grob gesagt: den Empfang der Sakramente und ein geregeltes Gemeindeleben. Das ist vorbei, in vielen Gegenden Deutschlands, in vielen Ländern der christlichen Welt. Denn: Der Zölibat hält gesunde Persönlichkeiten davon ab, sich für das Amt des Priesters zu entscheiden. Außerdem wäre es schön, wenn Geistliche sich um uns Gläubige kümmern könnten und sich nicht den ganzen Tag an ihrer Libido abarbeiten müssten.
Da war diese Karikatur: Der Pfarrer steht auf der Wiese. Er trägt eine Soutane. Schwarz bis zum Boden. Kinder spielen im satten Grün. Die malerische Szene wird überschrieben mit einem im Neuen Testament überlieferten Satz Jesu: “Lasset die Kindlein zu mir kommen.” Dem irdischen Vertreter des Zitatgebers hängt dabei das Geschlecht aus dem Klero-Fummel.
Die katholische Kirche in Deutschland hat ihren handfesten Skandal. Und wie geht es der ältesten Institution auf dem Erdenrund sonst so hierzulande? Von Berlin aus betrachtet hat Deutschland jede Form der Kirchlichkeit von sich gestreift. Berlin war immer die Ausnahme, lautet die Entkräftung dieser Aussage. Die Ossis, die oft gar nicht mehr wissen, wer Jesus war, haben ohnehin keine Kirchenbindung mehr. Sie sind von den Kommunisten zwangsentchristlicht worden. Das ist bekannt.
Was ist im Westen, zum Beispiel am Rhein, zum Beispiel in dem rheinhessischen Dorf, aus dem ich komme? Das Dorf war katholisch seit seiner Gründung vor 1200 Jahren, jeden Tag läutete es zur Messe. Taufen, Eheschließungen, Beerdigungen. Der Zeitenlauf wurde von der Kirche, dem christlichen Jahreslauf, bestimmt. Heute: Es gibt keinen Gottesdienst mehr. Ab und zu noch mal am Sonntag oder am Samstagabend. Wer stirbt, empfängt keine Sterbesakramente mehr, selbst wenn er wollte. Es gibt keine Priester mehr, die sie spenden könnten.
Die katholische Kirche ist eine Klerikerkirche. Gibt es keine Kleriker mehr, geht diese Kirche unter. Wir haben keine Kleriker, geweihten Priester, mehr, also wird unsere – ich sage das ganz bewusst: unsere – Kirche untergehen. Die Kleriker spenden die Sakramente, die Sakramente sind das innere Leben der Kirche, sie konstituieren ihren Zusammenhang: Taufe, Kommunion, Beichte, Hochzeit und die Letzte Ölung.
Würde die Aufhebung des Zölibats an der Situation etwas ändern? Ja, das würde sie. Der Zugang zum geistlichen Amt hängt von vielem ab. Die Fähigkeit, auf ungesunde Weise die Sexualität – die zu jedem Menschen gehört und deren Ausleben in Partnerschaft essenziell für ein gelingendes Leben ist – gehört nicht dazu. Über die Jahrhunderte hat die Kirche es sich gemütlich gemacht in der Bigotterie, die aus dem Pflichtzölibat erwachsen ist. Dabei ist es unnötig zu sagen, dass es auch Geistliche gibt, die um des Himmelreiches willen, so wie es in der Schrift heißt, ehelos bleiben möchten.
Das Zölibatsproblem ist nicht nur eines in Deutschland. Es hat alle Länder der westlichen Welt erfasst. Von Australien bis Kanada sind die Seminare leer, der Nachwuchs fehlt. Dort, wo sich der neuzeitliche – auch vom Christentum selbst geprägte – Personenbegriff praktisch Platz verschafft hat, ist die Vorstellung von einem Verzicht auf liebes- und bindungsloses Leben nicht mehr vermittelbar.
Was ändert sich für die Kirche, wenn ihre Diener verheiratet sind? Alles. Das ist sicher. Es wird Kinder in den Pfarrhäusern geben und Frauen. Ein Berufsbild wird umgekrempelt.
