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Recht auf Langeweile

Trump-Rückehr, Ampel-Aus, Magdeburg, Gaza/Israel, FPÖ, Grönland, Aschaffenburg, Merz/AfD, Proteste, Trump/Gaza… Jeden Tag überschlagen sich die Ereignisse. Man kommt kaum noch mit, schaltet ab. Werden wir jemals wieder ruhigere Zeiten erleben?

Das Geheimnis von Merkels langer Kanzlerschaft war wahrscheinlich nicht, dass sie sonderlich gut regierte, sondern dass sie das Land sedierte. „Macht Euch keine Sorgen! Ich meistere die Krisen und alles andere. Ihr könnt Euch raushalten“, das war ihre einlullende gouvernantenhafte Botschaft an das Volk. Es war des zufrieden, kümmerte sich um seinen eigenen Kram und wählte sie immer wieder. Und wenn sie nicht irgendwann Schluss gesagt hätte…

Ihr Epigone Scholz versuchte es auf ähnliche Weise. Doch ihm fehlten Format und Fortüne. Und die Zeiten sind nicht mehr so.

Eigentlich haben die Bürger in einer parlamentarischen Demokratie ein Recht darauf, in Ruhe gelassen zu werden. Schließlich wählen sie die Volksvertreter dafür, dass sie die Staatsgeschäfte an ihrer Stelle erledigen und eine Regierung installieren, die dafür sorgt, dass sie ohne allzugroße Kümmernisse und Einschränkungen ihrem Leben, privaten Geschäften und Sorgen nachgehen können. Wer will, kann über Parteien, Initiativen, Verbände, Gewerkschaften, Demonstrationen mitreden. Aber er oder sie muss es nicht. Haben doch die meisten ihr eigenes Päckchen zu tragen.

Der Michel schläfdt nicht mehr ruhig

Doch nun erleben und erleiden wir, dass der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist, dass kaum noch etwas ist wie es vorher war. Dass unsere bisherige Regierung kopflos regiert hat und auseinander gebrochen ist. Dass vor der Neuwahl große Aufwallung herrscht, die Wirtschaft in der Krise steckt und auf einmal wieder Arbeitsplätze bedroht sind. Dass etliche von einer Rückkehr des Faschismus reden und der Klima-Apokalypse, Trump Tag für Tag mit neuen verrückten Ideen und Taten für Kopfschütteln und Empörung sorgt, während Putin sich wie Xi ins Fäustchen lacht und mit seiner Soldateska in der Ukraine beständig vorrückt. Wie soll man da noch ruhig schlafen und seinem Alltag nachgehen?

Nicht wenige antworten damit, dass sie das irre Weltgeschehen auszublenden versuchen, oder indem sie sich im Internet austoben. Was soll man auch sonst tun? Sich dem Wahnsinn hingeben?

Ach, wie schön wäre es, wenn es mal wieder ein paar Tage, vielleicht sogar Wochen oder Monate gäbe ohne aufwühlende Nachrichten, ohne ständig neue Krisen, Katastrophen, Konflikte. Nur die kleinen im privaten Umfeld. Es wird wohl nie mehr so kommen. Und wenn man ehrlich ist, war es früher ja auch nicht so. Man muss gar nicht von der Kuba-Krise, der Berlin-Blockade, dem Ungarn-Aufstand, dem Einmarsch in die Tschechoslowakei, dem Kalten Krieg reden. Auch in der bundesdeutschen Geschichte ging es längst nicht immer gemütlich zu. Polarisierungen und erhitzte Debatten gab es es schon vor der 68er-Revolte und dem Aufkommen der sozialen Bewegungen und der Grünen. Danach erst recht. Kriege und Zuspitzungen sowieso. Auch Rechts- und Linksextremisten. Nur dass man im Rückblick gerne Vieles verklärt und die 30 Jahre seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Zusammenbruch der alten Ordnung und dem Entstehen einer vermeintlich neuen friedlichen das wohlige Gefühl gaben, die heißen Zeiten seien ein für allemal vorbei. Werch ein Illtum!

