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Was strebt die Neue Rechte an? – Interview mit Benedikt Kaiser

Foto: Jungeuropa.

Von Alan Posener und Liane Bednarz

Benedikt Kaiser gilt inzwischen als einer der zentralsten jüngeren Vordenker der Neuen Rechten. Anlass und Zeit für ein Interview mit ihm.

Was meinen Sie mit der grundsätzlichen Wende, die Sie anstreben, bis zu der die AfD sich nicht an die etablierte Politik anbiedern darf?

Die Probleme sind nicht klein, sie sind gewaltig, und sie werden seit Jahrzehnten angehäuft. Demografie beispielsweise, eine pronatalistische Familienpolitik als Kern: derlei lässt sich nicht mit 1,2,3 Reförmchen bewerkstelligen. Wir brauchen eine grundlegende geistige Wende, eine grundlegende weltanschauliche Kehre – hin zu einem positiven Bewusstsein von Familie, Überlieferung, Volk, Staat, Europa. Und dann erst, also nach dieser geistig-weltanschaulich-kulturellen Kehre, kann auch politisch „geerntet“ werden. Sprich: Politische Fragen im realpolitischen Tagesgeschäft leiten sich von grundlegenden oder grundsätzlichen Überzeugungen ab. Derzeit dominieren – meiner Ansicht nach – noch die falschen. Doch die richtigen müssen erst zirkulieren, und zwar über kleine rechte Randmilieus hinaus – hin zur Mitte des Volkes, nicht der Mitte der (aktuellen) Politik.

Kennen sie ein Land außerhalb des islamistischen Einflussbereichs, wo eine solche geistig-moralische Wende geglückt ist?

Die Bezugnahme auf den „islamistischen Einflussbereich“ leuchtet mir nicht ein.

Wo es innerhalb Europas in Teilen (!) zu einer positiven konservativen Wende im Gesellschaftlichen (inkl. Familienpolitischen) gekommen ist: Ungarn, Italien, Polen. Allerdings: in Teilen. Es bleibt noch viel zu tun, und Deutschland kann – nach entsprechend großen Reformen – von allen Ländern und weiteren lernen, natürlich explizit auch von ihren Fehlern.

Welcher Zeitraum schwebt Ihnen insofern vor?

Ich glaube nicht, dass man das in Daten und Jahresschätzungen angeben kann. Das Entscheidende ist ja: In der Konvergenz der Krisen beschleunigen sich die Dinge; sie können aber auch durch Interventionen der Politik verzögert werden. Geschichte macht Sprünge, und die Politik springt mal höher, mal tiefer, jedenfalls ist das alles offen und zudem auch von äußeren Faktoren – US-Politik? Ukrainekrieg? Usw. – teil-abhängig. Lange Rede, kurzer Sinn: In der Lage leben und handeln, das Schlechteste annehmen und das Beste erkämpfen. Dann sieht man weiter, Jahresschätzungen hin oder her.

Ist die Gründung der „Generation Deutschland“ mit Jean Pascal Hohm an der Spitze gewissermaßen das Fanal für die Umsetzung Ihrer Strategie?

Nein. Aber es ist natürlich zu begrüßen, dass eine neue Jugendorganisation der AfD als jugendliches Sprachrohr der Partei wieder aufgebaut wird – und zwar von Profis wie Herrn Hohm. Ich freue mich, und ich denke, dass die Generation Deutschland einen wichtigen Auftrag übernehmen wird, der selbstverständlich wichtig ist für Hegemoniekämpfe: Sie müssen der kommenden Generation bzw. den kommenden Generationen Werte, Wissen und Weltanschauung vermitteln. Jemand anderes wird es eher nicht tun, die parteinahe sogenannte Stiftung schon gar nicht, wie das unaufhörliche Scheitern dieser Institution mir zu belegen scheint.

Wie unzufrieden Sie mit der Desiderius-Erasmus-Stiftung sind, deuten Sie auch in Ihrem neuen Buch „Der Hegemonie entgegen: Gramsci, Metapolitik und Neue Rechte“ an. Was ärgert Sie konkret an dieser und warum betrachten Sie diese als gescheitert?

