avatar

Kaffee-Songs in der Popmusik: Genussmittel, Projektionsfläche und Metapher

„Espresso“! Der Sommer-Hit schlechthin im vergangenen Jahr 2024 mit sagenhaften 2,5 Milliarden Streams und mehr! Und in der Tat: Dieser Song geht ins Blut wie ein doppelter Espresso! Wer reinhört, ist nach ein paar Takten hooked: Das blonde Wunder Sabrina Carpenter zündet ein buntes Feuerwerk aus Disco-Pop-Nostalgie und Texten, die so selbstironisch sind, dass sie schon Stand-up-Comedy Qualitäten haben. Während sie kokett singt, dass ihr Ex nach einer Nacht mit ihr kein Auge mehr zubekommt, grinst ihre TikTok-Gemeinde im Hintergrund und scheint zu sagen: Same here, bro.

So hat „Espresso“ sich über die Socials schneller verbreitet als ein virales Katzenvideo auf Speed. Und damit schreibt sich Carpenters Superhit ein in einen traditionsreichen Diskurs: Denn welche Bedeutung(en) besitzt das Genussmittel Kaffee in der Populärkultur?

Die „Coffee-Songs“ rund um Hoch und Tiefs in der  Liebe: vom „heißen“ bis zum „letzten“ Getränk

„Coffee-Songs“ können Glück und Harmonie der geglückten Partnerschaft besingen – so in Monika Martins „Milchkaffee“ oder Peter Cornelius‘ kuscheligem „Der Kaffee ist fertig“.

„Heißer Kaffee“ wiederum steht für die Freuden der Geschlechtlichkeit: „Heiß ist der Kaffee in San José“ bei Corry Brocken. Die heiße Liebe gilt in Serge Gainsbourgs „Couleur café“ einer farbigen Schönheit. Und ein funky Instrumental von Tony Alvon & The Belairs vergöttert einen nicht näher benannten „Sexy Coffee Pot“, und der ist – Sie ahnen es bereits – „hot, hot, hot“!

Ist die Sache nicht mehr ganz so „hot“, dann findet sich das Ende von Beziehungen, wie sollte es anders sein, ebenfalls im Kaffee wieder: „Go on cry in your coffee!“, ruft Billy Joel einem verkaterten Don Juan in „Big shot“ zu. Der Saxofonist Mike Pedecin findet nach dem Abgang der Geliebten nur noch „burnt toast und coffee“ vor: „That’s all she left me!“, während Ella Fitzgerald noch nicht einmal Toast, sondern einzig und allein der schmucklose – und vielfach gecoverte – „Black Coffee“ bleibt: „Feeling low as the ground“.

Vom Ende der Zweisamkeit im Spanischen kündet „el ultimo café“: Mit abgrundtiefer Melancholie wird „der letzte Kaffee“ etwa von Roberto Goyeneche, Julio Sosa oder Schauspielerin Rocio Dúrcal besungen. Wer mag, kann dazu Tango tanzen.

Für das Ende amouröser Abenteuer steht im Deutschen hingegen der „kalte Kaffee“:

»Kalter Kaffee steht noch in den Tassen

Der mir sagt, dass du gegangen bist

Dich neu aufzuwärmen kann ich lassen

Weil das kalter Kaffee ist.«

So besingt Curd Jürgen die Liebe in nostalgischer Absicht (1976) mit ähnlichen Worten wie jüngst Hotel Rimini (2023): „Der Rest ist Schweigen und kalter Kaffee“. Überraschen mag das angesichts der Popularität, der sich kalter Kaffee im Sommer erfreut: Latte on the rocks!

Der politische Kaffee-Diskurs in der Popmusik

Wer nun meint, der Kaffee-Diskurs in der Popmusik sei gänzlich unpolitisch, der ist gewaltig auf dem Holzweg: Auch zu historischen Ost-West-Vergleichen lädt das Thema ein: Während Wolfgang Kubachs „Zucker im Café“ (1970) als dumpfe Schlager-Polka (West) daherkam, kleidete Thomas Natschinski (Ost) seine Eloge auf die Angebetete in der „Moka Milch Eisbar“ (1970) in einen von den Hütern der real existierenden sozialistischen Moral verworfenen klandestin-rebellischen Beat-Sound.

Die Verstrickung des Kaffeehandels in den Kolonialismus bleibt ein Nebenthema, wie es aber immerhin vom Sänger Max Woiski aus Suriname in „Nescafé Calypso“ oder auch der Latin-Sängerin Eydie Gormé im „Coffee Song“ zur Sprache gebracht wird.

Als Genussmittel, Projektionsfläche und Metapher bringt Kaffee in der Popmusik jene Schnittstelle zum Klingen, an der Privates politisch und Alltägliches ikonisch wird.

Playlist Coffee Songs https://open.spotify.com/playlist/00S6wy0VrmGoPOxX5rfC9w?si=ac5b14972e28458a

Shares
Folge uns und like uns:
error20
fb-share-icon0
Tweet 384

Ein Gedanke zu “Kaffee-Songs in der Popmusik: Genussmittel, Projektionsfläche und Metapher

  1. avatar

    Nicht zu vergessen Bob Dylans großartigen Song um eine Romani-Geliebte: „One More Cup of Coffee“:
    One more cup of coffee for the road
    One more cup of coffee ‚fore I go
    To the valley below

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Shares
Scroll To Top