Die Welt wankt

Und nun? Es hilft nichts. Wir müssen damit leben. Uns nicht jeden Tag erschrecken lassen. Aber der Realität stellen: Die Welt ist extrem ungemütlich. Die Autoritären stehen vor der Tür. Demokratie, Freiheit, unser privates Glück steht auf dem Spiel. Die Gefahren lauern überall, rechts, links, in der Mitte. Deshalb in Angst versinken, sich verkriechen? Nein. Die Welt geht auch morgen nicht unter. Sie hat schon Schlimmeres überlebt. Aber schön ist es nicht. Eher zum Fürchten.

Ob Merz oder ein anderer nach dem 23. Februar regiert, ob mit SPD, Grünen oder einem Minderheitskabinett, ist vermutlich nicht entscheidend. Das kleine Deutschland ist es auch nicht. Aber dass wir uns wieder einmischen und nicht die Augen verschließen. Glück Auf!

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10 Gedanken zu “Recht auf Langeweile;”

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    Das Bekenntnis unserer Versäumnisse, den von ‚Millenials‘ auch schon mal als ‚Boomern‘ bezeichneten Wählerinnen und Wähler könnte ein Thema sein, das auch für die bevorstehende Wahl noch hilfreich sein könnte. Ein hilfreiches Gegenmittel gegen Langeweile und auch die Angst vor der deutschen Ohnmacht anhand der weltweiten Krisen wäre ein konkreter Plan für die nächsten beiden Dekaden – für unsere Millenials . Unsere direkten Boomer-Versäumnisse sind ja zum Beispiel auch die fehlenden Fachkräfte heute. Aber nicht nur, dass es in Deutschland zu wenig Millenials gibt, sondern auch die Gründe und die Folgen für diesen demographischen Wandel sind unzureichend beleuchtet. Ist das wirklich nur ein Versäumnis von Kanzlerin Merkel? Können wir nicht alle selber rechnen? Sorry, aber mit einer der Gründe warum ich mich so oft bei deutschen Diskussionen über Frau Merkel langweile, ist die mangelnde Ehrlichkeit und der mangelnde Humor. Wir Baby-Boomer waren zum Großteil die Voll-Egoisten, die super Hedonist:innen und ja, leider auch nicht unbedingt die Frauen-Freund:innen, wenn es um die Jahre der Mutterschaft ging. Und das schreibe ich als Mutter und im vollen Bewusstsein, dass auch hier, bei „Starke-Meinungen§ wieder hauptsächlich Männer ihre Weltsichten propagieren. Weil im deutschen Journalismus ebenfalls die weiblichen Stimmen fehlen, so wie uns eben ein Drittel an Millenials an der Wahl-Urne fehlen wird. Weil wir es verbockt haben. Sorry, aber das musste jetzt mal raus. Frohen Sonntag dennoch. Und demnächst dürft ihr hier auch mich mit meiner Weltsicht sehr gerne ausführlich kritisieren.

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      Sie sind herzlich eingeladen, in diesem Autoren-Blog mitzuschreiben. Von der Zuschreibung als „Hedonist“ nehme ich mich aus. Ich habe vier erwachsene Kinder und drei Enkelinnen, habe als ausreichend dazu beigetragen, dass unser Land eine Zukunft hat. Andere haben das nicht getan. Dass viele der wenigen Jüngeren heute keine Kinder mehr in die Welt setzen wollen, macht mir große Sorge. Denn ohne Kinder, die etwas wunderbares sind, gibt es keine Zukunft.

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    Wann hatten „wir“ denn zuletzt „ruhige Zeiten“?
    Die Zeiten waren nie ruhig. Nur hübsch übersichtlich. „Wir“ – die Guten, „sie“ die Bösen. Die Besserwessis, die undankbaren Ossis, Saddam, Milosevic, wieder Saddam, Bin Laden, die faulen Griechen. Seitdem wird es unübersichtlicher in der Wahrnehmung des „Westlers“. Kein Zugriff mehr auf das schöne Russland, wie unter Jelzin. China besitzt die Frechheit, eigene Machtinteressen zu verfolgen, und jetzt noch Trump zurück im Weißen Haus. Alles erfrischend disruptiv, wie man heute so schön sagt. Und Merkel ist schuld. Aber solange noch zwei oder drei Urlaube im Jahr drin sind, ist doch alles ok.
    Ein Proletarier in Mumbai oder Homs würde sich über diesen Artikel schlapplachen.