Die Aufgabe einer AfD-nahen Stiftung wäre die professionelle Vermittlung von Werten, Wissen und Weltanschauung. Ich sehe auf allen Ebenen Stillstand, wo nicht gar (ideologischen) Rückschritt. Wo ist die Task Force „FPÖ-Regierungsbeteiligungen“ der letzten Jahrzehnte? Wo sind Nachwuchsseminare mit konkreten, vorwärtsdrängenden Inhalten und Strategemen? Wo bleiben die notwendigen Professionalisierungsschübe? Genderkritik, CDU-der-90er-Jahre-Nostalgie und bisschen „Steuern runter!“ scheint mir zu wenig. Es liegt eine massive Ungleichzeitigkeit vor zwischen Parteientwicklung und Stiftungsentwicklung.

Die Stiftung wirkt aus der Zeit gefallen; mit großer Ehrfurcht schaut man da nach Wien, wo das Freiheitliche Bildungsinstitut (FBi) der FPÖ in vielerlei Hinsicht das Gegenteil der Steinbach-Stiftung darstellt: eine politische Wissensmanufaktur bei stetigem Ausbildungs- und Weiterbildungsbetrieb. Nur mit „fehlender Staatsknete“ allein hat das allerdings nicht zu tun: Es fehlt bei den derzeitigen DES-Verantwortungsträgern schlichtweg der Begriff des Politischen und das konstruktiv-gestaltende Verständnis für die Schnittmenge von Real- und Metapolitik.

Was genau streben Sie an? Einen illiberalen Staat? Wenn ja, inwiefern?

Es ist wichtig, zu bedenken, dass ein illiberaler Staat keineswegs gleichzusetzen wäre mit einem nichtdemokratischen Staat. Philip Manow hat zuletzt fundiert belegt, dass im „Westen“ die Vorstellung hegemonial wurde, Demokratie gebe es nur als „liberale Demokratie“. Das ist falsch. Mir persönlich scheint der Begriff der „illiberalen“ Demokratie, wie wir ihn heute verwenden, aber oft zu pejorativ behandelt zu werden. Im Alltagsverstand verbindet man damit nicht viel Gutes – das kann man anfechten oder nicht. Das Entscheidende scheint mir daher, dass die Demokratie, wie sie das Grundgesetz vorsieht, Deutungskämpfen unterliegt. Diese können mit liberaler Politik- und Weltauffassung geführt werden, müssen es aber eben nicht! Statt „illiberal“ bevorzuge ich insgesamt „postliberal“. Philip Pilkington und Patrick J. Deneen sind hierbei nach meinem subjektiven Ermessen bessere ideenpolitische Referenzen als Viktor Orban.

Das heißt, Sie haben nicht nur ein taktisches Verhältnis zum Grundgesetz? Alles, was Sie verändern wollen, soll im Rahmen des Grundgesetzes geschehen? Können Sie das guten Gewissens auch von der AfD sagen?

Selbstverständlich ist die deutsche Verfassung maßgeblich. Ich bin allerdings der Ansicht, dass das Grundgesetz Deutungskämpfen unterliegt, die in den letzten Jahren die Essenz des GG ins Linksliberale oder gar Linke trieben. Die Deutungskämpfe können auch von konservativer oder rechter Seite geführt und gewonnen werden.

Also: Das Grundgesetz ist maßgeblich, aber Begriffe, die darin substanziell enthalten sind, können – je nach Standpunkt und Positionierung – unterschiedlich gewichtet und ausgelegt werden. Ein Beispiel ist die Menschenwürde aus Art. 1 GG: Hier haben linke Kräfte letztendlich über viele Jahre erst metapolitisch, dann realpolitisch, dann verfassungspolitisch, bewirkt, dass jede grundlegende Kritik an außereuropäischer Massenmigration diesem Artikel angeblich zuwiderläuft. Diese linke Entgrenzung kann man diskursiv stoppen, ohne dem Geist des Grundgesetzes und der Verfassungsväter im Wesen zuwiderzuhandeln.

