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Songs von Leonard Cohen (13): Dance Me to the End of Love

Karsten Schroeder bat mich, etwas zu diesem Song zu schreiben. Gern. „Dance Me …“ ist eines dieser Cohen-Lieder, die bedeutungsschwer daherkommen, vielleicht etwas zu bedeutungsschwer für einen Popsong, sodass man geneigt ist, sie verärgert beiseitezulegen, um dann widerwillig einzuräumen, dass die Bilder nicht bloß um ihrer selbst und des Reims willen dastehen, sondern ihre eigene lyrische Berechtigung haben und ihren eigenen Sog entwickeln, wie der Alla-Breve-Takt des Songs, der in der Volksmusik oft gen Schluss immer schneller gespielt wird und einen in einen Strudel zieht, aus dem man leicht schwindelig am Ende des Songs – am Ende der Liebe – auftaucht.

Der Versuchung widersetzt sich Cohen. Der Song verweigert sich rhythmisch der Auflösung, der Erlösung. Verschiedentlich wird gesagt, das Lied erinnere musikalisch an Klezmer, aber mich hat dieser 2/2-Takt eher an französische Chansons oder griechische Sirtaki-Stücke erinnert; kurzum, solche Stücke sind kein Alleinbesitz der Shtetl-Musiker und ihrer Epigonen; Madeleine Peyroux hat außerdem eine überzeugende und sehr sophisticated Jazz-Version hingelegt.

Aber ich will nicht über die Musik mehr schreiben als nötig, und mehr ist hier nicht nötig. Es geht um den Text.

Cohen selbst hat gesagt, dass der Song inspiriert – wenn das Verb angebracht ist – wurde durch die Erinnerung daran, dass die Nazis aus den Insassen der Vernichtungslager Orchester oder Kapellen zusammenstellten, die spielen mussten, während die Selektierten der Sonderbehandlung entgegengingen. So zogen sie, vielleicht tanzte das eine oder andere Kind, vielleicht zuckte die eine oder andere Mutterhand unwillkürlich zum Rhythmus, ein Todestanz, ein Tanz der Todgeweihten, bis mit dem Leben die Liebe erlosch.

Daher (den Text findet man zum Nachprüfen unten) die brennende Violine; daher die „heimwärts fliegende Taube“; daher das fadenscheinige und zerrissene Zelt, in dem vormals die Bundeslade mit dem Volk Israel zog; daher der Gang durch den Vorhang, der das Allerheiligste abtrennt; daher die Panik, bis man „sicher gesammelt wird“ – zu den Vorfahren nämlich; daher sind die Liebenden unten und oben, im Grab oder im Rauch des Schornsteins, im Frieden der Ewigkeit, des Nichts.

Das sind Bilder wie von Marc Chagall, Paul Celan oder Franz Kafka. An Milena schrieb Kafka 1920 über den Tod: „Man ist eben als biblische Taube ausgeschickt worden, hat nichts Grünes gefunden und schlüpft nun wieder in die dunkle Arche.“ Und in Celans „Todesfuge“ heißt es:

Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen (…) / er pfeift seine Juden hervor lässt schaufeln ein Grab in der Erde / er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz (…) /Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt (…) / stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf / Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland / er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft /
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

In einem der Vernichtungslager – war es Sobibor? –  überschrieben die Deutschen den Gang zur Gaskammer mit dem hebräischen Spruch: „Das ist das Tor zum Herrn, durch das die Gerechten einziehen“ (Psalm 118); diesen Spruch kannten die Todgeweihten vom „Parochet“, dem Vorhang, der in der Synagoge dem Schrein (englisch Ark, also Arche) bedeckt, in der die Torah-Rollen aufbewahrt werden. „Dance me through the curtain …“

Man kann diese Bezüge, kennt man sie einmal, nicht wegdenken; sie sind da, in den Worten, in der Stimme, im unerbittlichen Takt der Musik. Aber Cohen sagte über diesen Song auch: „Es ist nicht wichtig, die Genesis dieses Songs zu kennen, denn wenn die Sprache aus dieser leidenschaftlichen Quelle stammt, kann sie alle Leidenschaft umfassen.“ Das stimmt.

Der Song ist also auch ein Song über die geschlechtliche Liebe, der Tanz wie in so vielen Songs eine Metapher für den Sex: die Panik des unsicheren Liebhabers, bis er „hereingenommen wird“; der Wunsch, die Geliebte nackt zu sehen – eine Obsession Cohens – , wenn „die Zeugen verschwunden sind“, ihre Bewegungen zu spüren, langsam und zart, oben und unten, durch den Vorhang zum Ende des Liebesakts.

Und er ist ein Song über die Ehe, über die Liebe als Tanz, der zu den Kindern führt, die geboren werden wollen, der einen schützenden Zelt bildet, der Frieden geben und dauern kann bis zur Rückkehr in die dunkle Arche, bis man sicher hineingenommen wird in was auch immer nach dem Leben und nach der Liebe kommt.

Bleibt eine dunkle Stelle: „…like they do in Babylon“. Das ist vermutlich ein biblischer Bezug, nämlich auf die im Buch Daniel geschilderte Geschichte der Susanna, die beim Baden von zwei lüsternen Greisen beobachtet wurde, die, als sie ihnen nicht zu Willen sein wollte, sie des Ehebruchs mit einem jungen Mann bezichtigten. Da es keine weiteren Zeugen gab – „the witnesses are gone“ – wurde Susanna zum Tode durch Steinigung verurteilt. Gerettet wurde sie durch Daniel, dessen Geist von Gott bewegt wurde – „let me feel you moving“ – und darauf bestand, die beiden Alten getrennt zu verhören. Ihre Aussagen widersprachen sich in vielen Details des angeblichen Ehebruchs, so dass sie der Lüge überführt und ihrerseits hingerichtet wurden. Die Geschichte soll sich in Babylon während des Exils der Israeliten abgespielt haben.

Dann wäre aber der Song auch ein Gebet, ein Psalm, wie „My Sweet Lord“ von George Harrison. „Really want to see you Lord, but it takes so long“: „Let me see your beauty (…) show me slowly what I only know the limits of“: zeig mir nach und nach das, was ich nur an ihren Grenzen in mir erkenne: die unendliche Liebe, die sich im Bund mit Israel, in der körperlichen Liebe, in der Ehe, im Gottvertrauen der Susanna, in der Gerechtigkeit Daniels zeigt, selbst in der Musik, die den verzagten Gang durch das Tor zum Herrn begleitete.

So etwa. OK?

Dance me to your beauty with a burning violin
Dance me through the panic ‚til I’m gathered safely in
Lift me like an olive branch and be my homeward dove
Dance me to the end of love

Oh, let me see your beauty when the witnesses are gone
Let me feel you moving like they do in Babylon
Show me slowly what I only know the limits of
Dance me to the end of love

Dance me to the wedding now, dance me on and on
Dance me very tenderly and dance me very long
We’re both of us beneath our love, we’re both of us above
Dance me to the end of love

Dance me to the children who are asking to be born
Dance me through the curtains that our kisses have outworn
Raise a tent of shelter now, though every thread is torn
Dance me to the end of love

Dance me to your beauty with a burning violin
Dance me through the panic ‚til I’m gathered safely in
Touch me with your naked hand or touch me with your glove
Dance me to the end of love

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