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Songs von Leonard Cohen (7): Who By Fire

Es ist leicht, diesen Song zu lieben. Deshalb muss er nicht schlecht sein. Da ist die Melodie, diese in Moll gesetzte Version des unheimlichen englischen Kinderreims „Three Blind Mice“, und da ist, in der Album-Fassung, das Duett mit Janis Ian; aber von der Musik will ich ja bei diesen Exegesen nicht reden, hier geht es immer um die Texte.

Und dieser Text (den man wie immer unten findet) ist schon allein deshalb gut, weil er die englische Fassung eines alten, wohl aus dem Deutschland des 10. Jahrhunderts stammenden jüdischen Gebets ist, besser einer liturgischen Dichtung: „Unetaneh tokef“, die in aschkenasischen Synagogen an Jom Kippur vorgetragen wird. Leonard Cohen wird den Text seit seiner Kindheit gekannt haben:

„An Rosch ha-Schana wird es eingeschrieben, und an Jom Kippur wird es besiegelt – wie viele vergehen und wie viele geboren werden, wer leben und wer sterben wird, wer zu seiner Zeit und wer durch einen vorzeitigen Tod, wer durch Wasser und wer durch Feuer, wer durch Schwert und wer durch wildes Tier, wer durch Hunger und wer durch Durst, wer durch Erdbeben und wer durch Pest, wer durch Erwürgen und wer durch Steinigung stirbt, wer in Ruhe leben wird und wer herumirren muss, wer in Frieden leben wird und wer verfolgt wird, wer heiter sein kann und wer gequält wird, wer verarmt und wer reich wird, wer entwürdigt und wer erhöht wird. Aber Buße, Gebet und Rechtschaffenheit können die Schwere des Urteils abwenden.“

Da ich so gut wie nichts von jüdischer Religion verstehe, will ich die Theologie – wenn man beim Judentum von einer Theologie reden kann – nicht weiter kommentieren. Sie scheint gut biblisch, insofern Gott dort sein Strafen immer in diesen Leben – oder an den Nachfahren – vollstreckt. Cohen hat die möglichen Todesarten lustvoll ergänzt: da ist ein Mädchen in ihrem „einsamen Slip“, aber auch jemand, der „auf Befehl seiner Dame“ stirbt; da ist ein Junkie, der sich mit einer Überdosis Beruhigungsmitteln umbringt; da ist einer, dem seine Gier, ein anderer, dem sein Hunger zum Verhängnis wird und so weiter und so fort.

Das kann man bedrohlich finden, wie die Musik ja suggeriert, aber auch etwas lustig. Cohen selbst, der immer am besten ist, wenn er das Ernste seiner Lieder ironisch konterkariert, weiß das auch, und schiebt den Tod „im lustigen Monat Mai“ ein – eine Anspielung auf das Gedicht „The Merry Month of May“ von Thomas Dekker, einem Zeitgenossen William Shakespeares. In diesem Gedicht besingt der Dichter seine „Peg“ – also Peggy – als „Königin seines Sommers“. Die Nachtigall bittet sie, den Dichter zu erhören (wie man früher sagte); doch dann hört er den Kuckuck und kann nicht dort bleiben und mit ihr rummachen. Denn, so geht das englische Sprichwort, der Mann, der den Kuckuck hört, wird betrogen. Ein tiefsinniger Spruch, denn im Frühling kann man es kaum vermeiden, den Kuckuck zu hören.