Warum distanzieren Sie sich so stark von der Westbindung und sehen, wenn man so will, den „Sündenfall“ in der „Reeducation“? Was macht die Westbindung für Sie also so unattraktiv und gilt das auch weiterhin, obwohl Trump im Grunde nun die Agenda der AfD vertritt? Was ist Ihr Ideal als Gegensatz zur Westbindung? Putins Russland? Oder genügt Orbáns Ungarn?

Die Westbindung, wie sie durch linksliberale und christdemokratische Kräfte implementiert wurde, hat Generationen von Deutschen nicht nur relativen ökonomischen Wohlstand und liberale Freiheit gebracht, sondern – auf einer geistigen und kulturellen Ebene – organisch gewachsene Bestände abgetragen und durch andere ersetzt. Das „Wir“, über Jahrhunderte gewachsen, gilt seither als „kollektivistisch“; das „Ich“ hingegen als das Maß aller Dinge. Preußen und seine Werte – konstruktive Toleranz bis Dienst, Ethos, Pflichterfüllung, Gemeinschaftsbejahung usw. – wurde überwunden, mit Ansage und mit staatlichen sowie nichtstaatlichen Mitteln.

Ihr positives Urteil über Preußen dürfte weder in Bayern noch am Rhein geteilt werden. Ihr „Wir“ ist doch nicht über Jahrhunderte gewachsen, wie Sie sagen, sondern wurde von Bismarck mit „Blut und Eisen“ unter preußischer Führung erzwungen. Was denken Sie dazu

„Preußen“ ist hier auch als Chiffre zu verstehen für einen wieder stärkeren gemeinschaftsorientierten und produktiven Politikzugang. Das, was heute im Alltagsverstand tendenziell mit „preußischen Werten“ verbunden wird, ist doch schlechterdings ein Miteinander von Dienst, Ethos, Leistungsorientierung, Wir-Gedanke, Demut usw. Das gab es sicher historisch auch in Bayern … Die relative Hegemonie Preußens innerhalb Deutschlands war ab 1870/71 übrigens eine durchaus organische und daher legitime.

Ich denke, dass Deutschland Teil Europas ist, wertvoller Teil, die Mitte Europas, und dass Europa mehr ist als „nur“ der normativ gedeutete Begriff des „Westens“, der zudem auch die USA, Kanada usw. umfasst, also den Rahmen dessen, was ich für den naheliegenden Großraum halte – Europa! – deutlich sprengt. Die Subordination unter westliche Hegemonie hat zudem dazu geführt, dass man souveränen Spielraum verlor und vieles – von Militär bis KI-Forschung und -entwicklung unnötigerweise „outsourcte“.

Mein „Ideal“, wenn man das so nennt, wäre ein starkes Deutschland in einem starken Europa – in Äquidistanz zu Moskau und Washington, zu Peking und anderen Kapitalen. Prioritär wäre es, in der zunehmend „multipolaren“ Weltordnung einen eigenen Pol zu entwickeln – den europäischen. Und der darf nicht ident sein mit dem „westlichen“. Putins Russland ist derweil kein Ideal, Orbans Ungarn bietet aber immerhin einiges Lehrreiches aus dem Bereich der Schnittmengen Meta- und Realpolitik. Aber ein Ideal ist auch Ungarn nicht – Idealzustände kann es in der Politik ohnehin nicht geben.

Was bedeutet Äquidistanz konkret? Raus aus der Nato? Die Ukraine Putin zum Fraß vorwerfen? Israel sich selbst überlassen? Bei einem Krieg zwischen den USA und China neutral bleiben?

Äquidistanz: Keine Subordination unter eine bestimmte fremde Generallinie; positive Selbstbehauptung; Handel, Diplomatie und Interessensausgleich mit allen Großräumen.

Raus aus der NATO: Es ist immer schwerer, etwas Neues aufzubauen, als grundlegend zu reformieren. Also: In der Lage leben und dann schauen, was wo und wie möglich ist, wenn es entsprechende Regierungskorrekturen und -umbildungen gegeben hat.

Ukraine: Das, was jetzt – US-amerikanisch verursacht? – passiert: engere Anbindung an Europa, realistische Verhandlungen mit Russland, Sicherheitsgarantien, Bestandsschutz.

