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East Of Omaho. Coming Of Age mit Luftgitarren und Kopf-Rock

Unser Punk war im übrigen Progressive Rock. Das hiess aber damals noch progressive Rockmusik, nur mal so nebenbei. Es nahte also brummend das Ende der 70er Jahre, und wir seinerzeit 20- bis 25jährigen standen zum ersten Mal vor dem Problem einer rasend sich auffaltenden Blüte verschiedenster Musikstile, die alle irgendwie den Anspruch erhoben, die allein seligmachende Rock´n´Roll Kirche zu vertreten. Wer das bildungsbürgerliche Zwangsklavier genossen hatte, hielt wahlweise „Tales from Topograhic Oceans“ von Yes oder „The Lamb Lies Down on Broadway“ von Genesis für der Weisheit letzen Schluß.

Weisheit, das war wörtlich gemeint: Eine Freundin pinselte mir die kompletten Texte der kruden Genesis-Geschichte handschriftlich ab, alldieweil ich das Pech hatte, eine Doppel-LP ohne Textbeilage erstanden zu haben. Nun konnte man sich trefflich versenken- aber es half nichts: Wer behauptet, Zugang zu dieser Story zu haben, bei dem würde ich gerne eine Razzia durchführen. Mit dem Ziel vor Augen, bislang unbekannter Drogen habhaft zu werden. Ach hätten wir geahnt, dass die Band selbst nicht wusste, was sie da auf die Bühne brachte… Immerhin, über 20 Jahre danach, hatte zumindest Peter Gabriels Bandkollege Mike Rutherford begriffen, worum es ging: „Peter hat in den letzten Monaten während der Nachbearbeitung versucht, mir diese Rock-Oper zu erklären, und das, ohne unter dem Einfluß von irgendwelchen Halluzinogenen zu stehen. Ich weiß jetzt, worum sich diese Geschichte dreht. Toll, nicht?“, sagte er im Fachblatt Interview Anfang 1997. Ach so…. worum denn eigentlich? Später konnte ich ihn selbst mal dazu befragen, in der vornehmen Lobby von Brenners Parkhotel in Baden Baden. Wo er zunächst aufstand, um dem übenden Barpianisten Bescheid zu geben: „Excuse me Sier, would you please be so kind as to stop playing the piano for about half an hour, cause we‘re doing an interview….“. Zum Thema „The Lamb Lies Down On Broadway“ sagte er dann seltsamerweise, jetzt wisse er erneut von nichts.

Verweigerung und Hybris

Es gab andere. Freund Uwe verweigerte die Gefolgschaft der Gabriel-Kirche: Er erwarb sogar Genesis-Platten (im Sonderangebot, nehme ich zu seinen Gunsten an), um sie unabgespielt zu zerbrechen und wieder ins Regal zu stellen, als wäre nichts geschehen. Der grundlegende Unterschied zu anderen Spielarten der sogenannten progressiven Rockmusik wie Yes, Gentle Giant oder King Crimson wollte mir nie so recht aufgehen, und was an Genesis nun so besonders verwerflich war. Es orakelte nur der verfinsterte Uwe gelegentlich, es habe irgendwas mit der Rezeption zu tun. Das war schon eher zu verstehen. Natürlich will niemand erklärtermaßen Fan von irgendetwas sein, wenn sein Nachbar auf die gleichen Sachen abfährt. Falls der Nachbar ein Idiot ist. Aber wenn ich das bin? Gemein. „Du mußt dich davon freimachen…“ brummelte ich und ertrug fürderhin, dass der Genesis-Fan im Regelfall Fuselpullover trug, kiffte und nach Patschuli stank. Außerdem halten LPs länger, wenn man sie nicht zerbricht. Aber vielleicht hatte die Uwe’sche Genesis-Abneigung doch was mit der Musik zu tun, subtil. Denn an einem Tag des Jahres 77 gestand er, gerade von einer England-Expedition zurückgekehrt, er habe da eine kleine feine neue Band entdeckt, die man dort jetzt im Radio höre. Dire Straits hießen die, und er (ganz Branchenkenner) meine, so um die 30.000 Stück könnten die Jungs schon absetzen von der Scheibe. Als es dann Millionen wurden, war er natürlich sehr entrüstet. Seine Dire-Straits-Platten blieben aber erstaunlicherweise heil.

