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Guru Guru: Ein musikalisches Parallel-Universum

Guru Guru, Krautrocklegende um Trommler Mani Neumeier, macht einfach weiter. Auch wenn Neumeier in diesem Jahr 85 Jahre alt wird. Der Spirit bleibt. Guru Guru ist gelebte musikalische Anarchie. Aber kein Free Jazz, obwohl Neumeier genau da seine Anfänge hatte. Und kein Wohlfühl-Rock. Und eigentlich, ehrlich gesagt: Auch kein Krautrock. Anmerkung: Ein Rundum-Feature aus einem halben Dutzend Artikeln, die zwischen 2010 und 2025 entstanden sind. Quasi remixed.


Hans Reffert, der 2016 verstorbene Guru Guru-Gitarrist hat seinen jahrzehntelangen musikalischen Wegbegleiter, den Trommler Mani Neumeier, einmal so beschrieben. »Seine Lebensphilosophie war sehr einfach: Alle verfügbaren Klänge unseres Universums sind brauchbar«. Die Offenheit für so ziemlich alles, was Töne und Geräusche erzeugt, beginnt schon vor der Gründung der Band im Jahr 1968. Mani Neumeier, bis heute die einzige Konstante der Bandbesetzung, spielt mit dem späteren Guru Guru-Bassisten Uli Trepte und der Pianistin Irène Schweizer. »Wir waren an vorderster Front und haben den europäischen Free Jazz mit erfunden«, erzählt er. Die neugegründete Band hat etwas anderes vor. Ihre Musik, oft als Krautrock etikettiert, erschafft einen eigenen Kosmos, der das anarchische des Free Jazz ins Rock-Universum transformiert. »Da schwebte man da zwischen Hendrix, Pink Floyd und Stockhausen«. Es entsteht ein vollkommen neuer Sound, der Jazz-Puristen verschreckt: Elektrisch, laut und gelegentlich verstörend. Dazu kommen elektronische Klangexperimente plus südafrikanische, afrikanische und indische Musik, die immer wieder ihren Weg in die Songs finden. »Manchmal nenne ich es Psychedelic World Beat. Aber das ist ja nur ein Wort. Für mich ist Musik horizontal und vertikal. Horizontal steht für das rhythmische, vertikal ist das melodische. Wenn der Groove stimmt, ist die Hälfte schon gewonnen«.

Perpetual Change

Die Band hat bisher über 40 Tonträger veröffentlicht und 38 Musiker auf ihrer Besetzungsliste notiert. »Jemand hat mal geschrieben, ich würde Musiker auswechseln wie der Zappa«, schnunzelt Neumeier. »Aber ich habe das immer nur notgedrungen gemacht. Am Anfang musste Uli Trepte raus, weil er plötzlich alles übernehmen wollte. Andere wurden krank oder machten eine eigene Band auf. Mit wieder anderen hat es sich einfach ausgespielt«.
Bassist Peter Kühmstedt ist seit 1977 dabei, Multiinstrumentalist Roland Schaeffer seit 1975.
Hans Reffert war seit den 80er-Jahren immer mal wieder an Bord und für Neumeier einer der wichtigsten Weggefährten. Sein Tod war eine Zäsur. »Das war ganz schlimm. Wir waren monatelang fertig und dachten: Bringt’s das jetzt überhaupt noch? Aber wir sagten uns: Wir müssen doch für den Hans spielen, sonst ist der da oben im Himmel sauer, dass wir aufgeben«.
Nach der Interimslösung mit dem Gitarristen Jan Lindqvist kam Keyboarder Zeus B. Held. Er ha seine erste Karriere in den 70er-Jahren als Organist von Birth Control, wird später international erfolgreich als Musiker und Produzent von elektronischer Musik, Pop und Dance. 2020 nehmen Neumeier und Held zusammen das Album The Secret Lives auf.
Just zu dem Zeitpunkt verabschiedet sich Jan Lindqvist plötzlich und überraschend von Guru Guru. Mani Neumeier steht unter Zugzwang, will er die Band am Leben erhalten. »Ich habe zu Zeus gesagt: Schade, dass du keine Gitarre spielst. Daraufhin hat er mir einige Gitarristen vorgeschlagen aber die haben alle nicht gepasst«. Was liegt also näher, als es einfach mal mit Keyboards zu versuchen? Immerhin hatte man mit Ingo Bischof (den meisten vor allem durch seine Arbeit mit Kraan bekannt) Mitte der 70er-Jahre schon einmal einen Tasten-Experten an Bord. »Zeus ist ein guter Freund, ein guter Musiker, er ist sehr kommunikativ und bringt viel ein. Die alten Stücke klingen auch gut, und man kann mit ihm reden, wenn was nicht so gut ist. Kurz gesagt: es flutscht“, konstatiert Mani Neumeier. Held gibt das Kompliment zurück: »Ich fühle mich wohl mit den Menschen und der Musik. Vor allem, wie wir uns live die Bälle zuwerfen.Nach den ersten zehn Konzerten waren wir eingespielt, und jetzt läuft das schon seit Jahren gut«, kommentiert der Keyboarder.