Israel: Ich sehe Israel de facto als stärkste Macht im Nahen und Mittleren Osten; ich glaube daher nicht, dass Israel für seine effektive Raumordnungspolitik die hyperaktive und omnipräsente Unterstützung der Bundesregierung braucht; das wäre jedenfalls bedrohlich für Israel.

China/USA: Ein solcher Krieg wird nicht stattfinden.

Was schließlich Ihre These betrifft, wonach Trump „die Agenda der AfD vertritt“, hoffe ich, dass Sie sich irren: Trump vertritt die These „America first“, was nicht die Agenda der AfD sein sollte. Und, nicht falsch verstehen: Das ist Trumps gutes Recht. Es gibt natürliche Schnittmengen mit Leitthesen Trumps – End Wokeness, mehr Meinungsfreiheit, weniger linksliberale NGOs, weniger Migration, Kritik der EU-Hyperbürokratie usf. – aber mindestens ebenso viele Trennlinien. Die AfD sollte einen eigenen Weg gehen, ihren eigenen Weg, einen deutschen und proeuropäischen (was sich natürlich und selbstverständlich mit Trumps Interessen – etwa bei Zöllen oder Wirtschaftsfragen – beißen kann). Wenn auf einem Teil des Weges die Verbindung zum Trumpismus dabei hilft, sehr gut. Aber gute Verbindungen, Kontakte und Gesprächsformate darf man niemals verwechseln mit devoter Subordination und unkritischer Trump-Verehrung. Wir müssen nicht die besseren Transatlantiker sein, sondern die besseren Europäer (als die EU-Hyperbürokratie). Es gibt übrigens in wenigen Jahren auch eine Ära nach Trump, und an die sollte man ganz realistisch und ganz pragmatisch denken.

Rechte lehnen woke Verbieteriris ab. Wie passt dazu aber das rechte Ideal eines illiberalen Staates? Geht es einfach nur darum, etwas anderes zu verbieten?

Ich glaube, dass heute das Problem vorliegt, dass „der Staat“ dort präsent ist, oder gar überpräsent, wo er das nicht zwingend sein muss, und dort fehlt oder mängelhaft auftritt, wo er stärkeres Engagement aufbringen müsste. Kurz: Es ist alles eine Prioritätenfrage und das wiederum folgt der eigenen weltanschaulichen Verortung. Verbote sind übrigens immer nur ein Notinstrument, aber ausschließen kann man sie eben nicht. Die konkrete Situation kann ich jetzt aber nicht abstrakt verhandeln. Einig sind wir uns sicherlich, dass ein jedes (!) Staatsgebilde, das stetig neuer Verbote bedarf, nicht nachhaltig handelt und Legitimität bei den Bürgern, beim Volk, einbüßen dürfte. Auch daran zerbrach die „Ampel“.

Das Wahlvolk will aber schon wissen, was Ihnen als Notinstrument vorschwebt: Parteienverbote? Und wenn ja, welche? Medienverbote? Und wenn ja, welche? Verbot des Islam? Verbot von angeblicher queerer Propaganda, wie in Ungarn? Abtreibungsverbot? Mit der Behebung der Not von Volk und Staat kann man mehr oder weniger alles begründen.

Letzterer Aspekt ist doch universell anwendbar: In der Coronazeit wurden beispielsweise Dinge möglich, die wir als rechtsstaatbewusste und rechtsstaatstreue Bürger bis dato für irreal hielten. Und doch geschah es unter Mitwirkung der Justiz.

Ansonsten glaube ich nicht, dass man auf der Ebene, die Sie polemisch (?) skizzieren, Politik von rechts machen sollte. Ein „Islamverbot“ etwa ist – wie jedes Verbot eines Glaubens – mindestens grotesk, und durch den Stopp der Massenmigration wäre auch die Gefahr einer „Islamisierung“ obsolet. Wir haben europaweit ein Überfremdungsproblem, kein religiöses.

Auch für Parteien- und Medienverbote bin ich persönlich nicht zu haben; bei gewissen Strömungen der Altparteien habe ich da jedoch meine erheblichen Zweifel … Alles weitere wird man sehen: Aber die dringend notwendige positive Gestaltung von Volk, Staat und dem, was man „Abendland“ oder Europa nennt, kann jedenfalls nicht über Verbotsmanien zustande gebracht werden. Aus der reinen Verneinung wächst nichts Beständiges.

