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Voodoo, Baby! – Im Sommer unseres Missvergnügens

Der Sommer lässt weltpolitisch auf sich warten.

Düstere Zeiten, keine Frage.

Information Overload? Was sonst?

Burn-Out vom betroffenen oder auch nicht betroffenen Überladen? What else? Ihr habt den Blues, ok? Ihr benötigt, um diesen Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, 3 Zutaten: Voodoo, Blues, Cajun und Psychedelic Rock! Ihr braucht den Angel Heart des Blues, ihr braucht Voodoo.

Doch worum geht es genau?

Vor mehr als einem halben Jahrhundert erschien das ebenso faszinierende wie musikhistorisch bedeutende Album „Gris-Gris“ von Blues-Urgestein Dr. John.

Im Jahr 1968 gab es ihn, den 1941 geborenen und 2019 verstorbenen Musiker nicht mehr unter seinem Geburtsnamen Malcolm John Rebennack.

Es gab nur den „Night Tripper“. So nannte er sich irgendwann nach 1961. Er war tief verwurzelt in der Voodoo-Kultur seiner Heimat New Orleans und schenkte der Welt mit diesem Album ein Gumbo aus archaischer Ritualmusik, filetiertem Blues und Psychedelic Rock.

New Orleans 1968: Die ekstatische Geräuschkulisse schwoll an. Ihr Lärm wurde ohrenbetäubend. Ein erster Kampf begann. Blut spritzte auf den wie stets makellos weißen Anzug Dr. Johns. Der Doktor stand auf, und es ward schlagartig still. Nach einer kaum wahrnehmbaren Bewegung seines linken kleinen Fingers verschwand jegliche Besudelung.

…und jener Hahn, auf den er gesetzt hatte, gewann.

Natürlich, der Doktor gewann fast immer…

New Orleans 1961: Die Magie und der Verlust, der Zauber und der Preis, das Geschenk und das Opfer sind essentieller Teil des Voodoo.

Und ja, Freunde, man bezahlt immer. Keine Ausnahme.

Sieben Jahre vor seinem erwähnten Opus Magnum „Gris-Gris“ gründet Dr. John seine erste ureigene Band. Professionelle Erfahrungen hatte er längst gemacht, war ein bereits geschätzter Gitarrist und Sessionmusiker. So spricht damals alles für ein reibungsloses Emporklimmen auf der musikalischen Karriereleiter. Doch manchmal kommt es ganz anders, nicht wahr? Manchmal fährt einem das Schicksal mit Wucht in die Parade.

So auch hier. Ausgerechnet dieser leidenschaftliche, nicht im Geringsten zu Gewalt neigende Musiker gerät eines Nachts unverschuldet in eine Auseinandersetzung, die in einer derben Schlägerei mündet. Sein Gegner greift zu unfairen Mitteln, gar zum Gewehr und legt auf ihn an. Doch Rebennack – damals hatte er sich noch keinen Künstlernamen zulegt – schnappt sich den Lauf, lenkt ihn ab. Beim Versuch, dem anderen die Waffe zu entreißen, löst sich ein Schuss. Von diesem Moment an ist die Fingerkuppe seines rechten Ringfingers ebenso Geschichte wie die Pläne als Gitarrist. Der Finger bleibt gelähmt.

Doch er, the „Night Tripper“, wie er sich bald nennen wird, ist kein Typ für Jammern und Zähneklappern. Der hochmusikalische Künstler war bereits seit frühester Kindheit vom Voodoo ebenso gebannt wie infiziert. Auch sein noch späterer Künstlername „Dr. John“ geht auf einen gleichnamigen Haitianer zurück, der im Bayou des 19 Jahrhunderts als farbiger freier Mann lebte. So geschätzt wie gefürchtet hielt er Reptilien und Skorpione als Hausgefährten zwischen menschlichen Schädeln, die ihm treu als Kerzenhalter dienten. Er galt als mächtiger Magier, als Voodoo-Meister, der Rituale abhielt und verwunschene Amulette – sogenannte „Gris-Gris“ – verhökerte.

Der Legende nach gab es um 1860 sogar ein gemeinsames rituelles Spektakel des Voodoo-Priesters und Pauline Rebennack – Malcolm John Rebbenacks Urahnin – in einem örtlichen Hurenhaus. Ob dies wahr ist oder Mär? Pauline existierte jedenfalls und der dunkle Priester wurde tatsächlich kurzzeitig eingesperrt für derlei Treiben. In wenigen Jahren wird diese Story Rahmenhandlung des „Gris-Gris“-Albums werden.

Vorher gibt die Verwurzelung im Voodoo Rebbenack jedoch die Kraft und Eingebung, instrumental umzusatteln. Für rhythmische Passagen steigt er von der Gitarre auf den Bass um, dessen vier Saiten sich mit vier Fingern leichter spielen lassen. Im Zentrum von Komposition und Performance steht jedoch von nun an das Klavier. Beides zusammen erschließt seiner Musik und den Auftritten eine Tiefe, die ohne den Vorfall mit dem Finger womöglich nie entstanden wäre.

