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Die nette Shoa-Uroma

Nach ihrem Tod wurde Margot Friedländer noch einmal das ganze Mitgefühl der Deutschen zuteil – wunderbare Entlastung von der Verstrickung der eigenen Eltern und (Ur)Großeltern in die Nazi-Barbarei. Während der Judenhass fröhlich Urständ feiert. Eine Polemik

Margot Friedländer war eine faszinierende Frau. Sie ist 103 geworden – allein das ein Sieg über die Nazis, die sie als junges Mädchen umbringen wollten wie sechs Millionen andere Jüdinnen und Juden. Im biblischen Alter von 88 Jahren ist sie dennoch ins Land der Täter zurückgekehrt, um sich in den Dienst einer überaus wichtigen Sache zu stellen: der Aufklärung als Zeugin über die Verbrechen, die Deutsche vor allem Juden angetan haben. Und sie machte ihnen keinen schlechtes, sondern ein gutes Gewissen: „Menschen bleiben“ – ja, wer möchte das nicht gerne?

Ihr unermüdliches Reden über das Unvorstellbare bis zu ihrem Ende, für das sie mit Ehrungen und Einladungen auch ins Fernsehen überhäuft wurden, haben jedoch wenig gefruchtet. Genausowenig wie die Zeugenschaft anderer noch Überlebender, all die Forschungen, Bücher, Filme, TV-Dokumentationen und Prozesse zum fabrikmäßigen Völkermord an den Juden Europas und den Quellen des Jahrtausende alten Antisemitismus. Seit dem Massaker der Hamas und ihrer willigen Helfer in Gaza, dem schlimmsten Progrom seit der Shoa, tobt sich auch auf deutschen Straßen, an Universitäten, im Kulturbetrieb und im Netz ein ebenso kaum vorstellbarer Hass auf Juden aus, der nie tot war. Getarnt meist als „Israel-Kritik“ und „Solidarität mit den Palästinensern“.

Oft ist die Juden- und Israelfeinschaft imporiert, aber auch autochton, rechts wie links und in der bürgerlichen Mitte. Mal verklausuliert („Israel begeht Völkermord“ – eine beliebte Täter-Opfer-Umkehr; „die Besatzung ist grausam“), häufig aber auch sehr offen. „Juden ins Gas“, rufen muslimische Demonstranten, flankiert von Linken, Postkolonialisten und selbsternannten Antirassisten, die zwar den arabischen Palästinensern das Recht auf einen eigenen Staat zugestehen, aber nicht den Juden in ihrer uralten Heimat. Und immer wieder „From the river to the sea“ – also das Auslöschen Israels und der Juden dort wenn nicht weltweit, was schon die Nazis wollten, im Bündnis mit arabischen Anführern.

Angriffe auf Juden und jüdische Einrichtungen

Studenten und reisende Kader besetzen Hörsäle und beschmieren die Wände und Häuser von Juden mit blutroten Handabdrücken und roten Hamas-Dreiecken: Symbole für den Mord an Menschen, die das Pech haben, jüdischen Glaubens zu sein oder Juden als Vorfahren zu haben – die Nürnberger Gesetze lassen grüßen. Und kaum jemand unternimmt etwas dagegen, weder die Politik noch die so gerne beschworene Zivilgesellschaft.

Nach dem Ableben von Margot Friedländer jedoch wurde das Netz geflutet mit Bildern und Sprüchen von ihr, gerne zusammen mit den jeweiligen Protagonisten, die gesamte Spitze von Staat und Gesellschaft kam zu ihrer Beisetzung, um zu demonstrieren: „Wir“ sind Gute. „Wir“ stehen an der Seite der Verfolgten, Unterdrückten, Leidenden, selbst wenn es Juden sind. Jedenfalls wenn sie sehr alt sind und den „armen“ Palästinensern nichts Böses mehr antun können. Die keine Kinder und Frauen in Gaza töten, wie hiesige Medien regelmäßig verbreiten im Gefolge der Hamas-Propaganda – gemäß einem uralten Gerürcht über Juden (Adorno). Und gemäß einen ebenso alten Motto: „Nur tote Juden sind gute Juden.“