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    Ich glaube, Merkel/Scholz haben“das Recht auf Langeweile“ hinreichend eingelöst und es wird höchste Zeit, dass die offensichtlich Gelangweilten wieder der Realität zuwenden, statt unsere Heizungskeller per Dekret neu zu gestalten und auch sonst das Land weiter zu ruinieren.
    Werden wir, die alternde Bevölkerung, eigentlich frühzeitig senil? Nichts war früher sicherer/besser/bequemer/einfacher und als ich 1980 zur Bundeswehr musste, hatte ich echt Schiss: Gerade hatte die UdSSR Afghanistan besetzt und bei uns rollten eine Zeit lang fast täglich die Panzer durchs Dorf. Und ich dachte wirklich, dass da irgendeine Mobilmachung läuft und andere erzählten mir, dass vermehrt Manöver und Ernstfall-Übungen angesagt waren. Rheinland-Pfalz war lt. CDU-Ministerpräsident Vogel „der Flugzeugträger Europas“ und die Atomwaffen lagerten in 20 km Entfernung auf der US-Airbase Büchel. 1983 verhinderte der subalterne sowietische Offizier Stanislaw Petrow durch eine eigenmächtige Entscheidung den atomaren Overkill, so dass auch die Friedensdemos nicht ohne Grund stattfanden. Usw. Ich habe ein wenig den Eindruck, dass wir den Katastrophismus nun verinnerlicht haben und gleichzeitig nicht kapieren wollen, dass das Chaos immer und überall ist, ja quasi Bestandteil und Bedingung des Lebens überhaupt. Besser ist es, das zu realisieren und sich zu freuen, noch am Leben zu sein. Wenn jetzt Javier Milei und Donald Trump beginnen, das absolut Überfällige zu veranlassen und etwas die Luft aus den allzubequemen Kissen der öffentlichen Dienste, des Nanny Staates und den neuen Behörden lassen, ist das keine Apokalypse, sondern .. ja Business. Business ist besser als Krieg. Lasst das ewig Politische endlich Business werden! (sorry.. lang. Musste aber mal sein.)

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    Die AfD ist erst nach der Zeit von Merkel erstarkt. Die Veränderung der Welt in Richtung ’neue Nationalismen‘, autoritäre und vereinfachende Sprüche etc. ist nicht die „Schuld“ von irgendjemanden. Es ist die irrationale Antwort auf eine grundlegende Änderung unserer Lebensverhältnisse und der Transformation der Ökonomie.
    Merkel zu beschhuldigen und zu fordern, sie möge schweigen, ist also ziemlich schlicht.

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    Naja, sie hielt ihn nicht für so wahnsinnig, sein Land wegen dieses Traumes von der Großmacht zu ruinieren. Wir werden sehen, ob seine Kriegswirtschaft nicht noch kollabiert.

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    Merkel konnte darauf vertrauen, dass Putin wenigstens seinen Verstand behält, wenn er schon revanchistisch vom Großreich Russland träumt. Dass er wirtschaftlich (und sozial) sein Land ruiniert hat, dürfte offensichtlich sein, unabhängig davon, wie dieser furchtbare Krieg ausgeht. Zu Merkels Zeiten war diese katastrophale Entwicklung nur für Pessimisten realistisch.
    Auch hat Merkel die Deutschen während der Corona-Krise nicht „eingelullt“, sondern mit einer kurzatmigen Politik eher verstört.
    Also Merkel ist für die jetzige schlechten Stimmung nicht verantwortlich.

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      Dass Putin darauf sinnt, mindestens ganz Osteuropa wieder dem russischen Joch zu unterwerfen, hätte auch Merkel spätestens nach dem Überfall auf die Krim und dem Krieg in der Ostukraine 2014 klar sein müssen. Dafür musste man kein Pessimist, nur Realist sein. Die Fehler in der Corona-Zeit hat Merkel nicht alleine gemacht, aber sie trug die oberste Verantwortung. Und sie ist für das Erstarken der AfD wesentlich verantwortlich. Das alles reicht allemal dafür, dass sie jetzt schweigen sollte.