War die „Seitenwechsel“-Buchmesse die gelebte „Mosaikrechte“ und „Bekenntnislust“?

Besagte Buchmesse „Seitenwechsel“ war ein Aufbruch der nonkonformen Gegenöffentlichkeit und gelebte bzw. präsentierte Vielfalt. Zur Mosaikrechten im eigentlichen Sinne dürfte nur hingegen eine Minderheit der Aussteller gehören. Ich glaube kaum, dass sich – verdienstvolle – Projekt wie Tichys Einblick oder Kontrafunk hier „eingemeinden“ lassen würden – und es ist ja auch so, dass es eher verschiedene Milieus waren, die sich dort trafen, deren einigende Klammer insbesondere auch der gemeinsame Ausschluss vom Meinungsbildungsprozess durch linksliberale Hegemonialkräfte ist.

Spannenderweise distanzieren Sie sich stark vom „Rechtspopulismus“, bzw. „Rechtsruck“ weil dieser Ihnen zu plump ist oder Ausdruck eines Biographie-Frusts (Maaßen, Lengsfeld). Aber brauchen Sie das eher niedrigschwellige Angebot dieser Leute nicht auch, um kulturelle Hegemonie zu erlangen?

Ich unterscheide bei frustrierten Establishment-Abgängern zwischen jenen, die ihre Lektion begriffen haben und nun vielen Mitmenschen die Augen konstruktiv öffnen können, die also als Brücken wirken, und jenen, die nur eine ressentimentorientierte Traumatherapie vornehmen und sich dabei eines affektorientierten Rechtspopulismus bedienen. Das kann sich im Einzelfall auch überschneiden. Grundlegend geht es aber darum, dass Rechtspopulismus immer nur ein Zwischenschritt sein kann. Nach dem „Dagegen“, das sich so gut vermarkten lässt, sollte zwingend ein „Dafür“ kommen, sonst verliert man das Vorschussvertrauen jener, die sich vom Establishment abgewendet haben.

Was die kulturelle Hegemonie anbelangt: Rechtspopulismus gewinnt diese nicht, weil er selbstmal oft jene Ideologiebausteine und Begriffe internalisiert hat, die durch die linksliberale Hegemonie installiert wurden. Viele Rechtspopulisten zementieren also die linksliberale Hegemonie, während sie – dabei einen guten Schnitt einfahrend – diese unterschwellig zementieren! Denken wir nur daran, wie Rechtspopulisten, auch prominente, immer nur in der Sprache und Vorstellungswelt des politischen Establishments zu Hause sind. Da sind dann militante Antifaschisten plötzlich die „wahren Faschisten“, Linksliberale gelten als „Sozialisten“ und derlei apolitische Verdrehungen mehr.

Woher sind Sie so sicher, dass Sie nicht auch in einer Traumatherapie sind? Oder sich eine politische Nische auf der Rechten suchen, weil die Konkurrenz auf der anderen Seite größer ist?

Wir suchen keine Nische, sondern wir gestalten Meta- und Realpolitik. Sicher bin ich mir deswegen, weil ich selbst daran beteiligt bin.

Würden Sie sagen, dass die CDU nicht einmal im Ansatz verstanden hat, wie intellektuell aufgerüstet Ihr Milieu längst ist?

Ja. Aber es ist nicht meine Aufgabe, dieses Problem zu lösen. Herr Professor Rödder und die seinen müssten das klären. Meine Aufgabe sehe ich eher u.a. darin, dass „wir“ – das originär neurechte Feld, die Parteijugend, Multiplikatoren in der Partei usw. – besser werden, kohärenter: klüger eben, auf allen Ebenen. Man lernt nie aus, und wir dürfen nicht so tun, als ob der Status, den wir erreicht haben, irgendwie ausreichend wäre.

Das hat schon einmal nicht geklappt. Die Konservativen Revolutionäre in Weimar dachten, sie bereiten dem Dritten Reich George’scher Prägung den Weg, und es kam das Dritte Reich der Gangster. Haben Sie nicht Sorge, im Zweifel doch nur „Enabler“ der Leute werden zu können, die gewissenloser und gerissener als Sie sind?

