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Psychedelic Rock gegen Erdosultan

Ulf Kubanke nutzt den Fall Imamoglu, um auf mutige Künstler aufmerksam zu machen, die dem Regime des türkischen Unterdrückers seit Dekaden die Stirn bieten.

„Der Anlass ist immer ‚Faschismus‘.“ – Woody Allen („Anything Else“)

„Ich will Kalif sein anstelle des Kalifen!“ – Isnogud

Im Südosten nichts Neues. Erdolf dreht mal wieder durch und pendelt sich wie aktuell in der Causa Ekrem İmamoğlu einmal mehr dort ein, wo sich das politische Kroppzeug Hannah Arendtschen Grauens dieser Tage ohnehin zum fröhlichen Mobster-Stelldichein gesellt.

Doch keine Angst. Ich gebe jetzt nicht den politischen Welterklärer. Werfen wir stattdessen doch gemeinsam lieber einen Blick auf Musiker, die dem tumben Regime ohnehin seit Dekaden trotzen.

Gleichwohl darf es nun selbstverständlich keine dröge Politkombo sein. Keine dieser lahmen Kapellen, die man um der Ethik Willen so gern mögen möchte. Und die man trotzdem sofort vergisst, weil jegliche Sinnlichkeit fehlt.

Hier nicht.

Ich weiß, nun habe ich die Schnauze recht weit aufgerissen. Da muss nun auch ein frühlingstauglicher Brecher an den Start.

Here we go.

Seit gut 30 Jahren ziehen Baba Zula ihre musikalischen Kreise. Bekannt durch Fatikh Akins „Crossing The Bridge“ entwickelten sie seither einen Stil, der sich bei beiden Welten – Okzident wie Orient – bedient und daraus einen hochgradig individuellen, sehr farbenprächtigen Sud braut. Die westliche Seite prägte sie besonders durch psychedelic Rock oder Latin-Groove. Die nahöstliche Seite spiegelt sich in der zusätzlichen Verwendung folkloristischer Instrumente sowie ebensolcher Elemente.

Sie sehen sich selbst als Wanderer zwischen den Welten, als Botschafter von Verständigung und Liebe. Dabei nehmen sich die Istanbuler als dritte Art wahr, als Spezies, die sich weder von West noch Ost in der eigenen Identität vereinnahmen lässt und eine eigene Zugehörigkeit zum freiem Geist, unabhängigem Denken und Empathie definiert. So ein bißchen wie Laibach mit ihrem NSK-Ding. Doch das ist eine andere Geschichte.

Mit dieser Haltung wollen Baba Zula stets auch jene Teile der in Deutschland, den Niederlanden etc lebenden türkischstämmigen Menschen ermutigen, die zum Teil massiv erfahrene rassistische Ablehnung durch pluralistisch-progressives Selbstwertgefühl zu überwinden.

Und zwar ohne am Ende bei Nationalismus, Totalitarismus, Autokratismus, Frauenfeindlichkeit, Intellektuellenfeindlichkeit und ödipaler Infantilität zu landen, wie es hierzulande manch prominenter Berufssportler fremdbeschämend pro Regime kund tut.

Der nützliche Narr als Selbstwahrnehmungskonzept ist Baba Zula ein Grauen.

Als entsprechend rebellisch nimmt das Regime die sympathische Band wahr. Denn Baba Zula widmen ihre Songs explizit unteredrückten Autoren, Journalisten und allen Aktivisten, die für ein freies Miteinander, Frieden, Individualismus und Völkerverständigung eintreten.

Sie erzählen freimütig von Polizeieinsätzen in Proberäumen, bei denen Musiker drangsaliert werden. Etliche Songs sind in ihrem Heimatland verboten. Manche Platten können sie nur über ausländische Labels vertreiben.

Trotz aller Schikanen erteilen sie dem Hass eine deutliche Absage. Ihre umarmende, sehr warmherzige Philosophie grenzt niemanden aus – gerade auch Tiere nicht – sondern lädt alle dazu ein, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen und am Besten auf diesem zu tanzen.

Das vorliegende Stück (übersetzt „Das ewige Wort des Poeten) besticht durch seine gleichermaßen fuzzy wie folky rockende Gitarre, effektiv eingebautes Wiehern eines Pferdes, schwelgende Psychedelik und einen süchtig machenden Groove. Viel Spaß!

Foto by Ayse Sena Sahin & Baba Zula

Ulf Kubanke ist Jurist mit Befähigung zum Amt des Familienrichters, war Anwalt und Mitglied der deutsch-israelischen Juristenvereinigung (DIJV). 2008 Neuerfindung als Autor im Bereich Musik und Feuilleton, als Kritiker, Kurzbiograf und Kommentator für laut.de, verschiedene Tageszeitungen und ab 2016 als Gründungsmitglied des Autorennverbunds „Die Kolumnisten“. Er interviewte u.a.  Alice Cooper, Gary Numan, Kraftwerk, Scorpions, Gabi Delgado (DAF), Billy Idol, Bryan Adams, Peter Murph. Daneben juristische wie politische Fachartikel, Essays und Kurzgeschichten.

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