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        Wenn wir mal realistisch bleiben wollen:
        – Merkel hat mit Putin nach Sun Tzus Prinzip „Keep your friends close, but your enemies closer“ verfahren. Das ist in den letzten 2500 Jahren zwar das eine oder andere Mal schiefgegangen, aber nicht so oft, dass es verworfen wurde.
        – Bei Corona muss man sich ehrlich machen und fragen, wie die Alternativen ausgesehen hätten. Merkel muss man anrechnen, dass sie weder wie verschiedene Diktaturen das Virus komplett ignoriert hat, noch in eine Kriegsrhetorik verfallen ist.
        – Während Merkels Zeit als Kanzlerin kam die AfD im Bund nicht nennenswert über 10 Prozent der Zustimmung. Daß sie jetzt bei 20 Prozent liegt, hat andere Ursachen, unter anderem: Massive, zu einem guten Teil auf Lügen basierende, Kampagnen gegen die Ampel, vor allem gegen die Grünen; Normalisierung rechtsradikaler Positionen, indem sie von bürgerlich-Konservativen übernommen werden; Verharmlosung der Partei, indem man sie (kontrafaktisch) als „CDU der 1980er) verbrämt.

        Das soll jetzt beileibe keine Verteidigung von Merkel sein; dazu kann man ihr zuviel an anderer Stelle vorwerfen. Etwa durch Huldigung der Schwarzen Null Investitionen verschleppt zu haben; die Modernisierung des Landes (Stichwort: Digitalisierung) verpennt und die Industrie in dem Glauben gelassen zu haben, sie könne auf Innovation verzichten und ihre alten Geschäftsmodelle bis St. Nimmerlein weiterführen; oder fehlende Initiativen, die EU verteidigungspolitisch auf eigene Füße zu stellen und von den USA unabhängiger zu machen (was spätestens nach Trumps erster Amtszeit ganz nach oben auf die Agenda gehört hätte).

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        Angela Merkel, lieber @Ludwig Greven, war mal eine ehrgeizige DDR-Physikerin an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Als solche tat sie das, was wichtig war, um „wirklich nach oben“ zu kommen im Moskauer Imperium.

        Notwendig war eine Fähigkeit zur Kommunikation mit der Moskauer Physiker-Elite. Notwendig war Kenntnis der Russischen Sprache. Dazu war sie auf einem längeren Sprachlehrgang in …
        … Donezk.
        Das liegt, wie Sie wissen, in der Ukraine.

        Russischlehrer der DDR wurden übrigens ausgebildet in …
        … Odessa.
        Das liegt ebenfalls in der Ukraine, wie Sie wissen.

        Wer dort war, der
        WEISS,
        dass das westdeutsche Narrativ von „dem Russischen Volk“ und „dem Ukrainischen Volk“ so einfach nicht stimmt.

        Es stimmt ebensowenig wie Ihr Narrativ, es gehe Moskau darum „mindestens ganz Osteuropa wieder dem russischen Joch zu unterwerfen“.

        Die „Sammlung der Russischen Erde“ die „Russki Mir – Русский мир“ meint etwas anderes.

        „RusSISCH“, also „das Land der Rus“ ist durchaus auch Kiew. Das dortige Höhlenkloster ist sogar das Zentralheiligtum „der Rus“.

        Der Krieg zwischen Moskau und Kiew geht darum, wer der Inhaber „der Rus“ ist.

        Übrigens: Das heutige Russisch ist ein Kind Puschkins, der die Moskauer Version des Ostslawischen als erster zur Literatursprache machte. Zeitgleich machte Schewtschenko die westukrainische Version des Ostsslawischen zur ukrainischen Literatursprache.

        Frühere Schriftzeugnisse der „beiden Sprachen“ gibt es gar nicht. Wenn in Slawisch geschrieben wurde, dann in „Kirchenslawisch“, den Worten der orthodoxen, der „göttlichen“ Liturgie in der Übersetzung der Brüder Michael und Konstantin, die sich dann als Mönche Kyrill und Method nannten. Gebraucht wird es in allen orthodoxen Kirchen Weißrusslands, Rußlands und der Ukraine.

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