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Der Mann am Klavier. Paul Kuhn wäre heute 97

Heute vor 97 Jahren, am 12. März 1928 wurde Paul Kuhn geboren. Ich – nun wahrlich kein Experte für Jazz – habe ihn 2008 einmal getroffen und war beeindruckt von der Vitalität des damals 80jährigen. „Jazz war immer eine Minderheitenmusik“, hat er mir erzählt. Millionen seien da nicht zu machen, auch wenn das manche glaubten. Es gab eine Zeit, in der Jazz verbotene Musik war. In Wiesbaden geboren und als jugendlicher Jazzliebhaber unter der Nazidiktatur aufgewachsen, musste er die geliebte Musik auf alten Schallplatten hören, es gab sie ja schließlich noch. Später dann hörte man mit Freunden bei den Feindsendern, heimlich. „Da habe ich in den 40er Jahren die ersten Glenn Miller Sachen gehört.“

Das, was er damals im Radio hörte, beförderte seine Berufsentscheidung. Später konnte er mit amerikanischen Musikern, die in Deutschland als Besatzungssoldaten dienten, zusammen spielen: „Die amerikanischen Clubs waren unser zweiter Bildungsweg“. Damals kniete er sich in die Werke der Komponisten hinein, die er zum Teil auch heute noch spielt. Gershwin, Irving Berlin, Cole Porter. Kuhn Er machte sich einen Namen als herausragender Jazzpianist. In der zweiten Hälfte der 40er Jahre spielte er unter anderem im US-Militärclub in Heidelberg, der amerikanische Soldatensender AFN stellte ihn an: „We take over to studio B. Paul Kuhn is ready to play for you ‚Night and Day“. „Der Mann am Klavier“ machte ihn 1954 unverhofft zum Schlagerstar: Allein in jenem Jahr verkaufte sich das Lied 250.000 mal. Kuhn bekam Aufträge als Komponist und Arrangeur, und konnte so seine ganze musikalische Vielfalt entwickeln. Er sang und spielte Jazz, hatte schon als 15jähriger sein erstes Arrangement geschrieben, aber er ließ sich in keine Schublade stecken: Da gründete er 1951 sein erstes Quartett, spielte mit Größen wie James Last und Max Greger, Ende der 50er Jahre förderte er als Produzent Nachwuchstalente wie Ralf Bendix, Rocco Granata oder Howard Carpendale, und schließlich kam die Fernsehkarriere: 1968 wurde er Dirigent der SFB-Bigband und verschaffte diesem Klangkörper ein internationales Renommee, um schließlich sein eigenes Orchester zu gründen, das ebenso ständig im Fernsehen und auf den Konzertbühnen präsent war.

Seit Mitte der 90er Jahre war Paul Kuhn wieder vor allem Jazz-Pianist mit Leidenschaft. Der in Interviews dazu steht, mit den Rolling Stones fast nichts, mit den Beatles ein bisschen mehr anfangen zu können. Am Rande eines Konzert in Bad Herrenalb 2006 hatte er erzählt, wie sehr es sich über Oscar Peterson gefreut hatte, der in einem Interwiew bei der Frage nach Robbie Williams zurückgefragt habe, wer das sei und was der mache. „Den kann ich nicht ausstehen“, bekannte auch Kuhn. Immerhin könnte der Popstar dem alten Jazzer mit seinem Ausflug in die Swing-Ära ein völlig neues, jüngeres Publikum zugetrieben haben. Kuhn selbst stellte fest, als er ab 2002 an mit Max Greger und Hugo Strasser auf Tour ging: „Wir hatten ausverkaufte Häuser – und jüngeres Publikum.“ Er konnte sich sich diebisch über die Erfolge seiner Jazz CDs freuen, die alle im fünfstelligen Bereich verkauften. Das seien wirkliche Erfolge, und auch die Anerkennung durch Auszeichnungen wie „Klavierspieler des Jahres“ (2003) oder die German Jazz Trophy für sein Lebenswerk im Jahr zuvor ehrt ihn. Paul Kuhn starb am 23. September 2013 während eines Kuraufenthaltes in Bad Wildungen

Thomas Zimmer schreibt seit 1980 über Rock, Pop und Folk. Er war Rundfunk-Musikredakteur, Dozent für Pop- und Rockgeschichte an der Musikhochschule Karlsruhe. Er hat u.a. die Biografie des BAP-Drummers Jürgen Zöller und ein Buch mit Konzertkritiken aus 20 Jahren veröffentlicht. Er hat Rock-Größen wie Phil Collins, Ian Gillan, Beth Hart und viele mehr interviewt. Er moderiert eine regelmässige musikalische Live-Talkshow im Jazzclub Bruchsal und betreibt den Interview-Podcast „Das Ohr hört mit“ – https://open.spotify.com/show/4FuFLyd1w66aRSnYYdCkOY mit Musikern und anderen Kulturmenschen.

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