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Mit Sonnenbrille und Hundefleisch organiert. Oder: Wozu Musiker interviewen?

„Früher habe ich nie Interviews mit Sonnenbrillen gegeben. Aber ich lerne zu lügen“… Na? Wer hat‘s gesagt, irgendwann in den 90er Jahren? Der irische Wanderprediger Bono Vox, die Mutter Teresa der Steuerflüchtigen. Und was sagt uns das jetzt? Vielleicht das: Trau keinem Rockstar-Interview? Nimm die Sonnenbrille ab, nur dann wirst du von Wahrheit und Wahrhaftigkeit durchflutet? Fragen über Fragen. Sind Interviews überhaupt sinnvoll? Ist das Künstler-Interview selbst eine eigene Kunstform? Oder ist es nur der verlängerte Waschzettel der Musikindustrie? Oder geht es vielmehr darum, dass der Fragesteller sich eigentlich für viel wichtiger hält als der Befragte?

Für letzteres gibt es zahlreiche Beispiele, eines der schönsten, wenn nicht das allerschönste und zugleich peinlichste, möchte ich im Folgenden referieren: Auf Seite 26 des Hefts 3/98 der mittlerweile dahingeschiedenen Zeitschrift SPEX, die ich hier ausdrücklich nicht Musikzeitschrift nennen möchte, stand ein sehr interessantes Interview, dessen Nachhall mir, obwohl schon über zwei Jahrzehnte her, immer noch wie ein Menetekel durch die Birne rauscht und dabei knirschende Geräusche erzeugt.

Der Wichtigtuer-Journalist

Es handelt sich um eine Interview mit Mark Hollis, dereinst Kopf der britischen Avantgarde-Combo Talk Talk. Und das fängt so an. Frage: „Waren Sie schon mal in der Alhambra, dem moslemischen Palast in Granada?“ Mark Hollis antwortet: „Ja“, der Interviewer fühlt sich beflügelt und holt weit aus, von der eigenen Klugheit offensichtlich übermannt: „Die Musik auf ihrem neuen Album erinnert mich sehr an die filigrane Architektur und an die verästelten Dekors, die dort zu sehen sind, ich muß etwas ausholen: Vielleicht wissen Sie, daß das islamische Spanien zum Ende der moslemischen Herrschaft von den zeitgenössischen Strömungen im mittleren Osten deutlich abgeschnitten war.“ Also nochmal: Das alles sagt der Fragesteller! Und auch das Folgende: „Es heißt, dass in dieser Zeit ein ungewöhnlich feingliedriger und zierlicher Stil entstanden ist, der sich auf auf hohem Niveau fast ausschließlich auf sich selbst bezog. Als ich jetzt „Mountains of the Moon“ hörte….“

Da aber unterbricht Mark Hollis den Volkshochschulkurs abrupt mit den Worten: „Die Platte heißt nicht so. Sie erscheint einfach unter meinem Namen. „Mountains of the Moon“ war nur ein Arbeitstitel.“ Da ist der wackere SPEX-Journalist beleidigt, man hört ihn förmlich mit den Zähnen knirschen, wenn er Hollis anpampt: „Ich habe nun schon eine Kritik unter diesem Titel geschrieben.“ Erstaunlich, daß die CD dann doch unter dem Titel Mark Hollis erschien, ja erscheinen durfte.
Jedenfalls ist das fast einsame Spitze, das ist der ziemlich beste Interviewdialog aller Zeiten! Ganz anders, aber durchaus in dieser Rangordnung konkurrenzfähig, ist der hier: Matthias S., ein sehr kluger Kollege, mit dem ich in der schrecklichsten Zeit meines Berufslebens – als Redakteur eines privaten Dudelsenders – zusammenarbeiten durfte, hatte die Angewohnheit, jeden Sänger und vor allem jede Sängerin, der oder die dazu bereit waren, mit wohlüberlegten Fragen zu traktieren. Nun waren allerdings seine Englischkenntnisse eher passiv. Er kam also verzaubert aus dem Studio, verabschiedete sich artig vom jeweiligen Star des Tages, und ich fragte dann immer ganz artig- und wie war’s? Worauf Matthias wahrheitsgemäß und auch sehr stolz antwortete: „Ich hab alles gefragt. Alles.“ Und ich bohrte, fast inquisitorisch jetzt schon, nach: „Und was hat er gesagt?“ Darauf Matthias grüblerisch: „Viel….“. und nach einer längeren Pause, noch grüblerischer: „Was genau, das mußt Du mir dann aber mal übersetzen.“