Und dann gibt es die einzige Zeile im Gedicht, die sich nicht selbst erklärt: „Who shall I say is calling?“ Eine Zeile aus dem Büroalltag in der Zeit vor Warteschleifen und „Wenn Sie xyz wollen, drücken Sie bitte die eins. Kennen Sie übrigens unsere App?“: Hier also: „Kann ich Herrn sowienoch sprechen?“ „Ich stelle Sie durch. Wen darf ich melden?“ Oder „Wie war nochmal Ihr Name?“

Das Lied entstand, Matti Friedman zufolge, im Anschluss an Cohens Trip nach Israel während des Jom-Kippur-Kriegs, wo er sich spontan zum Dienst an der Front als Truppenbetreuer entschloss. Friedmans Buch schildert auch an einer Stelle die schreckliche Situation, die sich tausendfach wiederholt haben wird, wo Eltern eines gefallenen Sohns in seiner Einheit anrufen, um sich nach ihm zu erkunden; aus Sicherheitsgründen aber, und weil die Armee die Benachrichtigung der Angehörigen selbst übernimmt, dürfen die Mädchen an den Telefonen nichts sagen, und versprechen den Anrufern, ihre Nachricht weiterzugeben: „Ich sage das dem Avi; wie war nochmal Ihr Name? Ah richtig …“ Who shall I say is calling?

Übrigens war mein Cousin Yochanan, später Mitgründer der Meretz-Partei, in dem Krieg – da war er mit 42 zu alt, um als Infanterist eingesetzt zu werden – als Militärzensor beschäftigt. Er musste die Briefe der Frontsoldaten prüfen, damit sie nicht strategische Informationen aus Versehen preisgaben. „Am Abend vor dem Angriff schrieben die meisten nach Hause“, sagte er mir einmal. „Sie schreiben fast alle Sachen wie: Mach dir keine Sorgen, unsere Einheit ist weit von der Front, wer weiß, ob wir noch eingesetzt werden.“ Dabei hatte Yochanan Tränen in den Augen.

Wer ruft? Das „Who“ dieser Frage ist ein anderer als die anderen „Wer“, die auf verschiedene Weise sterben werden. Wenn diese Tode die Nachricht sind, wenn der Rabbiner oder Kantor die Nachricht überbringt: von wem kommt sie? Who shall I say is calling? Einer jedenfalls, dessen Namen man im Judentum nicht nennen soll.

Es gibt einen Song von Bob Dylan, der auf ähnliche Weise mit einer Alltagsphrase spielt: „What Was It You Wanted?“ Was wolltest du nochmal? Da wird auch ein Telefongespräch insinuiert:

Could you say it again
I’ll be back in a minute
You can get it together by then

What was it you wanted
You can tell me I’m back

Also, worum ging es nochmal? Bin wieder dran. Leg los.

Mal ist der Sänger selbst Gott oder doch Jesus, der Judas fragt, was der Kuss an der Wange zu bedeuten hat; mal ist er vielleicht Judas oder der Mann, den ein britischer Fan als „Judas“ beschimpfte, also Bob Dylan:

Are you the same person
That was here before?

Who shall I say is calling? Mr Judas? Mr Jesus?

What was it you wanted
Are you talking to me?

Genau. Geht es mich überhaupt etwas an? Ich weiß nicht, aber wenn ich Cohens Song höre, stelle ich mir immerhin die Frage. Mehr kann man nicht verlangen.

 

And who by fire, who by water
Who in the sunshine, who in the night time
Who by high ordeal, who by common trial
Who in your merry merry month of may
Who by very slow decay
And who shall I say is calling?

And who in her lonely slip, who by barbiturate
Who in these realms of love, who by something blunt
Who by avalanche, who by powder
Who for his greed, who for his hunger
And who shall I say is calling?

And who by brave assent, who by accident
Who in solitude, who in this mirror
Who by his lady’s command, who by his own hand
Who in mortal chains, who in power
And who shall I say is calling?

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2 Gedanken zu “Songs von Leonard Cohen (7): Who By Fire;”

  1. avatar

    Lieber Alan Posener,

    Ihre Texte über Cohens Texte lese ich – ohne immer mit Ihnen einer Meinung zu sein, was ja auch entsetzlich langweilig wäre – regelmäßig mit Genuss.

    Danke

    Mit schönen Grüßen
    Warner Poelchau

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