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Herz der Finsternis

Foto: „Silver Shade“ by Peter Murphy – PYM

Peter Murphy, Urvater des Postpunk, muss man auch heute noch lieben. Mit seinem Comeback-Album „Silver Shade“ zieht er sich am eigenen Schopf aus dem Sud

„There is no middle ground
Or that’s how it seems
For us to walk or to take
Instead we tumble down
Either side left or right
To love or to hate“
(Peter Murphy: „A Strange Kind of Love“)

London 1979: Bauhaus gebiert den Gothic Rock mit „Bela Lugos is dead“. Ein musikhistorischer Moment jenseits späterer Knochenlutscher-Klischees. Es galt, die rohe Energie des Punkrock in eine tiefere Ästhetik zu überführen. Mehr Rotwein, mehr Bela, mehr Lord Byron – fort von der reinen Abrissbirne.
So erfindet die Band um den charismatischen Sänger Peter Murphy (dessen Gesichtszüge etwas später für Eric Draven in der Graphic Novel „The Crow“ Pate stehen) parallel zu Kollegen wie Joy Division, The Cure, Sisters of Mercy, Killing Joke oder The Damned eine neue Sparte: Postpunk.
Ein Urknall, dessen sinistren Fixpunkt Bauhaus bilden. Murphy ist das pochende Herz dieser Finsternis.
Und nunmehr?
The Gothfather 2025: Die Ausgangslage Peter Murphys? Letzte Soloplatte mehr als 10 Jahre her, letztes Killeralbum „Ninth“ schreibt das Erscheinungsjahr 2011. Dazwischen? Alle wissen es. Kein Grund, es zu thematisieren. Möchte man nicht erleben.
Könnte es das gewesen sein?
Nein.
Obwohl aus deutlich unkomfortablerer Situation kommend als mancher Kollege, zerrt sich der Veteran mit dem 2025er Comeback Album „Silver Shade“ am eigenen Schopfe aus dem Sud.
Kein Zufall.
Murphy besitzt 3 Eigenschaften zu gleichen Teilen, auf die er zählen kann: Zum einen dieses herausragende Gesangstalent. Während der Rudelverwandte David Bowie seinen Gesang der reiferen Phase an Scott Walker orientierte, baut Murphy das Spektrum seit 37 Jahren mit komplexen orientalischen Skalen aus. Peter verbleibt von gleicher Art, dabei stets individuell erkennbar nach exakt 3 Sekunden.
Daneben entwickelte sich der 1957 geborene Northamptoner solo zum herausragenden Songwriter im Bereich großer Melodien und nobler Texte („A,Strange Kind Of Love“ oder „Subway“ etwa).
Doch was nutzen alle Talente in so einer Lage?
Hier kommt Murphys entscheidende Eigenschaft zum Tragen: Peter ist ein ebenso sympathischer wie empathischer Mensch und naturgegeben kreativer Motor.
So kann er auf angemessenene Unterstützung bauen. Trent Reznor wuchs mit Bauhaus auf und mischt (nicht zum ersten Mal) gern ein wenig und angenehm zurückhaltend mit. The Orb ist vertreten. Als Herz des Teams der alte Killing Joke Kollege Youth, mit denen man ehedem ohnehin Postpunk erfand. Gutes Detail: Youth an Bass plus Gitarre zu platzieren.
Stilistisch bietet die Platte ordentlich Farbenrausch für Anthrazit umhüllte Zeiten. Gern und oft lässt Murphy das innere eklektische Spielkalb von der Leine, wie etwa der späte John Cale.
Straighte Rocknummern knallen offensiv inmitten angeorbter Grooves, rhythmischem Wumms („Cochita Is Lame“, „Silver Shade“) und orientalischem Folk, bis hin zur angedeutet arabisch – spanischen Gitarre.
Murphy gibt die Klammer, teils direkt zackig aufs Maul, daneben per typischem Dramaqueen-Duktus mit der Stimmlage, die stets simultan Machtdemonstration wie Selbstironie verkörpert.
Songs hervorzuheben, ist ob der Qualitätsdichte eigentlich nicht notwendig. Zu viel Spaß macht die eigens vollzogene Entdeckungsreise. Es gibt Reminiszenzen von Bauhaus bis Bowie. Alles mit abgeklärtem Augenzwinkern.
Und die Texte? So ehrlich selbstreflektierend und philosophisch, wie ein authentischer Sufi nach fast 4 Dekaden ist. Dabei stets auf sprachlich wie spirituell gewohnt höchstem Niveau. Nebenher nicht ohne sarkastisch gereckte Dornen gen Heuchler und Pharisäer auf dem vorgefundenen Pfad. Alles sauber ausbalanciert ohne jedwede Selbstreferentialität, etwa „Swoon“.
Ganz ehrlich: The Cure würden für diese Fähigkeit töten, ein filigranes Monster wie „The Sailmakers Charm“ mit levelgleichen Zeilen versehen zu können.
Und der letzte Eindruck? Der Song mit Boy George? Tja, sind wir ehrlich. Beiderseits top gesungen, schon klar. Songwriterisch für Murphys Verhältnisse gleichwohl eher Mittelmaß. Deshalb: Wie um Himmels Willen kommt das obig genannte Superteam nur auf die fatale Idee, den Track noch per cheesy Helene Fischer Arrangement zu versenken? Stattdessen hätte Youth hier den beiden verdienten Helden nen frischen Soundmantel stricken können analog Sir Pauls The Fireman. Aber das hier, Alter, echt jetzt?
Der wirklich allerletzte Eindruck jedoch gleicht wohltuend dem ersten. Mitunter muss man womöglich den Preis der heißen Nadel bezahlen, wenn man den alten Freund auf den letzten Drücker noch rasch mit an Bord holen muss gen Rückeroberung. Wie kann zumindest ich so ein Album nicht lieben?
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