The Spirit Of The Seventies

Gerade auf der Bühne weht auch heute noch der Geist der Hippie-Kommune, die die Band einst war: Improvisation ist ein Teil der Faszination der Band, sagt Mani Neumeier: »Wir können uns aufeinander verlassen. Wenn mal `ne Gurke drin ist, dann spielen wir eben drüber weg. Manchmal entstehen so auch Sachen die ganz gut sind, die man dann beibehält«.
Vielleicht sind es auch die ständigen Veränderungen, die die Band am Leben halten und immer neue Musik produzieren lassen, anders als andere Veteranen-Bands, die sich auf das Live-Wiederkäuen ihres Back-Kataloges beschränken. „Es ist, wie wenn man ein immer wieder ein neues Ei legt. Es macht uns selbst Spaß und auch dem Publikum“ Wobei Neumeier einräumt, dass man die Balance zwischen alten und neue Songs einhalten muss. „Aber die Bands, die gar nichts neues haben, sind doch eher ein bisschen museal.“ Klassiker wie der „Elektrolurch“ sind auc nach weit über 50 Kahre Pflichtprogramm. Dabei gilt aber die Devise: „Wir sind sehr wendig und biegsam. Drum spielen wir die alten Stücke auch immer anders, aber das Thema ist immer sofort zu erkennen.
Guru Guru erspielen sich Ihr Publikum nach wie vor auf den Bühnen der Clubs. »Da kommen immer mal wieder auch normale Ehepaare, 50 oder 60 Jahre alt«, freut sich der Drummer. »Die haben uns noch nie gehört und sind beim ersten Mal angetörnt. Mein Charisma trägt dazu bei, das ich den Letzten noch hinterm Ofen hervorhole, obwohl ich ja garnicht groß den Kaschperl mache.« Humor ist seit jeher ein nicht wegzudenkendes Element des bunten Guru Guru-Universums. Das ist über die Jahrzehnte schon immer abzulesen in Songtiteln wie ›Bonusdreck‹, ›Eschaudoningen‹, ›Salto Mortadella‹ oder ›Sierra Nirvana‹. »Früher wollten wir schockieren. Wir wollten die Leute aufrütteln, den Staub vom Adolf wegblasen. Heute wollen wir die Leute happy machen und zum Hüpfen bringen. In der Welt passiert eh schon so viel Scheisse. Ich hab’ ja Theater gespielt, bevor ich anfing mit Trommeln. Ich war schon immer ein lustiger Bub. Es erleichtert es da Leben ungemein, und es gibt sogar in der klassischen Musik Humor. Ich mache ja nicht nach jedem Stück eine lustige Ansage. Aber irgendwie habe ich einen guten Draht zu den Leuten!«

Be funny, be strange

Dieser anarchische Humor manifestiert sich auch beispielhaft auf der Bühne ein ums andere Mal in den Stammestänzen, bei denen Neumeier den Schamanen gibt, der in einem eigenartigen Sprechgesang im Song ›Living In The Woods‹ verkündet, in einem Wald mit Tigern zu leben. Diese Art unschuldiger Sprechgesang zieht sich durch das gesamte Werk der Band. »Wir sind alle keine Schönsinger, aber mir gefallen die Schönsinger sowieso nicht. Wir singen halt, so gut wie wir können, aber es ist halt authentischer, es ist halt eine Marke«, erklärt der Trommler amüsiert.
Die Improvisationswut, das Schräge, der Nicht-Gesang und der Humor: All das findet sich auf The Incredible Universe – dem bislang letzten Studiowerk von 2022 in leicht veränderter Mischung. Experimentell, aber nicht abgehoben, bodenständig aber nicht konservativ: Da sind die ungewöhnlichen Instrumentierungen, die collagenartig eingebauten Klangfetzen, die repetitiven, mehr gesprochenen Gesänge, die oft Beschwörungsformeln ähneln und mit wenig Text auskommen. Ab und an blitzt auch ein Funken „ »ganz normale geradlinige Rockmusik« auf. ›Back To The Roots‹ ist ein solch strammer Rocker. »Das hatte Peter Kühmstedt komplett fertig und er hat uns dann überlassen, wie wir dazu spielen.« Kaum hat man sich daran gewöhnt hat, wird der Eindruck wieder vom Guru Guru-typischen Humor oder einem unerwarteten Stilbruch weggewischt.
Mit einer Klangcollage beginnt ›Sample Incredible‹. Man hört Stimmen, Geräusche, elektronische Effekte, ein verhuschtes Saxophon. Bis sich ein Rhythmus herausschält. »Dafür habe ich Aufgnahmen verwendet, die ich in der Tokioter U-Bahn selbst gemacht habe«, erklärt Mani Neumeier. Es ist ein kleines Zeichen seiner Verbundenheit mit der japanischen Kultur und gleichzeitig auch ein Ausdruck der Ermahnung an sich selbst, »dass wir nicht zu glatten Rock spielen, sondern dass es eben auch schön experimentell bleibt.« Er betrachtet seine Japan-Erfahrungen als wichtigen Teil seines Lebens. Schon seit 1996 gibt es im Wachsfigurenmuseum der japanischen Hauptstadt eine Mani Neumeier-Figur zu bewundern. Bis heute ist er jedes Jahr mehrere Wochen lang in Japan unterwegs, geht zusammen mit japanischen Underground- und Avantgardemusikern auf Clubtour und sammelt neue Ideen, Klänge und Ausdrucksmöglichkeiten, die wiederum in die Musik der Stammband einfließen.
Von Held stammt der lässige Reggae ›Life Is A Gamble‹, der eine schräge Geschichte erzählt, in der sich Jimi Hendrix und Miles Davis im Pub treffen. Gekrönt wird der Track von einem mindestens ebenso schrägen Saxofon-Solo von Roland Schaeffer. »Auf der A 5 zwischen Achern und Bühl gibt es eine Brücke, da steht drauf gesprüht ›Life Is A Gamble‹. Inzwischen verblasst es so langsam«, erzählt der Keyboarder. »Jedenfalls hat mir das gefallen. Mani hatte einen Groove, der mir gut reinlief – und in einer Stund hatte ich die Story über Jimi und Miles, zwei große Typen, Hendrix hat Miles Davis mal die Frau ausgespannt, das kannst du in sein Memoiren nachlesen. Dann habe ich ein bisschen drin rum gewühlt und rum fantasiert, dass die im Pub sitzen und es läuft ›Bitches Brew.‹. Schließlich hat Roland mit seinem Tenorsaxofon in einem First Take ein dermassen geiles Solo drauf geblasen – genau das jazzige Element, das ich sehr liebe«.

