Putin spielt mit Trump? Nein. Er kann gar nicht spielen.
Schnarch. Wenn man Wladimir Putins Interviews liest oder auf YouTube anschaut, verzweifelt man an seinen langatmigen und höchst zweifelhaften Geschichtserzählungen. Oder man ist nach zehn Minuten eingeschlafen. Die endlosen Monologe im Führerhauptquartier waren dagegen fesselnde Krimis. Sein Land verpasst derweil die Moderne. Doch wenn man deutsche Medien konsumiert, kann man auf die Idee kommen, Putin sei ein gewiefter Taktiker. Fest steht aber das Gegenteil: Nichts an Putin ist schlau.
Wer nie in seinem Leben als Diktator kritische Auseinandersetzungen führen musste, wer nie an irgendeinem offenen Diskurs teilgenommen hat, kann keinen kritischen Geist entwickeln. Intelligenz, wenn sie denn jemals vorhanden war, muss unter diesen Umständen verkümmern. Putins Außenminister trägt passend zum peinlichen russischen Auftritt in Alaska ein Sweatshirt mit der Aufschrift „CCCP“. So schön war es in der Sowjetunion! Gute Güte. Das ist ungefähr so doof und unwitzig wie ein T-Shirt mit DDR-Schriftzug.
Doch Putin kann sich auf die westliche Presse verlassen, die ihm und seiner Kamarilla regelmäßig Kräfte verleiht, die sie überhaupt nicht haben. Bertold Kohler bilanziert in der FAZ seine Diplomatie: Trump hat ihm „noch nicht die vom Kreml beanspruchte Kriegsbeute in der Ukraine zugesprochen“. Der „mit internationalem Haftbefehl gesuchte Kriegsherr aus dem Kreml konnte dennoch höchst zufrieden heimfliegen“. Aha. Und warum?
Ein paar Zahlen und Fakten
Wie wäre es, wenn die FAZ zur Abwechslung ein paar Zahlen veröffentlichen würde:
• Bisher forderte der Krieg mehr als 1 Million russische Opfer (Tote und Verwundete zusammen).
• 55 Prozent des Territoriums, das Russland 2022 ursprünglich erobert wurde, sind wieder verloren.
• Ein Drittel der russischen taktischen Bomberflotte ist zerstört.
• Die russische Vorherrschaft im Schwarzen Meer ist gebrochen, Flottenschiffe wurden versenkt, Sewastopol und die Krim sind unsicher.
• 13,5 Prozent der Ölraffinerie-Kapazität ist durch ukrainische Drohnen lahmgelegt.
• Die Wirtschaftslage ist angespannt. Gründe sind: Sanktionen, Einbruch der Exporteinnahmen, Rubel-Instabilität.
• Eliteeinheiten sind ausgedünnt: Luftlandetruppen, Marineinfanterie, Reste der Wagner-Einheiten sind stark geschwächt.
• Internationale Isolation. Russland ist abhängig von der begrenzten Unterstützung des Iran, Nordkoreas und Chinas.
Putins desaströse Bilanz
• Aus dem angestrebten Blitzsieg gegen die Ukraine ist ein kräftezehrender, jahrelanger Stellungskrieg geworden.
• Der Krieg in der Ukraine hat die von ihm gefürchtete NATO-Erweiterung beschleunigt.
• Maßnahmen wie die Verhaftung von Alexej Nawalny und die Einschränkung von Medienfreiheit löschten die Opposition fast vollständig aus. Aber die Einschränkungen der gesellschaftlichen Debatte führt zu einem Verlust an Legitimität in Teilen der Bevölkerung.
• Putin versäumte es, die russische Wirtschaft nachhaltig zu diversifizieren. Sie ist anhängig von Rohstoffexporten. Die wirtschaftliche Modernisierung stagniert. Neue Technologien? Fehlanzeige.
• Die systemische Korruption schwächt das Vertrauen in den Staat und verhindert effektive Kriegsführung und Verwaltung.
All diese desaströsen Fehler haben Russlands globale Stellung geschwächt, die Wirtschaft belastet und interne Spannungen verstärkt. Die hoffnungslose Lage der Menschen in Russland interessiert offenbar niemand. Hier verpassen zwei Generationen die Moderne. Ihnen werden alle Chancen genommen. Nein. Putin ist nicht schlau.
Trump kann und darf nichts richtig machen
Der Spiegel fragt in seiner Titelgeschichte: „Kann Trump Frieden?“ Trump? Falscher Adressat. Kann Putin Frieden, wäre die richtige Frage gewesen. Aber deutsche Medien verhandeln viel lieber über ihren Lieblingsgegner Trump. Das „heute-journal“ in Gestalt von Dunja Hayali fragt den deutschen Vizekanzler Lars Klingbeil ernsthaft, warum Trump keinen Frieden hinbekommt? Putin wird überhaupt nicht erwähnt und wie ein Naturereignis behandelt, das außerhalb jeder Kritik steht.
