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Weil Not nicht beten lehrt …

Vielmehr ist es ein Glück in der Not, wenn man zuvor des Betens gelehrt wurde.

Als ich mich mit 20 und im Februar 1981 in der Justizvollzugseinrichtung Brandenburg zum „Einzelseelsorgerlichen Gespräch“ bei dem Brandenburger Evangelischen Gefängnispfarrer meldete,..

Da zeigte mir einer der Mörder auf der Zelle einen Vogel:

„Wenn‘ste dem Deine Seele verkaufst, biste selber dran schuld. Wenn‘ste was über mich erzählst, kriegst‘e eine in die Fresse. Klar?“

Der Herr Pfarrer holte mich persönlich aus der Zelle ab. Er hatte einen Schlüssel für alle Zwischengitter im Gefängnis. Ein anderer der Mörder grinste mir hinterher:

„Pinguin (so nannten sie mich 20-jähringen >>Ersttäter<<), merk‘ste eigentlich noch was?“

Er hatte einen eigenen Seelsorge-Raum. „Sie können offen sprechen.“ sagte er. “Wird nicht abgehört.“

Ich nickte, wollte eigentlich gar nicht sprechen, sondern ein Buch von ihm aus seiner Bibliothek haben, eines von Gerhard Hauptmann: „Der Narr in Christo Emmanuel Quint.“

Da sagte der treue Eckart, das sei ein Buch, das den Glauben erschüttern könne. Er müsse erst einmal die Festigkeit meines Glaubens prüfen. Familie ? Vater ? Mutter ? Geschwister ? Also erzählte ich irgendwelchen Sülz. Alles treue DDR-Bürger und so. Ich wollte das Buch haben, bekam es auch.

Und ich wollte in seine Bibliothek schauen.

Ein weiteres Buch nahm ich mir für ein Jahr mit: Ein Kompendium der Kirchengeschichte. Faszinierend diese Geschichte um die Katharer des 12. bis 14. Jahrhunderts, von denen sich das Wort Ketzer ableitet.

Sie lehrten, dass alle, die irgendetwas darstellen in dieser Gesellschaft, Staatsdiener und Kirchendiener, Kinder des
Bösen seien.
Böse.
Böse.
Böse.

Faszinierend.

Weil absolut einleuchtend, wenn man in einer Gefängniszelle wohnt und keinen Schlüssel für die Gittertüren hat..

Überrascht es mich, dass man einem, der in der DDR das Vertrauen der Kerkermeister besaß, keinesfalls trauen durfte ? Oder überrascht mich eher die heutige Überraschung der Überraschten?

Und ist wirklich jeder böse, der etwas „darstellt“ ?

Mußt Du wirklich ein Schwein sein in dieser Welt, wie die Prinzen singen?

Nein, ich habe auch anderes erlebt. Den Weißenfelser evangelischen Superintendeten Ulrich Immelmann zum Beispiel, der 1984 beharrlich im Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit anklopfte, um ein einzelseelsorgerisches Gespräch mit mir zu führen. Und natürlich abgewiesen wurde. Das Gütesiegel erhielt, gewissermaßen.

„Das war groß von Ihnen!“ Habe ich ihm später gesagt.

„Das war eine Selbstverständlichkeit!“ Sagte der 2015 verstorbene große Mann.

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Über Bodo Walther

Bodo Walther, geboren 1960 in Weißenfels im heutigen Sachsen-Anhalt, studierte 1985 bis 1991 Rechtswissenschaften in Tübingen und Bonn. Er war aktiver Landes- und Kommunalbeamter in Sachsen-Anhalt, ist heute im Ruhestand und Anwalt in der Nähe von Leipzig.

2 Gedanken zu “Weil Not nicht beten lehrt …;”

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    … in Not wünscht sich jeder Mensch Hilfe. Das muss niemand gelehrt bekommen.

    Schreiben ‚wir‘ es mit Udo Jürgens; …ist das nichts, wenn du ahnst, dass es irgendwen gibt an den du zwar nicht glaubst und der trotzdem dich liebt?‘

    1. avatar

      Danke für den Link auf Udo Jürgens. In der Tat, ich hätte nach 1990 nicht wieder in Weißenfels leben wollen, wenn ich nicht zuvor dort Menschen erlebt hätte, die auch in der Not gesagt hatten „Den Walther? Den kenne ich! Mit dem will ich zu tun haben!“

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