Nach dem letzten Kanon des kirchlichen Gesetzbuches ist die oberste Pflicht allen kirchlichen Tuns das Heil der Seele, also auch das Heil meiner Seele. Ich habe ein Recht auf meine Sonntagsmesse, ich habe ein Recht auf die Beichte. Und ich will, wenn es mal zu Ende mit mir geht, die Sterbesakramente empfangen. So einfach ist das: Entweder die Kirche gibt die Sakramente auf oder den Zölibat. Noch hat sie die Wahl.
zuerst erschienen in www.theeuropean.de
@ Don Camillo: Hier nun ein interessantes Textbuchbeispiel wie die „Romantik“ in einer vollstaendig anderen Volkskultur „gepflegt“ wird: In der Volkskultur der Mestizen im Staate Sinaloa, an der Westkueste von Mexiko. Es weht noch der alte Einfluss der mediterranen Romantik welche in der Musik und Dichtung von Kolonial-Spanien kam — aber auch das gelassene Gehaben der Indianer und ihr Sinn fuer Romantik. (Die Indianer hatten einen grossen Sinn fuer Humor und fuer Romantik – aber hier und jetzt kann ich das nicht erklaeren.) Siehe das Video „te presumo banda el recodo“: Jetzt sind sie beide 16 – man kuesst sich, diskret abgeschirmt vom Sombrero und man erinnert sich noch an damals als sie beide 5 Jahre alt waren, sie noch mit der Puppe im Arm (also ein gemeinsames Kind in der Zukunft) – und sie schauten sich damals schon in die Augen und reichten sich sachte und zaertlich die Haende. „Ich mache dir den Hof denn du bist eine vollkommene Koenigin. Ich bin stolz darauf das du mich willst und Verlangen nach mir hast. Ich spreche den ganze Tag, wie verueckt, nur ueber dich…“.
@ Don Camillo: Zumindest ein Mann hatte ihre Ansicht: Ein franzoesischer Dichter des 13ten Jahrhunderts schrieb: „Die Ehe kann man doch mit der Liebe vereinen!“ –Ich beglueckwuensche Sie fuer ihre Lebenserfahrung und Lebenweise. Wenn man eine ernsthafte Ehe und Kinder hat kann man aber kaum die „anderen Welten“ wirklich erleben, verschiedene Leben gelebt zu haben, eine andere Person in anderen Gefilden gewesen sein. Man endeckt wer man ist, man findet sich meist drausen in der weiten Welt in der Umwelt anderer Kulturen und Rassen – und wenn moeglich auch in deren Sexualitaet, Romantik und Erotik. Goethe schrieb: „Ich habe mich in Rom gefunden!“ Levy-Strauss der franzoesische Anthropologist meinte: „Haette ich gewusst wie ich bin, dann haette ich mich nicht erst in exotischen Abenteuern suchen muessen“. Meine Meinung ueber den Mitteleuropaer (gemeint: der Deutsche) ist nur im Vergleich mit manchen anderen Volkskulturen — und auch was man von Erfahrenen „im Feld“ zu hoeren bekommt… Im Bezug von Romantik, Erotik und Sexualitaet koennte man ohne Zweifel messbare Unterschiede in den verschiedenen Kulturen erkennen.
Alexander Görlach: Ich habe ein Recht auf die Dienstleistungen meiner Kirche […] Ich habe ein Recht auf meine Sonntagsmesse, ich habe ein Recht auf die Beichte. Und ich will, wenn es mal zu Ende mit mir geht, die Sterbesakramente empfangen.
Flacher geht’s ja wohl kaum noch: Kirche als Dienstleistung, Kirche als Seelen-Friseur!