Im „heute-journal“ wird Trump von Frau Hayali außerdem vorgeworfen, dass die Gespräche in Alaska und Washington noch keine Ergebnisse gebracht hätten. Sie seien ja wohl sinnlos gewesen. Dabei ist klar: Wenn man nicht über einen Frieden reden will, dann müsste man Russland und Putin mit allen militärischen Mitteln, die dem Westen zur Verfügung stehen, den Hintern versohlen und aus der Ukraine werfen. Oder der Krieg bleibt so mörderisch brutal und irre, wie er jetzt gerade geführt wird.
Fest steht: In den Augen der Presse in Europa kann und darf Trump nichts richtig machen. Also muss Putin der schlaue Taktiker und Gewinner sein. Ausgerechnet der Mann, der gar nichts auf die Reihe bekommt, der nur in seiner ganz persönlichen Vergangenheit lebt, und dem sein eigenes Volk und eine friedliche Zukunft vollkommen egal sind.
Frank Schmiechen ist Journalist und Musiker. Er startete als Reporter bei der Bergedorfer Zeitung, war später unter anderem Stellv. Chefredakteur der WELT und Chefredakteur des Online-Mediums Gründerszene. Seit einigen Jahren arbeitet er freiberuflich als Kommunikationsberater. In den 70er Jahren begann er seine Musiker-Karriere als Songschreiber, Bassist, Gitarrist und Pianist. Sein Herz schlägt auch für guten Wein und den HSV. Frank Schmiechen lebt in Berlin und hat vier Töchter.
Karikatur: DonkeyHotey
Lieber Stefan Buchnenau,
der Vergleich zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem heutigen Krieg in der Ukraine hinkt. Denn damals kämpfte man wirklich in einem von außen aufgezwungenen Verteidigungskrieg, auch wenn er in einen erfolgreichen Gegenangriff überging. Heute hingegen handelt es sich um einen unprovozierten Angriffskrieg, den Putins Regime aus irredentistischen Gründen führt… und das nicht einmal mit einer epochalen Massenideologie im Rücken, wie es der Kommunismus war. Im Übrigen war die Sowjetunion im Weltkrieg sehr wohl in der Lage, die Truppe flächendeckend mit Ausrüstung und Waffen zu versehen, die denen ihrer Gegner mindestens gleichwertig, wenn nicht überlegen waren. Heute ist das nicht der Fall.
Es stimmt ganz einfach nicht, dass die russischen Ressourcen endlos wären. Ihre Grenzen sind wohlbekannt. Im 20. Jahrhundert haben sich mit Polen und Finnland zwei europäische Staaten unter wesentlich schlechteren Ausgangsbedingungen gegen das Menschenpotenzial Russlands gewehrt und ihre Grenzen im Wesentlichen wahren können; warum sollte das der Ukraine im 21. Jahrhundert nicht ebenfalls gelingen? In dreieinhalb Jahren Krieg hat Putins Regime es noch nicht einmal geschafft, den Gegner auch nur vollständig aus dem Donbass zu vertreiben. Es hat mehrere erfolgreiche Vorstöße auf russisches Territorium ebensowenig verhindern können wie zahlreiche Luftschläge bis weit ins russische Kernland. Deranfängliche Vorstoß auf Kiew musste schmachvoll abgebrochen werden. Die russischen Truppen sind, wie Sie richtig sagen, mit Kriminellen durchsetzt, weil die russische Jugend diesem Krieg eben nicht mit fliegenden Fahnen zuläuft, auch nicht gegen Geld. Wäre es anders, müsste das Regime weder auf die Gefängnisse zurückgreifen, noch Ausländer anwerben, noch überhaupt die regulären Truppen mobilmachen.
Russland erlebt seit Jahren eine beispiellose Talent- und Potenzialflucht. Diese wurde von dem Regime sogar bewusst in Kauf genommen, um möglichem Widerstand im Inneren die Basis zu nehmen. Das Land kämpft mit einer niedrigen Geburtenrate, einer hohen Abtreibungsrate, mit Kriminalität, Drogen und Seuchen. Die Zahl der Toten, Versehrten und Traumatisierten geht hoch in die Hunderttausende, wenn nicht in die Millionen. Diverse Sabotageakte im Innern und der, wenn auch kurzfristige, Aufstand der Wagner-Truppe sowie die pro-ukrainischen Freiwilligenverbände zeigen aber, dass Widerstand, ja selbst ein Bürgerkrieg, noch immer keinesfalls jenseits aller Möglichkeiten sind. Kann der Krieg unter diesen Umständen ewig weitergehen? Nein, ganz sicher nicht.
