avatar

Vom Zusammenstehen der Demokraten

Wer die Zukunft nicht verlieren will, muss die Vergangenheit bedenken

Was sich in den USA nun, in der Folge des Attentats auf Charlie Kirk, abzeichnet, irrlichtert noch zwischen McCarthy-Ära und Reichstagsbrand. Wohin die Verfolgungspolitik kippen wird, wohin sich die Heldenverehrung Kirks durch rechtsradikale und rechtsextreme Kreise in und um die republikanische Partei entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Aber sicher ist: Das Attentat macht die Welt, nicht nur die USA, nicht sicherer.

Wo Autoritarismus herrscht, wo es eine Diktatur gibt, da ist auch immer die Gefahr des Waffengangs gegeben. Weltbeherrschungsvisionen und die Schaffung externer Konflikte zur Relativierung interner Auseinandersetzungen sind nicht neu. Hinzu kommt die Unterbindung des gesellschaftlichen Diskurses, also die Ausschaltung der Opposition – und der besonnenen Kräfte.

Rosa Luxemburg. Mahnerin für die streitbare Demokratie.Die mahnenden Worte Rosa Luxemburgs gelten nicht nur für Diktaturen von links, sondern auch für Diktaturen und autokratische Regimes von rechts:
„Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer nur Freiheit des anders Denkenden.“
und:
„Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse- und Versammlungsfreiheit, freien Meinungskampf erstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution, wird zum Scheinleben, in der die Bürokratie allein das tätige Element bleibt.“

Die Regularien der Europäischen Union haben bislang die Möglichkeiten der heimischen autoritären Regierungen in Ungarn, der Slowakei und rückblickend auch in Polen unterbunden. Russland und China zeigen – die einen schon im Eroberungskrieg gegen die Ukraine, die anderen durch die Drohungen gegenüber Taiwan –, dass die These im ersten Absatz sich nicht nur historisch, sondern auch mit Blick auf die gegenwärtigen Verhältnisse belegen lässt.

Was wir an Verfolgung und Repression gegen sexuell von der CIS-Norm abweichende Lebensführung sehen, hat ebenfalls historische Vorbilder – vom Stalinismus bis zum Spanien unter Franco. Eine der ersten in den persönlichen Bereich gerichteten Maßnahmen Stalins war die Abschaffung der liberalen Scheidungsregelungen der frühen russischen Revolution. Anfang der dreißiger Jahre wurde „die Verteidigung der Familie“ zur offiziellen Politik ernannt, 1933 folgte die Einführung des § 121, der das Pendant zum § 175 in Deutschland darstellt.

Lorca – ermordet von spanischen FaschistenIn Francos spanischer Schreckensherrschaft wurde Federico García Lorca von einer Falange-Milizgruppe erschossen, weil er „eine rote Schwuchtel gewesen wäre“, wie Ruiz Alonso, Führer der Gruppe, die Lorca festgenommen hatte, im Nachhinein die Tat rechtfertigte. 1954 folgte eine Erweiterung der Ley de vagos y maleantes, mit der Homosexuelle kriminalisiert wurden.

In Ungarn und zeitweise auch in Polen hat man LGBTQ+-Personen verfolgt und in ihrer Lebensführung beeinträchtigt oder tut es noch.

The Rise of the Undead, die wir gegenwärtig erleben, hat viel mit Verunsicherung zu tun. Zum einen bei denen, die zu willfährigen Parteigängern der Autokraten und Diktatoren werden oder geworden sind. Sie sind umwoben vom Spinnennetz der Existenzangst und geschüttelt von der Furcht, sich den veränderten Zeiten und Freiheiten anderer anpassen zu müssen. Zum anderen ist da auch eine Verunsicherung der Demokraten, welcher Couleur sie auch sein mögen. Der notwendige Aufstand gegen die Machtübernahme der Feinde der Demokratie reibt sich an eben der Ansicht, dass die Demokratie ja auch die Freiheit ihrer Feinde schützt.

Der große bürgerliche Philosoph des 20. Jahrhunderts, Karl Popper, schreibt dazu in Die offene Gesellschaft und ihre Feinde:„Damit möchte ich nicht sagen, dass wir z. B. intolerante Philosophien auf jeden Fall gewaltsam unterdrücken sollten; solange wir ihnen durch rationale Argumente beikommen können und solange wir sie durch die öffentliche Meinung in Schranken halten können, wäre ihre Unterdrückung sicher höchst unvernünftig. Aber wir sollten für uns das Recht in Anspruch nehmen, sie, wenn nötig, mit Gewalt zu unterdrücken, denn es kann sich leicht herausstellen, dass ihre Vertreter nicht bereit sind, mit uns auf der Ebene rationaler Diskussion zusammenzutreffen, und beginnen, das Argumentieren als solches zu verwerfen; sie können ihren Anhängern verbieten, auf rationale Argumente – die sie ein Täuschungsmanöver nennen – zu hören, und sie werden ihnen vielleicht den Rat geben, Argumente mit Fäusten und Pistolen zu beantworten.
Wir sollten daher im Namen der Toleranz das Recht für uns in Anspruch nehmen, die Unduldsamen nicht zu dulden. Wir sollten geltend machen, dass sich jede Bewegung, die die Intoleranz predigt, außerhalb des Gesetzes stellt, und wir sollten eine Aufforderung zur Intoleranz und Verfolgung als ebenso verbrecherisch behandeln wie eine Aufforderung zum Mord, zum Raub oder zur Wiedereinführung des Sklavenhandels.“