Dem entsprechen die Regelmäßig-rein-raus-Kommentare. Sex als Dienstleistung. (Man muss einigen Leuten anscheinend mal ’n bisschen Katholizismus an den Hals wünschen, damit sie erfahren, was Lust ist. 😉
@ volenz
**Der Mitteleuropaer hat ein ranziges Verhaeltnis zur Sexualitaet: Moder von Freud, Kleinstadtverklemmungen, aber auch Angst vor Romantik und kein Verstaendnis fuer die Erotik.**
So? Ich habe sechs Kinder, meine Frau seit über 37 Jahren, bin Mitteleuropäer, auf zwei Kontinenten zu Hause und ein ausgewogenes Sexualleben.
Dies befähigt mich, Vertrauen in meine Umgebung zu haben, von meinen Kindern zu lernen, so daß ich nie zu solch Aussagen, wie den Ihrigen kommen würde.
Kann es sein, daß Sie etwas „verpasst“ haben?
„Das Ausleben der Sexualitaet in der Partnerschaft ist essenziell fuer ein gelingendes Leben“ – ja, wenn man sich mit von Jugend an bis zum Tod auf die eine Person konzentriert im dem tausendjaehrigen Dorf in Rhein-Hessen. Das kann gluecklich sein. Aber man hat nichts „erlebt“ in der weiten Welt und man hat auch Personen „verpasst“ welche man erlebt haben sollte. Man sollte beide Leben erleben koennen! Der Mitteleuropaer hat ein ranziges Verhaeltnis zur Sexualitaet: Moder von Freud, Kleinstadtverklemmungen, aber auch Angst vor Romantik und kein Verstaendnis fuer die Erotik.
So entsetzlich die pädophilen Übergriffe im kirchlichen Bereich sind, sehe ich die Aufhebung des Zölibates nicht als Allheilmittel der katholischen Kirche. Erstens steht es mit der evangelischen Glaubensgemeinde ebenfalls nicht zum Besten was die Kirchenaustritte und den Abfall vom christlichen Glauben betrifft, obwohl dort Ehe und Familie gestattet sind. Und zweitens – in einer Gesellschaft, in der Ehe und Familie kaum mehr Bedeutung haben und x-beliebig austauschbar sind – sog. Patchworkfamilien etc. – wäre es völlig verfehlt, diese als Patentrezept zu verordnen.
Es gäbe dann vielleicht tatsächlich mehr katholische Priester, aber sie würden eventuell das Amt eher als Job sehen und sich womöglich nach mehreren Scheidungen, Kindersorgerechtsstreitereien, Unterhaltsforderungen dieselben Probleme einhandeln, wie die meisten von uns. Da bliebe dann womöglich viel weniger Kopf und Zeit für die Betreuung der Gläubigen und das wünsche ich mir eigentlich nicht.
Wie meinte Papst Benedikt so treffend:
„Man soll nicht glauben, dass die Ehe einfacher ist als der Zölibat“.
@ Dr. Oliver Strebel.
„…43% aller Kanadier Schinken wählen, wenn sie sich zwischen Schinken und Sex entscheiden müssten.“
Das stimmt. Man vergisst nur die Kleinigkeit: befragt wurden die Kanadier, die normalerweise Sex regelmäßig haben. Nun stellen wir uns vor was sie sagen würden, wäre ihnen Sex so ungefähr seit ein Jahr verboten und Schinken essen nicht.
Und bitte, Herr Dr., den unbeliebten Autor mit „sie“ statt „Sie“ ansprechen und dabei über Toleranz reden – das ist schon wirklich nicht nur ein Erziehungsproblem.
Korrektur: Selbstverständlich heisst es Walther von der Vogelweide, nicht Heide. Und nicht „gesaötet“, sondern gestaltet.
Kennen Sie Walther von der Vogelheide, seine Kirchenkritik?
Ich sah mit eignen Augen ………………
In seinem dritten Spruch hat er beschrieben, was auch jetzt gerade geschieht. Es ging zwar um andere Dinge, als jetzt, doch wie es sich gesaötet, wenn Kleriker und Laien sich trennen, hat er besonders treffend beschrieben.
Die Kleriker in Rom zogen wieder die Kutten an……….,
denn auch sie sind nicht ganz unbeeindruckt von ihren aufmöpfigen Schäfchen.
