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Endlich neu abgemischt: Rapture Of The Deep. Ein verkanntes Deep Purple-Album

Warnhinweis: Bevor Sie das lesen, sollten Sie wissen: Die allein selig machende Religion des Autors heisst Deep Purple. So, jetzt zum Thema. 2005 erscheint das Album „Rapture Of The Deep“, das neben dem grandiosen Titelsong wenig Material enthält, an das sich heute noch jemand erinnert. Was auch dem Umstand geschuldet ist, dass die Band damals wenig vorbereitet ins Studio ging und eher durch solides Handwerk denn überzeigendes Songwriting zu punkten wusste. Zudem klingt die Produktion dünn und kraftlos. Besonders der Schlagzeugsound ist zum verzweifeln: Ian Paices Drums klingen gerade so, als trommle er auf alten Waschmittel-Kartons.

Dabei ist das Album ein Füllhorn musikalischer Kabinettstückchen. Man hört der Band an, dass sie unvorbereitet ins Studio ging und unter Druck stand, schnell liefern musste. Bassist Roger Glover hat es mir mal so geschildert: „Wir hatten buchstäblich nichts, als wir anfingen. Es gab keine Vorbereitung. Wir gingen ins Studio und fünf Wochen später hatten wir ein Album. Aber sobald es erschienen war, wollte ich ein weiteres Album machen“. Denn schon damals wusste er: Das klingt furchtbar.

Virtuosität als Grundsubstanz

Dennoch: Die musikalische Substanz war da. Man hört sie aber nur wenn man über einen Satz detektivischer Ohren verfügt. Denn sie hatten getan, was sie am besten könne: Sie verliessen sich auf ihre Virtuosen-Gene. Mit denen macht man auch aus einem mittelmässigen Song ein Feuerwerk.
Da ist der Titelsong, dessen morgenländisch anmutende Harmonien noch vom 12 Jahre zuvor ausgeschiedenen Ritchie Blackmore stammen könnten. Da ist „Wrong Man“, ein aufgeblasener Riff-Rocker – soundmäßig ganz nahe an einem fetten Schwartenmagenbrötchen mit einer doppelten Ladung Senf. Eine Ballade gibt es auch mit „Clearly Quite Absurd“. Die ein Fingerzeig für Ian Gillans hörbar alternde Stimme hätte sein können: „Junge, wenn du in tieferen Tonlagen singst, klingst Du besser. Überlasse den Brüll-Tourette dem ehemalige Deep-Purple Bassisten Glenn Hughes, der bis heute so singt als gelte es, Risse in dicke Mauern zu singen“. Dann sind da diese Texte, die den immer wieder aufblitzenden Gillan’schen Humor zu neuen Höhen eskalieren. Der Sänger hat mir in einem Gespräch mal lang und breit den philosophischen Background eines seiner Werke erklärt, um dann abschliessend zu frotzeln: „Nimm bloß nicht ernst, was ich sage.“ Worauf ich antwortete: „Ich habe noch nie irgendwas ernst genommen, was Du mir erzählt hat“. Und er: „Guter Mann!“ Aber den hier, den sehr witzigen Text von „MTV“, den darf man gern ernst nehmen. Da amüsiert er sich prächtig über all die Journalisten und Moderatoren, die die Band konsequent auf „Smoke On The Water“ reduzieren wollen – und dabei nicht mal die Namen der Musiker kennen. „Mr Grover ’n‘ Mr Gillian / You musta made a million / The night that Frank Zappa caught on fire / Could you tell us all about it / Keep it short and use my version / Or everyone out there’ll think I’m a liar / We can speak about bananas for one second / Just because I understand / You have to get them off your chest / But in the meantime while your talking / Could you do some more of these here IDs / And then this station might maintain some interest.“ Oh ja, wer inemal beim Deppenradio gearbeitet hat (wie ich 16 Jahre lang) kennt das nur zu gut. Nebenbei sie noch angemerkt, das Deep Purple eine halbe Ewigkeit auf die Aufnahme in die Rock’n’Roll Hall Of Fame warten mussten, offenbar mit der Begründung, die Band sei doch ein One Hit Wonder.

Immerwährende Experimentierfreude

Für Keyboarder Don Airey, der 2003 mit Bananas seinen Studio-Einstand gegeben hatte, fühlte sich diese Zeit „seltsam“ an, wie er mir 2021 erzählte: »Wir wussten wirklich nicht, wer wir waren. Wir passten nicht mehr hinein in das musikalische Geschehen. Aber wir machten einfach weiter, denn wir hatten ja eine gute Fan-Basis. Leute, die ich immer die Silberhaar-Pferdeschwanz-Brigade nennen würde. 2006 haben wir unseren Plattenvertrag verloren und unser Manager Bruce Payne meinte: lass uns einfach ein Menge Gigs buchen. Da merkten wir so langsam, dass immer mehr junge Leute zu den Gigs kamen, 18jährige. Das half der Entwicklung der Band ungemein, denn uns wurde klar: Die wollen Musiker sehen, die ihre Instrumente spielen. Keine Schauspieler, die nur so tun als ob. Und so wurden wir einfach musikalischer und fingen an, mehr auszuprobieren. Auch Steve Morse hatte seinen Anteil daran mit progressiven Ideen. Okay, warum nicht, lass uns das probieren.«

Und endlich: Der Klangdurchbruch

So weit so gut. Live klang das alles überzeugend. Und auch das Vorgängeralbum „Bananas“ (2003) hatte durchaus den Sound, den man von Deep Purple erwarten konnte. Wobei sämtliche Studioalben – selbst das legendäre „Deep Purple in Rock“ von 1970 nie die geballte Wucht er Live-Performance einfangen konnten. Was also tun mit dem klangtechnisch vermurksten „Rapture O The Deep“? Irgendwann habe ich dann angefangen, am Ende jedes Interviews mit einem Deep Purple Musiker die Frage zu stellen: Wollt Ihr das nicht mal neu abmischen? Eine der typischen Antworten kam von Ian Gillan: „Nein, dazu fehlt einfach die Zeit, obwohl ich das wirklich gern tun würde. Es gibt ja immer wieder Telefonate und E-Mail zum Thema Remixe. Um ehrlich zu sein: Was einmal gemacht ist ist gemacht, egal ob gut oder schlecht. Aber ich stimme dir zu: Dieses Album war weit davon entfernt, so gut zu klingen, wie es hätte sein sollen. Aber die Songs sind gut, auch der Titelsong: „I told you once about a place that I had accidentally stumbled upon“, das ist doch eine hübsche erste Zeile…“ Das wusste ich schon selbst. Aber gut gebrüllt, alter Sack. Roger Glover äusserte sich ähnlich. Und doch war er es, der schliesslich 2025 beschloss: Jetzt ist Zeit dafür. Als ich davon las, machte ich einen altersgerecht eingeschränkten Freudenhüpfer. In einem Anfall von Größenwahn dachte ich, still in mich hinein lächelnd: „Vielleicht hat er beim Abmischen auch mal für eine Sekunde an diesen komischen deutschen Journalisten gedacht, der immer wieder nach einem Remix gefragt hatte“. Egal. „Entscheidend ist, was hinten raus kommt“ (Helmut Kohl). Jetzt kann man das Album so hören, wie es schon 20 Jahre vorher hätte sein können. Ein saft- und kraftstrotzendes Hardrock-Album einer konkurrenzlosen Band. Zeitlos.

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