Eine AfD-Verbotsdebatte ist das letzte, was das Land im Moment braucht. Doch pünktlich zu Merz‘ Amtsantritt und ihrem Ausscheiden lässt die SPD-Innenministerin das lange zurückgehaltene Verdikt des Verfassungsschutzes veröffentlichen, dass die Partei gesichert rechtextremistisch ist. Das Ziel: Zwietracht sähen in die labile schwarz-rote Koalition.
Europa steht womöglich vor einem großen Krieg, wenn Putin-Russland nicht in der Ukraine gestoppt wird. Die Bundeswehr ist nicht verteidigungsbereit. Auf die USA ist unter Trump kein Verlass mehr. Der bedroht zudem den Welthandel und die ohnehin kriselnde deutsche Wirtschaft. Derweil hat Deutschland seit sechs Monaten keine funktionsfähige Regierung. Womit aber beschäftigt sich jetzt wieder der politisch-mediale Komplex? Mit der angeblichen Bedrohung unserer Demokratie durch die mittlerweile in Umfragen zwar relativ stärkste, aber dennoch von einer Machtergreifung aeonenweit entfernte blau-braune Partei.
Der Verteidigung der Demokratie widmet sich inzwischen eine staatlich üppig gesponserte NGO-Industrie, ohne dass diese den Extremisten rechts wie links Einhalt geboten hätte. Das Bundesamt für Verfassungsschutz scheint seit dem Ausscheiden des vormaligen Präsidenten Maaßen, der selbst zum Problemfall geworden ist, Teil davon zu sein. Darauf deutet jedenfalls die bislang bekannte Begründung für die Einstufung der AfD als demokratiegefährdend hin. Fest gemacht wird die an Reizbegriffen für das linke Milieu wie „Umvolkung“ und „Messermigration“. Nicht aber an tatsächlichen Anhaltspunkten, dass die Partei und ihre Führung auf einen Umsturz hinarbeiten.
Verrfassungsschutz nicht gegen die Verfassung
Verboten werden kann eine Partei jedoch nur, wenn das Bundesverfassungsgericht auf Antrag der Bundesregierung, des Bundestags oder des Bundesrats zur Überzeugung gelangt, dass sie aktiv-kämpferisch auf eine Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung wirkt. Nicht, weil sie menschen- und demokratieverachtende Ansichten vertritt. Das fällt, auch wenn es vielen zurecht nicht gefällt, unter Meinungsfreiheit im Rahmen der Gesetze und die Betätigungsfreiheit einer nicht verbotenen Partei. Wer diese aushebeln will, stellt sich selbst gegen die Verfassung.
Der mehr als 1000 Seiten lange Bericht des Bundesamts, einer weisungsgebundenen Behörde, die dem Innenministerium und damit der scheidenden Amtsinhaberin Nancy Faeser untersteht, ist deshalb nicht mehr als eine Materialsammlung. Kein Urteil, das ihm gar nicht zusteht. Dass die AfD rechtsextreme Positionen vertritt, und zwar nicht nur in Teilen, dafür brauchte es wahrlich keine jahrelange Arbeit von Verfassungsschutz-Beamten. Dafür reicht, die Auftritte ihrer Führungsgestalten bei Versammlungen, Wahlkämpfen und in den Parlamenten zu verfolgen und ihre Verlautbarungen incl. ihres Vorfelds zu lesen.
Aus guten Gründen hat jedoch auch die Ampelregierung und das rot-grüne Restkabinett wie die übrigen Verfassungsorgane bislang vor einem Verbotsantrag zurückgescheut. Und das Gutachten bewusst vor der Bundestagswahl zurückgehalten, um die AfD nicht noch stärker zu machen und ihr nicht die Gelegenheit zu geben, sich erneut als Opfer der anderen Parteien zu gerieren.
Ein Verbotsantrag hilft nur der AfD
Daran hat sich durch den Bericht nichts geändert. Denn die Aussichten eines jahrelangen Verbotsverfahrens sind und bleiben ungewiss. Die AfD bekäme dadurch nur noch mehr Aufmerksamkeit und Zulauf von Bürgern, die zwar nicht unbedingt mit ihren Zielen übereinstimmen, aber alleine den Versuch, sie mundtot zu machen, als undemokratisch ansehen. Und wenn die Verfassungsrichter den Antrag am Ende ablehnten, weil sie entweder von ihrer aktiven Verfassungsfeindlichkeit nicht überzeugt sind, oder sie für zu groß halten, um sie zu verbieten, könnte sich die AfD mit Fug und Recht als demokratisch geadelt präsentieren. Das wäre der GAU, der größtmögliche Unfall für die Demokratie.