Unschlagbare Antworten

Einmal war es anders, da bedurfte es keiner Übersetzung, und in dem Dialog, dessen Zeuge ich sein durfte, lag so viel Weisheit, dass ich erschauderte. Von Sally Barker, einer stimmgewaltigen britischen Folk-Göttin, die auch dann nicht auf den Mund gefallen war, wenn sie mal nicht sang, begehrte er zu wissen: „Do you have a private life?“, worauf sie sprach: „Yes“.
Auch legendär ist das Interview, das ich irgendwann in den Achtzigern im Fernseh erspähte. Da frug jemand Gene Simmons von Kiss: „Was wollt Ihr euren Fans mit euerer Musik und euren Texten sagen?“ Worauf er antwortete : „Nichts, absolut nichts.“

Der selbstbewusste Musiker kann aber Journalisten auch mal auflaufen lassen. Ich kann mich leider nicht mehr an die Quelle erinnern, und es ist eben auch schon ewig her, dass Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten in einer Interviewsituation einmal ein Statement abgegeben hat, das den gefragt Habenden zutiefst verunsichert haben muss. Selbst wenn Herr Bargeld das vielleicht nicht intendierte, ich trage ihm bis heute höchste Wertschätzung für seine ebenso knappen wie irritierenden Ausführungen hinterher. Es ging um Hundefleisch. Herr Bargeld führte also zunächst aus, dass der Gegenstand der Erörterung, vulgo das aktuelle Werk seiner Truppe, wie jedes zuvor veröffentlichte, natürlich schon wieder das Beste sei, und man habe dies und jenes benutzt, aber, ob er, der investigativ fragende Journalist denn bemerkt habe, dass die Platte vor allem von der Anwesenheit von Hundefleisch lebe. Beziehungsweise ihre Schwingungen daher rührten. Vom Hundefleisch.

Hundefleisch macht Töne weich

Es sei nämlich, so führte der Herr Bargeld weiter eklatant ins Feld, ein hochfahrender Unterschied, ob man im Studio nun mit oder ohne Hundefleisch arbeite. Wie arbeite? Wie Studio? Hätte ich an dieser Stelle gefragt und eventuell noch hinzugefügt: Hundefleisch? Von welcher Art Hund? Das tat der gefragt Habende aber nicht, sondern er bekam unverzüglich von Herrn Bargeld beschieden, man habe eben bei dieser Produktion erstmals im Studio rohes Hundefleisch zwanglos in den zu beschallenden Räumen ausgelegt, und- schwupp- schon habe die Kapelle sich wie von selbst zu einem ganz anderen Sound verstanden.

Was mich betrifft: Ich selbst habe zeitlebens beim Hervorbringen von Musik immer auf der Anwesenheit von Bierkästen, Aschenbechern sachkundigen Männern und Frauen geachtet. Aber mich fragt ja keiner. Denn meistens frage ich, da ich aus unerfindlichen Gründen kein Rockstar geworden bin. Immerhin, mein langjährigster Freund und immer mal wieder Bandkollege Uwe, Herr der Tasten, wurde in unserer aktivsten gemeinsamen Zeit Ende der 70er-Jahre einmal von einer Dame, der ich sehr vergeblich sehr zugetan war, gefragt: „Wie ist das denn so, wenn du organierst?“ Da wusste dann ich zumindest: Mit dieser Dame und mir wird das nix. Falls ihre Frage an Uwe also ein Interview gewesen sein sollte, so schloss ich, können Interviews doch über den Tag hinaus einen Sinn und Nutzen haben.

Thomas Zimmer schreibt seit 1980 über Rock, Pop und Folk. Er war Rundfunk-Musikredakteur, Dozent für Pop- und Rockgeschichte an der Musikhochschule Karlsruhe. Er hat u.a. die Biografie des BAP-Drummers Jürgen Zöller und ein Buch mit Konzertkritiken aus 20 Jahren veröffentlicht. Er hat Rock-Größen wie Phil Collins, Ian Gillan, Beth Hart und viele mehr interviewt. Er moderiert eine regelmässige musikalische Live-Talkshow im Jazzclub Bruchsal und betreibt den Interview-Podcast „Das Ohr hört mit“ – https://open.spotify.com/show/4FuFLyd1w66aRSnYYdCkOY mit Musikern und anderen Kulturmenschen.

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