Ich mache mir vor allem Sorgen um die Zukunft Deutschlands und Europas. Beides befindet sich im freien Fall, weil einige Jahrzehnte Liberalismus die Substanz verschlingen und abtragen, gleichzeitig aber bei den handelnden Eliten – jedenfalls in Deutschland – die Einsicht in den Zusammenhang dieser Sache gänzlich fehlt.

Was Ihre – meines Erachtens schiefe – historische Analogie angeht: Erstens sind wir nicht die KR von damals, und zweitens gibt es heute weder die NS-Massenbewegung, noch die Zustände nach WK I, noch die Militarisierung ganzer Kontinente, noch eskalierende Grenzkonflikte, noch Massenarbeitslosigkeit und Hyperinflation, noch Bellizismus als Lebensprinzip usw. usf.

Sind Sie für die „Brandmauer“, wenn auch aus anderen Gründen? Und zwar deshalb, weil, so verstehen wir Sie, die AfD kein Juniorpartner werden soll und Sie zudem abwarten wollen, bis es genug eigenes fähiges Personal gibt?

Sie verstehen das exakt richtig.

Benedikt Kaiser hat im November 2025 im Verlag „Jungeuropa“ ein Buch publiziert, das den neurechten Diskurs seither prägt. Und über das man sprechen muss und das Anlass für dieses Interview ist.

Benedikt Kaiser, geboren 1987, studierte in Chemnitz im Hauptfach Politikwissenschaft (B.A.) und anschließend im Studiengang „Politik in Europa“ (M.A.). Er war Lektor beim Verlag Antaios (2013–2021) und Redakteur der Zeitschrift Sezession (2013–2022). Heute arbeitet er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag, wirkt als freier Publizist vor allem für den Jungeuropa Verlag (Dresden) sowie das Freilich Magazin (Graz) und ist seit 2020 bzw. 2022 Deutschlandkorrespondent der Pariser Periodika éléments und Nouvelle Ecole.

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3 Gedanken zu “Was strebt die Neue Rechte an? – Interview mit Benedikt Kaiser;”

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    Leben wir nicht längst in der „illiberalen Demokratie“? In der Gewaltenteilung und Machtbeschränkung nicht mehr funktionieren?

    Eine Europäische Zentralbank, die nur der Geldwertstabilität verpflichtet sei und die nicht auf die Kommissare zu hören habe,…

    Die steht doch nur noch in den Unterrichtsmaterialien für Gymnasien.

    Gestern hat die EU die Geldmenge um 90 Milliarden Euro erhöht. Und einen Kredit in dieser Höhe aufgenommen. Für Kiew.

    Gegen den Protest der EZB.

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    Schon die Überschrift ist eine Verharmlosung. „Neue Rechte“ was ist daran „neu“?

    Wieso schreiben Sie nicht am Anfang ein paar Zeilen über den Herrn? Der kommt aus der ganz rechtsextremen Nazi-Hooligan-Szene.

    https://www.bbc.com/news/world-europe-68931170

    Wollte die Demokratie abschaffen. Rannte hinter einem Plakat her, auf dem die Bombenangriffe (der Alliierten im WK II?) mit dem Holocaust gleichgesetzt wurden.

    Den als „freien Publizisten“ zu verharmlosen ist entweder grottendumm und/oder naiv. Und dann noch zu behaupten, man müsse sein Buch lesen…

    Wieso haben Sie ihn nicht zu seiner Vergangenheit befragt?

    Konnte Herr Kaiser eigentlich sein Lachen zurückhalten, als er Ihnen solche Bären aufband:

    „In der Coronazeit wurden beispielsweise Dinge möglich, die wir als rechtsstaatbewusste und rechtsstaatstreue Bürger bis dato für irreal hielten.“

    Der Kerl hat Kreide gefressen und an der Uni den Intellektuellenjargon gelernt, den Frau Bednarz möglicherweise sexy findet?

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      Ich wollte Ihnen antworten, aber dann las ich Ihren letzten Satz. Das hier ist ein seriöses Diskussionsforum. Mit Leuten, die sich auf ein so unterirdisches Niveau begeben, rede ich nicht.

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