Würde die AfD verboten, wäre der Schaden wahrscheinlich nicht geringer. Ein Teil der Führung und der Millionen Anhänger könnten in den Untergrund gehen, wo sie von den Verfassungschützern nur noch schwer zu verfolgen wären. Im Osten, wo sie schon jetzt zum Teil stärkste Kraft auch in den Landtagen ist, könnte es zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen kommen. Würden damit AfD-Wähler in größerer Zahl zu den demokratischen Parteien zurückgelockt, wenn die ihnen die von ihnen präferierte Partei entziehen? Wohl kaum.
Was aber hat Faeser geritten, jetzt dennoch die Bombe platzen zu lassen? Darüber kann man nur spekulieren. Naheliegend ist, dass sie, die den „Kampf gegen Rechts“ (worunter für viele der Demokratiekämpfer auch die Union fällt) als ihre wichtigste Aufgabe ansah, Merz und seiner Regierung ein Danaergeschenk hinterlassen will. Denn statt sich wie vom künftigen Kanzler, ihrem Nachfolger Alexander Dobrindt und CSU-Chef Söder angekündigt, vom ersten Tag an der Eindämmung der irregulären Einwanderung und der anderen drängenden Probleme zu widmen, hat sie schon vor ihrem Start nun wieder die AfD am Hals. Ein gefundenes Fressen für alle, die allein in der Debatte über die Fluchtmigration einen Anschlag auf die Verfassung sehen und Merz nicht vergessen haben und nie verzeihen werden, dass er kurz vor der Wahl im Bundestag da gemeinsame Sache mit der verfemten Partei gemacht hat.
Und was bringen der Bericht der Verfassungsschützer und die neuerliche Verbotsdiskussion tatsächlich im Kampf gegen die AfD? Nichts. Denn Gesinnungen, auch wenn sie einem noch so unappetitlich und unerträglich erscheinen mögen, lassen sich nicht verbieten. Selbst wenn die Partei aufgelöst würde, wären sie nicht aus der Welt und nicht aus den Köpfen ihrer Anhänger und Wähler. Dagegen hilft nur politische Auseinandersetzung, keine juristische. Und überall dort, wo es notwendig ist, klare Kante.
Könnte Merz Stimmen kosten
Merz und die Union haben sie gezogen. Allein schon dadurch, dass sie mit der AfD als zweitstärkster Partei nach der Wahl nicht einmal Sondierungsgespräche geführt haben, obwohl sie die SPD damit hätten unter Druck setzen können statt ihr in vielen Bereichen, anfangen bei der Schuldenbremse, nachzugeben. Dennoch wird ihnen, wenn sie sich weiterhin gegen ein AfD-Verbot stellen, vorgeworfen werden, doch mit ihr paktieren zu wollen. Merz könnte das Stimmen bei der Kanzlerwahl kosten, womöglich sogar seine Wahl gefährden, da prompt Rufe aus der SPD nach einem Verbotsantrag laut wurden. Von Grünen und Linken sowieso.
Nutznießer von all dem ist allein die Partei von Björn Höcke und Alice Weidel. Ist es das, was all die Demokratieverteidiger mit Faeser an der Spitze wollen, um ihre Daseinsberechtigung nicht zu verlieren? Wie wäre es stattdessen damit, endlich die Ursachen anzugehen, die die AfD erst so stark gemacht haben? Aber das würde ja mühsame politische Überzeugungsarbeit erfordern. Nichts, was einem ein so schön gruselig-wohliges Gefühl gibt, ein neues 1933 allein durch die Fleißarbeit von beamteten Verfassungsschützern zu verhindern.
Ludwig Greven ist freier Journalist und Autor. Und entschiedener AfD-Gegner. Aber nicht der Bürger, die ihr aus Frust oder Unzufriedenheit ihre Stimme geben
Ein AfD-Verbot würde wenigstens den Geldfluss von Millionen Euro vom Staat zu seinen Feinden stoppen.
Es wäre trotzdem nur Symptombekämpfung. Die strukturellen Probleme, dank denen die AfD überhaupt groß sein kann, sind soziale Ungleichheit und Spaltung, immer schnellere Umverteilung von unten nach oben, nach unten treten gegen einfache Sündenböcke wie Arbeitslose und Ausländer, steigende Mieten und prinzipienlose Politiker. Nichts davon würde von einem AfD-Verbot gelöst. Von der kommenden Bundesregierung allerdings auch nicht.
Die Geldflüsse können auch ohne Verbot gestoppt oder zumindest begrenzt werden. Ist im Fall der AfD ja auch schon gesehen. Gebracht hat es nichts. Die Ursachen für ihr Erstarken kann man auch ganz woanders sehen, wie viele Soziologen, Politikwissenschaftler und Wahlforscher. Wenn es so wäre, wie Sie schreiben, müssten ja eigentlich neben der Linken auch die SPD und die Grünen davon profitieren, die das seit langem anprangern. Tun sie aber nicht.