Der Start ins neue Schuljahr rückt näher, doch für einige Familien im Kreis Ostholstein wird der Gedanke daran von wachsender Sorge begleitet. Drei Mütter schildern übereinstimmend, dass ihre autistischen Kinder dringend eine individuelle
Schulbegleitung brauchen – und dass der Kreis Ostholstein diese Unterstützung offenbar nicht in ausreichendem Maß sicherstellen will. Sie befürchten massive Nachteile für ihre Kinder, wenn die Verwaltung ihre Praxis nicht rasch ändert. Nur wenige Meter weiter in Lübeck, so berichten sie, sei eine individuelle Unterstützung hingegen möglich.
Mona L.*, Mutter des neunjährigen Lasse, hat schon jetzt einen langen Leidensweg hinter sich. Ihr Sohn, hochbegabt, mit Autismus und ADHS diagnostiziert, soll nach den Sommerferien aufs Gymnasium wechseln. Er ist auf eine feste Bezugsperson angewiesen, die seine emotionalen und sozialen Schwierigkeiten abfedert, bevor sie eskalieren. Lasse sei traumatisiert von früheren Schuljahren, schlug sich vor Hilflosigkeit selbst und zog sich zurück. „Seine jetzige Schulbegleitung ist für ihn unersetzlich“, sagt Mona. „Ohne sie ist er schlicht nicht beschulbar.“
Das Pooling-Modell ist ein Risiko für autistische Kinder
Statt einer individuellen Lösung bietet der Kreis nun das sogenannte „Pooling-Modell“ an, bei dem eine Betreuungskraft für mehrere Kinder zuständig ist. Für einen Jungen wie Lasse sei das nicht tragbar: wechselnde Bezugspersonen, keine Autismus-Expertise, keine Möglichkeit, die nötige Nähe und Sicherheit herzustellen. „Damit steuert er geradewegs in eine Depression“, warnt Mona.
Auch Jennifer R., deren 15-jähriger Sohn Jason auf die ESA-Prüfungen zusteuert, sieht die Zukunft ihres Kindes in Gefahr. Nach Jahren quälender Überforderung und Mobbing fand Jason mit einer festen, erfahrenen Schulbegleiterin endlich einen Weg, seinen Alltag zu bewältigen. „Das Pooling-Modell zerstört, was wir in jahrelanger Arbeit aufgebaut haben“, sagt Jennifer. „In der Theorie klingt es modern und flexibel. In der Praxis werden die schwächsten Kinder damit allein gelassen.“ Schon jetzt zeige Jason wieder Rückzug und Ängste – die Aussicht auf ständig wechselnde Bezugspersonen nehme ihm die Stabilität, die er dringend braucht.
Alexandra K., Mutter zweier Söhne mit Autismus, schildert Ähnliches. Ihr jüngerer Sohn profitierte lange von einer festen Schulbegleitung, doch mit dem Wechsel zur Lebenshilfe Ostholstein als Träger sei alles zusammengebrochen. „Die neue Begleitung hatte keine Fachkenntnisse und
war überfordert“, sagt sie. „Es hat Monate gedauert, bis wir die alte Unterstützung wieder bekamen – und jetzt soll auch das gestrichen werden?“ Sie fragt sich, warum Kinder mit anerkannten Behinderungen, die gesetzlich ein Recht auf Bildung und Teilhabe haben, um elementare
Unterstützung kämpfen müssen. „Inklusion darf nicht zur Sparmaßnahme verkommen“, sagt sie.
Die Kritik der Mütter richtet sich nicht nur gegen das Pooling-Modell selbst, sondern auch gegen das Vorgehen des Kreises. Anträge würden nicht beschieden, schriftliche Ablehnungen verzögert, was rechtliche Schritte erschwere. „Wir hören einfach nichts mehr“, sagt Mona. Sie hat sich bereits im Mai an die CDU-Landtagsabgeordnete Wiebke Zweig gewandt. Diese reagierte zunächst schnell, doch seither blieb es still.
Sparen ohne Rücksicht auf die Kinder
Die Zeit drängt: Am 8. September beginnt das neue Schuljahr, in dem Lasse aufs Gymnasium wechseln und Jonas seine Prüfungen ablegen soll. Ohne eine Lösung droht für beide der Rückfall in alte Muster – Rückzug, Angst, Selbstverletzung. „Wir lassen unsere Kinder nicht über die Klinge springen“, sagt Alexandra. Was für die Familien zählt, sind nicht abstrakte Organisationsmodelle, sondern das Wohl der Kinder. „Wir brauchen Verlässlichkeit, Fachwissen und Menschlichkeit – nicht wechselnde Kräfte, die niemandem gerecht werden“, fasst Jennifer zusammen. Sie appellieren an Politik und Verwaltung, den Blick auf die Betroffenen zu richten. „Unsere Kinder sind keine Sparposten. Sie haben ein Recht auf Bildung – und auf Würde.“
*Alle Namen wurden auf Wunsch der Genannten geändert.