Fliegender Blumenkohl als Statussymbol

Nebenbei noch erwähnt sei ein weiterer Freund: Michi, Angehöriger der Genesis-Glaubensgemeinschaft, pflegte Wochenende für Wochenende nach Neckargemünd aufzubrechen, in ein JZ in SV. Was das ist? Ein Jugendzentrum in Selbstverwaltung, dessen führende Köpfe sich vor allem dem Kampf der vietnamesischen Staudammbauern für die weitere wissenschaftliche Entwicklung des Sozialismus verschrieben hatte, in dem aber auch ein Platz war für jenen Freund Michael und mich war. Wir fuhren, bewaffnet mit einer 18 cm BASF-Tonbandspule dort hin, liessen sie in ein passendes Bandgerät einlegen, und abspielen. Darauf zu hören war das komplette Doppelalbum „The Lamb lies Down on Broadway“. Rund 20 junge Männer versammelten sich um diesen Tisch und schrien das komplette Album mit, am Ende standen wohl deutlich über hundert leere Bierflachsen auf dem Tisch. Dann packten wir die Bandspule wieder ein und fuhren auf dem Motorroller (den mein Freund Michael mit fliegenden Blumenkohlröschen im Weltall-Roger Dean Style – bemalt hatte zurück nach Heidelberg). Mike Rutherford hätte seine wahre Freude gehabt, hätte er uns dabei zuschauen können. Bevor sie fragen: Nein, wir haben nicht gekifft. Damals nicht, heute nicht.

Später haben wir verschärfte Proberaum-Parties gefeiert und uns der etwas einfacheren Rockmusik bedient. Aber nix mit Bläsern, wie schon Mark Knopfler in Sultans of Swing sang: Jaja, „we don’t give a damn about any trumpet playing band, it ain’t what we call rock’n’roll“. Habe ich eigentlich schon einmal erwähnt, dass ich eines Tages meinem Freund Uwe begegnete, der meinen Gruß nicht erwiderte, sich hinter einer schwarzen Sonnenbrille versteckte und überhaupt wirkte, als plane er einen Mord. Schließlich stiess er mit zusammengepressten Lippen hervor: „Auf der neuen Status Quo sind Bläser“. Hätte er dabei nach Schwefel gerochen, es hätte mich nicht gewundert. So, jetzt wissen Sie auch das.

Glückliche Verzweiflung

Bob Seger brachte all unser Streben, Sehnen und unsere Idee von erfüllter Verzweiflung gleich in mehrfacher Weise auf den Punkt, als er mit „Turn the Page“ eine derartige Identifikationsvorlage lieferte, daß wir uns gegen drei Uhr Morgens schon mal nach dem Genuss von Gallonen von „Highland Master“ brüllend auf den Boden hinlegen mussten, und mit abgebrochenen Stuhllehnen Nudelsalatreste brüllend in den auf dem Boden ausgelegten Flokati zu klopfen. „On a long and lonesome Highway east of Omaho, you can listen to the Engine roaring out this one long song…..“

Gut, East Of Omaho war zwar nur Heidelberg-Handschuhsheim bis Heidelberg-Altstadt, aber immerhin, wir machten jetzt ja auch selbst Musik. Und was für bedeutungsvolle! Wir waren quasi Rockstars. Und sangen im Brustton der Überzeugung mit, wenn Bob Seger verordnete: „Here I am, on the road again, here I am, back on the Stage. Here I go, playin´star again- here I go, turn the page…“. Süsser unsere Luftgitarren nie schwangen. Und dann kam der Klimax, die Stelle mit den Frauen, den Verstärkern und den Zigaretten: „Later in the evening as you lie awake in Bed, with the echoes from the amplifiers ringin´in your head, You smoke the days last cigarette, rememberin what she said… “

Und immerhin: Da wir selbst nun auch angefangen hatten, uns auf Bühnen zu stellen, sahen wir dortselbst gleich selbstbewußter aus. Denn dank Bob Seger („It‘s the same old cliches, is that a woman or a man?“) wußten wir nun, was wir brauchten: Die bösen Spießer, die uns ob unserer Haarpracht immer gering schätzen würden – als Feindbild. Einen Gehörschaden, zumindest für eine Nacht, und eine Zigarette. Und Frauen? Naja, sagen wir mal so: Wenn schon mal Frauen in die Nähe kamen, konnten wir auch viel besser und formvollendeter Zigaretten in den Mund stecken (eingedenk des Verstärkergebrumms) und dann aber schleunigst Reißaus nehmen auf dem „long Road east of Omaho…“

Thomas Zimmer schreibt seit 1980 über Rock, Pop und Folk. Er war Rundfunk-Musikredakteur, Dozent für Pop- und Rockgeschichte an der Musikhochschule Karlsruhe. Er hat u.a. die Biografie des BAP-Drummers Jürgen Zöller und ein Buch mit Konzertkritiken aus 20 Jahren veröffentlicht. Er hat Rock-Größen wie Phil Collins, Ian Gillan, Beth Hart und viele mehr interviewt. Er moderiert eine regelmässige musikalische Live-Talkshow im Jazzclub Bruchsal und betreibt den Interview-Podcast „Das Ohr hört mit“ – https://open.spotify.com/show/4FuFLyd1w66aRSnYYdCkOY mit Musikern und anderen Kulturmenschen.

 

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