Putin, lieber Stefan Buchnenau, will genau, dass Sie glauben, was Sie offenbar glauben: Dass Russland unbesiegbar, weil riesig, sei, dass es eine willige und politisch unmündige Bevölkerung habe und in jedem Krieg den längeren Atem behalten müsse. Dabei hätte der Krieg mit konsequenterer Unterstützung der Ukraine, gekoppelt mit schärfsten Wirtschaftssanktionen, nicht annähernd so lange dauern müssen. Aber es ist ja einfacher, so zu tun, als wäre dieser Krieg von Anfang an verloren gewesen. Übrigens wird man es der Mehrheit der Bürger Russlands kaum zum Vorwurf machen können, dass sie den Verbrechern, die sie regieren, nicht widersprechen: Revolutionen wurden noch nie von Mehrheiten besorgt.
Stalin war – und da bin ich ausnahmsweise bei vielen Russen – bei allem Blut, das an seinen Händen klebt, eine Jahrhunderterscheinung, ein Mann, ohne den der Zweite Weltkrieg erheblich anders hätte ausgehen können. Putin ist das Gesicht eines Landes, das er sehenden Auges vor sich hin verfallen lässt und in militärisch sinnlose Kriege führt. Schlau ist vieles: Das nicht. (Schlau wäre es auch, wenn Putin daran dächte, dass Stalin nur wenig älter geworden ist, als er heute ist. Aber ob er das tut?)
@Matt Sand
… mit Ihnen, werter M.S., endlich Mal ein richtiger ‚Putin- und Stalinversteher‘ auf s-m. Die s-m sind Ihnen voraus … ff im thread.
Kann ja alles so sein, wie sie schreiben, Herr Schmiechen… na und? Ob Putin schlau ist, oder strunzdoof ist mir völlig egal. Wichtiger finde ich, dass er seine Macht nach innen und außen durchaus erfolgreich ausgebaut hat. Und den Krieg in der Ukraine kann er fast endlos fortsetzen, weil er einfach mehr „Material“ hat, also mehr Waffen (egal wie alt) und mehr Menschen. Und ja, die sind für ihn tatsächlich Material. Das war im Übrigen schon im 2.WK so, da schickte Stalin seine Leute einfach so lange nach vorne, bis sie irgendwann den Graben, die Anhöhe, das nahe Ufer erreicht hatten. Verluste zählten nicht und tun es auch heute nicht. In den endlosen Weiten, damals der SU, heute Russlands, finden sich immer jede Menge junge Männer (und Frauen), die dumm oder berechnend genug sind, sich auf den Krieg einzulassen, weil ihnen und ihren Familien allerlei versprochen wird. Und wenn das nicht reicht- die Haftanstalten sind voll, da finden sich haufenweise Kandidaten. Eventuellen Widerstand muss Putin nicht (mehr) fürchten- heute traut sich niemand mehr, mit einem weißen, leeren Blatt in der Hand stumm dazustehen. Und Putin vertraut darauf, dass der Ukraine, oder „dem Westen“ die Puste ausgehen wird. Hat er damit unrecht? Ich habe meine Zweifel. Tschetschenien, Georgien, Afghanistan (unvollständige Auswahl) zeigen, dass die russischen Völker sich mehrheitlich nicht um Grausamkeit oder Völkerrecht scheren, so lange es irgendwo anders passiert, dass sie den Mann im Kremel machen lassen. Auch da hat die Mischung aus Propaganda und Unterdrückung gewirkt, wie Putin es will. Ist das dumm, oder schlau? Egal: Es wirkt!
Lieber Frank Schmiechen,
im Gegensatz zu Rußland sind die USA ein Land, in dem ich mir durchaus vorstellen könnte, zu leben.
Es treibt mich regelmäßig zur Verzweiflung, wenn das Juste Milieu die Regierung „des Feindes“ für ausgemachte Blödmänner hält.
Noch verzweifelter bin ich über die Aussprüche Strack.Zimmermanns, „wir“ müßten
– ENTWEDER aufrüsten
– ODER Russisch lernen.
12 km von meinem Haus entfert, in Naumburg ist das „Sprachenamt Ost“ der Bundeswehr.- Was Sie da alles für Sprachen lernen können:
https://www.bundeswehr.de/de/organisation/personal/das-bundessprachenamt/bundessprachenamt/sprachlehrgaenge
Russisch als Grundausstattung aller „Feindaufklärung“ ? Nö, Russisch läuft da unter „seltene Sprachen“.
Was für eine Dummheit!
‚… Nichts an Putin ist schlau …‘
… oha, Hr. Schmiechen, sind Sie jetzt ein ‚Putinversteher‘?
Die geballte Intelligenz der ‚BRD‘-Politik dagegen … au-haua-ha.