Nur ein Bündnis der konservativen mit der linksbürgerlichen Kraft kann das Land aus dem Winterschlaf wecken, den Knoten in der Migrationspolitik lösen, Wirtschaft wie Klimaschutz voranbringen und damit die AfD schwächen. Erneut Schwarz-Rot wäre ein Desaster.
Wenn es eine Konstante im deutschen Gemüte gibt, dann ist es die Sehnsucht nach Harmonie. Nach ein paar Tagen heftigem Schlagabtausch im Bundestag und massenhaften Protesten gegen die angebliche AfD-Wendung des Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, angeführt von Politikern von SPD und Grünen, kam es wie es kommen musste: 80 Prozent der verbliebenen SPD-Anhänger sprechen sich in einer neuen INSA-Umfrage für eine Koalition ihrer Juniorpartei ausgerechnet mit der aus, deren Vorsitzenden SPD-Fraktionschef Mützenich als „Höllenhund“ und Zerstörer der Demokratie verteufelt hat. Masochismus? Nein, eher so, wie es Kaiser Wilhelm II. vor über 100 Jahren verkündete: In der Not kennt der Deutsche keine Parteien mehr.
Diesen Eindruck erweckte ja auch Merz mit seinem selbstherrlichen Vorgehen in Sachen Migration. Dass er damit zugleich die große, unter Merkel gewachsene Harmonie in der breiten linken bis rechten Mitte gewaltigt störte, was nicht nur der Altkanzlerin, sondern auch einem Teil seiner Partei missfiel, vielen Medien sowieso, gehört zu den Paradoxien dieser Tage.
Von den Unions-Anhängern teilen allerdings nur 42 Prozent den Wunsch nach einer neuerlichen GroKo, die gar keine mehr wäre, weil die AfD längst zur zweiten völkischen Volkspartei geworden ist, während die SPD nur noch ein Kümmerdasein führt. Von allen Befragten sind es sogar nur 32 Prozent. Nicht viel weniger, nämlich 26 Prozent wären für eine Koalition der Union mit der AfD.
Vor-Merz statt Stillstand
Die Übrigen haben ein gutes Gespür. Denn noch einmal Schwarz-Rot, diesmal unter Führung von Merz, verspräche vier Jahren weiteren lärmenden Stillstand – das beste, genauer: schlechteste Förderprogramm für die Blau-Braunen. Die unter der ewigen GroKo erst groß und unter der verblichenen Ampel noch viel stärker geworden sind.
Allein das spricht sehr gegen eine weitere Regierungsbeteiligung der SPD, die ohnehin nach einem Vierteljahrhundert fast ununterbrochener Mitregent- und Kanzlerschaft ausgelaugt ist, ihren Kompass komplett verloren hat und sich nach dem absehbaren Wahldebakel erst neu finden und sich eine neue Führung geben muss. Viel mehr noch spricht dagegen, dass das Dauerbündnis der Merkel-CDU mit den Sozialdemokraten dem Land all die Probleme eingebrockt hat, welche die Ampel in drei Jahren nur in kleinen Teilen beseitigen konnte. Und die sich zu einem schwer lösbaren Bündel verknotet haben.
Ukraine-Politik als Lackmustest
Das aufzudröseln erfordert die Führungskraft eines neuen entschlossenen Kanzlers, der es hoffentlich besser macht als in seiner Schein-Kanzlerschaft vergangene Woche. Mit einem Koalitionspartner, der zu seinen Prinzipien steht, aber bereit und in der Lage ist, verabredete Kompromisse auch durchzusetzen, selbst wenn es noch so stürmt. Sicherlich haben die Grünen in der Ampelzeit manche Fehler gemacht hat, die ihnen weidlich unter die Nase gerieben wurden. Aber sie haben immer wie die CDU unverbrüchlich zur Unterstützung der Ukraine gestanden, ganz anders als die Scholz-SPD. Und sie werden es weiter tun – eine der zentralen Fragen.
Ihr Spitzenkandidat Habeck hat jetzt auch schnell erkannt, dass ein stures weiteres Verweigern in der Asyl- und Migrationspolitik und reines Anti-Merz nicht weiterhilft und nur der AfD nutzt. Und deshalb einen eigenen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt, der sich gar noch so sehr vom Fünf-Punkte-Plan von Merz unterscheidet. Was ihm prompt Proteste in der eigenen Partei einbrachte, er folge damit ihm und damit letztlich der verhassten Rechtsaußenpartei.
In Stürmen zu stehen, das zeichnet – pathetisch ausgedrückt – Staatsmänner und -frauen aus. Der Sauerländer Merz bringt es mit, der Küstenbewohner Habeck auch. Der in Niedersachsen geborene Wahlhamburger Scholz nicht. (Sein möglicher Ersatz Pistorius schon eher).
Bündnis der Antagonisten
Schwarz-Grün wäre aber vor allem deshalb vonnöten, weil nur ein Bündnis der von Merz wieder konservativer gewendeten CDU mit der linksbürgerlichen Öko-Partei die notwendige Balance von Humanität und Sicherheit in der Asyl- und Migrationspolitik hinbekommen kann, mitsamt den Kräften auf der rechten Seite, die Abschottung fordern, und denen auf der linken, welche die Grenzen weiter offen halten wollen. Und weil nur diese Kombination der scheinbaren Antagonisten einen Ausgleich von dringend erforderlichem Entfesseln der Wirtschaftskräfte mit dem genauso drängenden Klimaschutz bewerkstelligen kann. Die staats- und industriegläubige SPD kann das nicht. Die rein wirtschaftsorientierte FDP genauso wenig. Die Grünen würden auch unvermeidliche Einschnitte in den Sozialleistungen mittragen, wie sie es unter Schröder getan haben, damit die Staatsschulden nicht noch höher werden. Es träfe ja nicht ihre Wählerklientel.
Das Alles könnte die AfD wie die ungeistesverwandte Wagenknecht-Partei wieder kleiner machen, wenn die Bürger Zuversicht gewinnen, dass sich die Parteien der Mitte weder in den Armen liegen noch sich bekämpfen, sondern sich die halbswegs Kräftigen von ihnen endlich daran machten, wozu sie gewählt werden: gut und ordentlich zu regieren und die Probleme zu lösen. Die No-AfD kann das nicht, das wissen auch die meisten ihrer Wähler. Die Antifa auf den Straßen ebenso wenig.
Ludwig Greven ist vogelfreier Publizist. Und Wechselwähler