„Gris-Gris“ – Das Debütalbum als Meilenstein

Die klangästhetische Bedeutung der Platte kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das zeigt sich besonders bei einer Betrachtung aus der Zeit heraus. 1968 steckte vieles in der Musik noch in den Kinderschuhen oder war gänzlich ungeboren. Jefferson Airplane, Grateful Dead, Cream oder Pink Floyd entwickelten 1967 – während Dr. John die Scheibe aufnahm – zwar bereits den Prototyp des Psychedelic Rock. Doch ausformuliert war das Genre längst noch nicht. Der „Night Tripper“ entschied, dass der Blues eine heftige Portion Voodoo-Medizin bräuchte. Und mit dieser Idee war er der erste seiner Art. Sogar Howlin‘ Wolfs berühmte Psychedelic-Blues-LP aus dem Jahr 1969 entstand erst nach bzw. wegen „Gris-Gris“.

Dieses und ähnliche Alben der genannten Kollegen wirken trotz ihrer eigenen Strahlkraft in Punkto Rohheit und Schroffheit, vergleichsweise wie nette Episoden aus der Kita-Ecke der Populärmusik. Das ist weder übertrieben noch despektierlich gemeint. Man höre nur einmal die knochenklappernde, unheilvoll groovende und ebenso manische wie psychotische Aura der Gefahr, die das „Gris-Gris“-Album umgibt. Nichts davon hat in etlichen Dekaden auch nur Spurenelemente von Patina angesetzt. Trotz aller in die Sümpfe gegangener Jahre: Nichts, rein gar nichts davon klingt heute auch nur im Ansatz harmlos.

Woran mag das liegen?

Die Antwort ist simpel: Nur scheinbar handelt es sich hier um eine Show. In Wahrheit ist der Grusel echt. Die schillernde Dunkelheit ist echt. Die Ausschweifung des Rituals ist echt. Authentisch vielleicht nicht im Sinne tatsächlich übernatürlicher Magie, gleichwohl in der Methodik. Die Band, die er damals um sich schart, besteht ausnahmslos aus echten New Orleans-Musikern, deren Glaube mit dem Voodoo verwachsen war. Auch werden reale flankierende Zeremonien verwendet, deren Naturell semidokumentarisch in die Arrangements einfloss. Man lädt echte Mambos, Bocore und Houngans – verschiedene Titel der weiß- und schwarzmagischen Priesterkaste – zu den Aufnahmen ein. Hilfreich ist sicherlich auch der eine oder andere LSD-Trip dabei. Was tut man nicht alles für die Kunst…? Heraus kommt ein Killer von einem Album. „Gris-Gris“ verhält sich zum Rest der Musikwelt wie „Angel Heart“ zum Rest der Filmwelt. Es verbindet den kultischen, groovy Akt mit der Urkraft des Blues sowie der Härte des Rock. Das Ergebnis ist eine ekstatische, wundervolle und ein wenig fiese Messe, in der Schatten und Licht miteinander ringen. This is gothic Blues!

Zwei Anspieltipps drängen sich förmlich auf. „Gris-Gris Gumbo Ya-Ya“ eröffnet den Reigen mit mit kurz angerissenen Bläsern und in Trance versetzender Schwüle „They call me Dr. John, known as the Night Tripper…“ knurrt er dem Hörer entgegen und erzählt die Story seines Bühnencharakters und dessen okkulter Fähigkeiten. Mit dem später einsetzenden „I Walk On Guilded Splinters“ serviert einen betörend tanzbaren Cocktail aus Cajun-Groove und eingängiger Rock-Dynamik.

Endstation Diesseits

Rebennack wurde acht Jahrzehnte alt. Dem „Night Tripper“ hingegen war kein so langes Leben vergönnt. Noch ein, zwei ebenfalls vorzügliche Nachfolgeplatten lang hielt er dieses Alterego am Leben. Kurz danach kürzte er den Künstlernamen zum simplen Dr. John, der seit 2011 einen Ehrenplatz in der Rock’n’Roll Hall Of Fame innehat.

Ach, sicher, die Musik war noch immer solide und charmant. Doch verglichen mit diesem Nachtfeuer von einem Album ist das in späteren Jahren gebotene Büffet harmlos, konventionell und leider auch ein wenig betulich. Vom wilden, sexy Höllenzug zur gemütlichen Kaffeefahrt? Echt jetzt? Leider ja!

Zufall? Wohl kaum. Etwa Kalkül oder Berechnung? Sicher nicht. Manche sagen, dass er mit den Drogen auch die Mr. Hyde-Seite aus seinem Leben verbannte. Im Bayou jedoch erzählt man, der Doktor habe seine Nase ein wenig zu weit ins sumpfige Terrain von Voodoo und Mystik vorgewagt. Dort habe er Pforten einer Wahrnehmung geöffnet, die besser verborgen geblieben wären. Sie würden sich nie wieder gänzlich schließen. Es bleibe wohl immer etwas zurück, wenn man sich mit dem Bayou misst. Dr. John, Voodoo, Blues, New Orleans, sexy, Bayou,

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