Juden jedoch, die sich gegen Terror und ihre Vernichtung wehren, sind böse. Deshalb ist der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ein ganz Böser. Und der Haftbefehl gegen ihn völlig berechtigt, auch wenn sich inzwischen herausgestellt hat, dass der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag ihn wohl vor allem deshalb beantragt hat, um von eigenen sexuellen Vergehen abzulenken. Deshalb sollte der Bundespräsident ihm beim Besuch zum 60. Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen nicht die Hand schütteln – er hätte sich ja seine schmutzig machen können.

Israel auf der Anklagebank

Unerheblich, dass Hunderttausende Israelis ständig gegen Netanjahu, seine rechtsnationalistische Regierung und deren Kriegsführung protestieren: Israel gehört auf die Anklagebank. Getreu dem aus rechten Kreisen übernommenen Motto: Man wird Israel doch wohl noch scharf kritisieren dürfen! Deshalb übernahm Die Linke fast zeitgleich zum Tod von Margot Friedländer und wie zum Hohn auf ihrem Parteitag eine von BDS-Aktivisten und linken Intellektuellen ersonnene Antisemitismus-Definition, die die Dämonisierung Israels erlaubt, anders als die vom Bundestag und vielen Ländern beschlossene Definition. Was andere Israelgegner beifällig kommentierten.

„Wir werden den Juden Auschwitz nie verzeihen“, hieß es früher. Heute: „Was fällt den Juden ein, sich gegen das gezielte Töten von israelischen Friedensaktivisten und jungen Besuchern eines Musik-Festivals zu wehren, gegen das Abschlachten, Foltern und Vergewaltigen von Babys, Frauen, Greisen, Shoa-Überlebenden und Geiselnahmen völlig Unschuldiger? Warum ergeben sie sich nicht ihrem Schicksal?“

Die Antwort ist ganz einfach: Juden wollen nicht mehr Opfer sein, nicht nach der Shoa und all dem, was ihnen seitdem geschah. Das gefällt natürlich all den Linken und anderen nicht, die es am liebsten sehen, wenn kollektive Einheiten im Status der ewigen Opfer verharren, damit sie ihnen ihre Hilfe als fürsorgende Verteidiger angedeihen lassen können. Und sie damit entmündigen.

Die Todsünde, nicht tot zu sein

Daher haben sie Juden und Israelis umgeschminkt von den ältesten Opfern des übelsten Rassismus, von zahllosen Völkermorden, Vertreibungen und Rassenhass zu Imperialisten und „weißen“ Kolonialisten im eigenen Land, zu Rassisten und Apartheids-Fanatikern. Deshalb protestieren Queere für die Hamas, obwohl sie in derem Machtbereich wahrscheinlich nur wenige Minuten überleben würden. Deshalb sympathisieren Kulturbetriebler mit denen, die Juden den Garaus machen möchten. Und deshalb wird beim Schlagerfestival ESC eine junge Nova-Überlebende angegriffen und der Boykott Israels gefordert, weil sie für ihr Heimatland antritt. Und die Todsünde begangen hat, nicht tot zu sein.

Juden sind einfach undankbar. Nun haben „wir“ doch unsere deutsche Vergangenheit in vorbildlicher Weise aufgearbeitet. Wir bekennen „unsere“ Schuld und Verantwortung, weil es so wundervoll fern und lange her ist – zum Vergessen. Und wir lieben Zeitzeugen und Überlebende, weil sie uns darin bestätigen, dass wir an ihrer Seite stehen wie an der aller Opfer. Aber nun verlangen sie auch noch Verständnis dafür, dass sie diese ihnen zugedachte Rolle ablehnen? Das ist zuviel! Nun muss aber mal gut sein!

Margot Friedländer kann nichts dafür. Sie war nur ein Mensch.

(veröffentlicht auch im Blog „Ruhrbarone„)

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