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Dann doch lieber rilken: „Herbstbild“ von Friedrich Hebbel

Normalerweise fordere ich um diese Zeit meine Leser und Leserinnen auf: Nun rilkt man schön! Heute aber will ich hebbeln. Es geht um das bekannte Gedicht „Herbstbild“ von Friedrich Hebbel (1813 – 1863).

Schon öfter habe ich hier Liedtexte – „lyrics“ – behandelt, als wären sie Lyrik, nun rücke ich einem Gedicht auf die Pelle, als wäre es ein Liedtext, was umso leichter fällt, als der gelegentlich zum Tümeln neigende Achim Reichel das Gedicht vertont hat:

https://www.youtube.com/watch?v=2bqavmkEgFk

Ok, jetzt also der Text:

Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
die schönsten Früchte ab von jedem Baum.

O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält;
denn heute löst sich von den Zweigen nur,
was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.

 

Hm. Also, die Luft ist still, die Sonne strahlt milde, und ringsum plumpsen Äpfel, Birnen und Pflaumen von den Bäumen ins Gras oder aufs Feld. Schön. Aber wieso „ein Herbsttag, wie ich keinen sah“? Solche Herbsttage gibt es oft. Nun gut, irgendwas muss sich auf „fern und nah“ reimen. Aber Hebbel hätte reimen können: „Solch einen Herbsttag habe ich gern …“, was sich auf „nah und fern“ gereimt hätte.

Also gut, der Tag ist besonders schön, aber Übertreibungen – „wie ich keinen sah!“ – sind peinlich. Es fallen ja auch nicht die „schönsten Früchte“ ab, wie jeder Apfelbaumbesitzer weiß, sondern oft genug, leider noch unreife Exemplare, mit denen man nichts anfangen kann. Der Bauer kann sie den Schweinen geben, aber OK, vielleicht würden Schweine die romantische „Feier der Natur“ stören.

Was soll die Zeile denn überhaupt: „O stört sie nicht, die Feier der Natur!“ Meint der Dichter, die Obstbauern sollen nicht, da die Früchte offensichtlich reif sind, sie pflücken? Hebbel behauptet, es lösen sich nur die Früchte, die „vor dem milden Strahl der Sonne fallen“. Das sehen seit jeher Bauern und Gartenbesitzer anders. So heißt es bei „Mein schöner Garten“: „Fallobst sammeln Sie am besten täglich auf und entsorgen es anschließend direkt. Lassen Sie das Fallobst einfach liegen, fängt es an zu gären und zieht zahlreiche Insekten und Schädlinge an. Der Geruch kann zudem für Ärger mit den Nachbarn sorgen.“ Und genauer: „Bäume werfen Obst ab, weil sie sich damit von Schädlingen befreien wollen. Dies gilt vor allem für den Befall durch Raupen des Apfelwicklers und des Pflaumenwicklers.“

https://www.mein-schoener-garten.de/gartenpraxis/nutzgaerten/fallobst-aufsammeln-oder-liegen-lassen-59194

So von wegen der „Lese, die sie selber hält“. Und überhaupt sind unsere Obstbäume nur bedingt „Natur“, sondern Produkt einer jahrhundertelangen Auslese durch die Menschen; was da raschelnd zu Boden plumpst und das Dichter- und Sängerherz rührt, ist ein Produkt menschlicher Einwirkung auf die Natur, menschlicher Pflanzung und Pflege.

Also doch lieber rilken.

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2 Gedanken zu “Dann doch lieber rilken: „Herbstbild“ von Friedrich Hebbel;”

  1. avatar

    Ein wunderschönes Herbstgedicht. Und nach dieser komischen Besprechung eher noch schöner.
    „Aber wieso „ein Herbsttag, wie ich keinen sah“? Solche Herbsttage gibt es oft. Nun gut, irgendwas muss sich auf „fern und nah“ reimen. Aber Hebbel hätte reimen können: „Solch einen Herbsttag habe ich gern …“, was sich auf „nah und fern“ gereimt hätte.“
    Das ist ziemlich peinlich – vom Rezensenten.
    Oder doch Satire?

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