The God Of Hellfire

Sicherlich mehr als ein Gag ist der Gastauftritt von Arthur Brown, der ›Hold The Jelly‹ mit seinem ausdrucksstarken, emotionalen Gesang veredelt. Mani Neumeier hatte den mittlerweile 81jährigen Briten schon drei Mal für das legendäre Finkenbach-Festival engagiert. »Da heben wir uns immer gut verstanden. Arthur ist auch ein Naturmensch, als Musiker immer zwischen Underground und Pop. Er hat eine tolle, sehr eigene Stimme und er ist eben auch kein Schönsänger. Er ist schon vergleichbar mit uns, fast wie englischer Krautrock«, erzählt er.
Der Song ist von Zeus B. Held, er übernahm auch die Aufgabe, Mr. Brown persönlich in Nordengland aufzusuchen und mit ihm den Gesang aufzunehmen. »Ich hatte diesen Song in der Schublade und habe versucht, den Text auf Mani zuzuschreiben. Jelly steht ja auch für den Lebenswillen, den Impuls lange zu leben. Dann kam die Idee, Arthur Brown engagieren. Ich habe ihm den Song geschickt und dachte, er wird mich sicher in der Luft zerreissen. Aber das ist nicht geschehen. Im August bin ich dann nach Manchester geflogen. Arthur Brown lebt zu günstigen Bedingungen in einem Jagdschloss, das einem der reichsten Männer Englands gehört, dessen Privatland so groß ist wie halb Südbaden. Die Strecke vom Briefkasten zum Haus ist zweieinhalb Kilometer lang. Arthurs Frau war mal Kunstprofessorin und in jedem Zimmer steht ein Klavier. Ich war dann zwei Tage dort, und habe Arthur durch das Stück gejagt«.
Bei aller Leidenschaft: Das fortgeschrittene Alter der Musiker fordert seinen Tribut, die Band spielt heute nie mehr als zwei Konzerte hintereinander und hat die Zahl der Auftritte generell reduziert. „Irgendwann ist die Anstrengung größer als der Spaß, und dann muss man aufhören“, sagt der Drummer. „Aber der Punkt ist noch nicht erreicht. Wir spielen immer noch gern und das ziemlich fetzig“. Dazu gehört das immer noch das ausgedehnte, vielbejubelte Drumsolo im Klassiker „Oooga Booga“, bei dem Menschen im Publikum gern mal die Namen ferner Galaxien tanzen. Zu den geübten Ritualen gehört auch am Ende der legendäre „Elektrolurch“, ein immer noch brüllend komischer Trip, der mit der selbstverständlich rhetorischen Frage endet: „Und was macht ihr, wenn Ihr mal älter seid?“.

Thomas Zimmer schreibt seit 1980 über Rock, Pop und Folk. Er war Rundfunk-Musikredakteur, Dozent für Pop- und Rockgeschichte an der Musikhochschule Karlsruhe. Er hat u.a. die Biografie des BAP-Drummers Jürgen Zöller und ein Buch mit Konzertkritiken aus 20 Jahren veröffentlicht. Er hat Rock-Größen wie Phil Collins, Ian Gillan, Beth Hart und viele mehr interviewt. Er moderiert eine regelmässige musikalische Live-Talkshow im Jazzclub Bruchsal und betreibt den Interview-Podcast „Das Ohr hört mit“ – https://open.spotify.com/show/4FuFLyd1w66aRSnYYdCkOY mit Musikern und anderen Kulturmenschen.

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