An dem Mut, genau das zu tun, was Popper, meiner Meinung nach zurecht, fordert, fehlt es aber. Auch deshalb, weil sich die Gegner der Demokratie schon immer changierend zwischen offenem Bekenntnis zur Abschaffung der freiheitlichen Gesellschaft und der Behauptung, sie schützen zu wollen, verhalten haben. Das gilt für Trump, für Putin, für unsere bundesdeutschen Rechtsextremen in den Parlamenten, für Orbán und für Fico. Das galt für die Führung der NSDAP vor 1933, und es galt – mit Einschränkungen – für Stalin. Es gilt für chinesische Machthaber, die allerdings nicht die Demokratie, sondern Wohlstand und Geschichte, in ihr den Konfuzianismus, zu schützen vorgeben.

Wenn es uns in Europa, dem nun eine Schlüsselrolle für die Verteidigung der Demokratie zukommt, nicht gelingt, die autoritären Gefahren zu bannen – auch durch Verbote von Parteien und Verbänden –, wenn wir uns also nicht Popper zu eigen machen, dann wird die Demokratie für lange Zeit vergehen, wie die griechische und römische Demokratie der Freien (Männer) vergangen ist in Adelsherrschaft und Caesarentum. Das sollen wir nicht wollen. Es ist unsere ethische Pflicht, den Feinden der Demokratie entgegenzutreten.

Für die Europäische Union heißt das auch: sich von der Idee zu trennen, einen verlässlichen Partner in den USA zu haben. Selbst wenn es nicht zu einer, der Verfassung der USA widrigen, dritten Amtszeit Trumps kommt, bleiben die USA ohne grundlegende Verfassungsreformen (Beschneidung der Macht des Präsidenten, Amtszeitbegrenzung des Supreme Courts) ein Wackelkandidat. Die USA sollten nicht mehr das Fundament der europäischen Militärpolitik bilden, noch sollten sie als Handelspartner eine Stärke beibehalten, die die EU erpressbar macht. Deshalb braucht es einen eigenen – und hohen – europäischen Verteidigungsetat und eine geänderte Handelspolitik mit den Staaten Asiens, Lateinamerikas und Afrikas. Außerdem muss die EU erkennen, dass sie viel mehr Wertebündnis ist und weniger eine regionaler Staatengemeinschaft. Ich halte die Idee Sigmar Gabriels, wie ernst er sie auch gemeint haben mag, für richtig, mit Kanada über den Beitritt zur EU zu verhandeln.

Wenn die EU sich nicht selbst stärkt, besteht die Gefahr – die große Gefahr –, dass sie in der Auseinandersetzung zwischen den anderen drei bislang noch mächtigeren imperialen Zentren China, Russland und den USA zerfällt. Auch, weil alle diese Mächte, zuvörderst Russland, direkt auf ein Zerplatzen hinarbeiten.

Neben Garantien für die Ukraine, entweder um die russische Aggression zurückzudrängen oder um die Möglichkeiten Russlands international durch die finanziellen Implikationen eines fortdauernden Krieges zu limitieren, muss es auch Garantien für Taiwan geben. Demokratien dürfen sich jetzt nicht im Stich lassen. Alles steht auf dem Spiel.

Quellen und Links

Shares
Folge uns und like uns:
error20
fb-share-icon0
Tweet 384
avatar

Über Leander Sukov

Sukov ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland; am 10. Mai 2019 wurde er zu dessen Vizepräsidenten und Writers-in-Exile-Beauftragten gewählt. Er kandidiert nach Ablauf der Amtszeit 2021 nicht erneut, im Mai 2022 wurde er in das Interimspräsidium des PEN-Zentrums gewählt. Die Gründung des Niederdeutsch-Friesischen PEN-Zentrum, dessen Präsident er seit November 2023 ist, geht auf ihn zurück. Sukov wurde im Februar 2019 auf dem Kongress des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Schweinfurt zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden gewählt. 2019 wurde er zum Generalsekretär der Louise-Aston-Gesellschaft berufen. Er ist aktiver Gewerkschafter und Mitglied der SPD.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Shares
Scroll To Top