Genau deshalb wird die Katholische Kirche bestimmt nicht untergehen, weder wegen ihrer Kleriker, gerade trotz ihrer Kleriker.
ZU Walther und seiner Kirchenklage:http://de.wikipedia.org/wiki/Reichston
http://de.wikipedia.org/wiki/Reichston
Weiter möchte ich es stark in Zweifel ziehen, daß sie die sexuellen Bedürfnisse aller Menschen richtig einschätzen. Laut einer Umfrage würden 43% aller Kanadier Schinken wählen, wenn sie sich zwischen Schinken und Sex entscheiden müssten.
http://www.newswire.ca/en/rele.....c6235.html
Also bitte, seien sie tolerant und lassen jeden nach seiner Facon selig werden.
Katholisch bin ich nicht. Aber dieses Katholische-Kirche-Bashing finde ich wirklich zu armselig. Niemand wird in die katholische Kirche gezwungen. Man kann sich hier frei religiös orientieren und z.B. altkatholisch werden, oder irgendwo sonst in der vielgestaltigen religiösen Landschaft unsrere Republik seine Gemeinde finden.
Falls die katholische Kirche wirklich so unerträglich ist, dann wird die Abstimmung mit den Füssen schon Erfolg haben. Also kein Grund sich zu echauffieren.
Wenn manchen in diesem Blog nichts einfällt, dann meckern sie an der katholischen Kirche herum. Was für eine geistige Armut!
Vom Atheist: Mein lieber Alex – eine gesunde Persoenlichkeit wird doch nicht Priester, oder Pfarrer, oder Rabiner, oder Iman – oder noch schlimmer „Theologe“! Ein gesunder, anstaendiger Mensch versucht sein Leben ehrlich und durch Arbeit zu verdienen! Also wenn einer auf solches „geistliche Amt“ strebt – da muss der gesunder Menschverstand fragen: „Warum?“ Die Religion ist die aeltese Industrie – noch vor der Prostitution – jeder paleolitische Stammeskultur hatte schon Schamanen von denen wahrscheinlich die ganze „Blutkultur“ stammt – entweder soll Blut getrunken werden, oder etwas muss geschnitten werden damit es bludet. Als die spanischen Priester nach Mexiko kamen wunderten sie sich – zusammen mit den Aztekenschamanenen (welche Sakristane/Kuester wurden!) – ueber die seltsam aehnliche Bedeutung des Blutes als Opfer – in beiden Religionen. Ob das Ausleben der Sexualitaet nur „in der Partnerschaft“ beschraenkt sein sollte: Jede Gesellschaft und Epoche hat ihre Ideale und Gepflogenheiten. (P.S. Alex – ihr Stiel ist grossartig, klar, zuegig!)
@A. Gerlach: Zum Zölibat positioniere ich mich ganz in Ihrem Sinne. In einem Punkt möchte ich Ihnen aber entschieden widersprechen.
„Die katholische Kirche ist eine Klerikerkirche. Gibt es keine Kleriker mehr, geht diese Kirche unter.“
Im wilden Südwesten der Republik kommen an manchen Stellen 4 Gemeinden auf einen Priester. Das hat zur Folge, daß die Gemeinden, so wie in der Urkirche, ihre Gottesdienste selber gestalten und abhalten.Priester sind tatsächlich lediglich nur noch zu Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen anwesend, und das klappt vorzüglich, wesentlich besser, als vorher.
So hat der moderne Kleriker genug Zeit, sich um seine verkorkste Libido zu kümmern.
Ob sich in der Kirche etwas positiv ändern wird, wenn katholische Priester heiraten dürfen, wage ich zu bezweifeln. Wenn man sich so anschaut, was in protestantischen Pfarrhäusern für Pflänzlein gediehen sind, kann auch dieses Biotop nicht so gedeilich sein. Da wäre nicht nur G. Enslin zu nennen.
Auch unsere wackere Kanzlerin stammt aus einem Pfarrhaus, wobei diese natürlich zu den positiveren Beispielen zählt, damit keine Missverständnisse aufkommen.